ARD Doku: „Ein Samenspender und seine 30 Kinder“

Seit Anfang Oktober ist in der ARD Mediathek eine Dokumentation über den privaten Samenspender Gerrit abrufbar, der 30 Kinder gezeugt hat.

Das Erste zeigt den Film am 6. November um 23.20 Uhr.

Gerrit wurde vor mehr als zehn Jahren privater Samenspender, weil er einen eigenen Kinderwunsch hatte, aber Kinder nicht in sein damaliges Leben mit vielen Reisen passten. Er ist ein offener Spender: die Kinder, die durch seine Spende entstehen, haben die Möglichkeit, Kontakt zu ihm und Halbgeschwistern aufzunehmen. Inzwischen hat er auch drei Kinder aus einer eigenen Beziehung.

Unser Mitglied Sina hat die Dokumentation mit gemischten Gefühlen gesehen. Einerseits verspürte sie Freude über die Offenheit und das Glück der lesbischen Mütter und der Solo-Mütter und die nahbare und reflektierte Art von Gerrit. Andererseits habe sie erschreckt, wie schnell die Halbgeschwistergruppe auf 30 angewachsen sei. Es stelle sich die Frage, wie sehr sich die Mütter darauf verlassen können, dass er wirklich mit dem Spenden aufhört und wie groß die Gruppe der Kinder vielleicht doch werden könnte.

Die nicht kontrollierbare Zahl der Kinder sowie die fehlende Absicherung, dass das Kind tatsächlich von seiner Zeugungsart erfährt, kann problematisch bei privaten Samenspenden sein (siehe dazu auch unser Beitrag Private Samen“spende“ und Co-Parenting). Im Jahr 2023 wurde der niederländische Samenspender Jonathan Jacob Meijer aus den Niederlanden gerichtlich verboten, weitere Kinder zu zeugen, nachdem bekannt geworden war, dass er über 500 Kinder gezeugt hatte (siehe auch unser Beitrag hierzu).

Der mögliche Kontakt zum genetischen Vater und den Halbgeschwistern kann aber sehr positiv bei privaten Samenspenden sein. So sieht es auch unser Mitglied Sina: Es sei toll, dass die Kinder direkt voneinander wüssten und sich treffen könnten. Sie selbst hätte sich gefreut, ihre erst vor kurzem gefundene Halbschwester schon als Kind gekannt zu haben. Trotzdem sei ihr schwer ums Herz geworden, als eine achtjährige Tochter von Gerrit gesagt habe, sie würde sich eigentlich mehr Kontakt zu ihm wünschen.

Sina hatte an einigen Stellen außerdem das Gefühl, dass die Erwachsenen nicht über ihre eigenen Wünsche hinaussehen können: Wenn Gerrit sage, als er ein Baby auf dem Arm halte, das sei nicht sei Kind, stimme faktisch nicht. Es sei sein Kind, wenn auch nicht sozial, doch zumindest biologisch. Sie könne auch nicht mitgehen mit der Aussage einer Mutter, dass es das wichtigste sei, dass die Kinder Wunschkinder seien. Zwar sei es toll, geliebt zu werden, aber damit seien auch Erwartungen verbunden. Sowohl die Mütter wie auch Gerrit würden sich nicht damit beschäftigen, wie es den Kindern damit geht und in Zukunft gehen wird. Trotzdem würde sie sich freuen, wenn es mehr solcher für Kontakt offener, reflektierter Samenspender gäbe. Für die Kinder sei es wichtig und absolut richtig, dass sie mit dem Wissen um ihre Zeugung aufwachsen.

Videoinstallation Dein Papa ist nicht Dein Papa

Spenderkind Julia Walerian hat für ihre Bachelorarbeit in Kommunikationsdesign an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin eine Videoinstallation mit dem Titel „Dein Papa ist nicht dein Papa“ gestaltet.

Darin sprechen eine Solomama, ein Reproduktionsmediziner, Spenderkind Verena, ein Samenspender und Verenas sozialer Vater (Verenas Vater) in einer virtuelle Diskussion miteinander. Um die verschiedenen Stimmen klar voneinander abzutrennen, werden die Protagonisten in der Installation jeder für sich, auf einem eigenen Monitor gezeigt. Das Ganze bekommt durch einen semitransparenten Raumtrenner einen intimen Rahmen. Ziel der Arbeit ist es, dass die Betrachtenden den verschiedenen Ansichten zuhören können, um sich dadurch ein ganzheitlicheres Bild der Debatte zu Samenspende und der Bedeutung der eigenen Abstammung zu verschaffen.

Dazu sagt Julia: „Denn nur wenn wir einander zuhören, werden wir weiterkommen, weil wir Zusammenhänge besser verstehen können. So helfen die Argumente anderer, den eigenen Standpunkt zu überdenken und die eigene Haltung zu hinterfragen. Das gelingt nur, wenn man sich auf einen Perspektivwechsel einlässt und sich mit den Argumenten anderer auseinandersetzt.

Weitere Infos sowie den Trailer zum Projekt findet ihr auf der Internetseite des Projekts.

Julia erzählt mehr von der Instalation und über Ihre eigene Geschichte in einem Artikel im Frameless Magazin.

Den Film der Videoinstallation ist auf YouTube zu sehen.

Die Videoinstallation wurde bislang zweimal ausgestellt: im Rahmen einer Fachtagung des Netzwerk Qualitative Familienforschung und beim Fachtag des Arbeitskreis Frauengesundheit. Julia würde sich freuen, wenn die Videoinstallation weitere Ausstellungsorte finden würde – Anfragen leiten wir gerne an Julia weiter.

Vaterschaftsanfechtung durch ein Spenderkind

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Menschen, deren rechtlicher Vater nicht ihr genetischer Vater ist, können die Vaterschaft ihres rechtlichen Vaters anfechten (§ 1600 Absatz 1 Nummer 4 BGB) und damit beseitigen. Das gilt auch für Spenderkinder. ((Die Einwilligung in eine Samenspende führt nur dazu, dass die Mutter und der Vater die Vaterschaft nicht anfechten können. Das gilt aber nicht für das Kind.))

Wenn die Anfechtung erfolgreich ist, hat die Person, die angefochten hat, keinen rechtlichen Vater mehr. Man kann entweder eine Leerstelle im Personenstandsregister lassen und nur noch eine rechtliche Mutter haben oder den genetischen Vater in einem weiteren Verfahren als rechtlichen Vater feststellen lassen1

Geschätzt haben etwa zehn Prozent der Mitglieder des Vereins Spenderkinder die Vaterschaft ihres rechtlichen Vaters angefochten. In dem meisten dieser Fälle hatten die Spenderkinder eine schlechte Beziehung zu ihrem rechtlichen Vater. Teilweise hatten sich die Eltern bereits getrennt und der Kontakt war seit längerem abgerissen. Daher war es den Spenderkindern wichtig, sich auch rechtlich zu lösen. Anderen Spenderkindern war wichtig, dass öffentliche Register ihre genetische Abstammung richtig wiedergeben. Zum Teil haben Spenderkinder auch erst nach dem Tod des rechtlichen Vaters dessen Vaterschaft angefochten, weil sie sich während seiner Lebzeit verpflichtet gefühlt haben, auf seine Gefühle Rücksicht zu nehmen.

Sind mit der Anfechtung Risiken verbunden?

Ob die Anfechtung der Vaterschaft mit Risiken verbunden ist, hängt von der individuellen Situation des Spenderkindes ab:

Erbe

Mit der Anfechtung der Vaterschaft verliert das Kind die Stellung als gesetzlicher Erbe des Vaters, weil sie nicht mehr miteinander verwandt sind. Der Vater kann das Kind aber – wie jeden anderen Dritten – natürlich als Erben in seinem Testament einsetzen. Das Erbrecht hat aber nur Bedeutung, wenn es überhaupt etwas zu erben gibt.

Unterhalt

Mit Wegfall der rechtlichen Verwandtschaft entfällt die Verpflichtung, sich als Verwandten gerader Linie Unterhalt zu gewähren (vgl. § 1601 BGB). Das wirkt sich aber auf beide aus: der Vater ist bei erfolgreicher Anfechtung gegenüber dem Kind nicht mehr zu Unterhalt verpflichtet und das Kind nicht mehr gegenüber dem Vater. Für ein erwachsenes Kind kann die Anfechtung unter Umständen günstig sein, weil es dann bei hohen Pflegekosten des Vaters nicht unterhaltspflichtig ist.

Staatsangehörigkeit

Eine Anfechtung kann Auswirkungen auf die deutsche Staatsbürgerschaft haben, wenn sich diese von dem rechtlichen Vater ableitet. Ein Verlust der Staatsangehörigkeit wegen einer Vaterschaftsanfechtung ist jedoch nach dem 5. Geburtstag einer Person nicht möglich (§ 17 Absatz 2 Satz 2 Staatsangehörigkeitsgesetz).

Zeugnisverweigerungsrecht

Verwandte in gerader Linie sind im gerichtlichen Verfahren zur Zeugnisverweigerung berechtigt, das entfällt mit Anfechtung ebenfalls.

Familienname

Nach einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung muss das Spenderkind seinen Familiennamen nicht ändern. Es kann aber beantragen, dass es den Namen als Geburtsnamen erhält, den die Mutter zum Zeitpunkt seiner Geburt geführt hat (§ 1617b Absatz 2 Satz 1 BGB). Ist das kein andere Name, weil die Eltern verheiratet waren und den Namen des Vaters als Ehenamen geführt haben, kann das Spenderkind eine öffentlich-rechtliche Namensänderung nach § 3 Absatz 1 Namensänderungsgesetz beantragen und sich darauf berufen, dass mit der Anfechtung ein wichtiger Grund die Änderung rechtfertigt.

Geburtsurkunde

Nach erfolgreicher Anfechtung informiert das Gericht auch das zuständige Standesamt2. Das Spenderkind kann eine Neuausfertigung der Geburtsurkunde erhalten.

Anfechtungsfrist zwei Jahre

Die Vaterschaftsanfechtung muss innerhalb einer Frist von zwei Jahren erklärt werden. Die Frist läuft ab dem Zeitpunkt, in dem das Kind von den Umständen erfährt, die gegen die Vaterschaft sprechen (§ 1600b Absatz 1 BGB). Sie läuft aber frühestens ab dem 18. Geburtstag (§ 1600 Absatz 3 BGB). Hat ein Kind also im Altern von 6 Jahren von der Samenspende erfahren, kann es bis zum 20. Geburtstag die Vaterschaft anfechten. Erfährt ein Spenderkind erst mit 26 Jahren von der Samenspende, läuft die Frist ab diesem Zeitpunkt.

