Archiv der Kategorie: Reproduktionsmedizin

Gewünscht zu sein ist keine Garantie für eine glückliche Kindheit

Der in Wien lebende Pianist Albert Frantz wurde durch eine Samenspende gezeugt – und erzählt in einem Beitrag „Jetzt weiß ich, wer ich bin“ in der österrechischen Zeitung Der Sonntag, dass sein rechtlicher Vater ihn schwer misshandelt hat. Darüber zu sprechen fiel ihm schwer, und es ist ihm wichtig zu betonen, dass Eltern keine genetische Verbindung zu ihren Kindern benötigen, um sie lieben und unterstützen zu können. In seinem Fall ist er sich jedoch sicher, dass sein rechtlicher Vater ihn gerade deswegen misshandelt hat, weil sie nicht genetisch verwandt waren. 2018 fand er seinen genetischen Vater über einen DNA-Test – und erfuhr, dass seine Großmutter väterlicherseits Pianistin war.

Spenderkindern, die sich irgendwie kritisch über ihre Zeugungsart oder den Umgang damit äußern, wird oft entgegen gehalten, sie seien doch so gewollt gewesen. Damit verbunden ist die Annahme, dass Spenderkinder es wegen dieses Gewolltseins gut getroffen hätten im Leben und sie sich eigentlich nicht beschweren können. Schon wegen dieser pauschalen Annahme und der Aussage „Hör mal auf, Dich zu beschweren“, sind solche Äußerungen total ungebracht (siehe auch 12 Bemerkungen die Spenderkinder nerven und welche Reaktion sie sich stattdessen wünschen).

Geschichten wie die von Albert zeigen aber, dass alleine der Wunsch nach einem Kind nicht bedeutet, dass die Wünschenden auch gute Eltern sein werden. Mit dem tatsächlichen Kind konfrontiert zu werden, das sich teilweise nicht so verhält wie erwartet, und das vielleicht auch an die eigene Unfruchtbarkeit erinnert, kann sehr schwierig sein. Das muss nicht in Misshandlungen enden, aber kann auch zu Desinteresse und Distanzierung führen – was ebenfalls sehr schmerzhaft sein kann.

Wir haben vor einigen Tagen einen Tagen auf Instagram einen Artikel aus der Süddeutschen geteilt über eine 62jährige Frau aus Hildesheim, die wegen schwerer Misshandlung ihres siebenjährigen Sohnes verurteilt wurde, den sie mit einer Samen- und Eizellvermittlung aus Spanien bekommen hatten. Einige Kommentare haben das als Generalverdacht gegen Wunscheltern aufgefasst und kritisiert, es bestünde kein Zusammenhang zwischen der Misshandlung und der Zeugung mit fremden Ei- und Samenzellen.

Wir fanden sehr bedauerlich, dass unser eigentliches Anliegen – die Kritik an dem Argument „Ihr seid doch Wunschkinder“ dabei nicht mehr wahrgenommen wurde. Misshandlungen geschehen auch von leiblichen Eltern an ihren Kindern. Es ist wichtig, dass die Gesellschaft hier genauer hinsieht und die Kinder efektiv schützt.

Die fehlende genetische Verwandtschaft kann aber einen zusätzlichen Risikofaktor darstellen. Und Wunscheltern werden – anders als Adoptiveltern – nicht auf die zusätzlichen Herausforderungen vorbereitet, die eine Familiengründung mit fremden Samen- oder Eizellen beinhaltet. Die Forderung unseres Vereins nach einer unabhängigen psychosozialen Beratung vor einer Samenspende wurde bislang nicht aufgenommen. Kritisch sehen wir auch, dass manche Kliniken anscheinend die Wunscheltern nicht genauer überprüfen und die spanische Klinik anscheinend kein Problem damit hatte, bei einer 55jährigen Frau eine kombinierte Ei- und Samenvermittlung vorzunehmen. Solche Zeugungen sind eigentlich eher vergleichbar mit einer Adoption – für die ein Verfahren mit Kindeswohlüberprüfung erforderlich ist.

Buchempfehlung: „Bin ich ein Klon-Kind?“ von Karin Lebersorger

Im August 2022 erschien das Buch „Bin ich ein Klon-Kind? Beratung, Begleitung und Psychotherapie nach Kinderwunschbehandlung“ von Karin Lebersorger. Lebersorger hat als Psychotherapeutin langjährige Erfahrung in der Begleitung von Wunscheltern vor und nach Familiengründung mit Samen- und Eizellen weiterer Menschen. Dabei verbleibt sie aber nicht in der Wunschelternperspektive, sondern bezieht aktiv die Kinderperspektive ein.

Das Buch gibt zunächst einen knappen Überblick über gegenwärtige technische und rechtliche Möglichkeiten sowie über den psychoanalytischen Hintergrund. Dann schildert sie sehr anschaulich anhand ganz unterschiedlicher Fallbeispiele, welche Herausforderungen sich aus „multipler Elternschaft“ – so bezeichnet Lebersorger die Kombination aus Wunscheltern und weiteren genetischen Elternteilen – für das zwischenmenschliche Familiengeschehen ergeben. Dabei bezieht sie sowohl Samen- als auch Eizell- und Embryonenvermittlung sowie Leihmutterschaft mit ein.

Lebersorgers aktuelles Buch greift vieles von dem auf, was wir auch in unseren Familien beobachten. Wir hoffen, dass das Buch vor allem viele psychosoziale Beratungsfachkräfte erreicht, dass sie die besonderen Herausforderungen bei diesen Familienkonstellationen verstehen.

