Stellungnahme des Vereins Spenderkinder zu den Eckpunkten des Bundesministeriums der Justiz für eine Reform des Abstammungsrechts und den Eckpunkten des Bundesministeriums der Justiz für eine Reform des Kindschaftsrechts: Modernisierung von Sorgerecht, Umgangsrecht und Adoptionsrecht vom 15. Januar 2024

Am 16 Januar hat das Bundesministerium der Justiz zwei Eckpunktepapiere zur Modernisierung des Familienrechts veröffentlicht: ein Eckpunktepapier zur Reform des Kindschaftsrechts mit Vorschlägen für neue Regeln im Sorge-, Umgangs- und Adoptionsrecht sowie ein Eckpunktepapier zur Reform des Abstammungsrechts.

Der Verein Spenderkinder bedankt sich für die Möglichkeit zur Stellungnahme zu den Eckpunkten des Bundesministeriums für Justiz.

I. Der Verein Spenderkinder

Der Verein Spenderkinder vertritt die Interessen von durch Samen“spende“ (im Folgenden Samenvermittlung) gezeugten Menschen in Deutschland. Dabei repräsentiert er die Sicht der entstandenen Kinder auf Samenvermittlung und andere Formen der Familiengründung mit den Geschlechtszellen einer dritten Person wie Eizellvermittlung, Embryonenvermittlung und Leihmutterschaft. Zu den Zielen gehört insbesondere, andere Spenderkinder, Menschen mit Kinderwunsch und Menschen, die ihre Keimzellen abgeben, über die rechtlichen Rahmenbedingungen und psychologischen Herausforderungen dieser Arten der Familiengründung sowie über den aus Sicht des Vereins bestehenden rechtlichen Handlungsbedarf zu informieren.

II. Zusammenfassende Positionierung des Vereins Spenderkinder zu den Eckpunkten des Bundesministeriums der Justiz für eine Reform des Abstammungsrechts und des Kindschaftsrechts

Der Verein Spenderkinder begrüßt viele der vorgesehenen Eckpunkte für eine Reform des Abstammungs- und Kindschaftsrechts. So unterstützt der Verein Spenderkinder, dass Kinder von Eltern in homosexueller Ehe von Anfang an zwei rechtliche Elternteile haben, damit ihre Versorgung genauso gut abgesichert ist, wie die von Kindern, deren Eltern in heterosexueller Ehe leben. Vor demselben Hintergrund unterstützt der Verein Spenderkinder die Möglichkeit, Kindern durch eine Elternschaftsvereinbarung bereits präkonzeptionell einen zweiten Elternteil zuzuordnen.

Der Verein Spenderkinder begrüßt alle Bestrebungen, um das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung effektiv zu sichern. Dazu gehört ein Vermerk im Geburtenregister, wenn eine Elternschaftsvereinbarung getroffen wurde oder ein Kind durch ärztliche Keimzellvermittlung entstanden ist. Auf diese Weise stellt das Kind spätestens bei einer Anmeldung zur Eheschließung fest, dass weitere Informationen zu seiner Abstammung vorliegen, und nur so ist es Behörden möglich, effektiv zu prüfen, ob Ehehindernisse, wie eine zu nahe Verwandtschaft, bestehen. Ebenfalls zur Sicherung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung gehört die Erweiterung des Samenspenderregisters um Daten zu Embryonenvermittlungen und um Daten aus ärztlicher Samenvermittlung vor 2018. Auch die Möglichkeit, die leibliche Abstammung mit einem mutmaßlichen leiblichen Elternteil gerichtlich feststellen zu lassen, ohne dazu wie bisher die rechtliche Vaterschaft anfechten zu müssen, ist ein wichtiger Schritt. Er ermöglicht es dem Kind, sein Recht auf Kenntnis der Abstammung wahrzunehmen, ohne dabei eine möglicherweise bestehende rechtliche Elternschaft zu dem zweiten Elternteil auflösen zu müssen.

Ferner begrüßt der Verein Spenderkinder das Umgangsrecht des Kindes mit seinen leiblichen Elternteilen als wichtiges Signal, dass das Kind Bedürfnisse entwickeln kann, die von den ursprünglichen Vereinbarungen seiner Elternteile abweichen. Zwar kann das Kind sein Recht auf Umgang mit einem leiblichen Elternteil in der Praxis nur dann wahrnehmen, wenn der leibliche Elternteil dazu bereit ist; möglicherweise ist der leibliche Elternteil aber dazu bereit, wenn er erfährt, dass das Kind Umgang wünscht, auch wenn er initial darauf verzichtet hat.

Kritisch sieht der Verein Spenderkinder, dass dem Kind die Möglichkeit genommen werden soll, die Zuordnung zu den rechtlichen Eltern anzufechten. Es dient gerade nicht dem Schutz der Rechte und Interessen des Kindes, ihm die bestehende Anfechtungsmöglichkeit seiner Zuordnung zu einem nicht genetisch verwandten Elternteil zu erschweren oder die Frist dazu zu verkürzen.

Ebenfalls nicht im Sinne des Kindes sind Elternschaftsvereinbarungen, bei denen ein genetischer Elternteil seine elterliche Verantwortung für das Kind abgibt, ohne dass ein zweiter rechtlicher Elternteil vorgesehen ist, der sie übernehmen möchte. Dies ist regelhaft bei Kindern von sogenannten Solo-Müttern der Fall. Gleichfalls dient es nicht der Absicherung des Kindes, wenn der rechtliche Elternteil neben der Geburtsmutter vereinfacht seine rechtliche Elternschaft ablegen kann, ohne dass eine andere Person als zweiter rechtlicher Elternteil des Kindes festgestellt wird.

An diesen Punkten zeigt sich, wie die Eckpunkte teilweise versuchen, die Wünsche von (Wunsch-)eltern auf Kosten der Rechte des Kindes abzusichern.

Stattdessen muss die Zuordnung der Elternschaft durch Ehe oder kraft Anerkennung – wie bisher auch – bei fehlender genetischer Verbindung durch das Kind anfechtbar bleiben. Ergänzend ist es erforderlich, dass das Kind die Mutterschaft der Geburtsmutter anfechten kann, wenn sie mit dem Kind nicht genetisch verwandt ist.

Zudem haben Kinder ein Recht auf zwei Elternteile. Daher sollte bei der Ausgestaltung der Reformideen darauf geachtet werden, dass allen Kindern ein zweiter rechtlicher Elternteil zugeordnet wird.

Weitere Ergänzungen sind notwendig, um das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung effektiv zu sichern: Die relevanten Daten müssen im erweiterten Samenspenderregister nicht optional, sondern verpflichtend hinterlegt werden. Bei Spenderkindern, die vor 2018 gezeugt worden sind, muss alles Erforderliche getan werden, um zu ermitteln, ob die Daten über den genetischen Vater noch vorhanden sind. Die Samen vermittelnden Ärzt:innen und Kliniken sollten hier zu einer Zusammenarbeit mit der zuständigen Behörde verpflichtet werden. Auch Daten aus Keimzellvermittlung und Leihmutterschaft, die im Ausland durchgeführt worden sind, sollten wenn möglich im Spenderdatenregister aufgenommen werden. Auch reicht es nicht aus, dass die Daten für das Kind zugänglich sind, sondern das Kind muss aktiv in die Lage versetzt werden, von seinem Recht Gebrauch zu machen. Dazu sollten die rechtlichen Eltern verpflichtet werden, ihre Kinder über deren Abstammung aufzuklären.

Dem Recht auf Umgang mit Halbgeschwistern folgend, sollte das Samenspenderregister zudem nicht identifizierende Informationen über Halbgeschwister bereitstellen sowie bei gegenseitigem Interesse Daten für eine Kontaktaufnahme vermitteln.

III. Im Einzelnen zu den Eckpunkten für eine Reform des Abstammungsrechts

1. Die Zuordnung der Elternschaft durch Ehe oder kraft Anerkennung muss bei fehlender genetischer Verbindung durch das Kind anfechtbar bleiben, unabhängig vom Bestehen einer sozial-familiären Beziehung

Vorgesehen ist, dass das Kind die Elternschaft der Person, die sich ihm durch eine Elternschaftsvereinbarung zugeordnet hat oder in die medizinisch unterstützte Befruchtung der Geburtsmutter mittels einer Samenspende eines Dritten eingewilligt hat, regulär nicht anfechten kann und dass es die Elternschaft des nicht genetischen Elternteils kraft Ehe oder Anerkennung nur dann erfolgreich anfechten kann, wenn keine sozial-familiäre Beziehung zu ihm besteht (Eckpunkte Abstammungsrecht, S. 12). Eine sozial-familiäre Beziehung wird vermutet, wenn eine Ehe zwischen der Mutter und dem Mann besteht (§ 1600 Abs. 3 Satz 2 BGB). Das ist nicht im Interesse des Kindes.