Die Fristen berechnet sich ab der tagesgenauen Kenntnis von der nicht bestehenden Abstammung zum rechtlichen Vater3. Die Frist wird eingehalten, wenn der Anfechtungsantrag fristgerecht bei Gericht zugeht.

Wiederaufleben der Anfechtungsfrist z. B. bei Tod des Vaters

Die Anfechtungsfrist von zwei Jahren kann aber auch mehrere Jahre nach dem Ablauf erneut zu laufen beginnen. Das Gesetz stellt hierfür auf die Kenntnis von Umständen beim Kind ab, auf Grund derer die Folgen der Vaterschaft für es unzumutbar werden (§ 1600b Absatz 6 BGB).

Ein sehr wichtiger Grund für das Wiederaufleben ist der Tod des rechtlichen Vaters. Es wird angenommen, dass sich das Kind zu Lebzeiten des rechtlichen Vaters zu Rücksicht verpflichtet gefühlt hat und man ihm deswegen nicht zumuten konnte, fristgemäß anzufechten. Ab Kenntnis des Todes beginnt die Frist daher erneut zu laufen. Eine andere Fallgruppe ist eine spätere Scheidung der Eltern – aus den oben genannten Gründen. oder wenn der rechtliche Vater eine Straftat gegen das Kind begeht.

Voraussetzungen der Anfechtung

Die Anfechtung muss beim Amtsgericht (als Familiengericht) erklärt werden, in dessen Bezirk das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat4. Erforderlich ist ein Antrag, in dem folgendes angegeben wird (§ 171 FamFG):

  • das Ziel (Anfechtung der Vaterschaft),
  • die betroffenen Personen (Beteiligte: Mutter, Vater, Kind),
  • die Umstände, die gegen die Vaterschaft sprechen sowie
  • der Zeitpunkt, zu dem die Umstände bekannt wurden.

Es ist für die Anfechtung nicht erforderlich, dass Mutter oder Vater noch am Leben sind. Wenn der Vater nicht mehr lebt und auch kein DNA-Material vorhanden ist, kann dies allerdings die Einholung eines Abstammungsgutachtens erschweren.

Auch ein minderjähriges Kind kann die Vaterschaft anfechten. Hierbei stellen sich jedoch schwierige Fragen zur Vertretung und inwiefern die Anfechtung dem Kindeswohl dient.

Was passiert im Anfechtungsverfahren vor Gericht?

Die Vaterschaftsanfechtung durch das Kind ist erfolgreich, wenn keine genetische Verwandtschaft besteht und die Anfechtungsfrist eingehalten wurde. Es sind keine Gründe für die Anfechtung erforderlich (z. B. dass keine soziale Beziehung zum Vater mehr vorhanden ist). Zum Teil bestehende soziale Erwartungen wie dass ein Spenderkind gegenüber dem rechtlichen Vater dankbar sein muss, dürfen keine Rolle spielen.

Das Gericht wird einen Termin bestimmen, zu dem alle Beteiligten persönlich erscheinen müssen. Es muss eine förmliche Beweisaufnahme durchgeführt werden5. Die Beteiligten werden dazu angehört, aber auch vernommen. Das Gericht prüft von Amts wegen, ob eine genetische Verwandtschaft besteht. Daher ist ein Anerkenntnis durch den Vater nicht dadurch möglich, dass er auch nicht mehr Vater sein möchte. Grund hierfür ist, dass ein allgemeines öffentliches Interesse daran besteht, dass der familienrechtliche Status wahrheitsgemäß zugeordnet wird und Bestand hat. Auskunftsperson (vergleichbar dem Zeugen) könnte bei einer Samenspende auch der damals behandelnde Arzt sein, falls er sich noch erinnert oder noch Unterlagen besitzt.

Ist ein genetisches Abstammungsgutachten erforderlich?

Das Gericht ordnet bei einer Vaterschaftsanfechtung in der Regel an, dass ein genetisches Abstammungsgutachtens eingeholt wird, um zu überprüfen, ob eine genetische Verwandtschaft zwischen Kind und Vater besteht6. Zum Teil wird auch die Mutter mitgetestet. Die Untersuchungen für die Abstammungsfeststellung müssen die Beteiligten dulden (§ 178 FamFG). Das Gericht kann die Mitwirkung an der Untersuchung mit Zwangsgeld durchsetzen. Für die Probeentnahme wird in der Regel ein Schleimhautabstrich, Speichel, eine Blutprobe, Gewebeproben oder Haare mitsamt der Haarwurzel verwendet.

Ein Auszug aus einer DNA-Datenbank wie Ancestry, 23andme, MyHeritageDNA oder FTDNA ist vor Gericht nicht verwertbar, weil die DNA-Datenbanken eine andere Testmethode verwenden und die Identität der Getesteten nicht überprüfen.

Wurde vor dem gerichtlichen Verfahren mit Zustimmung der anderen Beteiligten ein privates Abstammungsgutachten erstellt, kann das Gericht dieses Gutachten zur Entscheidungsgrundlage machen, wenn die anderen Beteiligten einverstanden sind und keine Zweifel an der Richtigkeit des privaten Gutachtens bestehen7. Dies setzt grundsätzlich voraus, dass das private Gutachten durch ein nach § 5 Absatz 1 Gendiagnostikgesetz zertifiziertes Institut erstellt wurde. Außerdem muss das Institut bei der Erstellung des Gutachtens die Standards der Richtlinie der Gendiagnostik-Kommission für die Anforderungen an die Durchführung genetischer Analysen zur Klärung der Abstammung und an die Qualifikation von ärztlichen und nichtärztlichen Sachverständigen eingehalten haben.

Abstammungsgutachten, denen die anderen Getesteten nicht zugestimmt haben (so genannte heimliche Vaterschaftstests), sind rechtswidrig und daher vor Gericht nicht verwertbar.

Einige Familiengerichte haben bei einer Vaterschaftsanfechtung durch das Kind wegen einer Samenspende darauf verzichtet, ein Abstammungsgutachten einzuholen. In einem Fall lagen neben den Aussagen der Eltern ein Schreiben der Reproduktionsklinik vor, in dem der Samenspender gegenüber der Antragstellerin bezeichnet wurde8. Da aber auch eine solche Auskunft nicht zweifelsfrei ergibt, dass die Abstammung zum rechtlichen Vater nicht besteht, kann es sein, dass das Gericht auch in vergleichbaren Fällen anordnet, dass ein genetisches Gutachten eingeholt werden muss.

Das AG Pankow hat bei einer Samenspende von der Einholung eines genetischen Gutachtens abgesehen, weil der rechtliche Vater bereits verstorben war, kein DNA-Material von ihm vorhanden war, der Vortrag der anderen Beteiligten übereinstimmend war und ein Auszug aus einer DNA-Datenbank vorlag, wonach ein anderer Mann als genetischer Vater gelistet wurde9.

Was kostet die Vaterschaftsanfechtung?

Die Gerichtsgebühren einer Vaterschaftsanfechtung betragen 219 Euro10 Sie werden bereits mit der Stellung des Anfechtungsantrags bei Gericht fällig. Nur wenn sie von dem anfechtenden Kind gezahlt werden, wird der Antrag auch an die anderen Beteiligten zugestellt.

Zu den Gerichtsgebühren hinzu kommen die Kosten der Beweisaufnahme, insbesondere wenn das Gericht anordnet, dass ein genetisches Abstammungsgutachten eingeholt werden muss. Die Kosten für ein gerichtlich angeordnetes Abstammungsgutachten sind unterschiedlich, können aber bis zu 1.000 Euro betragen.

Außergerichtliche Gutachten sind ab ca. 300 Euro erhältlich und damit deutlich günstiger. Sie müssen aber vor dem Verfahren mit Einvernehmen von Vater und Mutter erstellt werden und beide müssen mit der Verwertung im gerichtlichen Verfahren einverstanden sein. Ein außergerichtliches Gutachten eignet sich also nicht, wenn die Eltern die Anfechtung nicht unterstützen oder sie sogar ablehnen.

Alle Beteiligten müssen die Kosten eines Anwalts selbst tragen, wenn sie einen engagieren.

Ist die Anfechtung erfolgreich, müssen die Beteiligten die Gerichtskosten (bestehend aus den Gerichtsgebühren und den Kosten der Beweisaufnahme) zu gleichen Teilen tragen (§ 183 FamFG). Das bedeutet: Leben Mutter und der bisherige Vater noch, muss jeder (Kind, Mutter, Vater) 1/3 der Gerichtskosten tragen. Da das Kind, wenn es die Anfechtung erklärt hat, die Gerichtsgebühren bereits vorstrecken musste, hat es einen Anspruch auf anteilige Kostenerstattung gegen die anderen Beteiligten.

Was ist, wenn ein Spenderkind die Kosten des Verfahrens nicht tragen kann?

Hat ein Spenderkind nur ein geringes Einkommen oder Vermögen, kann es Verfahrenskostenhilfe für eine Vaterschaftsanfechtung beantragen (76 Absatz 1 FamFG). Hierfür finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe entsprechende Anwendung. Der Antrag auf Verfahrenskostenhilfe muss zusammen mit dem Anfechtungsantrag und einem Formblatt über die persönlichen Verhältnisse eingereicht werden.

Die Verfahrenskostenhilfe kann auch die Kosten für einen Rechtsanwalt umfassen. Da bei der Vaterschaftsanfechtung keine anwaltliche Vertretung erforderlich ist, wird dies nur gewährt, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage bei der Anfechtung die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint (§ 78 Absatz 2 FamFG). Die Verfahrenskostenhilfe muss unter Umständen zurückgezahlt werden. Über das Verfahren, den Umfang und die eventuelle Rückzahlungspflicht bei Prozesskostenhilfe informiert das Bundesministerium der Justiz auf seiner Internetseite.

Braucht man einen Anwalt für die Vaterschaftsanfechtung?

Vor dem Familiengericht besteht kein Anwaltszwang11. Ein Spenderkind kann also ohne Anwalt bei Gericht auftreten. Aber ist es auch empfehlenswert, als Kind ohne Unterstützung eines Anwalts die Vaterschaft anzufechten? Dabei muss man berücksichtigen, dass man auch bei einer erfolgreichen Anfechtung die Kosten für den Anwalt selbst zahlen muss (wenn keine Rechtsschutzversicherung für Familienrecht besteht).