Ihre Kernbotschaft fasst Lebersorger am Ende ihres Buches in Form von Wünschen für die entstehenden Kinder, Wunscheltern, die Gesetzgebung und psychosoziale Fachkräfte zusammen. Ihr Wunsch für die Kinder lautet:

„…dass ihre Perspektive von allen AkteurInnen in die Entscheidungsprozesse und Handlungsschritte miteinbezogen wird. Dazu zählen Offenheit gegenüber der besonderen Form ihrer Entstehung und Transparenz bezüglich biologisch Anderer, sofern diese miteinbezogen sind. Um nicht in Loyalitätskonflikte zu geraten, benötigen sie elterliche Ermutigung, sich für alle bedeutsamen Anderen zu interessieren und mit ihnen in phantasmatische oder reale Beziehung zu treten.“

(Lebersorger, 2022, S. 149)

Vielen Dank dafür, das wünschen wir uns auch!

Die Position des Vereins Spenderkinder zu Leihmutterschaft

Leihmutterschaft1 ist ein viel diskutiertes Thema, manche fordern die Zulassung zumindest „altruistischer“ Leihmutterschaft auch in Deutschland. Der Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2021 zwischen SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und FDP sieht die Einsetzung einer Kommission vor, die die Möglichkeit der Zulassung von „Eizellspende und altruistischer Leihmutterschaft“ (wir bevorzugen die neutraleren Begriffe „Eizellvermittlung und nicht-kommerzielle Leihmutterschaft“) in Deutschland prüfen soll.

Der Verein Spenderkinder lehnt Leihmutterschaft ab, weil diese gegen die Interessen und gegen die Würde des Kindes verstößt und Menschen zu Handelsobjekten macht. Außerdem verstößt sie häufig gegen die Interessen der Person, die das Kind austrägt. Die Ablehnungsgründe möchten wir in diesem Artikel etwas ausführlicher erklären.

1. Was ist Leihmutterschaft?

Eine Leihmutter trägt bewusst ein Kind für ein Paar oder eine Einzelperson aus und gibt das Kind nach der Geburt an diese ab, üblicherweise gegen Geld oder eine Aufwandsentschädigung.2 Der Begriff der „Leihmutter“ ist beschönigend, weil eine Leihe unentgeltlich ist. Zutreffender wäre eigentlich „Mietmutter“ (um die Entgeltlichkeit zu betonen) bzw. biologische Mutter oder biologischer Elternteil. Wir verwenden den Begriff „Leihmutter“ in diesem Text trotzdem, weil er bekannt ist.

Grund für eine Leihmutterschaft sind meistens Probleme der Wunscheltern, ein Kind selbst auszutragen, oft wegen Fehlbildungen der Gebärmutter oder weil keine Gebärmutter vorhanden ist, aber auch Autoimmunerkrankungen oder die Einnahme bestimmter Medikamente. Zumindest bei sehr erfolgreichen Menschen sind auch Fälle bekannt, bei denen die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit durch eine Schwangerschaft vermieden werden sollte3.

Wenn die eigenen Eizellen der Leihmutter befruchtet werden, ist die das Kind austragende Person nicht nur biologischer Elternteil, sondern auch genetischer Elternteil des Kindes (auf englisch bezeichnet als „traditional surrogacy“). Diese Form ist heute kaum noch üblich, weil auf Grund der genetischen Verwandtschaft zu dem Kind die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass sich die Leihmutter zu sehr an das Kind gebunden fühlt und es nicht abgeben möchte4. In der heute fast ausschließlich angewandten Form trägt die Leihmutter einen mit den Eizellen einer anderen Person gezeugten Embryo aus (etwas beschönigend als „gestational surrogate“ bezeichnet). Es handelt sich für die austragende Person also um ein genetisch fremdes Kind. Die Eizelle kommt meist entweder von einem Wunschelternteil oder von einer weiteren Person, die ihre Eizellen abgegeben hat.

Die Leihmutter wird für das Austragen des Kindes üblicherweise bezahlt (kommerzielle Leihmutterschaft). Der gezahlte Preis hängt von dem Einkommensniveau des Landes ab. In einigen Ländern wie Großbritannien und Griechenland ist nur eine nicht kommerzielle („altruistische“) Leihmutterschaft erlaubt, bei der die Leihmutter nur eine „Aufwandsentschädigung“ erhält. Allerdings muss in diesen Fällen genauer hingesehen werden, wie hoch diese Aufwandsentschädigung auffällt und inwiefern überhaupt kontrolliert wird, dass nicht illegal doch eine Bezahlung vereinbart wird.5

Da genetische bzw. biologische und soziale Elternschaft geplant auseinander fallen, sind Kinder aus Leihmutterschaft Spenderkinder. Das Besondere an der Leihmutterschaft ist dabei, dass vor der Zeugung bereits geplant wird, dass das entstandene Kind nach der Geburt von seiner biologischen Mutter getrennt und anderen Personen übergeben wird. Im Unterschied dazu werden bei einer Adoption geeignete Aufnahme-Eltern für ein bereits gezeugtes oder geborenes Kind gesucht, weil es nicht bei den Geburtseltern bleiben kann. Bei der Vermittlung von Samen- bzw. Eizellen  werden nur die jeweiligen Geschlechtszellen übergeben und nicht ein geborenes Kind. 

2. Rechtslage

2.1 Deutschland

Die Vermittlung von Leihmutterschaft ist in Deutschland strafbar.6 Bestraft werden allerdings nur Vermittler*innen und Ärzt*innen, nicht die Wunscheltern oder die Leihmutter. Ebenfalls nicht erlaubt ist die Vermittlung von fremden Eizellen, die in vielen Fällen zur Leihmutterschaft dazukommt. Nicht bestraft werden allerdings Wunscheltern, die eine Leihmutter in anderen Ländern engagieren. 

Verträge über Leihmutterschaft sind in Deutschland sittenwidrig, weil sie gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen7 und weil sie das entstehende Kind zum Handelsobjekt machen, was es in seiner grundrechtlich garantierten Würde verletzt. Entsprechende Verträge können daher in Deutschland rechtlich nicht durchgesetzt werden.

Auch im deutschen Abstammungsrecht gibt es das Konzept einer Leihmutter nicht. Mutter ist nach § 1591 BGB immer die Frau, die das Kind geboren hat, unabhängig davon, ob sie mit dem Kind genetisch verwandt ist. Damit ist eine Leihmutter rechtlich gesehen immer die Mutter des Kindes.