Welche Bedeutung der weitere genetische Elternteil für das Kind hat, kann nur das Kind selbst entscheiden. Unter Umständen hat das Kind ein Interesse daran, dass ihm der zweite genetische Elternteil auch rechtlich zugeordnet wird. Es ist nachvollziehbar, dass sich Wunscheltern ihre Elternstellung absichern möchten. Hier dürfen jedoch nicht allein die Interessen der Wunscheltern ausschlaggebend sein. Das Kind muss weiterhin für eine gewisse Zeit ab der Volljährigkeit bzw. ab Kenntnis seiner Entstehungsweise, eine Möglichkeit zur Anfechtung von Elternschaft haben, wenn es mit dem ihm zugeordneten Elternteil nicht genetisch verwandt ist, unabhängig von einem sozial-familiären Miteinander im Alltag. Bei der Anfechtungsmöglichkeit geht es nicht darum, soziale oder Versorgungsbeziehungen abzubilden, sondern darum, die Autonomie des (erwachsengewordenen) Kindes zu wahren, nicht gegen seinen Wunsch einem anderen Menschen allein auf dessen Wunsch als Kind zugeordnet zu sein. Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung umfasst nicht nur das Wissen darüber, von wem ein Mensch abstammt, sondern beinhaltet auch die rechtliche Abbildung der tatsächlichen biologischen Abstammungsverhältnisse.

Ferner gehen die Eckpunkte für eine Reform des Abstammungsrechts davon aus, dass Personen, die elterliche Verantwortung tragen, ein Kind regelhaft zu dessen Wohl pflegen und erziehen. Dies entbehrt völlig der Lebenserfahrung und ist geradezu zynisch gegenüber der Erfahrung von Spenderkindern, die – genau wie andere Kinder auch – alle Formen sozialer bzw. rechtlicher Eltern erleben. Der Wunsch, rechtlicher Elternteil zu werden, oder allein die Tatsache, mit der Geburtsmutter eines Kindes verheiratet zu sein, erlaubt keinen Rückschluss auf die grundsätzlichen oder sogar spezifischen Elternqualitäten eines Menschen gegenüber einem anderen. Die Möglichkeit des Kindes, sich aus einer willkürlichen Zuordnung nach den Wünschen der Eltern zu einem rechtlichen, aber nicht genetischen Elternteil durch Anfechtung zu lösen, muss wie bisher erhalten bleiben.

2. Elternschaftsvereinbarungen, bei denen niemand die zweite Elternstelle übernehmen soll, sind nicht im Interesse des Kindes – Kinder haben ein Recht auf zwei Elternteile

Durch Elternschaftsvereinbarungen soll künftig vor Zeugung eines Kindes rechtsverbindlich vereinbart werden können, welche Person neben der Geburtsmutter zweiter rechtlicher Elternteil eines Kindes wird.

Schon in der Vergangenheit hatte sich der Verein Spenderkinder für die Möglichkeit einer solchen präkonzeptionellen Elternschaftsvereinbarung eingesetzt, damit Kinder, die nicht in eine heterosexuelle Ehe geboren werden, materiell genauso gut abgesichert sind, wie Kinder in heterosexuellen Ehen, und von Beginn an zwei rechtliche Eltern haben.

Nach wie vor schlechter gestellt sind jedoch Kinder, bei denen die Geburtsmutter wünscht, dass neben ihr niemand die zweite rechtliche Elternstelle übernimmt. Zusammen mit dem Samenspenderregistergesetz wurde eingeführt, dass ein Mann, der Samen über eine Samenbank abgegeben hat, nicht als rechtlicher Vater festgestellt werden kann (§ 1600d Absatz 4 BGB). Bereits diese Regelung sieht der Verein Spenderkinder sehr kritisch, weil er durch ärztliche Samenvermittlung gezeugte Personen zu Menschen zweiter Klasse macht, die ihren genetischen Vater nicht offiziell als rechtlichen Vater feststellen lassen können. Begründet wurde dieser Ausschluss damit, dass regelmäßig der intendierte Vater die zweite rechtliche Elternstelle besetzen wolle.1 Als Folge vermitteln Samenbanken in Deutschland jedoch Samen an alleinstehende Personen. Die so gezeugten Kinder haben keinen zweiten rechtlichen Elternteil.

Die Eckpunkte für eine Reform des Abstammungsrechts sehen außerdem vor, dass der kraft Ehe mit der Geburtsmutter rechtliche Elternteil sich vereinfacht aus seiner rechtlichen Elternschaft lösen können soll, wenn er nicht genetischer Elternteil des Kindes ist und nicht mittels Elternschaftsvereinbarung oder Einwilligung in eine Befruchtung mit dem Samen einer dritten Person der Zeugung des Kindes zugestimmt hat. Das Kind hat dadurch nur noch einen rechtlichen Elternteil.

Kinder, auch Spenderkinder, haben ein grundsätzliches Recht auf zwei rechtliche Elternteile und dass die Feststellung eines genetischen Elternteils als rechtlicher Elternteil nicht von vornherein rechtlich ausgeschlossen wird. Auch das Bundesverfassungsgericht führt aus, dass es ein Interesse des Kindes geben kann, „seinen leiblichen Vater nicht nur zu kennen, sondern ihn auch als Vater rechtlich zugeordnet zu erhalten“.2 Dieser Gesichtspunkt wurde bei § 1600d Absatz 4 BGB ignoriert – was zeigt, wie sehr sich der Diskurs im Abstammungsrecht an Elternwünschen orientiert. Es sollte bei dem Grundsatz bleiben, dass Menschen für die Kinder verantwortlich sind, die sie zeugen, egal ob innerhalb oder außerhalb einer Ehe.

Bei der Ausgestaltung der Reformvorschläge sollte daher darauf geachtet werden, dass Kindern auf jeden Fall ein zweiter rechtlicher Elternteil zugeordnet wird.

3. Die Frist zur Anfechtung durch das Kind muss weiterhin mindestens zwei Jahre betragen

Der Verein Spenderkinder begrüßt es, dass die Anfechtungsfrist für heranwachsende Spenderkinder nicht vor Vollendung ihres 21. Lebensjahres enden soll. Ansonsten ist vorgesehen, die Frist zur Anfechtung der Vaterschaft bzw. Elternschaft für erwachsene Spenderkinder auf ein Jahr zu verkürzen. Dies ist nicht im Interesse des Kindes.

Auf Seiten des Kindes gibt es keinen Grund, die bestehende Anfechtungsfrist von zwei Jahren durch das Kind zu verkürzen. Dieser Zeitraum ist bereits sehr kurz, bedenkt man den Loyalitätskonflikt, den viele Spenderkinder spüren, wenn sie ihren eigenen Bedürfnissen nachgehen möchten, die von denen ihrer Eltern abweichen. Nach wie vor erfahren viele Spenderkinder erst im fortgeschrittenen Erwachsenenalter von ihrer Entstehungsweise, teilweise unter sehr ungünstigen Umständen, z.B. indem ihnen DNA-Datenbanken Halbgeschwister anzeigen oder weil sie durch Krankheit oder Tod ihrer rechtlichen Eltern von deren Krankheitsgeschichte oder Blutgruppe erfahren, die eine leibliche Verwandtschaft ausschließen. Viele solch spät aufgeklärter Spenderkinder benötigen einige Zeit, um sich neu zu orientieren. Die vorgesehene Verlängerung der bisherigen Anfechtungsfrist für heranwachsende Spenderkinder wird damit begründet, dass sie vor einer übereilten Entscheidung geschützt werden sollen. Dieses Argument lässt sich übertragen auf Spenderkinder, die im Erwachsenenalter von ihrer Entstehungsweise erfahren. Die Frist zur Anfechtung muss daher weiterhin mindestens zwei Jahre betragen.

4. Anfechtung der Elternschaft der Geburtsmutter ermöglichen

Vorgesehen ist, dass das Kind künftig nicht nur wie bislang die Vaterschaft des rechtlichen Vaters anfechten kann, wenn dieser mit ihm genetisch nicht verwandt ist, sondern auch die Mutterschaft der rechtlichen Mutter neben der Geburtsmutter.

Seit einigen Jahren finden in Deutschland jedoch auch Embryonenvermittlungen statt und Kinder werden nach Eizell- oder Embryonenvermittlung im Ausland in Deutschland geboren. Dadurch ist die austragende Person nicht mehr automatisch die genetische Mutter. Folglich sollte das Kind die Möglichkeit erhalten, auch die Mutterschaft der Geburtsmutter anzufechren, wenn es nicht genetisch verwandt mit ihr ist.