Die Vaterschaftsanfechtung durch ein volljähriges Kind ist rechtlich nicht sonderlich schwierig, da es – bis auf die fehlende Verwandtschaft und die Einhaltung der Anfechtungsfrist – keine weiteren Voraussetzungen gibt. Wer bereit ist, sich gut vorzubereiten, kann sich auch selbst vor dem Familiengericht vertreten. Für den Anfechtungsantrag gibt es Muster, man kann aber notfalls auch zur Geschäftsstelle des Gerichts gehen und sich helfen lassen. Im Anfechtungsverfahren besteht anders als im normalen familiengerichtlichen Verfahren nur ein eingeschränkter Amtsermittlungsgrundsatz12. Das Gericht darf von Amts wegen nur Tatsachen berücksichtigen, die für die Vaterschaft sprechen. Tatsachen, die dagegen sprechen, muss der Antragsteller selbst vorbringen. Bei einem anwaltlich nicht vertretenen Beteiligten wird das Gericht aber vermutlich schon in gewissem Umfang unterstützen.

Wir würden die Unterstützung durch einen Anwalt empfehlen, wenn man sich selbst nicht gut vorbereiten kann / möchte, die anderen Beteiligten voraussichtlich Einwände vorbringen werden, die Einhaltung der Anfechtungsfrist angezweifelt werden könnte oder das Gericht dazu bewegt werden soll, kein Abstammungsgutachten einzuholen. Allerdings haben einige Spenderkinder Schwierigkeiten gehabt, einen Anwalt oder eine Anwältin zu finden, die bereit waren, die Vaterschaftsanfechtung zu übernehmen. Grund hierfür könnte sein, dass die gesetzlichen Gebühren vergleichsweise gering sind.

  1. Eine Feststellung ist nach § 1600d Absatz 4 BGB ausgeschlossen, wenn das Kind durch eine ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung in einer Einrichtung der medizinischen Versorgung im Sinne von § 1a Nummer 9 des Transplantationsgesetzes unter heterologer Verwendung von Samen gezeugt worden, der vom Spender einer Entnahmeeinrichtung im Sinne von § 2 Absatz 1 Satz 1 des Samenspenderregistergesetzes zur Verfügung gestellt wurde. Das gilt allerdings erst seit dem 1. Juli 2018 für Kinder, die seitdem gezeugt wurden. []
  2. § 56 Absatz 1 Nr. 1 Ziff b) Personenstandsverordnung. []
  3. § 187 Absatz 1 und § 188 Absatz 2 BGB. []
  4. § 170 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit – FamFG, § 23a Absatz 1 Nr. 1 Gerichtsverfassungsgesetz. []
  5. § 177 Absatz 2, 3 FamFG []
  6. Musielak/Borth FamFG § 177 Rn. 2. []
  7. § 177 Absatz 2 Satz 2 FamFG. []
  8. AG Nürnberg, Beschluss vom 8.10.2013, Az. 107 F 2604/13. []
  9. AG Pankow/Weißensee, Beschluss vom 29.10.2018, Az. 26 F 5828/18. []
  10. Stand Oktober 2024, nach § 47 Absatz 1 FamGKG beträgt der Verfahrenswert bei einer Vaterschaftsanfechtung 2.000 Euro. Daraus ergeben sich Gerichtsgebühren von 219 Euro. []
  11. §§ 114, 10 FamFG. []
  12. § 177 FamFG. []

Spenderkinder-Theaterstück „Kein Bild von dir“ – Tournee in der Schweiz vom 8. November 2024 bis 8. Mai 2025

Spenderkinder-Mitglied Roman Rübe hat mit einem kleinen Team aus seiner eigenen Geschichte ein Solo-Theaterstück entwickelt. Das Theaterstück „Kein Bild von dir“ hat den Schweizer Nachwuchspreis für Kleinkunst „Jungsegler“ beim Theaterfestival „nordart“ in Stein am Rhein gewonnen. Unseres Wissens ist es das erste Theaterstück eines Spenderkindes über diese Thematik.

Das Festival schreibt als Begründung für den Preis: „Die Fragen, die ihn seither beschäftigen, sind die Grundlage für ein fein gearbeitetes Bühnensolo, das immer wieder weit über den persönlichen Lebensbericht hinausgeht. Die kluge Regie von Leonardo Raabe, das stimmige Bühnen- und Kostümbild von Andrea Castañon Gillessen und das wandelbare Spiel von Roman Rübe zeichnen dieses Theatererlebnis aus.

Roman hat „Kein Bild von dir“ bislang fünf mal in Zürich und zwei mal in Basel aufgeführt. Der Nachwuchspreis für Kleinkunst beinhaltet nun eine Tournee des Stücks mit 22 Shows vom 8. November 2024 bis 8. Mai 2025 in der ganzen Deutschschweiz. Roman und sein Team freuen sich über ein interessiertes Publikum und ganz besonders darauf, mit Spenderkindern über das Stück ins Gespräch zu kommen!

Neue Fachpublikation zu innerfamiliären Herausforderungen erwachsener Spenderkinder

Der Bioethiker Tobias Bauer und die Psychologin Anne Meier-Credner haben einen weiteren Fachartikel über ihre Befragung von Spenderkindern in Deutschland veröffentlicht:

Bauer, T., & Meier-Credner, A. (2024). Intra-familial dynamics of knowledge and ignorance experienced by donor-conceived adults in Germany. SN Social Sciences, 4, 163. https://doi.org/10.1007/s43545-024-00967-w, frei verfügbar abrufbar auf der Journal-Website.

Der Artikel sensibilisiert dafür, welche Herausforderungen Spenderkinder neben ihrer Aufklärung erleben: Sie müssen das neue Wissen nicht nur in ihre eigene Identität integrieren, sondern sind auch damit konfrontiert, wie ihre Familienmitglieder mit dieser Tatsache umgehen. Dabei sind innerfamiliäre Dynamiken von Wissen und Nichtwissen zentral.

Grundlage für den Artikel sind Daten der Spenderkinderstudie2020, die mit 59 Teilnehmenden zwischen 21 und 46 Jahren die bislang größte Studie an Spenderkindern aus Deutschland ist. Die Teilnehmenden wurden zwischen 1974 und 1999 gezeugt und im Alter von 5 bis 46 Jahren aufgeklärt.

Eine thematische qualitative Textanalyse ergab vier Hauptthemen mit denen sich erwachsene Spenderkinder konfrontiert sehen:

1. Die Nicht-Absolutheit des Nichtwissens vor der Aufklärung: So hatten manche Spenderkinder z.B. bereits vor ihrer Aufklärung Vermutungen zu ihrer anderen Herkunft.

2. Neue Nichtwissensbereiche nach der Aufklärung: z.B. darüber, wer der genetische Vater ist und wie viele Halbgeschwister es gibt, aber auch darüber, wer sonst von ihrer Entstehungsweise weiß und wie sie mit den Geschwistern, mit denen sie aufgewachsen sind, verwandt sind.

3. Umgangsweisen mit dem neu erworbenen Wissen: Manche Spenderkinder streben die Weitergabe ihres Wissens an. Andere möchten, dass – zumindest bestimmte Personen – nichts von ihrer anderen Herkunft erfahren. Wissende Familienmitglieder vermeiden das Thema teilweise untereinander.

4. Konkurrierende Besitzansprüche auf Wissen und Nicht-Wissen: z.B. wenn Eltern das Recht ihrer Kinder auf Wissen nicht anerkennen oder wenn Eltern und Spenderkinder sich uneinig darüber sind, welche weiteren Personen informiert werden sollen. Dazu gehören auch Konstellationen wie die, dass ein Kind bereits um seine Entstehungsweise und die seiner noch unwissenden Geschwister weiß.

Der erste Artikel zur Spenderkinderkinderstudie2020 beschreibt die vielfältigen Umstände, unter denen die Teilnehmenden von ihrer Entstehungsweise erfahren haben und welche Einflüsse der Aufklärung auf die Beziehung zu verschiedenen Familienmitgliedern sie berichten.

Stellungnahme des Vereins Spenderkinder zu den Eckpunkten des Bundesministeriums der Justiz für eine Reform des Abstammungsrechts und den Eckpunkten des Bundesministeriums der Justiz für eine Reform des Kindschaftsrechts: Modernisierung von Sorgerecht, Umgangsrecht und Adoptionsrecht vom 15. Januar 2024

Am 16 Januar hat das Bundesministerium der Justiz zwei Eckpunktepapiere zur Modernisierung des Familienrechts veröffentlicht: ein Eckpunktepapier zur Reform des Kindschaftsrechts mit Vorschlägen für neue Regeln im Sorge-, Umgangs- und Adoptionsrecht sowie ein Eckpunktepapier zur Reform des Abstammungsrechts.

Der Verein Spenderkinder bedankt sich für die Möglichkeit zur Stellungnahme zu den Eckpunkten des Bundesministeriums für Justiz.

I. Der Verein Spenderkinder

Der Verein Spenderkinder vertritt die Interessen von durch Samen“spende“ (im Folgenden Samenvermittlung) gezeugten Menschen in Deutschland. Dabei repräsentiert er die Sicht der entstandenen Kinder auf Samenvermittlung und andere Formen der Familiengründung mit den Geschlechtszellen einer dritten Person wie Eizellvermittlung, Embryonenvermittlung und Leihmutterschaft. Zu den Zielen gehört insbesondere, andere Spenderkinder, Menschen mit Kinderwunsch und Menschen, die ihre Keimzellen abgeben, über die rechtlichen Rahmenbedingungen und psychologischen Herausforderungen dieser Arten der Familiengründung sowie über den aus Sicht des Vereins bestehenden rechtlichen Handlungsbedarf zu informieren.

II. Zusammenfassende Positionierung des Vereins Spenderkinder zu den Eckpunkten des Bundesministeriums der Justiz für eine Reform des Abstammungsrechts und des Kindschaftsrechts

Der Verein Spenderkinder begrüßt viele der vorgesehenen Eckpunkte für eine Reform des Abstammungs- und Kindschaftsrechts. So unterstützt der Verein Spenderkinder, dass Kinder von Eltern in homosexueller Ehe von Anfang an zwei rechtliche Elternteile haben, damit ihre Versorgung genauso gut abgesichert ist, wie die von Kindern, deren Eltern in heterosexueller Ehe leben. Vor demselben Hintergrund unterstützt der Verein Spenderkinder die Möglichkeit, Kindern durch eine Elternschaftsvereinbarung bereits präkonzeptionell einen zweiten Elternteil zuzuordnen.