Wegen des grundrechtlich garantierten Schutzes der Menschenwürde ist es wahrscheinlich, dass Leihmutterschaft in Deutschland nur in sehr engen Grenzen zugelassen werden dürfte. Die FDP fordert die Zulassung nicht-kommerzieller Leihmutterschaft.8 In dem Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und FDP aus dem Jahr 2021 wurde daher vereinbart, dass eine Kommission eingesetzt werden soll, um die Zulassung von „altruistischer“ (also nicht-kommerzieller) Leihmutterschaft zu prüfen.

Auch bei einer „altruistischen“ (nicht-kommerziellen) Leihmutterschaft müsste die Mutter wegen grundrechtlicher Wertungen wohl letztlich die Entscheidung darüber behalten, ob sie das Kind wirklich abgeben möchte, und wie bei der Freigabe zur Adoption eine mehrwöchige Bedenkzeit  erhalten9, vor der die Übergabe des Kindes nicht stattfinden darf. Zudem müsste wie auch bei der Adoption sichergestellt werden, dass die Annahme des Kindes durch andere als seine Geburtseltern in seinem Wohl liegt. Dann besteht aber nur wenig Unterschiede zu einer Adoption und ein neues Rechtsinstitut ist nicht erforderlich.

Allerdings beschäftigen regelmäßig Fälle die deutschen Gerichte, bei denen deutsche Staatsbürger Kinder durch Leihmütter im Ausland austragen lassen.10 Anschließend beantragen sie eine Anerkennung der ausländischen Rechtslage oder einer ausländischen Gerichtsentscheidung in Deutschland oder beantragen eine Einreisegenehmigung für das Kind. Die Tendenz in der deutschen Rechtsprechung geht dahin, dass allein die Zulässigkeit von Leihmutterschaft in einem anderen Land nicht dazu führt, dass das Kind in Deutschland wohnenden Wunscheltern zugeordnet wird. Allerdings können Gerichtsentscheidungen über Leihmutterschaft aus den USA nach einem Beschluss des Bundesgerichtshofs anerkannt werden.11 Dies gilt jedoch nicht für Länder wie die Ukraine oder Russland. In einigen Fällen haben die Wunscheltern jahrelang auf Einreisepapiere für die Kinder gewartet.12 Wenn der Wunschvater auch der genetische Vater des Kindes ist, kann er das Sorgerecht erhalten und der nicht-genetische Elternteil das Kind unter Umständen später adoptieren. Zwar sieht § 1741 Absatz 1 Satz 2 vor: „Wer an einer gesetzes- oder sittenwidrigen Vermittlung oder Verbringung eines Kindes zum Zwecke der Annahme mitgewirkt oder einen Dritten hiermit beauftragt oder hierfür belohnt hat, soll ein Kind nur dann annehmen, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist.“ Das soll jedoch nicht für Leihmutterschaft gelten, sondern Kinderhandel und vergleichbaren Praktiken entgegenwirken.13

Schwierig an der letztlich auf diesem Weg möglichen Anerkennung ausländischer Gerichtsentscheidungen bzw. der Adoption ist, dass damit diejenigen Wunscheltern eine Leihmutterschaft durchsetzen können, die fähig und bereit sind, deutsche Gesetze zu brechen und genügend Geld zu investieren.

2.2 Europa

Kommerzielle Leihmutterschaft ist in den meisten europäischen Staaten nicht erlaubt.14 In einigen Ländern wie zum Beispiel Großbritannien ist eine nicht-kommerzielle Leihmutterschaft erlaubt, bei der die austragende Person aber eine Aufwandsentschädigung zwischen 12.000 und 20.000 Pfund erhält.15 In Griechenland sind nicht-kommerzielle Leihmutterschaften erlaubt, wenn ein Richter sie genehmigt. Voraussetzung ist, dass sowohl die Wunscheltern wie auch die Leihmutter einen ständigen Wohnsitz in Griechenland und ein Näheverhältnis haben. Beides wird bei der Ausstellung richterlicher Genehmigungen aber anscheinend kaum überprüft. Die Personen, die die Kinder austragen, stammen oft aus armen Nachbarstaaten wie Bulgarien, Albanien und der Ukraine.16

In Europa bieten inzwischen insbesondere die Ukraine und Russland Leihmütter an, zum Teil sogar über deutschsprachige Anzeigen über Google Ads oder auf Verbrauchermessen in Deutschland wie den Kinderwunschtagen. In einigen Ländern ist die Rechtslage so ausgestaltet, dass unmittelbar die Wunscheltern als Eltern des Kindes gelten.

Fälle zur Anerkennung von Leihmutterschaft im Ausland haben mehrfach den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) beschäftigt.17 Der EGMR hat ein französisches Gesetz  gerügt, das eine Anerkennung von durch Leihmutterschaft in den USA geborenen Kindern durch den genetischen Vater untersagte.18 Dabei stellt es vor allem auf den Schutz der Kinder ab, die trotz bestehender genetischer Verwandtschaft zum französischen Vater keine offiziell anerkannte rechtliche Bindung herstellen konnten. Der Gerichtshof hat es aber nicht als Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention eingestuft, wenn durch Leihmutterschaft gezeugte Kinder durch den nicht-genetischen Elternteil erst adoptiert werden müssen19 oder wenn eine Adoption eines durch Leihmutterschaft entstandenen Kindes nicht möglich ist, weil keiner der Wunscheltern mit dem Kind genetisch verwandt ist.20

2.3 Weltweit

Weltweit besteht ein erheblicher Leihmutterschaftstourismus, vor allem aus Industriestaaten mit einer teilweise restriktiveren Gesetzeslage in Länder mit geringerem Einkommen.21

Neben grundsätzlichen ethischen Bedenken an Leihmutterschaft (Kinderhandel, Vermeidung emotionaler Beziehung zwischen Mutter und Kind während der Schwangerschaft, geplante Trennung des Kindes von erster Bezugsperson) ist an diesem Tourismus insbesondere bedenklich, dass viele dieser Länder die Wunscheltern nicht überprüfen und die Leihmütter durch Agenturen faktisch ausgebeutet werden. In der Ukraine sind dem Vernehmen nach Verträge üblich, in denen Abzüge bei Komplikationen in der Schwangerschaft drohen und kein Kontakt zwischen Leihmutter und Kind nach der Geburt vorgesehen ist.22

Auch in den USA, wo in einigen Bundesstaaten Leihmutterschaft relativ weit verbreitet und sehr professionalisiert ist,23 werden vor allem Frauen mit geringem Einkommen Leihmütter. Dennoch nehmen Gerichte an, dass die Rechte der Leihmutter und des Kindes in den USA noch am ehesten geschützt werden.