5. Erweiterung des Samenspenderregisters auch für Embryonenvermittlungen und „Leihmütter“ aus dem Ausland und verpflichtende Übernahme von Daten aus ärztlicher Samenvermittlung ab 1970

Vorgesehen ist, dass das Samenspenderregister, das bisher nur Daten zu ärztlicher Samenvermittlung im Inland ab 1. Juli 2018 erfasst, ausgebaut wird und künftig als Spenderdatenregister auch Daten über ärztliche Samenvermittlung aus der Zeit vor dem 1. Juli 2018 sowie private Samenvermittlung, Embryonenvermittlung und im Ausland durchgeführte Eizellvermittlung erfassen kann.

Der Verein Spenderkinder begrüßt diese Erweiterung. Um das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung effektiv zu sichern, ist es notwendig, dass diese Daten nicht nur optional sondern verpflichtend beim Spenderdatenregister hinterlegt werden. Hier kommt es auch entscheidend darauf an, dass die Keimzellen vermittelnden Ärzt:innen sowie Kliniken zu einer Zusammenarbeit aufgefordert werden und die vorhandenen Daten weiterleiten. Zusätzlich sollten Daten über die genetischen Elternteile bei Embryonen- oder Keimzellvermittlung im Ausland und die Identität der austragenden Person von im Ausland durchgeführten Leihmutterschaften wenn möglich im Spenderdatenregister aufgenommen werden. Für Menschen, die vor dem Inkrafttreten des Samenspenderregistergesetzes am 1. Juli 2018 gezeugt wurden, sollten die bei Ärzt:innen und Kliniken oder privaten Notar:innen noch vorhandenen Daten der genetischen Elternteile an das Spenderdatenregister übertragen werden, ohne dass es dabei auf das Einverständnis der genetischen Elternteile ankommt. Die Bundesärztekammer wies bereits mit Zulassung der ärztlichen Samenvermittlung im Jahr 1970 auf das unverzichtbare Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung hin und machte explizit, dass Ärzte die Identität des „Spenders“ nicht verschweigen dürfen.3 Dies war Reproduktionsmedizinern auch bekannt.4 Da insbesondere Spenderkinder, die bis Mitte der 1990er Jahre gezeugt wurden, häufig auf wenig Kooperationsbereitschaft bei den zuständigen Ärzt:innen und Kliniken treffen, wären ergänzend konkrete Maßnahmen umzusetzen, die Reproduktionsmediziner:innen und Kliniken in die Pflicht nehmen, dass sie Unterlagen von vor 2018 auch tatsächlich an das Register übergeben.

IV. Im Einzelnen zu den Eckpunkten für eine Reform des Kindschaftsrechts

1. Recht auf Umgang mit Halbgeschwistern

Die Eckpunkte für eine Reform des Kindschaftsrechts erinnern daran, dass Kinder ein Recht auf Umgang mit ihren Geschwistern haben.

Der Verein Spenderkinder begrüßt diesen Hinweis. Viele Spenderkinder wünschen sich Informationen über ihre Halbgeschwister, z.B. wie viele sie insgesamt haben und erleben Kontakt zu ihnen als bereichernd.5. Das Samenspenderregister sollte daher grundsätzlich auch Auskunft über nicht identifizierende Informationen wie z. B. die Anzahl und die Geburtsjahre geben und bei gegenseitiger Einwilligung der betroffenen Personen auch Daten zur Kontaktaufnahme vermitteln.

2. Spenderkinder müssen in die Lage versetzt werden, ihr Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung geltend zu machen

Der Verein Spenderkinder begrüßt, dass die Eckpunkte für eine Reform des Kindschaftsrechts vorsehen, dass ein Kind einen einfachen Anspruch auf Informationen über seine Abstammung gegen seine Eltern geltend machen kann, um das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung besser als bisher zu schützen.

Dieser Auskunftsanspruch bringt jedoch wenig, wenn eine Person nicht weiß, dass sie durch Samenvermittlung gezeugt wurde. Nach einer Meta-Analyse aus dem Jahr 2016 wissen nur etwa 20 % der Spenderkinder von ihrer Zeugungsart.6 Das Recht auf Kenntnis der Abstammung zu sichern, bedeutet auch, dass die Inhaber dieses Rechts in die Lage versetzt werden, ihr Recht effektiv auszuüben.7 Das ist auch wichtig in Bezug auf mögliche vererbte Gesundheitsrisiken und mögliche Ehehindernisse durch zu nahe genetische Verwandtschaft. Um das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung effektiv zu sichern, muss daher klargestellt werden, dass rechtliche Eltern als Teil ihrer sorgerechtlichen Verpflichtung verpflichtet sind, ihre Kinder über deren Abstammung aufzuklären und ihnen entsprechende Auskünfte zu geben. Das würde auch für Adoptierte und so genannte „Kuckuckskinder“ gelten. Da sich das Befolgen einer solchen Verpflichtung nicht überprüfen lässt, wären ergänzend weitere konkrete Maßnahmen notwendig, die gewährleisten, dass Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit von ihrer Entstehungsweise erfahren.

  1. Siehe BT-Drs. 18/11291, S. 35 zur Begründung des neuen § 1600d Absatz 4 BGB: „Bisher kann ein solcher Samenspender als genetischer Vater gemäß § 1600d Absatz 1 als rechtlicher Vater des mittels des gespendeten Samens gezeugten Kindes festgestellt werden, obgleich er bei Abgabe der Spende an die Entnahmeeinrichtung und damit für ihn regelmäßig unbekannte Paare mit Kinderwunsch keinerlei elterliche Verantwortung übernehmen wollte. Vielmehr will regelmäßig der intendierte Vater die elterliche Verantwortung übernehmen; Ziel ist daher die Zuordnung des Kindes zu ihm, weil damit dem Kindeswohl regelmäßig am besten gedient ist (…) []
  2. BVerfG, Beschluss vom 9. 4. 2003 – 1 BvR 1493/96 u.a. = NJW 2003, 2151, 2154. []
  3. Bundesärztekammer (1970). Entschließungen und Beschlüsse. Deutsches Ärzteblatt, 24, S. 1982. []
  4. Katzorke, T. & Propping, D., 1985. Voraussetzungen und Ergebnisse der heterologen (donogenen) Insemination. Pro familia magazin 3, 20-22. []
  5. Scheib, J. E., McCormick, E., Benward, J. & Ruby, A. (2020). Finding people like me: contact among young adults who share an open-identity sperm donor, Human Reproduction Open, 2020(4), hoaa057, https://doi.org/10.1093/hropen/hoaa057 []
  6. Tallandini et. al. (2016), Parental disclosure of assisted reproductive technology (ART) conception to their children: a systematic and meta-analytic review, Human Reproduction Advance Access published April 10, 2016, S. 9. []
  7. Straub, C., (2023). „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold?“ – Überlegungen zur Reform des Abstammungsrechts. FamRZ, 12. []

Eckpunkte zur Reform des Abstammungsrechts und des Kindschaftsrechts am 16. Januar 2024 veröffentlicht

Das Bundesministerium der Justiz hat am 16. Januar 2024 zwei Eckpunktepapiere zur
Modernisierung des Familienrechts veröffentlicht: ein Eckpunktepapier
zur Reform des Kindschaftsrechts
mit Vorschlägen für neue Regeln im
Sorge-, Umgangs- und Adoptionsrecht sowie ein Eckpunktepapier zur
Reform des Abstammungsrechts
. Die wichtigsten vorgesehenen Veränderungen sind in der Pressemitteilung des Ministeriums zusammengefasst.

Die jetzt vorgelegten Eckpunktepapiere beschreiben ausführlich die Veränderungspläne des Ministeriums. Es handelt sich aber noch nicht um Gesetzesentwürfe.

Für uns Spenderkinder sind besonders die Pläne zur Veränderung des Abstammungsrechts interessant. So ist z.B. vorgesehen, dass ein familiengerichtliches Feststellungsverfahren eingeführt wird, mit dem die leibliche Abstammung festgestellt werden kann, ohne dass ein (Spender-)Kind vorher die Zuordnung zu seinem rechtlichen Vater anfechten muss (wie bisher). Außerdem soll das Samenspenderregister erweitert werden und auch Daten zu Altfällen (d.h. Unterlagen von vor 2018), Embryonenspenden und private Samenspenden erfassen.