Der Verein Spenderkinder begrüßt alle Bestrebungen, um das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung effektiv zu sichern. Dazu gehört ein Vermerk im Geburtenregister, wenn eine Elternschaftsvereinbarung getroffen wurde oder ein Kind durch ärztliche Keimzellvermittlung entstanden ist. Auf diese Weise stellt das Kind spätestens bei einer Anmeldung zur Eheschließung fest, dass weitere Informationen zu seiner Abstammung vorliegen, und nur so ist es Behörden möglich, effektiv zu prüfen, ob Ehehindernisse, wie eine zu nahe Verwandtschaft, bestehen. Ebenfalls zur Sicherung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung gehört die Erweiterung des Samenspenderregisters um Daten zu Embryonenvermittlungen und um Daten aus ärztlicher Samenvermittlung vor 2018. Auch die Möglichkeit, die leibliche Abstammung mit einem mutmaßlichen leiblichen Elternteil gerichtlich feststellen zu lassen, ohne dazu wie bisher die rechtliche Vaterschaft anfechten zu müssen, ist ein wichtiger Schritt. Er ermöglicht es dem Kind, sein Recht auf Kenntnis der Abstammung wahrzunehmen, ohne dabei eine möglicherweise bestehende rechtliche Elternschaft zu dem zweiten Elternteil auflösen zu müssen.

Ferner begrüßt der Verein Spenderkinder das Umgangsrecht des Kindes mit seinen leiblichen Elternteilen als wichtiges Signal, dass das Kind Bedürfnisse entwickeln kann, die von den ursprünglichen Vereinbarungen seiner Elternteile abweichen. Zwar kann das Kind sein Recht auf Umgang mit einem leiblichen Elternteil in der Praxis nur dann wahrnehmen, wenn der leibliche Elternteil dazu bereit ist; möglicherweise ist der leibliche Elternteil aber dazu bereit, wenn er erfährt, dass das Kind Umgang wünscht, auch wenn er initial darauf verzichtet hat.

Kritisch sieht der Verein Spenderkinder, dass dem Kind die Möglichkeit genommen werden soll, die Zuordnung zu den rechtlichen Eltern anzufechten. Es dient gerade nicht dem Schutz der Rechte und Interessen des Kindes, ihm die bestehende Anfechtungsmöglichkeit seiner Zuordnung zu einem nicht genetisch verwandten Elternteil zu erschweren oder die Frist dazu zu verkürzen.

Ebenfalls nicht im Sinne des Kindes sind Elternschaftsvereinbarungen, bei denen ein genetischer Elternteil seine elterliche Verantwortung für das Kind abgibt, ohne dass ein zweiter rechtlicher Elternteil vorgesehen ist, der sie übernehmen möchte. Dies ist regelhaft bei Kindern von sogenannten Solo-Müttern der Fall. Gleichfalls dient es nicht der Absicherung des Kindes, wenn der rechtliche Elternteil neben der Geburtsmutter vereinfacht seine rechtliche Elternschaft ablegen kann, ohne dass eine andere Person als zweiter rechtlicher Elternteil des Kindes festgestellt wird.

An diesen Punkten zeigt sich, wie die Eckpunkte teilweise versuchen, die Wünsche von (Wunsch-)eltern auf Kosten der Rechte des Kindes abzusichern.

Stattdessen muss die Zuordnung der Elternschaft durch Ehe oder kraft Anerkennung – wie bisher auch – bei fehlender genetischer Verbindung durch das Kind anfechtbar bleiben. Ergänzend ist es erforderlich, dass das Kind die Mutterschaft der Geburtsmutter anfechten kann, wenn sie mit dem Kind nicht genetisch verwandt ist.

Zudem haben Kinder ein Recht auf zwei Elternteile. Daher sollte bei der Ausgestaltung der Reformideen darauf geachtet werden, dass allen Kindern ein zweiter rechtlicher Elternteil zugeordnet wird.

Weitere Ergänzungen sind notwendig, um das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung effektiv zu sichern: Die relevanten Daten müssen im erweiterten Samenspenderregister nicht optional, sondern verpflichtend hinterlegt werden. Bei Spenderkindern, die vor 2018 gezeugt worden sind, muss alles Erforderliche getan werden, um zu ermitteln, ob die Daten über den genetischen Vater noch vorhanden sind. Die Samen vermittelnden Ärzt:innen und Kliniken sollten hier zu einer Zusammenarbeit mit der zuständigen Behörde verpflichtet werden. Auch Daten aus Keimzellvermittlung und Leihmutterschaft, die im Ausland durchgeführt worden sind, sollten wenn möglich im Spenderdatenregister aufgenommen werden. Auch reicht es nicht aus, dass die Daten für das Kind zugänglich sind, sondern das Kind muss aktiv in die Lage versetzt werden, von seinem Recht Gebrauch zu machen. Dazu sollten die rechtlichen Eltern verpflichtet werden, ihre Kinder über deren Abstammung aufzuklären.

Dem Recht auf Umgang mit Halbgeschwistern folgend, sollte das Samenspenderregister zudem nicht identifizierende Informationen über Halbgeschwister bereitstellen sowie bei gegenseitigem Interesse Daten für eine Kontaktaufnahme vermitteln.

III. Im Einzelnen zu den Eckpunkten für eine Reform des Abstammungsrechts

1. Die Zuordnung der Elternschaft durch Ehe oder kraft Anerkennung muss bei fehlender genetischer Verbindung durch das Kind anfechtbar bleiben, unabhängig vom Bestehen einer sozial-familiären Beziehung

Vorgesehen ist, dass das Kind die Elternschaft der Person, die sich ihm durch eine Elternschaftsvereinbarung zugeordnet hat oder in die medizinisch unterstützte Befruchtung der Geburtsmutter mittels einer Samenspende eines Dritten eingewilligt hat, regulär nicht anfechten kann und dass es die Elternschaft des nicht genetischen Elternteils kraft Ehe oder Anerkennung nur dann erfolgreich anfechten kann, wenn keine sozial-familiäre Beziehung zu ihm besteht (Eckpunkte Abstammungsrecht, S. 12). Eine sozial-familiäre Beziehung wird vermutet, wenn eine Ehe zwischen der Mutter und dem Mann besteht (§ 1600 Abs. 3 Satz 2 BGB). Das ist nicht im Interesse des Kindes.

Welche Bedeutung der weitere genetische Elternteil für das Kind hat, kann nur das Kind selbst entscheiden. Unter Umständen hat das Kind ein Interesse daran, dass ihm der zweite genetische Elternteil auch rechtlich zugeordnet wird. Es ist nachvollziehbar, dass sich Wunscheltern ihre Elternstellung absichern möchten. Hier dürfen jedoch nicht allein die Interessen der Wunscheltern ausschlaggebend sein. Das Kind muss weiterhin für eine gewisse Zeit ab der Volljährigkeit bzw. ab Kenntnis seiner Entstehungsweise, eine Möglichkeit zur Anfechtung von Elternschaft haben, wenn es mit dem ihm zugeordneten Elternteil nicht genetisch verwandt ist, unabhängig von einem sozial-familiären Miteinander im Alltag. Bei der Anfechtungsmöglichkeit geht es nicht darum, soziale oder Versorgungsbeziehungen abzubilden, sondern darum, die Autonomie des (erwachsengewordenen) Kindes zu wahren, nicht gegen seinen Wunsch einem anderen Menschen allein auf dessen Wunsch als Kind zugeordnet zu sein. Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung umfasst nicht nur das Wissen darüber, von wem ein Mensch abstammt, sondern beinhaltet auch die rechtliche Abbildung der tatsächlichen biologischen Abstammungsverhältnisse.

Ferner gehen die Eckpunkte für eine Reform des Abstammungsrechts davon aus, dass Personen, die elterliche Verantwortung tragen, ein Kind regelhaft zu dessen Wohl pflegen und erziehen. Dies entbehrt völlig der Lebenserfahrung und ist geradezu zynisch gegenüber der Erfahrung von Spenderkindern, die – genau wie andere Kinder auch – alle Formen sozialer bzw. rechtlicher Eltern erleben. Der Wunsch, rechtlicher Elternteil zu werden, oder allein die Tatsache, mit der Geburtsmutter eines Kindes verheiratet zu sein, erlaubt keinen Rückschluss auf die grundsätzlichen oder sogar spezifischen Elternqualitäten eines Menschen gegenüber einem anderen. Die Möglichkeit des Kindes, sich aus einer willkürlichen Zuordnung nach den Wünschen der Eltern zu einem rechtlichen, aber nicht genetischen Elternteil durch Anfechtung zu lösen, muss wie bisher erhalten bleiben.

2. Elternschaftsvereinbarungen, bei denen niemand die zweite Elternstelle übernehmen soll, sind nicht im Interesse des Kindes – Kinder haben ein Recht auf zwei Elternteile

Durch Elternschaftsvereinbarungen soll künftig vor Zeugung eines Kindes rechtsverbindlich vereinbart werden können, welche Person neben der Geburtsmutter zweiter rechtlicher Elternteil eines Kindes wird.

Schon in der Vergangenheit hatte sich der Verein Spenderkinder für die Möglichkeit einer solchen präkonzeptionellen Elternschaftsvereinbarung eingesetzt, damit Kinder, die nicht in eine heterosexuelle Ehe geboren werden, materiell genauso gut abgesichert sind, wie Kinder in heterosexuellen Ehen, und von Beginn an zwei rechtliche Eltern haben.

Nach wie vor schlechter gestellt sind jedoch Kinder, bei denen die Geburtsmutter wünscht, dass neben ihr niemand die zweite rechtliche Elternstelle übernimmt. Zusammen mit dem Samenspenderregistergesetz wurde eingeführt, dass ein Mann, der Samen über eine Samenbank abgegeben hat, nicht als rechtlicher Vater festgestellt werden kann (§ 1600d Absatz 4 BGB). Bereits diese Regelung sieht der Verein Spenderkinder sehr kritisch, weil er durch ärztliche Samenvermittlung gezeugte Personen zu Menschen zweiter Klasse macht, die ihren genetischen Vater nicht offiziell als rechtlichen Vater feststellen lassen können. Begründet wurde dieser Ausschluss damit, dass regelmäßig der intendierte Vater die zweite rechtliche Elternstelle besetzen wolle.1 Als Folge vermitteln Samenbanken in Deutschland jedoch Samen an alleinstehende Personen. Die so gezeugten Kinder haben keinen zweiten rechtlichen Elternteil.