In der Vergangenheit waren Länder mit geringem Einkommensniveau für den Leihmutterschaftstourismus sehr attraktiv, bis sich die bedenklichen Fälle so häufen, dass die entsprechende Regierung Maßnahmen dagegen trifft.24 So wurden in Thailand und Indien Vereinbarungen mit Ausländern über Leihmutterschaft verboten, nachdem regelrechte Babyfabriken entdeckt wurden, in denen sich die schwangeren Leihmütter aufhielten.

Der Leihmutterschaftstourismus funktioniert im Ergebnis, weil die meisten Staaten durch Leihmutterschaft ausgetragene Kinder schließlich doch einreisen lassen, wenn die Wunscheltern dort ansässig sind, auch wenn Leihmutterschaft in dem Herkunftsstaat verboten wird.

Eigentlich müssten international durch die Zusammenarbeit verschiedener Staaten mehr Maßnahmen getroffen werden, um Leihmutterschaftstourismus zu verhindern. Artikel 35 der UN-Kinderrechtskonvention sieht vor, dass alle unterzeichnenden Staaten angemessene nationale, bilaterale und multilaterale Maßnahmen treffen müssen, um die Entführung, den Kauf und den Handel von Kindern in jeglicher Form zu verhindern. Die Konvention ist fast von allen UN-Mitgliedsstaaten mit Ausnahme der USA unterzeichnet worden.

3. Leihmutterschaft aus Sicht des Kindes

Die gezielte Trennung eines Kindes von der Person, die es ausgetragen hat, widerspricht dem Interesse des Kindes. Der große Unterschied zur Adoption ist dabei, dass das Kind bei einer Leihmutterschaft bewusst gezeugt wird, um es an andere Menschen (meist gegen Bezahlung) abzugeben. Bei einer Adoption wird dagegen auf eine Notlage der das Kind austragenden Person reagiert und die annehmenden Eltern unter Berücksichtigung des Kindeswohls ausgesucht.

3.1 Verstoß gegen die Menschenwürde

Wegen der vertraglich vereinbarten Abgabe gegen Geld ist das Kind bei einer Leihmutterschaftsvereinbarung ein Handelsgegenstand. Wird das Kind den Eltern nicht übergeben, erhält die Leihmutter auch kein Geld. Ein handelbares Objekt zu sein, widerspricht der Würde und dem Achtungsanspruch eines Menschen. Strafrechtlich ist die Ausbeutung und der Handel von Menschen in den meisten Staaten verboten. Bei Leihmutterschaft wird dies – meist ohne Angabe von Gründen – anders gesehen. Dabei sollte gerade die Zeugung eines Kindes in der Absicht, es gegen Geld weiterzugeben, für Menschenhandel sprechen.

Auch wenn ein Vertrag über die Übergabe des Kindes geschlossen wird, ohne dass dafür Geld bezahlt werden soll, wird das Kind als Vertragsobjekt betrachtet. Deshalb verstößt auch die nicht-kommerzielle Leihmutterschaft gegen die Würde des Kindes.

3.2 Bewusste Verhinderung einer Beziehung zwischen biologischer Mutter und dem Kind

Leihmutterschaft trennt bewusst die natürliche Beziehung zwischen dem Kind und dem Elternteil, der es ausgetragen hat. Das gesamte Konzept der Leihmutterschaft wird inzwischen so ausgestaltet, dass eine Bindung zwischen der austragenden Person und dem Kind möglichst verhindert werden soll. So werden die Kinder fast ausschließlich per Kaiserschnitt zur Welt gebracht und die das Kind austragende Person darf es nicht stillen.

In den neun Monaten der Schwangerschaft entwickelt das Baby eine Bindung zur austragenden Person, indem es die Stimme, den Herzschlag, Gerüche und Geschmack in der Gebärmutter wahrnimmt. Diese Bindung wird bei der austragenden Person bei normalen Schwangerschaften von Ärzt*innen und Hebammen gefördert. Eine Leihmutter soll sich dagegen emotional von dem Kind abschotten, damit sie es nach der Schwangerschaft abgeben kann. Das liegt nicht im Interesse des Kindes. Babys können ein tiefes unterbewusstes Trauma erleiden, wenn sie von der Person bewusst getrennt werden, die ihnen Schutz und Sicherheit bietet. So ist eine Freigabe zur Adoption immer eine Notlösung aufgrund tragischer äußerer Umstände.  

3.3 Gespaltene und kommerzialisierte Mutterschaft kann für das Kind problematisch sein

Bei Leihmutterschaften wird genetische, biologische und soziale Elternschaft bewusst getrennt. Ein durch Leihmutterschaft entstandenes Kind kann fünf oder mehr Elternteile haben: einen das Kind austragenden biologischen Elternteil, den genetischen Elternteil von dem die Eizelle stammt, den genetischen Elternteil von dem der Samen stammt und einen oder mehrere soziale Wunscheltern.