Spenderkinder Jahresrückblick 2023

  1. Verein

    Am 16. September 2023 fand unser offizielles Vereinstreffen in Berlin bzw. hybrid statt. Im Anschluss wurde das Vorstandsteam neu gewählt. Der neue Vorstand besteht aus:

    Anne Meier-Credner (Vorstandssprecherin. Öffentlichkeitsarbeit)
    Sunny Müller (Stellvertretende Vorstandssprecherin)
    Christina Motejl (Finanzen, Rechtliches)
    Beratende Vorstandsmitglieder: Britta, Jan, Janina, Sandra

    Das Vorstandsteam hat sich im Dezember virtuell getroffen und besprochen, dass es keine grundlegenden Änderungen bei der Arbeit geben soll. geben sollen. Bis zum Herbst 2024 möchten wir erarbeiten, welche Satzungsänderungen wir für die Anerkennung als gemeinnützig beim Finanzamt vornehmen müssen. Außerdem möchten wir zu manchen Themen wie der Struktur unseres Vereins, Vaterschaftsanfechtung und Beratungsangeboten des Vereins besser informieren. Weiterhin sollen regelmäßig (angestrebt werden alle drei Monate) digitale Treffen angeboten werden.

  2. Verwandtentreffer

    Für Spenderkinder, die noch keinen DNA-Test gemacht haben, empfehlen wir weiterhin einen Test bei der DNA Datenbank Ancestry, weil man die Rohdaten dieses Tests auch bei Family Finder und MyHeritageDNA kostenlos hochladen kann.
    Dieses Jahr haben unsere Mitglieder mindestens 6 weitere genetische Väter identifiziert (teilweise von Spenderkindern, die Anfang der 80er Jahre geboren wurden). Insgesamt haben wir 56 genetische Väter identifiziert. Außerdem haben wir 4 neue Halbgeschwistergruppen (insgesamt 74), die drei Größten umfassen 9 Familien.

    Eines unserer Mitglieder hat ihren genetischen Vater (einen Spender der Uniklinik Essen) über weiter entfernte Treffer mit Hilfe von DNA-Datenbanken und Genealogie Datenbanken gefunden und ihr Wissen dazu in drei Zoom Meetings mit anderen Mitgliedern geteilt.

  3. Veranstaltungen

    Vom 11. Februar bis 10. September 2023 zeigte das Deutsche Hygienemuseum in Dresden die Ausstellung „Von Genen und Menschen – Wer wir sind und werden könnten.“ Bei der begleitenden Veranstaltungsreihe wurde am 23. März 2023 der Film „Menschenskinder“ der Filmemacherin Marina Belobrovaja gezeigt. In dem Film setzt sich die Filmemacherin mit ihrer Entscheidung auseinander, als alleinstehende Frau ein Kind mit einer anonymen Samenspende zu bekommen. Dafür interviewt sie unter anderem Spenderkinder-Mitglied Anne. An den anschließenden Podiumsgespräch nahmen neben der Filmemacherin Marina Belobrovaja auch Spenderkinder-Mitglied Sven teil. Bei der Veranstaltung „Vorfahren, Vorlieben und Erkrankungen?“ am 19.4. diskutierte Spenderkinder-Mitglied Kay u.a. mit dem Datenschützer Thilo Weichert.

    Auftakttreffen „Initiative Schutz vor reproduktiver Ausbeutung“ – organisiert von Terre des Femmes am 05.09.23

    3.11.2023 Vortrag beim Arbeitskreis Frauengesundheit, Berlin

    7.11.2023 Vortrag bei Donum Vitae Bonn (virtuell)

    15.11.2023 Workshop bei KompKi-Fachtag Berlin (virtuell)

    17./18.11.2023 Vortrag auf Tagung der Fernuni Hagen (virtuell)

    24.11.2023 Vortrag in Veranstaltungsreihe der katholischen Ehe- und Familienberatung Bielefeld (virtuell)

    30.11.2023 Interview bei Fachtagung der Diakonie Berlin zu Kindeswohl in der Reproduktionsmedizin (virtuell)

  4. Öffentlichkeitsarbeit / Internetseite

    Sehr präsent sind die Themen Massenspender und Eizellspende und Leihmutterschaft.

    Tobias Bauer und Anne Meier-Credner haben den ersten Artikel über die Befragung von Spenderkindern in Deutschland veröffentlicht, die mit 59 Teilnehmenden zwischen 21 und 46 Jahren die Studie mit den bislang meisten Befragten in Deutschland darstellt: Bauer, T., & Meier-Credner, A. (2023). Circumstances Leading To Finding Out about Being Donor-Conceived and Its Perceived Impact on Family Relationships: A Survey of Adults Conceived via Anonymous Donor Insemination in Germany. Social Sciences, 12(3), 155.

    Infos zu Beiträgen von, über und mit uns oder unser Thema posten wir auf unserer Internetseite, Twitter, Facebook und Instagram.

    Folgende Beiträge auf unserer Internetseite aus diesem Jahr möchten wir besonders ans Herz legen:

    Spenderkinder gar nicht neugierig

    Der Fall des Massenspenders Jonathan Jacob Meijer

    Gewünscht zu sein ist keine Garantie für eine glückliche Kindheit

    Sunny hat auf ihrem YouTube Kanal Reagenzglasbaby einige spannende Beiträge veröffentlicht, die über die Playlist für Spenderkinder zu finden sind:

    Unterhaltsfragen zum Thema Spenderkinder
    Verliebt und verwandt?
    Tücken bei der DIY Befruchtung
    kritische Aspekte Leihmutterschaft
    Der unfruchtbare Mann
    Zehn Jahre Öffentlichkeitsarbeit
    Britta: Das erste Jahr ohne Bonus-Mama
    Verdienst als Samenspender
    Samenspende als Designprojekt
    Wie oft klappt eine künstliche Befruchtung?
    20 prominente Wunscheltern
    Keine Angst vor Unterhaltsforderungen
    Dietrich spricht von Spender zu Spender
    Probleme bei Massenproduktion (Spender könnte HG sein?)
    Ein lesbisches Paar verlost eine Samenspende und geht viral
    Findelkinder aus Buch

  5. Rechtliches

    Die Beratung von Spenderkindern findet vor allem zum Thema Vaterschaftsanfechtung und Überprüfung der Vaterschaft statt, von Wunscheltern in Bezug auf Durchsetzung von Auskunft für ihre Kinder.

    Es laufen weiterhin mehrere Gerichtsverfahren unserer Mitglieder gegen Novum.
    Zwei Mitglieder der großen Halbgeschwistergruppe von Dr. Weiß haben eine Klage erhoben, um zu erfahren, wie oft der Samen ihres gemeinsamen genetischen Vaters verwendet wurde.

    Die Bundesregierung hat die Pläne für das neue Abstammungsrecht im Jahr 2023 noch nicht vorgelegt. Wichtig für Spenderkinder sind insbesondere zwei Vorhaben: es soll ein statusunabhängiges Feststellungsverfahren eingeführt werden, in dem ein Kind seine Abstammung gerichtlich klären lassen kann ohne zugleich die rechtliche Elternschaft anfechten zu müssen, und das Samenspenderregister soll auch für bisherige Fälle, private Samenspenden und Embryonenspenden geöffnet werden.

  6. Beratung

    Beratung von Wunscheltern: Leider hat sich niemand in unserem Verein gefunden, der die Aufgabe übernehmen kann. Daher werden wir die Beratung erst einmal einstellen und Hinweise nur per Mail erteilen bzw. auf die Internetseite verweisen. Die virtuelle Gruppe für Eltern (von älteren Spenderkindern) hat jetzt einen eigenen Mail-Verteiler.

    Kontakt zu ehemaligen „Samenspendern“/Beratung: Gelegentlich melden sich Männer bei uns, die in der Vergangenheit Samen „gespendet“ haben und mehr oder weniger offen für Kontakt sind. Wir informieren diese Männer über die Möglichkeiten der Suche über DNA-Datenbanken und unterstützen bei der Kontaktaufnahme zu genetischen Kindern. Frühere Spender haben angeboten, die Personen ebenfalls direkt zu beraten.