Die Eckpunkte für eine Reform des Abstammungsrechts sehen außerdem vor, dass der kraft Ehe mit der Geburtsmutter rechtliche Elternteil sich vereinfacht aus seiner rechtlichen Elternschaft lösen können soll, wenn er nicht genetischer Elternteil des Kindes ist und nicht mittels Elternschaftsvereinbarung oder Einwilligung in eine Befruchtung mit dem Samen einer dritten Person der Zeugung des Kindes zugestimmt hat. Das Kind hat dadurch nur noch einen rechtlichen Elternteil.

Kinder, auch Spenderkinder, haben ein grundsätzliches Recht auf zwei rechtliche Elternteile und dass die Feststellung eines genetischen Elternteils als rechtlicher Elternteil nicht von vornherein rechtlich ausgeschlossen wird. Auch das Bundesverfassungsgericht führt aus, dass es ein Interesse des Kindes geben kann, „seinen leiblichen Vater nicht nur zu kennen, sondern ihn auch als Vater rechtlich zugeordnet zu erhalten“.2 Dieser Gesichtspunkt wurde bei § 1600d Absatz 4 BGB ignoriert – was zeigt, wie sehr sich der Diskurs im Abstammungsrecht an Elternwünschen orientiert. Es sollte bei dem Grundsatz bleiben, dass Menschen für die Kinder verantwortlich sind, die sie zeugen, egal ob innerhalb oder außerhalb einer Ehe.

Bei der Ausgestaltung der Reformvorschläge sollte daher darauf geachtet werden, dass Kindern auf jeden Fall ein zweiter rechtlicher Elternteil zugeordnet wird.

3. Die Frist zur Anfechtung durch das Kind muss weiterhin mindestens zwei Jahre betragen

Der Verein Spenderkinder begrüßt es, dass die Anfechtungsfrist für heranwachsende Spenderkinder nicht vor Vollendung ihres 21. Lebensjahres enden soll. Ansonsten ist vorgesehen, die Frist zur Anfechtung der Vaterschaft bzw. Elternschaft für erwachsene Spenderkinder auf ein Jahr zu verkürzen. Dies ist nicht im Interesse des Kindes.

Auf Seiten des Kindes gibt es keinen Grund, die bestehende Anfechtungsfrist von zwei Jahren durch das Kind zu verkürzen. Dieser Zeitraum ist bereits sehr kurz, bedenkt man den Loyalitätskonflikt, den viele Spenderkinder spüren, wenn sie ihren eigenen Bedürfnissen nachgehen möchten, die von denen ihrer Eltern abweichen. Nach wie vor erfahren viele Spenderkinder erst im fortgeschrittenen Erwachsenenalter von ihrer Entstehungsweise, teilweise unter sehr ungünstigen Umständen, z.B. indem ihnen DNA-Datenbanken Halbgeschwister anzeigen oder weil sie durch Krankheit oder Tod ihrer rechtlichen Eltern von deren Krankheitsgeschichte oder Blutgruppe erfahren, die eine leibliche Verwandtschaft ausschließen. Viele solch spät aufgeklärter Spenderkinder benötigen einige Zeit, um sich neu zu orientieren. Die vorgesehene Verlängerung der bisherigen Anfechtungsfrist für heranwachsende Spenderkinder wird damit begründet, dass sie vor einer übereilten Entscheidung geschützt werden sollen. Dieses Argument lässt sich übertragen auf Spenderkinder, die im Erwachsenenalter von ihrer Entstehungsweise erfahren. Die Frist zur Anfechtung muss daher weiterhin mindestens zwei Jahre betragen.

4. Anfechtung der Elternschaft der Geburtsmutter ermöglichen

Vorgesehen ist, dass das Kind künftig nicht nur wie bislang die Vaterschaft des rechtlichen Vaters anfechten kann, wenn dieser mit ihm genetisch nicht verwandt ist, sondern auch die Mutterschaft der rechtlichen Mutter neben der Geburtsmutter.

Seit einigen Jahren finden in Deutschland jedoch auch Embryonenvermittlungen statt und Kinder werden nach Eizell- oder Embryonenvermittlung im Ausland in Deutschland geboren. Dadurch ist die austragende Person nicht mehr automatisch die genetische Mutter. Folglich sollte das Kind die Möglichkeit erhalten, auch die Mutterschaft der Geburtsmutter anzufechren, wenn es nicht genetisch verwandt mit ihr ist.

5. Erweiterung des Samenspenderregisters auch für Embryonenvermittlungen und „Leihmütter“ aus dem Ausland und verpflichtende Übernahme von Daten aus ärztlicher Samenvermittlung ab 1970

Vorgesehen ist, dass das Samenspenderregister, das bisher nur Daten zu ärztlicher Samenvermittlung im Inland ab 1. Juli 2018 erfasst, ausgebaut wird und künftig als Spenderdatenregister auch Daten über ärztliche Samenvermittlung aus der Zeit vor dem 1. Juli 2018 sowie private Samenvermittlung, Embryonenvermittlung und im Ausland durchgeführte Eizellvermittlung erfassen kann.

Der Verein Spenderkinder begrüßt diese Erweiterung. Um das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung effektiv zu sichern, ist es notwendig, dass diese Daten nicht nur optional sondern verpflichtend beim Spenderdatenregister hinterlegt werden. Hier kommt es auch entscheidend darauf an, dass die Keimzellen vermittelnden Ärzt:innen sowie Kliniken zu einer Zusammenarbeit aufgefordert werden und die vorhandenen Daten weiterleiten. Zusätzlich sollten Daten über die genetischen Elternteile bei Embryonen- oder Keimzellvermittlung im Ausland und die Identität der austragenden Person von im Ausland durchgeführten Leihmutterschaften wenn möglich im Spenderdatenregister aufgenommen werden. Für Menschen, die vor dem Inkrafttreten des Samenspenderregistergesetzes am 1. Juli 2018 gezeugt wurden, sollten die bei Ärzt:innen und Kliniken oder privaten Notar:innen noch vorhandenen Daten der genetischen Elternteile an das Spenderdatenregister übertragen werden, ohne dass es dabei auf das Einverständnis der genetischen Elternteile ankommt. Die Bundesärztekammer wies bereits mit Zulassung der ärztlichen Samenvermittlung im Jahr 1970 auf das unverzichtbare Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung hin und machte explizit, dass Ärzte die Identität des „Spenders“ nicht verschweigen dürfen.3 Dies war Reproduktionsmedizinern auch bekannt.4 Da insbesondere Spenderkinder, die bis Mitte der 1990er Jahre gezeugt wurden, häufig auf wenig Kooperationsbereitschaft bei den zuständigen Ärzt:innen und Kliniken treffen, wären ergänzend konkrete Maßnahmen umzusetzen, die Reproduktionsmediziner:innen und Kliniken in die Pflicht nehmen, dass sie Unterlagen von vor 2018 auch tatsächlich an das Register übergeben.

IV. Im Einzelnen zu den Eckpunkten für eine Reform des Kindschaftsrechts

1. Recht auf Umgang mit Halbgeschwistern

Die Eckpunkte für eine Reform des Kindschaftsrechts erinnern daran, dass Kinder ein Recht auf Umgang mit ihren Geschwistern haben.

Der Verein Spenderkinder begrüßt diesen Hinweis. Viele Spenderkinder wünschen sich Informationen über ihre Halbgeschwister, z.B. wie viele sie insgesamt haben und erleben Kontakt zu ihnen als bereichernd.5. Das Samenspenderregister sollte daher grundsätzlich auch Auskunft über nicht identifizierende Informationen wie z. B. die Anzahl und die Geburtsjahre geben und bei gegenseitiger Einwilligung der betroffenen Personen auch Daten zur Kontaktaufnahme vermitteln.

2. Spenderkinder müssen in die Lage versetzt werden, ihr Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung geltend zu machen

Der Verein Spenderkinder begrüßt, dass die Eckpunkte für eine Reform des Kindschaftsrechts vorsehen, dass ein Kind einen einfachen Anspruch auf Informationen über seine Abstammung gegen seine Eltern geltend machen kann, um das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung besser als bisher zu schützen.

Dieser Auskunftsanspruch bringt jedoch wenig, wenn eine Person nicht weiß, dass sie durch Samenvermittlung gezeugt wurde. Nach einer Meta-Analyse aus dem Jahr 2016 wissen nur etwa 20 % der Spenderkinder von ihrer Zeugungsart.6 Das Recht auf Kenntnis der Abstammung zu sichern, bedeutet auch, dass die Inhaber dieses Rechts in die Lage versetzt werden, ihr Recht effektiv auszuüben.7 Das ist auch wichtig in Bezug auf mögliche vererbte Gesundheitsrisiken und mögliche Ehehindernisse durch zu nahe genetische Verwandtschaft. Um das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung effektiv zu sichern, muss daher klargestellt werden, dass rechtliche Eltern als Teil ihrer sorgerechtlichen Verpflichtung verpflichtet sind, ihre Kinder über deren Abstammung aufzuklären und ihnen entsprechende Auskünfte zu geben. Das würde auch für Adoptierte und so genannte „Kuckuckskinder“ gelten. Da sich das Befolgen einer solchen Verpflichtung nicht überprüfen lässt, wären ergänzend weitere konkrete Maßnahmen notwendig, die gewährleisten, dass Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit von ihrer Entstehungsweise erfahren.