Die Trennung in biologische, genetische und soziale Elternschaft kann zu Verunsicherung des Kindes führen, wer zu den Eltern zählt und welchen Stellenwert diese innehaben – für das Kind selbst, aber auch für andere Personen, mit denen das Kind in Kontakt kommt. Manche Wunscheltern scheinen sich dieser Probleme durchaus bewusst zu sein: ein schwules Wunschelternpaar wird in dem Buch „Kind auf Bestellung“ so zitiert, dass sie sich entschieden haben, dem Sohn zu erzählen, dass die Leihmutter die Mutter sei, um es nicht noch komplizierter zu machen.25

Für das Kind stellen sich die gleichen herausfordernden Fragen wie für andere Spenderkinder:  „Wie komme ich damit zurecht, dass mein genetischer oder biologischer Elternteil mich – evtl. gegen Geld – abgegeben hat? Was mache ich, wenn der weitere biologische oder genetische Elternteil möglicherweise keinen Wert auf eine soziale Beziehung zu mir legt? Wie kann ich miteinander vereinbaren, dass ich an meiner Abstammung interessiert bin, während sich meine Eltern wünschen, dass vor allem die soziale Beziehung zählt? Welche Art von Beziehung kann zu den genetischen Verwandten eingegangen werden?“

Bei nicht-kommerziellen Leihmutterschaften ist die Leihmutter meistens eine Verwandte der Wunscheltern.26 Das kann für das Kind jedoch schwierig sein, weil sich damit die Familiengrenzen verschieben. Für das Kind kann unklar sein, ob die Leihmutter die Tante / Oma oder die Mutter ist.

Auch wenn die ersten durch Leihmutterschaft entstandenen Menschen erwachsen geworden sind, gibt es bislang keine wissenschaftlichen Langzeitstudien über die Auswirkungen auf die Identitätsentwicklung und wie diese Menschen selbst den Umstand der Spaltung in einen genetischen und einen biologischen Elternteil und grundsätzlich ihre Entstehung erleben. Zwar gibt es Studien, nach denen Kinder und Jugendliche, die mit Leihmutterschaft entstanden sind, ihre Entstehungsweise grundsätzlich positiv sehen, psychopathologisch unauffällig sind und sozial funktionieren.27 Vom „sozialen Funktionieren“ kann jedoch nicht auf das tatsächliche Erleben der Spenderkinder geschlossen werden (siehe auch unser Beitrag „Wie gut geht es Spenderkindern wirklich“ sowie die beiden Blogs Son of a Surrogate und The other side of surrogacy)). Von durch Samenvermittlung gezeugten Menschen weiß man, dass die Entstehungsweise – wie auch bei adoptierten Menschen – häufig erst im Erwachsenenalter an Bedeutung gewinnt, wenn sie sich zunehmend von ihrer Herkunftsfamilie emotional lösen. Es gibt Hinweise darauf, dass – nicht nur in Deutschland – erwachsene Spenderkinder Keimzellvermittlung kritischer sehen, als dies von der Reproduktionsmedizin und Wunscheltern gewünscht ist.

Für die entstehenden Kinder ist es verletzend, wenn der biologische Elternteil sie primär aus finanziellen Interessen bekommen hat, um sie abzugeben. Das gilt auch für die sogenannte altruistische (also nicht-kommerzielle) Leihmutterschaft, weil bereits eine Aufwandsentschädigung einen starken finanziellen Anreiz darstellen kann.

3.4 Gesundheitsgefahren für das Kind

Babys, die mit Eizellen einer anderen als der austragenden Person gezeugt wurden, wie es bei Leihmutterschaft meistens der Fall ist, haben ein erhöhtes Risiko mit einem geringen Gewicht und zu früh zur Welt zu kommen.28 Das gilt selbst im Vergleich zu Babys, die durch eine In-vitro-Fertilisation gezeugt werden, bei der bereits höhere Gesundheitsrisiken bestehen als bei natürlichen Schwangerschaften. Diese Risiken werden mit Gesundheitsgefahren im späteren Leben verbunden wie Herzkrankheiten und Diabetes.

4. Leihmutterschaft als ethisches Problem

Auch aus einer allgemeineren ethischen Perspektive beinhaltet Leihmutterschaft eine Vielzahl an ethischen Problemen: Ausbeutung und Degradierung von Frauen, eine (teilweise sehr weitereichende) Bestimmung über den Körper der austragenden Person und die Verlagerung der Gesundheitsgefahren einer Schwangerschaft und Geburt.

4.1 Ausbeutung der das Kind austragenden Personen

Leihmutterschaft ist wie Kinderarbeit ein Phänomen der Armut.29

Die meisten Personen, die für andere Menschen ein Kind austragen, gehören zu der ärmeren Bevölkerungsschicht. Die “Dienstleistung” wird daher meistens primär aus finanzieller Not angeboten – was angesichts der körperlichen Belastungen durch eine Schwangerschaft und der damit verbundenen Fremdbestimmung nachvollziehbar ist.

Auch in Industriestaaten wie den USA kommt Leihmutterschaft typischerweise nur für ärmere und weniger gebildete Frauen in Frage. Laut dem Bericht Surrogacy in America stammt die durchschnittliche US-Leihmutter aus der unteren Mittel- oder Unterschicht und besitzt eine niedrige Schulbildung und ein geringes Familieneinkommen.30 Aufsehen erregte der Bericht „Her Body, My Baby“ der US Lifestylejournalistin Alex Kuczynski aus dem Jahr 2008, in dem sie über den von ihr als Wunschmutter abgeschlossenen Leihmutterschaftsvertrag berichtet und in dem die Macht- und Geschäftverhältnisse zwischen weißer Auftraggeberin und schwarzer Leihmutter insbesondere durch die dazugehörigen Bilder deutlich werden.