  7. Medienbeiträge

    Gezeugt durch Fremdsamen: Ein Spenderkind sucht seinen Vater. Westfälische Rundschau 5. 2.2023

    8. Februar 2023 (NDR) – Das! Suche nach den leiblichen Eltern

    SWR Nachtcafé am 24.2.2023 „Dem Geheimnis auf der Spur

    Wer ist mein Vater? Anonyme Samenspenden gab es nie: Betroffene haben das Recht zu erfahren, wer ihr Vater ist. Doch Katharina sucht seit Jahren vergeblich – und verklagt nun einen Arzt. Zeit 26.3.2023 (Paywall)

    Leeroy will’s wissen: TOCHTER trifft SAMENSPENDER | Das Treffen 2.3.2023

    ZDF-37°-Reportage „Lebenslügen und Familiengeheimnisse“ am 28.3.2023

    20 Geschwister … und die Frage: habe ich noch mehr? Wie die Nachkommen eines Samenspenders für ihre Rechte kämpfen und einen Präzedenzfall schaffen könnten.“ Zeit. 6.3.2023 (Paywall)

    ZDF-37°-Reportage „Auf der Suche nach dem leiblichen Vater“ am 16.4.2023

    Samenspenderregister – Wie Spenderkinder Auskunft bekommen können, ZDF Volle Kanne 17.4.2023

    Biologischer Vater verzweifelt gesucht – „Hab 2000 Mark gekostet“: Die unglaubliche Geschichte von Reagenzglaskind Sunny, Focus online 9.6.2023

    Deutschlandfunk „Spenderkinder auf Spurensuche. Vater, Mutter, Massenprodukt“ vom 11.6.2023
    Teil 1 Überall Halbgeschwister
    Teil 2 Über Grenzen

    29. Juni 2023 (Sat1) – Frühstücksfernsehen: Eltern! Zeigt Spenderkindern ihre Herkunft

    „Kommt aus der Deckung “Dietrich könnte tausendfacher Vater sein – jetzt hat er einen Appell an andere Samenspender„, Focus online 16.7.2023

    Spenderkinder: Die Suche nach dem leiblichen Part, Wie wir fühlen, Ein Podcast der funky-Jugendredaktion 9.8.2023

    Samenspende: 28-Jähriger aus Horstedt lernt biologischen Vater kennen, Sat 1 Regional 25.8.2023

    DEIN PAPA IST NICHT DEIN PAPA – eine audiovisuelle Auseinandersetzung mit Familiengründung durch Samenspende. Wie würde eine Unterhaltung zwischen einem Spenderkind, einem Samenspender, einer Solomama, einem sozialen Vater und einem Reproduktionsmediziner aussehen? Die Installation „DEIN PAPA IST NICHT DEIN PAPA“ zeigt eine virtuelle Gesprächsrunde, bei der alle ihre persönliche Sicht der Dinge schildern. Denn nur wenn wir einander zuhören, können wir die Zusammenhänge besser verstehen, den eigenen Standpunkt überdenken, die eigene Haltung hinterfragen.

  8. Internationales

    Stellungnahme des Vereins Spenderkinder zu dem Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung über das anwendbare Recht bei Elternschaft

    Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat am 7. September 2023 in dem Fall Gauvin-Fournis and Silliau v. France die erste Entscheidung zu den Rechten von Spenderkindern auf Kenntnis ihrer Abstammung getroffen. Es hat dabei bestätigt, dass das Recht auf Privatsphäre aus Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) grundsätzlich auch das Recht beinhaltet, Informationen über die Identität der Elternteile zu erhalten, aber im Ergebnis einen Verstoß der derzeitigen Rechtslage in Frankreich gegen die EMRK verneint (ausführlicherer Artikel).

    Weiterhin auf europäischer Ebene wird derzeit der Vorschlag für die so genannte SoHO Verordnung verhandelt (Regulation on substances of human origin), welche die Geweberichtlinie aus dem Jahr 2004 (Tissues and cells Directive (2004/23/EC)) ablösen wird. Unter den Anwendungsbereich fällt auch der Umgang mit abgegebenen Ei- und Samenzellen. Die Verordnung richtet sich stärker als die Geweberichtlinie auch auf Reproduktionsmedizin und soll ausdrücklich die Sicherheit von „Spendern“ und Kinder sicherstellen, die aus „gespendeten“ Eizellen, Samen oder Embryonen entstehen. Die Personen, die die Samen und Eizellen abgegeben haben, müssen zurückverfolgbar sein. Allerdings regelt die Verordnung keinen Anspruch der durch diese Ei- und Samenzellen gezeugten Menschen auf Erhalt der Daten.

  9. Ausblick auf 2024

    Das Spenderkinder-Treffen 2024 wird am 14. September in Berlin stattfinden (vermutlich wieder hybrid).

Euer Vorstandsteam Anne, Sunny, Christina, Britta, Jan, Janina, Sandra

Erstes Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu den Rechten von Spenderkindern

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat am 7. September 2023 in dem Fall Gauvin-Fournis and Silliau v. France (application
no. 21424/16; Urteil bisher nur auf Französisch
) die erste Entscheidung zu den Rechten von Spenderkindern auf Kenntnis ihrer Abstammung getroffen. Es hat dabei bestätigt, dass das Recht auf Privatsphäre aus Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) grundsätzlich auch das Recht beinhaltet, Informationen über die Identität der Elternteile zu erhalten, aber im Ergebnis einen Verstoß der derzeitigen Rechtslage in Frankreich gegen die EMRK verneint.

Die französische Rechtslage sah von 1994 bis 2022 eine fast absolute Anonymität für Personen vor, die Samen oder Eizellen „gespendet“ haben. Ausnahmen gab es nur für den Zugriff von Ärzten bei einer medizinische Notwendigkeit oder wenn eine ernsthafte genetische Anomalie diagnostiziert wurde. Spenderinnen konnten noch nicht einmal freiwillig auf ihre Anonymität verzichten. Am 2. August 2021 änderte Frankreich sein Bioethik Gesetz (während des bereits laufenden EGMR-Verfahrens). Die Änderungen traten am 1. September 2022 in Kraft. Seitdem haben Spenderkinder eigentlich das Recht, die Identität ihrer genetischen Elternteile zu erfahren. Bis zum 31. März 2025 ist es jedoch weiterhin zulässig, unter der alten Rechtslage gespendete Samen, Eizellen und Embryonen zu verwenden. Daher haben eigentlich erst ab dem 31. März 2025 gezeugte Kinder das Recht, mit Volljährigkeit die Identität ihrer genetischen Elternteile zu erfahren. Für Spenderkinder, die wie die Kläger*innen des Verfahrens vor dem 31. März 2025 gezeugt wurden, gilt das nur, wenn der Spender oder die Spenderin zustimmen – was aber voraussetzt, dass sie noch leben.

Der EGMR betonte in seiner Entscheidung, dass der französische Gesetzgeber die betroffenen Interessen und Rechte in einem informierten und schrittweisen Reflektionsprozess abgewogen habe, der auch öffentliche Konsultationen beinhaltet habe. Frankreich habe daher innerhalb seines zulässigen Einschätzungsspielraums gehandelt. Auch das von 1994 bis 2022 geltende Gesetz habe mit den Zugriffsmöglichkeiten von Ärzten Ausnahmen von der absoluten Anonymität der Spender vorgesehen. Dabei betonte das Gericht, dass es keinen klaren Konsens unter den Mitgliedsstaaten der EMRK zur Frage der Anonymität von Spenderinnen gebe, sondern lediglich einen gewissen Trend zur Aufhebung der Anonymität. In Bezug auf die seit 2022 geltende Rechtslage entschied der EGMR, dass Frankreich auch hier den zulässige Einschätzungsspielraum eingehalten habe, indem er den Zugang von Spenderkindern davon abhängig macht, dass die Spenderinnen zustimmen.

Es handelt sich um eine Kammerentscheidung durch sieben Richterinnen des EGMR, gegen die drei Monate nach Zustellung eine Verweisung an die große Kammer des EGMR beantragt werden kann. Wird ein solcher Antrag gestellt, entscheiden fünf Richterinnen, ob der Fall weiter untersucht werden soll.

Die Klägerin Audrey Gauvin-Fournis und der Kläger Clément Silliau

Erste Klägerin ist die 1980 geborene französische Juristin Audrey Kermalvezen (geb. Gauvin-Fournis). Sie engagiert sich für die Rechte von Spenderkindern in Frankreich und hat zusammen mit ihrem Ehemann Arthur Kermalvezen, ebenfalls ein Spenderkind, die Organisation Origines gegründet. Über die Praxis von Samenspenden in Frankreich hat sie im Jahr 2014 das Buch: „Mes origines : une affaire d’État“ (Meine Herkunft – eine Staatsaffaire) veröffentlicht.1

In den Jahren 2010 bis 2016 klagte sie über mehrere Instanzen vergeblich gegen die staatlich organisierten Fortpflanzungskliniken CECOS auf Erhalt von nicht-identifizierende Informationen über ihren Spender und auf Auskunft ob ihr Bruder und sie den selben Spender hatten. Außerdem forderte sie, dass die Verwaltung ihren Spender kontaktiert, um ihn zu fragen, ob er weiterhin anonym bleiben möchte. Nach Erschöpfung des innerstaatlichen französischen Rechtswegs erhob sie im Jahr 2016 Klage beim EGMR. Für die Klage hatte sie mit einer Spendenkampagne um Unterstützung gebeten, auf die auch der Verein Spenderkinder aufmerksam gemacht hat.