  1. Siehe BT-Drs. 18/11291, S. 35 zur Begründung des neuen § 1600d Absatz 4 BGB: „Bisher kann ein solcher Samenspender als genetischer Vater gemäß § 1600d Absatz 1 als rechtlicher Vater des mittels des gespendeten Samens gezeugten Kindes festgestellt werden, obgleich er bei Abgabe der Spende an die Entnahmeeinrichtung und damit für ihn regelmäßig unbekannte Paare mit Kinderwunsch keinerlei elterliche Verantwortung übernehmen wollte. Vielmehr will regelmäßig der intendierte Vater die elterliche Verantwortung übernehmen; Ziel ist daher die Zuordnung des Kindes zu ihm, weil damit dem Kindeswohl regelmäßig am besten gedient ist (…) []
  2. BVerfG, Beschluss vom 9. 4. 2003 – 1 BvR 1493/96 u.a. = NJW 2003, 2151, 2154. []
  3. Bundesärztekammer (1970). Entschließungen und Beschlüsse. Deutsches Ärzteblatt, 24, S. 1982. []
  4. Katzorke, T. & Propping, D., 1985. Voraussetzungen und Ergebnisse der heterologen (donogenen) Insemination. Pro familia magazin 3, 20-22. []
  5. Scheib, J. E., McCormick, E., Benward, J. & Ruby, A. (2020). Finding people like me: contact among young adults who share an open-identity sperm donor, Human Reproduction Open, 2020(4), hoaa057, https://doi.org/10.1093/hropen/hoaa057 []
  6. Tallandini et. al. (2016), Parental disclosure of assisted reproductive technology (ART) conception to their children: a systematic and meta-analytic review, Human Reproduction Advance Access published April 10, 2016, S. 9. []
  7. Straub, C., (2023). „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold?“ – Überlegungen zur Reform des Abstammungsrechts. FamRZ, 12. []

Eckpunkte zur Reform des Abstammungsrechts und des Kindschaftsrechts am 16. Januar 2024 veröffentlicht

Das Bundesministerium der Justiz hat am 16. Januar 2024 zwei Eckpunktepapiere zur
Modernisierung des Familienrechts veröffentlicht: ein Eckpunktepapier
zur Reform des Kindschaftsrechts
mit Vorschlägen für neue Regeln im
Sorge-, Umgangs- und Adoptionsrecht sowie ein Eckpunktepapier zur
Reform des Abstammungsrechts
. Die wichtigsten vorgesehenen Veränderungen sind in der Pressemitteilung des Ministeriums zusammengefasst.

Die jetzt vorgelegten Eckpunktepapiere beschreiben ausführlich die Veränderungspläne des Ministeriums. Es handelt sich aber noch nicht um Gesetzesentwürfe.

Für uns Spenderkinder sind besonders die Pläne zur Veränderung des Abstammungsrechts interessant. So ist z.B. vorgesehen, dass ein familiengerichtliches Feststellungsverfahren eingeführt wird, mit dem die leibliche Abstammung festgestellt werden kann, ohne dass ein (Spender-)Kind vorher die Zuordnung zu seinem rechtlichen Vater anfechten muss (wie bisher). Außerdem soll das Samenspenderregister erweitert werden und auch Daten zu Altfällen (d.h. Unterlagen von vor 2018), Embryonenspenden und private Samenspenden erfassen.

Spenderkinder Jahresrückblick 2023

  1. Verein

    Am 16. September 2023 fand unser offizielles Vereinstreffen in Berlin bzw. hybrid statt. Im Anschluss wurde das Vorstandsteam neu gewählt. Der neue Vorstand besteht aus:

    Anne Meier-Credner (Vorstandssprecherin. Öffentlichkeitsarbeit)
    Sunny Müller (Stellvertretende Vorstandssprecherin)
    Christina Motejl (Finanzen, Rechtliches)
    Beratende Vorstandsmitglieder: Britta, Jan, Janina, Sandra

    Das Vorstandsteam hat sich im Dezember virtuell getroffen und besprochen, dass es keine grundlegenden Änderungen bei der Arbeit geben soll. geben sollen. Bis zum Herbst 2024 möchten wir erarbeiten, welche Satzungsänderungen wir für die Anerkennung als gemeinnützig beim Finanzamt vornehmen müssen. Außerdem möchten wir zu manchen Themen wie der Struktur unseres Vereins, Vaterschaftsanfechtung und Beratungsangeboten des Vereins besser informieren. Weiterhin sollen regelmäßig (angestrebt werden alle drei Monate) digitale Treffen angeboten werden.

  2. Verwandtentreffer

    Für Spenderkinder, die noch keinen DNA-Test gemacht haben, empfehlen wir weiterhin einen Test bei der DNA Datenbank Ancestry, weil man die Rohdaten dieses Tests auch bei Family Finder und MyHeritageDNA kostenlos hochladen kann.
    Dieses Jahr haben unsere Mitglieder mindestens 6 weitere genetische Väter identifiziert (teilweise von Spenderkindern, die Anfang der 80er Jahre geboren wurden). Insgesamt haben wir 56 genetische Väter identifiziert. Außerdem haben wir 4 neue Halbgeschwistergruppen (insgesamt 74), die drei Größten umfassen 9 Familien.

    Eines unserer Mitglieder hat ihren genetischen Vater (einen Spender der Uniklinik Essen) über weiter entfernte Treffer mit Hilfe von DNA-Datenbanken und Genealogie Datenbanken gefunden und ihr Wissen dazu in drei Zoom Meetings mit anderen Mitgliedern geteilt.

  3. Veranstaltungen

    Vom 11. Februar bis 10. September 2023 zeigte das Deutsche Hygienemuseum in Dresden die Ausstellung „Von Genen und Menschen – Wer wir sind und werden könnten.“ Bei der begleitenden Veranstaltungsreihe wurde am 23. März 2023 der Film „Menschenskinder“ der Filmemacherin Marina Belobrovaja gezeigt. In dem Film setzt sich die Filmemacherin mit ihrer Entscheidung auseinander, als alleinstehende Frau ein Kind mit einer anonymen Samenspende zu bekommen. Dafür interviewt sie unter anderem Spenderkinder-Mitglied Anne. An den anschließenden Podiumsgespräch nahmen neben der Filmemacherin Marina Belobrovaja auch Spenderkinder-Mitglied Sven teil. Bei der Veranstaltung „Vorfahren, Vorlieben und Erkrankungen?“ am 19.4. diskutierte Spenderkinder-Mitglied Kay u.a. mit dem Datenschützer Thilo Weichert.

    Auftakttreffen „Initiative Schutz vor reproduktiver Ausbeutung“ – organisiert von Terre des Femmes am 05.09.23

    3.11.2023 Vortrag beim Arbeitskreis Frauengesundheit, Berlin

    7.11.2023 Vortrag bei Donum Vitae Bonn (virtuell)

    15.11.2023 Workshop bei KompKi-Fachtag Berlin (virtuell)

    17./18.11.2023 Vortrag auf Tagung der Fernuni Hagen (virtuell)

    24.11.2023 Vortrag in Veranstaltungsreihe der katholischen Ehe- und Familienberatung Bielefeld (virtuell)

    30.11.2023 Interview bei Fachtagung der Diakonie Berlin zu Kindeswohl in der Reproduktionsmedizin (virtuell)

  4. Öffentlichkeitsarbeit / Internetseite

    Sehr präsent sind die Themen Massenspender und Eizellspende und Leihmutterschaft.

    Tobias Bauer und Anne Meier-Credner haben den ersten Artikel über die Befragung von Spenderkindern in Deutschland veröffentlicht, die mit 59 Teilnehmenden zwischen 21 und 46 Jahren die Studie mit den bislang meisten Befragten in Deutschland darstellt: Bauer, T., & Meier-Credner, A. (2023). Circumstances Leading To Finding Out about Being Donor-Conceived and Its Perceived Impact on Family Relationships: A Survey of Adults Conceived via Anonymous Donor Insemination in Germany. Social Sciences, 12(3), 155.

    Infos zu Beiträgen von, über und mit uns oder unser Thema posten wir auf unserer Internetseite, Twitter, Facebook und Instagram.

    Folgende Beiträge auf unserer Internetseite aus diesem Jahr möchten wir besonders ans Herz legen:

    Spenderkinder gar nicht neugierig

    Der Fall des Massenspenders Jonathan Jacob Meijer

    Gewünscht zu sein ist keine Garantie für eine glückliche Kindheit

    Sunny hat auf ihrem YouTube Kanal Reagenzglasbaby einige spannende Beiträge veröffentlicht, die über die Playlist für Spenderkinder zu finden sind:

    Unterhaltsfragen zum Thema Spenderkinder
    Verliebt und verwandt?
    Tücken bei der DIY Befruchtung
    kritische Aspekte Leihmutterschaft
    Der unfruchtbare Mann
    Zehn Jahre Öffentlichkeitsarbeit
    Britta: Das erste Jahr ohne Bonus-Mama
    Verdienst als Samenspender
    Samenspende als Designprojekt
    Wie oft klappt eine künstliche Befruchtung?
    20 prominente Wunscheltern
    Keine Angst vor Unterhaltsforderungen
    Dietrich spricht von Spender zu Spender
    Probleme bei Massenproduktion (Spender könnte HG sein?)
    Ein lesbisches Paar verlost eine Samenspende und geht viral
    Findelkinder aus Buch

  5. Rechtliches

    Die Beratung von Spenderkindern findet vor allem zum Thema Vaterschaftsanfechtung und Überprüfung der Vaterschaft statt, von Wunscheltern in Bezug auf Durchsetzung von Auskunft für ihre Kinder.

    Es laufen weiterhin mehrere Gerichtsverfahren unserer Mitglieder gegen Novum.
    Zwei Mitglieder der großen Halbgeschwistergruppe von Dr. Weiß haben eine Klage erhoben, um zu erfahren, wie oft der Samen ihres gemeinsamen genetischen Vaters verwendet wurde.

    Die Bundesregierung hat die Pläne für das neue Abstammungsrecht im Jahr 2023 noch nicht vorgelegt. Wichtig für Spenderkinder sind insbesondere zwei Vorhaben: es soll ein statusunabhängiges Feststellungsverfahren eingeführt werden, in dem ein Kind seine Abstammung gerichtlich klären lassen kann ohne zugleich die rechtliche Elternschaft anfechten zu müssen, und das Samenspenderregister soll auch für bisherige Fälle, private Samenspenden und Embryonenspenden geöffnet werden.

  6. Beratung

    Beratung von Wunscheltern: Leider hat sich niemand in unserem Verein gefunden, der die Aufgabe übernehmen kann. Daher werden wir die Beratung erst einmal einstellen und Hinweise nur per Mail erteilen bzw. auf die Internetseite verweisen. Die virtuelle Gruppe für Eltern (von älteren Spenderkindern) hat jetzt einen eigenen Mail-Verteiler.