Ein erhebliches Macht- und Informationsgefälle zwischen Wunscheltern und der das Kind austragenden Person gibt es insbesondere bei Leihmutterschaftstourismus in Länder wie Indien, Kambodscha, Thailand und Nepal. So weist Eva Maria Bachinger darauf hin, dass die meisten indischen Leihmütter Analphabetinnen seien und den von ihnen abgeschlossenen Vertrag daher nicht lesen können. Die Verträge würden meistens erst im vierten Schwangerschaftsmonat unterzeichnet, wenn die Frauen nicht mehr zurücktreten könnten und faktisch gezwungen wären, nahezu beliebige Bedingungen zu akzeptieren. Trete im Verlauf der Schwangerschaft ein Problem auf, entschieden die Paare oder die Klinik über einen Abbruch.31

Hiergegen wird oft vorgebracht, dass daher Leihmutterschaft in den Herkunftsstaaten der Wunscheltern zugelassen werden sollten, wo die Bedingungen reglementiert werden könnten. Das ist aber fraglich. Das Hauptmotiv für Wunscheltern, für reproduktive Maßnahmen ins Ausland zu gehen, sind laut einem Bericht des Europäischen Parlaments die damit verbundenen Kosten.32 Man geht dahin, wo es am billigsten ist, auch wenn die eigenen Gesetze liberal sind. Dafür sprechen Erfahrungen mit der Eizellvermittlung: Obwohl in UK die Abgabe von Eizellen zugelassen ist, gehen viele Britinnen hierfür nach Spanien, Tschechien und Griechenland aus, weil das Angebot größer ist und weil es günstiger ist.33

Medizinisches Fachpersonal und Reproduktionskliniken behaupten meistens, dass die Leihmütter vor allem altruistisch motiviert seien und Menschen mit Kinderwunsch helfen wollen. Das sind jedoch typische Verkaufsargumente, die den beunruhigenden Aspekt der Kommerzialisierung verdecken sollen.34 Man möchte den Eindruck vermeiden, dass man ein Kind kaufen kann. Von dieser Argumentation überzeugt ist aber letztlich niemand: Würde man der Leihmutter und ihrer Selbstlosigkeit vertrauen, müsste man keine Verträge mit ihr schließen, die notfalls gerichtlich durchgesetzt werden können.35

Wunscheltern weisen oft darauf hin, dass die Leihmutter ihnen selbst gesagt habe, dass sie sich über ihre Tätigkeit freue und auch nach der Geburt weiterhin Kontakt zu der Familie hat. Was eine Person, die Eizellen oder das von ihr ausgetragene Kind abgibt, zu Wunscheltern und dem medizinischen Fachpersonal sagt, ist aber wohl oft gut überlegt.36 Die Leihmütter sind auf ein gutes Verhältnis zu den Kunden angewiesen (insbesondere falls sie einen Kontakt zu dem Kind wünschen) bzw. auf eine gute Bewertung gegenüber der Agentur, falls sie weitere Folgeaufträge benötigen. Es ist eine Dienstleistung, bei der die Wunscheltern als Kunden ein gutes Gefühl behalten sollen. In Interviews wird deutlich, dass bei kommerzieller Leihmutterschaft vor allem finanzielle Motive bestehen und die austragenden Personen sehr bewusst Gefühle gegenüber dem Kind verhindern.37

Bei der nicht-kommerziellen, oft auch schönfärbend als „altruistisch“ bezeichneten Leihmutterschaft kann eine Aufwandsentschädigung zwischen 12.000 und 20.000 Britischen Pfund, wie sie im Vereinigten Königreich gezahlt wird, einen finanziellen Anreiz darstellen. Ob man hier noch von nicht-kommerzieller Leihmutterschaft bzw. Altruismus sprechen kann, ist fraglich. Bei rein unentgeltlicher Leihmutterschaft für nahe stehende Personen sollte außerdem der erhebliche Druck nicht unterschätzt werden, der bei Leihmutterschaften durch enge Verwandte auftreten kann. Wenn ein Geschwisterkind, das Kind oder eine sehr nahestehende Person nur über eine Leihmutterschaft Eltern werden kann, werden viele es schwierig finden, den Wunsch abzulehnen. Um solchen Druck zu verhindern, besteht bei Organspenden durch Verwandte die Praxis, dass das medizinische Fachpersonal anbietet, den Erkrankten mitzuteilen, dass der Verwandte genetisch nicht passt. Die Bezeichnung als altruistisch passt auch deshalb nicht, weil das beziehungslose Austragen und die Trennung des Kindes nach der Geburt vom austragenden Elternteil nicht dem Wohl des Kindes dienen. 

In der Regel finden sich nur wenige Personen, die bereit sind, ohne finanzielle Gegenleistung ein Kind für andere Menschen auszutragen. In dem Vereinigten Königreich wurden im Jahr 2020 insgesamt 413 Leihmutterschaften registriert, die Nachfrage übersteigt deutlich das Angebot.38 In Australien, wo ebenfalls nur nicht-kommerzielle  Leihmutterschaft zulässig ist, wird die Zahl der Leihmutterschaften auf etwa 100 pro Jahr geschätzt. Häufig wird deswegen auch in Ländern, in denen nicht-kommerzielle Leihmutterschaft zulässig ist, die Forderung erhoben, auch kommerzielle Leihmutterschaft zuzulassen, weil die Nachfrage höher ist.39

Eva Maria Bachinger beschreibt die Mechanismen folgendermaßen: Die Nachfrage wird größer sein als das Angebot. Die Nachfrage schafft das Angebot, wenn Geld fließt. Und eins ist sicher: die größten Profiteure sind die Ärzte und Vermittler.40

Manche fordern eine freie Entscheidung von Frauen, als Leihmutter tätig werden zu können, als Selbstbestimmung von Frauen über ihren Körper. Die Personen, die solche Meinungen vertreten, sind jedoch meistens nicht diejenigen, die ihre Eizellen verkaufen oder Kinder für andere austragen würden. Zumindest kommerzielle Leihmutterschaft ist überwiegend ein Phänomen von Armut. Wunscheltern nutzen damit eine Notlage aus. Eine Entscheidung aus materieller Not heraus ist zwar rational, aber nicht frei. Würde man Leihmüttern die Möglichkeiten eröffnen, sinnvolle, erfüllende Aufgaben anzunehmen, mit fairen Arbeitsbedingungen und zu akzeptablen Löhnen, würden sie diese wohl annehmen. Die Realität ist, dass sie diese Möglichkeiten nicht haben. Diese Tatsache mit Autonomie zu beschönigen, ist unverfroren und zynisch.41 Auch bei einer nicht kommerziellen Leihmutterschaft liegt ein erheblicher Druck auf Menschen nahe,  Freunden/Geschwistern/Kindern den Kinderwunsch zu erfüllen und für sie ein Kind auszutragen.