Zweiter Kläger ist der 1989 geborene Clément Silliau, der im Alter von 17 Jahren von seiner Entstehungsweise erfuhr und die gleichen Anträge wie Audrey stellte.

Sieben Jahre nach Einreichung der Klage, während der das französische Bioethik-Gesetz geändert wurde, erfolgte nun die Entscheidung der Kammer.

Bewertung

Es handelt sich um das erste Urteil des EGMR zu Spenderkindern. Die vorherigen Urteile des EGMR betraf keine Fälle künstlicher Befruchtung, sondern anonyme Geburten, Adoptionen und so genannte Kuckuckskinder.

Im Jahr 2003 entschied der EGMR im Verfahren Odièvre vs. France,2, dass die in Frankreich vorgesehene Möglichkeit einer Frau, ihr Kind anonym zur Welt zu bringen, nicht gegen Artikel 8 der EMRK verstößt. Die französische Gesetzgebung verfolge mit der Möglichkeit der anonymen Geburt das Ziel, das Recht auf Leben von Mutter und Kind zu schützen, um Abtreibungen und Aussetzungen zu verhindern. Außerdem hatte Frankreich gerade neue Gesetze verabschiedet, wonach anonym adoptierte Menschen ihre Geburtsmutter durch eine zwischengeschaltete Institution fragen konnten, ob sie auf ihre Anonymität verzichten möchte. Zuletzt hatte die Klägerin Pascale Odièvre nicht identifizierende Informationen über ihre genetischen Eltern (ohne deren Zustimmung) und Geschwister erhalten, die ihr ermöglichten, einige ihrer Wurzeln zurückzuverfolgen.

Anders entschied der EGMR im Jahr 2012 im Fall Godelli vs. Italy3 für die damalige Praxis der anonymen Geburt in Italien. Das Gericht sah Artikel 8 EMRK als verletzt, weil die Klägerin Anita Godelli keinerlei Zugang zu Informationen über ihre Mutter und ihre Geburtsfamilie hatte. Der Antrag der Klägerin auf Erhalt von Informationen wurde vollumfänglich abgelehnt, ohne die widerstreitenden Interessen abzuwägen. Das italienische Gesetz versuche nicht, eine Balance zu finden zwischen den widerstreitenden Rechten der Klägerin, mehr über ihre Abstammung zu erfahren, und denen der Mutter, anonym zu bleiben, sondern entscheide sich ohne Abwägung für die Anonymität.

Bei dem jetzigen Fall gibt es eine deutliche Parallele zum Fall Odièvre: auch hier hatte der französische Gesetzgeber ebenfalls während eines EGMR Verfahrens die Rechtslage so geändert, dass die Mutter zumindest kontaktiert und gefragt werden musste, ob sie auf ihre Anonymität verzichten möchte. Es erscheint also sehr gut möglich, dass die Klage auch hier den französischen Staat überhaupt erst dazu bewegt hat, die Rechtslage zu ändern. Das ist natürlich positiv, denn dass der Spender kontaktiert wird und entscheiden muss, ob er auf seine Anonymität verzichten möchte, ist besser als eine absolute Anonymität. Beim Fall Odièvre hatte die Klägerin allerdings zumindest nicht identifizierende Informationen über ihre Familie erhalten. Solche Informationen haben Audrey Kermalvezen und Clément Silliau nicht erhalten.

Der EGMR hätte anders entscheiden können: Bei anonymen Geburten und Adoptionen muss der Schutz des Rechts auf Leben stärker berücksichtigt werden – weil verhindert werden soll, dass die Mutter eine Abtreibung vornimmt oder das Kind aussetzt. Dieses Recht ist bei Samen- und Eizellspenden nicht betroffen. Es handelt sich um geplante Schwangerschaften, zum Zeitpunkt der Spende existiert das Kind noch nicht. Auch verwundert etwas, dass der EGMR einen gründlichen Konsultationsprozess im parlamentarischen Verfahren ausreichen lässt. Ein solcher Prozess stellt nicht unbedingt sicher, dass die Menschenrechte der beteiligten angemessen berücksichtigt werden.

Bei der Entscheidung des EGMR muss man berücksichtigen, dass die EMRK (nur) einen menschenrechtlichen Mindeststandard für alle Vertragsstaaten vorsieht. Dabei berücksichtigt er meistens, was der Rechtslage in der Mehrzahl der Mitgliedsstaaten entspricht. Daher bezieht sich der EGMR auch darauf, dass es zur Frage der Anonymität von Spendern zwar einen Trend zu mehr Offenheit gibt, aber noch keinen Konsens. So hat der Europarat im Jahr 2022 eine Vergleichsstudie veröffentlicht zu dem Recht von Spenderkindern auf Informationen über ihre Abstammung (Comparative Study on access of persons conceived by gamete donation to information on their origins), in dem eine Empfehlung des Europarates angeregt wurde, dass die Mitgliedsstaaten einen Mechanismus etablieren sollen um das Recht auf Informationen sicherzustellen. Trotzdem hinterlässt es ein bitteres Gefühl, dass die Beachtung der Rechte von Spenderkindern von einem Konsens der Mitgliedstaaten über die Offenheit bei Samen- und Eizellspenden abhängig gemacht wird – unabhängig davon, ob die Rechte der entsprechenden Kinder überhaupt ausreichend gewahrt werden.

Positiv ist, dass der EGMR betont hat, dass Artikel 8 EMRK auf Spenderkinder anwendbar ist und sie grundsätzlich ein Recht auf Kenntnis ihrer genetischen Elternteile haben. Der deutliche Bezug auf die im Jahr 2022 geänderte Rechtslage in Frankreich legt nahe, dass die neuen Regelungen einen entscheidenden Anteil daran hatten, dass der EGMR kein Verstoß gegen die EMRK angenommen hat.

Es gibt daher deutliche Anzeichen dafür, dass der EGMR bei Vertragsstaaten der EMRK, die eine absolute Anonymität der Spender vorsehen, eine Verletzung von Artikel 8 annehmen könnte. Das betrifft vor allem Staaten wie z. B. Dänemark, Belgien, Spanien und Tschechien. Obwohl Großbritannien für seit dem 31. März 2005 gezeugte Kinder ein Recht auf Kenntnis ihrer genetischen Elternteile vorsieht, gilt dies für zuvor gezeugte Kinder nur, wenn der Spender oder die Spenderin auf seine Anonymität verzichtet hat – was er oder sie von sich aus tun muss.

Reaktionen

Audrey Kermalvezen äußerte sich kurz vor dem Urteil weiterhin hoffnungsvoll zu ihrem 14 Jahre dauernden Verfahren, da die Änderungen des französischen Rechts nichts an ihrer Situation geändert hatten:

„Ich hoffe, dass den Richtern klar wird, wie unzureichend das kürzlich von Frankreich eingeführte System ist. Die einzige Information für mich, die ich nach fast 14 Jahren Verfahren, im März 2023, auf legalem Wege erhielt, war, dass mein Spender gestorben ist. Daher werde ich niemals das Recht haben, seine Identität zu erfahren. Ich werde auch niemals Zugriff auf andere sogenannte nicht identifizierende Informationen haben, da der französische Staat beschlossen hat, deren Übermittlung von der Zustimmung des Spenders abhängig zu machen!

Daher erfahre ich zum Beispiel nie die Krankengeschichte meines Spenders, obwohl diese in seiner Akte bei der Samenbank erfasst ist.

Konkret habe ich kein Recht darauf, zu erfahren
als er starb,
noch woran,
ob er Kinder hätte,
was seine Krankengeschichte ist,
wie er aussah,
wer er war…

Ich habe keine Informationen über meine leiblichen Geschwister. Ich habe kein Recht zu wissen, wie viele Halbbrüder und Halbschwestern ich in der Natur habe oder wer sie sind …
auch nicht, wenn mein Bruder und ich mit derselben Spenderin gezeugt wurden. Zur Erinnerung: Die Verwendung eines DNA-Tests zur Feststellung der eigenen Herkunft ist in Frankreich strafbar (zwischen 3.750 Euro Geldstrafe und bis zu 30.000 Euro Geldstrafe und 2 Jahre Gefängnis wenn dadurch ein anonymer Spender identifiziert werden kann).“

Nach dem Urteil äußerte sie, dass es ein bitteres Gefühl bei ihr hinterlasse und dass das Urteil von vorherigen Entscheidungen zu Artikel 8 EMRK abweiche. Sie deutete an, dass sie eine Verweisung zur Großen Kammer beantragen wird. Außerdem wies sie darauf hin, dass Staaten wie Schweden anonyme Spenden schon im Jahr 1984 verboten hätten, das Vereinigte Königreich im Jahr 2003. Daher sei der Trend zu mehr Offenheit in Bezug auf die genetische Abstammung nicht so neu, wie der EGMR in seinem Urteil behauptet habe.