    Kontakt zu ehemaligen „Samenspendern“/Beratung: Gelegentlich melden sich Männer bei uns, die in der Vergangenheit Samen „gespendet“ haben und mehr oder weniger offen für Kontakt sind. Wir informieren diese Männer über die Möglichkeiten der Suche über DNA-Datenbanken und unterstützen bei der Kontaktaufnahme zu genetischen Kindern. Frühere Spender haben angeboten, die Personen ebenfalls direkt zu beraten.

  7. Medienbeiträge

    Gezeugt durch Fremdsamen: Ein Spenderkind sucht seinen Vater. Westfälische Rundschau 5. 2.2023

    8. Februar 2023 (NDR) – Das! Suche nach den leiblichen Eltern

    SWR Nachtcafé am 24.2.2023 „Dem Geheimnis auf der Spur

    Wer ist mein Vater? Anonyme Samenspenden gab es nie: Betroffene haben das Recht zu erfahren, wer ihr Vater ist. Doch Katharina sucht seit Jahren vergeblich – und verklagt nun einen Arzt. Zeit 26.3.2023 (Paywall)

    Leeroy will’s wissen: TOCHTER trifft SAMENSPENDER | Das Treffen 2.3.2023

    ZDF-37°-Reportage „Lebenslügen und Familiengeheimnisse“ am 28.3.2023

    20 Geschwister … und die Frage: habe ich noch mehr? Wie die Nachkommen eines Samenspenders für ihre Rechte kämpfen und einen Präzedenzfall schaffen könnten.“ Zeit. 6.3.2023 (Paywall)

    ZDF-37°-Reportage „Auf der Suche nach dem leiblichen Vater“ am 16.4.2023

    Samenspenderregister – Wie Spenderkinder Auskunft bekommen können, ZDF Volle Kanne 17.4.2023

    Biologischer Vater verzweifelt gesucht – „Hab 2000 Mark gekostet“: Die unglaubliche Geschichte von Reagenzglaskind Sunny, Focus online 9.6.2023

    Deutschlandfunk „Spenderkinder auf Spurensuche. Vater, Mutter, Massenprodukt“ vom 11.6.2023
    Teil 1 Überall Halbgeschwister
    Teil 2 Über Grenzen

    29. Juni 2023 (Sat1) – Frühstücksfernsehen: Eltern! Zeigt Spenderkindern ihre Herkunft

    „Kommt aus der Deckung “Dietrich könnte tausendfacher Vater sein – jetzt hat er einen Appell an andere Samenspender„, Focus online 16.7.2023

    Spenderkinder: Die Suche nach dem leiblichen Part, Wie wir fühlen, Ein Podcast der funky-Jugendredaktion 9.8.2023

    Samenspende: 28-Jähriger aus Horstedt lernt biologischen Vater kennen, Sat 1 Regional 25.8.2023

    DEIN PAPA IST NICHT DEIN PAPA – eine audiovisuelle Auseinandersetzung mit Familiengründung durch Samenspende. Wie würde eine Unterhaltung zwischen einem Spenderkind, einem Samenspender, einer Solomama, einem sozialen Vater und einem Reproduktionsmediziner aussehen? Die Installation „DEIN PAPA IST NICHT DEIN PAPA“ zeigt eine virtuelle Gesprächsrunde, bei der alle ihre persönliche Sicht der Dinge schildern. Denn nur wenn wir einander zuhören, können wir die Zusammenhänge besser verstehen, den eigenen Standpunkt überdenken, die eigene Haltung hinterfragen.

  8. Internationales

    Stellungnahme des Vereins Spenderkinder zu dem Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung über das anwendbare Recht bei Elternschaft

    Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat am 7. September 2023 in dem Fall Gauvin-Fournis and Silliau v. France die erste Entscheidung zu den Rechten von Spenderkindern auf Kenntnis ihrer Abstammung getroffen. Es hat dabei bestätigt, dass das Recht auf Privatsphäre aus Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) grundsätzlich auch das Recht beinhaltet, Informationen über die Identität der Elternteile zu erhalten, aber im Ergebnis einen Verstoß der derzeitigen Rechtslage in Frankreich gegen die EMRK verneint (ausführlicherer Artikel).

    Weiterhin auf europäischer Ebene wird derzeit der Vorschlag für die so genannte SoHO Verordnung verhandelt (Regulation on substances of human origin), welche die Geweberichtlinie aus dem Jahr 2004 (Tissues and cells Directive (2004/23/EC)) ablösen wird. Unter den Anwendungsbereich fällt auch der Umgang mit abgegebenen Ei- und Samenzellen. Die Verordnung richtet sich stärker als die Geweberichtlinie auch auf Reproduktionsmedizin und soll ausdrücklich die Sicherheit von „Spendern“ und Kinder sicherstellen, die aus „gespendeten“ Eizellen, Samen oder Embryonen entstehen. Die Personen, die die Samen und Eizellen abgegeben haben, müssen zurückverfolgbar sein. Allerdings regelt die Verordnung keinen Anspruch der durch diese Ei- und Samenzellen gezeugten Menschen auf Erhalt der Daten.

  9. Ausblick auf 2024

    Das Spenderkinder-Treffen 2024 wird am 14. September in Berlin stattfinden (vermutlich wieder hybrid).

Euer Vorstandsteam Anne, Sunny, Christina, Britta, Jan, Janina, Sandra

Erstes Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu den Rechten von Spenderkindern

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat am 7. September 2023 in dem Fall Gauvin-Fournis and Silliau v. France (application
no. 21424/16; Urteil bisher nur auf Französisch
) die erste Entscheidung zu den Rechten von Spenderkindern auf Kenntnis ihrer Abstammung getroffen. Es hat dabei bestätigt, dass das Recht auf Privatsphäre aus Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) grundsätzlich auch das Recht beinhaltet, Informationen über die Identität der Elternteile zu erhalten, aber im Ergebnis einen Verstoß der derzeitigen Rechtslage in Frankreich gegen die EMRK verneint.

Die französische Rechtslage sah von 1994 bis 2022 eine fast absolute Anonymität für Personen vor, die Samen oder Eizellen „gespendet“ haben. Ausnahmen gab es nur für den Zugriff von Ärzten bei einer medizinische Notwendigkeit oder wenn eine ernsthafte genetische Anomalie diagnostiziert wurde. Spenderinnen konnten noch nicht einmal freiwillig auf ihre Anonymität verzichten. Am 2. August 2021 änderte Frankreich sein Bioethik Gesetz (während des bereits laufenden EGMR-Verfahrens). Die Änderungen traten am 1. September 2022 in Kraft. Seitdem haben Spenderkinder eigentlich das Recht, die Identität ihrer genetischen Elternteile zu erfahren. Bis zum 31. März 2025 ist es jedoch weiterhin zulässig, unter der alten Rechtslage gespendete Samen, Eizellen und Embryonen zu verwenden. Daher haben eigentlich erst ab dem 31. März 2025 gezeugte Kinder das Recht, mit Volljährigkeit die Identität ihrer genetischen Elternteile zu erfahren. Für Spenderkinder, die wie die Kläger*innen des Verfahrens vor dem 31. März 2025 gezeugt wurden, gilt das nur, wenn der Spender oder die Spenderin zustimmen – was aber voraussetzt, dass sie noch leben.

Der EGMR betonte in seiner Entscheidung, dass der französische Gesetzgeber die betroffenen Interessen und Rechte in einem informierten und schrittweisen Reflektionsprozess abgewogen habe, der auch öffentliche Konsultationen beinhaltet habe. Frankreich habe daher innerhalb seines zulässigen Einschätzungsspielraums gehandelt. Auch das von 1994 bis 2022 geltende Gesetz habe mit den Zugriffsmöglichkeiten von Ärzten Ausnahmen von der absoluten Anonymität der Spender vorgesehen. Dabei betonte das Gericht, dass es keinen klaren Konsens unter den Mitgliedsstaaten der EMRK zur Frage der Anonymität von Spenderinnen gebe, sondern lediglich einen gewissen Trend zur Aufhebung der Anonymität. In Bezug auf die seit 2022 geltende Rechtslage entschied der EGMR, dass Frankreich auch hier den zulässige Einschätzungsspielraum eingehalten habe, indem er den Zugang von Spenderkindern davon abhängig macht, dass die Spenderinnen zustimmen.

Es handelt sich um eine Kammerentscheidung durch sieben Richterinnen des EGMR, gegen die drei Monate nach Zustellung eine Verweisung an die große Kammer des EGMR beantragt werden kann. Wird ein solcher Antrag gestellt, entscheiden fünf Richterinnen, ob der Fall weiter untersucht werden soll.

Die Klägerin Audrey Gauvin-Fournis und der Kläger Clément Silliau

Erste Klägerin ist die 1980 geborene französische Juristin Audrey Kermalvezen (geb. Gauvin-Fournis). Sie engagiert sich für die Rechte von Spenderkindern in Frankreich und hat zusammen mit ihrem Ehemann Arthur Kermalvezen, ebenfalls ein Spenderkind, die Organisation Origines gegründet. Über die Praxis von Samenspenden in Frankreich hat sie im Jahr 2014 das Buch: „Mes origines : une affaire d’État“ (Meine Herkunft – eine Staatsaffaire) veröffentlicht.1

In den Jahren 2010 bis 2016 klagte sie über mehrere Instanzen vergeblich gegen die staatlich organisierten Fortpflanzungskliniken CECOS auf Erhalt von nicht-identifizierende Informationen über ihren Spender und auf Auskunft ob ihr Bruder und sie den selben Spender hatten. Außerdem forderte sie, dass die Verwaltung ihren Spender kontaktiert, um ihn zu fragen, ob er weiterhin anonym bleiben möchte. Nach Erschöpfung des innerstaatlichen französischen Rechtswegs erhob sie im Jahr 2016 Klage beim EGMR. Für die Klage hatte sie mit einer Spendenkampagne um Unterstützung gebeten, auf die auch der Verein Spenderkinder aufmerksam gemacht hat.

Zweiter Kläger ist der 1989 geborene Clément Silliau, der im Alter von 17 Jahren von seiner Entstehungsweise erfuhr und die gleichen Anträge wie Audrey stellte.

Sieben Jahre nach Einreichung der Klage, während der das französische Bioethik-Gesetz geändert wurde, erfolgte nun die Entscheidung der Kammer.

Bewertung

Es handelt sich um das erste Urteil des EGMR zu Spenderkindern. Die vorherigen Urteile des EGMR betraf keine Fälle künstlicher Befruchtung, sondern anonyme Geburten, Adoptionen und so genannte Kuckuckskinder.