Hinzu kommt, dass es sich um eine Verpflichtung für mindestens neun Monate handelt, aus der sich die Person, die das Kind austrägt, nicht einfach lösen kann, vor allem wenn eine Schwangerschaft erst einmal besteht. Eine solche Ausbeutung zu verbieten ist auch nicht bevormundend. Aus gutem Grund ist auch der Verkauf von Organen verboten oder die Entscheidung, sich versklaven zu lassen.

4.2 Bestimmung über den Körper der austragenden Person und Verlagerung der Gesundheitsgefahren einer Schwangerschaft

Eine Frau trägt und gebiert ihr Kind auch heuzutage und trotz Hightech Medizin unter Einsatz ihres Lebens und ihrer Gesundheit.42

Eine Schwangerschaft ist emotional und physisch herausfordernd, jedoch normalerweise mit der Vorfreude auf ein Kind verbunden. Für eine andere Person schwanger zu sein, beinhaltet dagegen, sich für Monate für jemand anderen bereit zu halten und Einschränkungen im Privatleben, der Gesundheit und der Arbeit hinzunehmen. Dazu kommt, dass Leihmütter oft eine zusätzlich belastende hormonelle Stimulation erhalten und mehrere Embryonen eingesetzt bekommen und daher oft Mehrlingsschwangerschaften austragen.

Leihmütter müssen sich oft vertraglich verpflichten, einen bestimmten Lebenswandel zu führen, sich mit einer Fruchtwasserpunktion einverstanden zu erklären und den Fötus im Fall einer Behinderung abzutreiben.43 Aus Kalifornien sind Verträge bekannt, nach denen die austragende Person nicht ins Ausland reisen darf, ab der 20. Schwangerschaftswoche auch nicht außerhalb Kaliforniens, keine schweren Gegenstände heben darf (einschließlich ihrer Kinder) und nur nach ärztlicher Genehmigung Geschlechtsverkehr haben darf. Sie muss die Auftraggeber regelmäßig über die Schwangerschaft auf dem Laufenden halten, mailen, anrufen, treffen und Fotos schicken.44

Personen, die mit fremden Eizellen schwanger werden, haben ein deutlich höheres Risiko für Schwangerschaftsvergiftung und hohen Blutdruck.45 Mehrere Leihmütter sind bereits an Schwangerschaftskomplikationen gestorben.46 Dieses Risiko wird in der Regel nicht thematisiert.

Viele Leihmütter berichten außerdem, dass die Wunscheltern und Agenturen sich nach der Geburt des Kindes nicht mehr um sie gekümmert haben, wenn es Folgekomplikationen gab.47 Als Russland die Ukraine im Frühjahr 2022 angriff, verhinderten ukrainische Leihmutterschaftsagenturen Medienberichten zufolge mit Drohungen, dass schwangere Leihmütter aus dem Kriegsgebiet flohen oder ließen sich von den flüchtenden Leihmüttern versichern, dass sie zum Geburtstermin zurück in die Ukraine reisen. Leihmütter wurden gezwungen, einen Tag nach der Geburt im Bunker auf eigene Faust nach Hause zu kommen.48

5. Öffentlich gewordene problematische Leihmutterschaftsfälle

Leihmutterschaftsvereinbarungen können zu schwierigen Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten führen. Es wird immer Fälle geben, in denen die Wunscheltern sich aus der Vereinbarung lösen möchten, eine Abtreibung von der Leihmutter verlangen oder die Kinder nach der Geburt nicht annehmen möchten. Auf der anderen Seite kann es auch Leihmütter geben, die gegenüber dem Kind eine Bindung entwickeln und es nicht abgeben möchten. Das kann bedeuten, dass Gerichte komplizierte und sehr emotionale Fälle über die Herausgabe eines Kindes lösen müssen. Bekannt geworden sind folgende Fälle:

5.1 Leihmutter möchte das Kind nicht abgeben

Ein sehr naheliegender Konflikt ist, dass die Leihmutter das Kind nach der Geburt nicht abgeben möchte. Der erste berühmte Fall dieser Art geschah 1986 im US-Bundesstaat New Jersey und wurde als „Baby M“-Fall bekannt. Das Baby war auch das genetische Kind der Leihmutter, die es wegen der Ähnlichkeiten zu ihren Kindern nach der Geburt nicht abgeben wollte. Das Sorgerecht wurde in erster Instanz den Wunscheltern zugesprochen. Erst der Supreme Court of New Jersey nahm in zweiter Instanz eine Unwirksamkeit der vertraglichen Verpflichtungen an, sprach das Sorgerecht aus Gesichtspunkten des Wohls von Baby M den Wunscheltern zu, weil es zu dem Zeitpunkt bereits eineinhalb Jahre bei diesen gelebt hatte. Seitdem achten Agenturen darauf, fremde Eizellen zu verwenden.

In dem Fall Johnson vs. Calvert im US-Bundesstaat Kalifornien wollte eine Leihmutter im Jahr 1990 das genetisch mit ihr nicht verwandte Kind nach Auseinandersetzungen mit den Wunscheltern ebenfalls nicht abgeben. Alle Instanzen (und letztinstanzlich der Supreme Court of California 199349 entschieden, dass die Wunscheltern als die genetischen Eltern auch die rechtlichen Eltern des Kindes seien, weil sie die Intention zur Elternschaft gehabt hätten. Die Leihmutter sei dagegen nur eine Pflegemutter und Amme.