Ausblick: Wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende

Jedes Spenderkind wird die Trauer und das Gefühl, nicht fair behandelt worden zu sein, nachvollziehen können. Audrey war als Anwältin die Erfolgschancen ihres Verfahrens von Anfang an bewusst und sie hoffte auf ein positives Ergebnis – dass sie und Clément dies auf sich genommen haben und damit versucht haben, für die Rechte aller Spenderkinder in Europa zu kämpfen, ist bewundernswert.

Dieser Kampf hat gerade erst begonnen. Der Trend zu mehr Offenheit ist da in Europa: es gibt immer mehr Staaten, die sich entscheiden die Rechte von Spenderkindern auf Kenntnis ihrer Abstammung zu schützen. Auch wenn die Rechtslage selten perfekt ist, kann sie weiter verbessert werden: es handelt sich um einen fortschreitenden Prozess. Es ist kein Sprint, sondern ein Marathon, und der Weg über Klagen und strategische Prozessführung ist nur ein möglicher Weg zum Erfolg. Wichtig wird weiterhin sein, dass Spenderkinder sich zusammenschließen, von ihren Erfahrungen berichten und eine Änderung der Rechtslage fordern.

Vielleicht ist es aber auch noch nicht das Ende: Audrey Kermalvezen hat zumindest angedeutet, dass sie eine Verweisung an die große Kammer des EGMR beantragen wird.

  1. Audrey erzählt mehr zu ihrer Geschichte auf Englisch bei einem Symposium im Jahr 2021. []
  2. Application no. 42326/98 – Urteil []
  3. Application no. 33783/09 – Urteil []

DEIN PAPA IST NICHT DEIN PAPA – eine audiovisuelle Auseinandersetzung mit Familiengründung durch Samenspende

Wie würde eine Unterhaltung zwischen einem Spenderkind, einem Samenspender, einer Solomama, einem sozialen Vater und einem Reproduktionsmediziner aussehen? Die Installation „DEIN PAPA IST NICHT DEIN PAPA“ zeigt eine virtuelle Gesprächsrunde, bei der alle ihre persönliche Sicht der Dinge schildern. Denn nur wenn wir einander zuhören, können wir die Zusammenhänge besser verstehen, den eigenen Standpunkt überdenken, die eigene Haltung hinterfragen.

Veranstaltungshinweis: Fachtag „Das Kindeswohl in der Reproduktionsmedizin“ der Diakonie Deutschland und dem Ev. Bundesverband Adoption e.V. am 30. November 2023

Am 30. November 2023 findet von 10:30 bis 16:15 Uhr der Fachtag: Das Kindeswohl in der Reproduktionsmedizin, in Berlin statt. Die Anmeldung ist möglich bis zum 3. November, unter https://ewde.guestoo.de/public/event/f43ece9d-452b-4dba-bb48-ae582d058b72. Nach Absenden der Anmeldung bitte Bestätigungsmail beachten, damit die Anmeldung verbindlich zählt. Die Teilnahme ist kostenfrei.

Sehr große Halbgeschwistergruppen sind weltweit ein Thema – ein Beitrag im Deutschlandfunk vom 11. Juni 2023

Im Deutschlandfunkbeitrag Spenderkinder auf Spurensuche. Vater, Mutter, Massenprodukt (1/2): Überall Halbgeschwister vom 11. Juni 2023 geht es um ein Thema, das auch in Deutschland immer offensichtlicher wird: DNA-Datenbanken decken auf, dass in den letzten Jahrzehnten sehr große Halbgeschwistergruppen entstanden sind.

Die Bundesärztekammer empfahl von 2006 bis 2018 eine Begrenzung auf maximal 10 Kinder pro „Spender“1 und der Arbeitskreis für Donogene Insemination, ebenfalls seit 2006, eine Begrenzung auf maximal 15 Kinder pro „Spender“2. Diese Parallelität wirft nebenbei die Frage auf, für wen die Begrenzung der Bundesärztekammer gelten sollte, wenn nicht für die Mitglieder des Arbeitskreises für Donogene Insemination.

Nach wie vor gibt es in Deutschland keine verbindliche Begrenzung. Unsere Beobachtungen deuten darauf hin, dass sowohl in der Vergangenheit als auch gegewärtig sehr große Halbgeschwistergruppen entstehen. Neben einer verbindlichen Begrenzung wünschen wir uns, dass Reproduktionsmediziner und Samenbanken offenlegen, mit wie vielen Halbgeschwistern unsere Mitglieder aus den verschiedenen Entstehungsorten rechnen können.

  1. (Muster-)Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion – Novelle 2006. Deutsches Ärzteblatt, 103(20), A 1397. – In der aktuellen Version der „Richtlinie zur Entnahme und Übertragung von menschlichen Keimzellen im Rahmen der assistiertenReproduktion“ aus dem Jahr 2018 findet sich keine Aussage mehr zu einer Obergrenze. Grund hierfür ist, dass der Vorstand der Bundesärztekammer m Februar 2015 beschlossen hatte, die medizinisch- wissenschaftlichen Fragestellungen klar von den gesellschaftspolitischen Aspekten zu trennen. []
  2. Richtlinien des Arbeitskreises für Donogene Insemination zur Qualitätssicherung der Behandlung mit Spendersamen in Deutschland, S. 25. []

Spenderkinder: Gar nicht neugierig?

Einige Spenderkinder betonen, dass sie überhaupt nicht neugierig auf ihre genetische Herkunft sind.

Autorin dieses Textes ist Wendy Kramer. Sie ist Mutter eines durch Samenvermittlung gezeugten Sohnes und Gründerin des Donor Sibling Registry, über das Spenderkinder weltweit, z. B. mittels Spendernummer, bereits vor dem Aufkommen von DNA-Datenbanken nach genetischen Verwandten suchten. Der Text wurde im Original bei Psychology Today veröffentlicht. Mit Wendys freundlichem Einverständnis durften wir ihn für unsere Homepage übersetzen. Da die Rechtslage in Deutschland eine andere ist, als in den USA, haben wir den ersten Absatz durch eine Darstellung der deutschen Rechtslage ersetzt.

Menschen, die mit Spendersamen, -eizellen oder -embryonen gezeugt wurden, wachsen in der Regel auf, ohne einen Teil ihrer nahen genetischen Verwandten zu kennen. Die Bundesärztekammer wies zwar bereits 1970 darauf hin, dass durch Samenvermittlung entstehende Menschen ein Recht darauf haben, die Identität der genetischen Elternteile zu erfahren.1 Die Daten werden in Deutschland aber erst seit 2018 zentral gespeichert.2 Für vor 2018 gezeugte Menschen oder Menschen, die im Ausland oder durch vermittelte Eizellen oder Embryonen gezeugt wurden, ist es daher oft schwierig, ihr Recht durchzusetzen und Informationen über unbekannte genetische Elternteile zu erhalten – und dadurch auch über ihre medizinische Familiengeschichte. Das Recht auf Kenntnis ist nicht abhängig von einem bestimmten Alter, wie der Bundesgerichtshof 2015 bestätigte. Dennoch ist Kontakt zum weiteren genetischen Elternteil und zu Halbgeschwistern in der Kindheit in der Regel nicht geplant. Das bedeutet, dass Spenderkinder sich früher oder später selbst mit der Frage beschäftigen, ob sie mehr über ihre genetischen Verwandten wissen und ggf. Kontakt aufnehmen möchten.