Im Jahr 2003 entschied der EGMR im Verfahren Odièvre vs. France,2, dass die in Frankreich vorgesehene Möglichkeit einer Frau, ihr Kind anonym zur Welt zu bringen, nicht gegen Artikel 8 der EMRK verstößt. Die französische Gesetzgebung verfolge mit der Möglichkeit der anonymen Geburt das Ziel, das Recht auf Leben von Mutter und Kind zu schützen, um Abtreibungen und Aussetzungen zu verhindern. Außerdem hatte Frankreich gerade neue Gesetze verabschiedet, wonach anonym adoptierte Menschen ihre Geburtsmutter durch eine zwischengeschaltete Institution fragen konnten, ob sie auf ihre Anonymität verzichten möchte. Zuletzt hatte die Klägerin Pascale Odièvre nicht identifizierende Informationen über ihre genetischen Eltern (ohne deren Zustimmung) und Geschwister erhalten, die ihr ermöglichten, einige ihrer Wurzeln zurückzuverfolgen.

Anders entschied der EGMR im Jahr 2012 im Fall Godelli vs. Italy3 für die damalige Praxis der anonymen Geburt in Italien. Das Gericht sah Artikel 8 EMRK als verletzt, weil die Klägerin Anita Godelli keinerlei Zugang zu Informationen über ihre Mutter und ihre Geburtsfamilie hatte. Der Antrag der Klägerin auf Erhalt von Informationen wurde vollumfänglich abgelehnt, ohne die widerstreitenden Interessen abzuwägen. Das italienische Gesetz versuche nicht, eine Balance zu finden zwischen den widerstreitenden Rechten der Klägerin, mehr über ihre Abstammung zu erfahren, und denen der Mutter, anonym zu bleiben, sondern entscheide sich ohne Abwägung für die Anonymität.

Bei dem jetzigen Fall gibt es eine deutliche Parallele zum Fall Odièvre: auch hier hatte der französische Gesetzgeber ebenfalls während eines EGMR Verfahrens die Rechtslage so geändert, dass die Mutter zumindest kontaktiert und gefragt werden musste, ob sie auf ihre Anonymität verzichten möchte. Es erscheint also sehr gut möglich, dass die Klage auch hier den französischen Staat überhaupt erst dazu bewegt hat, die Rechtslage zu ändern. Das ist natürlich positiv, denn dass der Spender kontaktiert wird und entscheiden muss, ob er auf seine Anonymität verzichten möchte, ist besser als eine absolute Anonymität. Beim Fall Odièvre hatte die Klägerin allerdings zumindest nicht identifizierende Informationen über ihre Familie erhalten. Solche Informationen haben Audrey Kermalvezen und Clément Silliau nicht erhalten.

Der EGMR hätte anders entscheiden können: Bei anonymen Geburten und Adoptionen muss der Schutz des Rechts auf Leben stärker berücksichtigt werden – weil verhindert werden soll, dass die Mutter eine Abtreibung vornimmt oder das Kind aussetzt. Dieses Recht ist bei Samen- und Eizellspenden nicht betroffen. Es handelt sich um geplante Schwangerschaften, zum Zeitpunkt der Spende existiert das Kind noch nicht. Auch verwundert etwas, dass der EGMR einen gründlichen Konsultationsprozess im parlamentarischen Verfahren ausreichen lässt. Ein solcher Prozess stellt nicht unbedingt sicher, dass die Menschenrechte der beteiligten angemessen berücksichtigt werden.

Bei der Entscheidung des EGMR muss man berücksichtigen, dass die EMRK (nur) einen menschenrechtlichen Mindeststandard für alle Vertragsstaaten vorsieht. Dabei berücksichtigt er meistens, was der Rechtslage in der Mehrzahl der Mitgliedsstaaten entspricht. Daher bezieht sich der EGMR auch darauf, dass es zur Frage der Anonymität von Spendern zwar einen Trend zu mehr Offenheit gibt, aber noch keinen Konsens. So hat der Europarat im Jahr 2022 eine Vergleichsstudie veröffentlicht zu dem Recht von Spenderkindern auf Informationen über ihre Abstammung (Comparative Study on access of persons conceived by gamete donation to information on their origins), in dem eine Empfehlung des Europarates angeregt wurde, dass die Mitgliedsstaaten einen Mechanismus etablieren sollen um das Recht auf Informationen sicherzustellen. Trotzdem hinterlässt es ein bitteres Gefühl, dass die Beachtung der Rechte von Spenderkindern von einem Konsens der Mitgliedstaaten über die Offenheit bei Samen- und Eizellspenden abhängig gemacht wird – unabhängig davon, ob die Rechte der entsprechenden Kinder überhaupt ausreichend gewahrt werden.

Positiv ist, dass der EGMR betont hat, dass Artikel 8 EMRK auf Spenderkinder anwendbar ist und sie grundsätzlich ein Recht auf Kenntnis ihrer genetischen Elternteile haben. Der deutliche Bezug auf die im Jahr 2022 geänderte Rechtslage in Frankreich legt nahe, dass die neuen Regelungen einen entscheidenden Anteil daran hatten, dass der EGMR kein Verstoß gegen die EMRK angenommen hat.

Es gibt daher deutliche Anzeichen dafür, dass der EGMR bei Vertragsstaaten der EMRK, die eine absolute Anonymität der Spender vorsehen, eine Verletzung von Artikel 8 annehmen könnte. Das betrifft vor allem Staaten wie z. B. Dänemark, Belgien, Spanien und Tschechien. Obwohl Großbritannien für seit dem 31. März 2005 gezeugte Kinder ein Recht auf Kenntnis ihrer genetischen Elternteile vorsieht, gilt dies für zuvor gezeugte Kinder nur, wenn der Spender oder die Spenderin auf seine Anonymität verzichtet hat – was er oder sie von sich aus tun muss.

Reaktionen

Audrey Kermalvezen äußerte sich kurz vor dem Urteil weiterhin hoffnungsvoll zu ihrem 14 Jahre dauernden Verfahren, da die Änderungen des französischen Rechts nichts an ihrer Situation geändert hatten:

„Ich hoffe, dass den Richtern klar wird, wie unzureichend das kürzlich von Frankreich eingeführte System ist. Die einzige Information für mich, die ich nach fast 14 Jahren Verfahren, im März 2023, auf legalem Wege erhielt, war, dass mein Spender gestorben ist. Daher werde ich niemals das Recht haben, seine Identität zu erfahren. Ich werde auch niemals Zugriff auf andere sogenannte nicht identifizierende Informationen haben, da der französische Staat beschlossen hat, deren Übermittlung von der Zustimmung des Spenders abhängig zu machen!

Daher erfahre ich zum Beispiel nie die Krankengeschichte meines Spenders, obwohl diese in seiner Akte bei der Samenbank erfasst ist.

Konkret habe ich kein Recht darauf, zu erfahren
als er starb,
noch woran,
ob er Kinder hätte,
was seine Krankengeschichte ist,
wie er aussah,
wer er war…

Ich habe keine Informationen über meine leiblichen Geschwister. Ich habe kein Recht zu wissen, wie viele Halbbrüder und Halbschwestern ich in der Natur habe oder wer sie sind …
auch nicht, wenn mein Bruder und ich mit derselben Spenderin gezeugt wurden. Zur Erinnerung: Die Verwendung eines DNA-Tests zur Feststellung der eigenen Herkunft ist in Frankreich strafbar (zwischen 3.750 Euro Geldstrafe und bis zu 30.000 Euro Geldstrafe und 2 Jahre Gefängnis wenn dadurch ein anonymer Spender identifiziert werden kann).“

Nach dem Urteil äußerte sie, dass es ein bitteres Gefühl bei ihr hinterlasse und dass das Urteil von vorherigen Entscheidungen zu Artikel 8 EMRK abweiche. Sie deutete an, dass sie eine Verweisung zur Großen Kammer beantragen wird. Außerdem wies sie darauf hin, dass Staaten wie Schweden anonyme Spenden schon im Jahr 1984 verboten hätten, das Vereinigte Königreich im Jahr 2003. Daher sei der Trend zu mehr Offenheit in Bezug auf die genetische Abstammung nicht so neu, wie der EGMR in seinem Urteil behauptet habe.

Ausblick: Wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende

Jedes Spenderkind wird die Trauer und das Gefühl, nicht fair behandelt worden zu sein, nachvollziehen können. Audrey war als Anwältin die Erfolgschancen ihres Verfahrens von Anfang an bewusst und sie hoffte auf ein positives Ergebnis – dass sie und Clément dies auf sich genommen haben und damit versucht haben, für die Rechte aller Spenderkinder in Europa zu kämpfen, ist bewundernswert.

Dieser Kampf hat gerade erst begonnen. Der Trend zu mehr Offenheit ist da in Europa: es gibt immer mehr Staaten, die sich entscheiden die Rechte von Spenderkindern auf Kenntnis ihrer Abstammung zu schützen. Auch wenn die Rechtslage selten perfekt ist, kann sie weiter verbessert werden: es handelt sich um einen fortschreitenden Prozess. Es ist kein Sprint, sondern ein Marathon, und der Weg über Klagen und strategische Prozessführung ist nur ein möglicher Weg zum Erfolg. Wichtig wird weiterhin sein, dass Spenderkinder sich zusammenschließen, von ihren Erfahrungen berichten und eine Änderung der Rechtslage fordern.

Vielleicht ist es aber auch noch nicht das Ende: Audrey Kermalvezen hat zumindest angedeutet, dass sie eine Verweisung an die große Kammer des EGMR beantragen wird.

  1. Audrey erzählt mehr zu ihrer Geschichte auf Englisch bei einem Symposium im Jahr 2021. []
  2. Application no. 42326/98 – Urteil []
  3. Application no. 33783/09 – Urteil []

Veranstaltungshinweis: Fachtag „Das Kindeswohl in der Reproduktionsmedizin“ der Diakonie Deutschland und dem Ev. Bundesverband Adoption e.V. am 30. November 2023

Am 30. November 2023 findet von 10:30 bis 16:15 Uhr der Fachtag: Das Kindeswohl in der Reproduktionsmedizin, in Berlin statt. Die Anmeldung ist möglich bis zum 3. November, unter https://ewde.guestoo.de/public/event/f43ece9d-452b-4dba-bb48-ae582d058b72. Nach Absenden der Anmeldung bitte Bestätigungsmail beachten, damit die Anmeldung verbindlich zählt. Die Teilnahme ist kostenfrei.