Oft hören wir Geschichten von Menschen, die durch Samen-, Eizell- oder Embryonenvermittlung entstanden sind und die ihre Verwandten suchen und finden. Das Donor Sibling Registry hat 85.500 Mitglieder, von denen mehr als 24.000 Verbindungen zu Halbgeschwistern und/oder genetischen Elternteilen hergestellt haben. Viele weitere haben durch die Übermittlung ihrer DNA an kommerzielle DNA-Datenbanken und über private Suchen Verbindungen hergestellt. Manchmal haben auf diese Weise entstandene Menschen jedoch widersprüchliche Gefühle oder bestehen darauf, dass sie überhaupt nicht neugierig oder daran interessiert sind, ihre Halbgeschwister und/oder ihren weiteren biologischen Elternteil (den Spender/die Spenderin) kennenzulernen oder etwas über ihre Abstammung oder ihre medizinische Familiengeschichte zu erfahren. Auch wenn einige tatsächlich kein Interesse haben mögen, kann die Ambivalenz oder das völlige Desinteresse auch folgende Gründe haben:

  • Sie fühlen sich verunsichert, wie sie Beziehungen zu genetischen Verwandten gestalten sollen, die gleichzeitig Fremde sind.
  • Sie schämen sich für die Art und Weise, wie sie gezeugt wurden, und wollen es nicht wahrhaben oder darüber nachdenken.
  • Sie nehmen an, dass der unbekannte genetische Elternteil anonym bleiben möchte, obwohl die Anonymität von den Samen- und Eizellbanken vorgegeben wurde. Viele Spender*innen wollten jedoch nie anonym bleiben oder haben ihre Meinung geändert und sind froh, gefunden zu werden.
  • Sie befürchten, dass ihre Eltern durch die Neugierde verletzt oder enttäuscht werden könnten. Das gilt vor allem in Familien, in denen es nicht erwünscht ist, über Spender*in oder Halbgeschwister zu sprechen, oder wenn ihr Einfluss oder ihre Bedeutung heruntergespielt wird.
  • Ihre Eltern haben ihnen vermittelt, dass jegliche Neugier auf genetische Verwandte ausdrückt, dass die Eltern nicht perfekt oder als Eltern nicht gut genug waren.
  • Sie haben das Gefühl, dass jegliche Neugier als Verrat empfunden wird an den Eltern, die sie aufgezogen haben, insbesondere an den nicht-genetischen Elternteilen, selbst wenn diese bereits verstorben sind.
  • Sie befürchten, dass andere denken könnten, sie wären neugierig, weil sie unzufrieden mit ihrer Familie sind.
  • Ihre Eltern spielen die Bedeutung oder Wichtigkeit der unbekannten biologischen Familie des Kindes herunter oder verneinen oder verleugnen sie. Manchmal vermitteln die Eltern durch Worte oder Schweigen die klare Botschaft, dass der unbekannte genetische Elternteil oder die Halbgeschwister keine willkommene Ergänzung ihres Lebens oder des Familienkreises wären.
  • Sie befürchten, dass die Geschwister, mit denen sie aufgewachsen sind, über die neu gefundenen genetischen Verwandten nicht erfreut wären.
  • Sie befürchten, dass Freunde, Familie, Ehepartner, Partner oder andere sie dafür verurteilen würden – etwa mit Bemerkungen wie: „Diese Leute gehören nicht zu deiner Familie“, „DNA macht noch keine Familie aus“ oder „Warum dieses Fass aufmachen?“
  • Sie fühlen sich nach einem Kontaktversuch oder sogar nach Zustandekommen eines Kontakts zurückgewiesen oder verlassen. Die Zurückweisung ist in der Regel ein Hinweis auf die Grenzen der zurückweisenden Person und hat nichts mit der Person zu tun, die zurückgewiesen wird.
  • Sie haben Angst, nicht gut genug zu sein oder nicht genug geleistet zu haben.
  • Sie fühlen sich überfordert angesichts der Möglichkeit, 10, 50, 100 oder sogar mehr als 200 Halbgeschwister zu finden und dann herausfinden zu müssen, wie sich diese neuen Beziehungen mit einem bereits vollen Schul-/Arbeits-/Hausleben und Zeitplan pflegen/vereinbaren lassen.
  • Sie befürchten, nicht über die emotionale Kapazität oder mentale Stabilität zu verfügen oder einfach gerade nicht am „richtigen Punkt“ im Leben zu sein, um ein Treffen oder die Aufnahme neuer Verwandter in ihr Leben bewältigen zu können, insbesondere wenn es viele sind. Das kann auch an allgemeiner Angst liegen, neue Menschen kennenzulernen.
  • Sie befürchten, dass ihre neuen Verwandten sie nicht mögen oder von ihnen enttäuscht sein werden oder dass sie nicht genügend Gemeinsamkeiten haben werden.
  • Sie befürchten, zu erfahren, dass der biologische Elternteil, der 50 % ihrer DNA beigesteuert hat, in irgendeiner Weise Schwachstellen hat, was sich dann auf ihr eigenes persönliches Identitätsgefühl auswirken könnte.
  • Sie befürchten, dass es ihre derzeitigen Familienbeziehungen, ihr Familiensystem und ihre familiäre Stabilität beeinträchtigen könnte, genetische Verwandte kennenzulernen
  • Sie befürchten, etwas über genetisch vererbbare Gesundheitsprobleme zu erfahren.

Diese Gefühle und Befürchtungen hängen damit zusammen, wie Menschen beigebracht wird, Familie zu definieren. Wenn Kindern gesagt wird: „Diese Leute sind nicht deine Familie“, wie sollen sie dann eine eigene Vorstellung davon entwickeln, was Familie für sie bedeutet? Wenn Eltern bewusst nicht einmal über die Tatsache sprechen, dass ihre Kinder einen weiteren genetischen Elternteil haben (z. B. durch beiläufige Erwähnung verschiedener körperlicher Merkmale, Gaben, Stärken, Hobbys oder Interessen, die von der unbekannten Seite der Familie stammen könnten), vermitteln sie ihren Kindern die klare Botschaft, dass dieses Thema nicht erforscht, anerkannt oder diskutiert werden sollte.

Sind die Eltern bereit, ihre eigenen Ängste und Unsicherheiten zu hinterfragen und sogar neu zu definieren, was der Begriff „Familie“ für ihre Kinder bedeutet, die mit den Ei- oder Samenzellen fremder Personen gezeugt wurden? Manchmal bestehen Eltern darauf, dass ihre Kinder überhaupt nicht neugierig seien – und dann sieht man dieselben erwachsenen Spenderkinder im Donor Sibling Registry [Anm.: oder in anderen vertraulichen Gruppen] schreiben, dass ihre Eltern wütend oder verletzt wären, wenn sie von ihrem Wunsch wüssten, die Seite ihres weiteren genetischen Elternteils kennenzulernen.3 Dabei können Spenderkinder, die sich als einzigartige und wunderbare Mischung aus Anlage und Umwelt begreifen, sowohl die biologischen als auch die nicht-biologischen Elternteile anerkennen, ohne dass sie deren Anteile herunterspielen müssen.

Die Neugier kann im Laufe des Lebens eines Spenderkindes variieren, und die Familien können ihren Kindern zugestehen, zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich neugierig zu sein. Manche Spenderkinder sind erst neugierig, wenn sie in die Pubertät kommen und anfangen, sich damit auseinanderzusetzen, wer sie als Erwachsene sein werden. Andere sind besonders neugierig, wenn sie selbst Kinder bekommen.4 Zuweilen lässt die Neugier nach, wenn andere Dinge im Leben anstehen und Aufmerksamkeit fordern.

Desinteresse vorzutäuschen, kann eine gute Möglichkeit sein, sich selbst und andere vor Enttäuschungen und vor dem Unbekannten zu schützen. Manche Spenderkinder behaupten erst dann, kein Interesse zu haben, wenn sie erfahren, dass der unbekannte genetische Elternteil anonym bleiben möchte. Diese Reaktion schützt sie davor, sich zurückgewiesen zu fühlen. Wenn ein genetischer Elternteil Kontakt verweigert, bedeutet das jedoch nicht, dass es keine Hoffnung für die Zukunft gibt. Manche genetischen Elternteile brauchen Zeit, um zu verarbeiten, dass sie einige oder auch sehr viele genetische Kinder haben. Andere genetische Elternteile müssen vielleicht mit Familienmitgliedern verhandeln oder sie respektieren, die nicht so aufgeschlossen sind, die Spenderkinder kennenzulernen. Leider kommt es manchmal vor, dass Partner*innen oder Ehepartner*innen der genetischen Elternteile eine mögliche Beziehung zwischen Spenderkindern und ihren biologischen Eltern verhindern.

Diese allgemeinen Sorgen, Ängste und Vorbehalte gegenüber der unbekannten genetischen Familie können anerkannt und verarbeitet werden, so dass es nicht notwendig ist, jemanden davon abzuhalten, die erweiterte Familie zu erforschen.

If we know where we came from, we may better know where to go. If we know who we came from, we may better understand who we are. Anonymous

(Wenn wir wissen, wo wir herkamen, wissen wir vielleicht besser, wo wir hingehen sollen. Wenn wir wissen, von wem wir herkamen, verstehen wir vielleicht besser, wer wir sind. – Anonym)

  1. An Eizellen und Embryonen dachte man im Jahr 1970 noch nicht. []
  2. Im Samenspenderregister []
  3. Diese Befürchtung äußern auch nicht wenige Spenderkinder, die den Verein Spenderkinder kontaktieren. []
  4. Vermutlich weil ihnen die Bedeutung von Vererbung mit eigenen Kindern bewusster wird. []