5. 2 Wunscheltern möchten das Kind nicht annehmen

Regelmäßig gibt es auch Fälle, in denen die Wunscheltern das durch Leihmutterschaft ausgetragene Kind nicht annehmen – meistens weil es behindert ist, zum Teil aber auch ohne Grund.50 Berühmt geworden ist der Fall „Baby Gammy“ im Jahr 2014, bei dem die australischen Wunscheltern den Jungen Gammy, der einen Herzfehler und das Down-Syndrom hatte, bei der thailändischen Leihmutter ließen und nur seine gesunde Zwillingsschwester nach Australien holten. Aber auch in der Ukraine gibt es mehrere Fälle von Leihmutterschaftskindern, die von den Wunscheltern nicht angenommen wurden.51

In Australien wollte ein Paar ein durch Leihmutterschaft geborenes Kind nicht annehmen, weil die Reproduktionsklinik versehentlich den Samen eines fremden Mannes und nicht des Ehemannes verwendet hatte.52

5. 3 Wunscheltern verlangen Abtreibung

In fast allen Leihmutterschaftsverträgen wird die Leihmutter verpflichtet, bei einer Schwangerschaft mit mehreren Kindern oder bei Krankheit der Kinder diese auf Verlangen der Wunscheltern abzutreiben. In den USA versuchte ein alleinstehender Wunschvater die Leihmutter zu einer Abtreibung von einem von drei Embryonen zu zwingen, weil er nicht drei Kinder haben wollte. Als sie sich weigerte, drohte er, sie finanziell mit einer Schadensersatzklage wegen einer Vertragserletzung zu ruinieren. In einem anderen Fall brachte eine Leihmutter das erkrankte Kind gegen den Willen der Wunscheltern zur Welt, die ihr 10.000 Dollar für eine Abtreibung zusätzlich anboten und sie verklagten. In einem Fall wollten die Wunscheltern ohne besonderen Grund keine Kinder mehr bekommen53

5.4 Zweifel an der Eignung der Wunscheltern

Zum Teil beauftragen Menschen Leihmutterschaften, die vermutlich kein Kind hätten adoptieren dürfen. So war der Wunschvater in dem Baby Gammy Fall wegen Kindesmissbrauchs verurteilt. Gegen einen Wunschvater in den USA ermittelte das FBI wegen sexueller Gewalt gegen Minderjährige und Menschenhandel mit Kindern.54 Ein alleinstehender Japaner ließ 13 Kinder durch thailändische Leihmütter austragen, um seinen Kinderwunsch zu befriedigen.

6. Kommission zur Zulassung der „altruistischen“ (nicht-kommerziellen) Leihmutterschaft in Deutschland

Die im Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2021 angekündigte Kommission, die die Zulassung von „Eizellspende und altruistischer Leihmutterschaft“ in Deutschland diskutieren soll, wird derzeit erst eingesetzt. Wir hoffen, dass in dieser Kommission auch Personen vertreten sein werden, die die Perspektive der betroffenen Kinder vertreten – und nicht nur solche, die die Interessen von  Wunscheltern und der Reproduktionsindustrie repräsentieren.

Wir sind gespannt, welche Antworten die Kommission zu den folgenden Fragen finden wird:

  • Wie kann sichergestellt werden, dass eine Leihmutterschaft tatsächlich nicht-kommerziell ist? Wer überprüft das?
  • Soll eine Leihmutterschaft nur mit Eizellen und Samen der Wunscheltern möglich sein oder dürfen auch Eizellen und Samen weiterer Personen verwendet werden?
  • Wenn es eine Aufwandsentschädigung geben soll, wird die Höhe dann festgelegt? Wie wird sichergestellt, dass die Aufwandsentschädigung für arme Personen nicht doch einen finanziellen Anreiz darstellt? Wie wird sichergestellt, dass es keine zusätzlichen Zahlungen oder anderweitigen Zuwendungen gibt?
  • Erfolgt eine Aufwandsentschädigung für den tatsächlichen Aufwand, d.h. z.B. für den Transfer des Embryos und ggf. begleitende Hormonstimulation sowie für die eingegangenen Risiken und die aufgewendete Zeit oder für die Übergabe eines Kindes?
  • Soll für Leihmutterschaften geworben werden können?
  • Wie kann sichergestellt werden, dass die austragende Person die Entscheidung frei trifft und nicht auf Grund von sozialem Druck?
  • Wie kann sichergestellt werden, dass die austragende Person in ausreichendem Maße über die Gesundheitsgefahren informiert wird, die mit jeder Schwangerschaft verbunden sind, sowie mit den zusätzlichen Risiken einer Schwangerschaft mit fremden Eizellen?
  • Kann die Person, die das Kind zur Welt gebracht hat, sich entscheiden, dass sie Elternteil bleiben und das Sorgerecht ausüben möchte? Wie kann verhindert werden, dass eine eventuelle Pflicht zur Rückzahlung der Aufwandsentschädigung faktisch Druck ausübt, die Vereinbarung einzuhalten und das Kind abzugeben?
  • Gibt es Mechanismen zur Überprüfung, dass die Übergabe an die Wunscheltern auch dem Kindeswohl entspricht?
  • Kann es verantwortet werden, die geplante Zeugung eines Kindes zu erlauben und rechtlich abzusichern, das nach der Geburt absichtlich von seiner ersten, unmittelbaren Bezugsperson getrennt wird?
  • Wie wird es gegenüber dem Kind verantwortet, dass die Leihmutter in den neun Monaten Schwangerschaft keine emotionale Bindung zu ihm aufbauen soll?

7. Links

Leihmuttterschaft /Eizellenspende aus Sicht des Kindes – Youtube Video von Spenderkinder-Helen, die in den USA entstanden ist.

Son of a Surrogate und The other side of surrogacy (zwei englischsprachige Blogs, in denen mit Leihmutterschaft entstandene Menschen von ihren Erfahrungen berichten)

Verein Stoppt Leihmutterschaft

The Center for Bioethics and Culture Network (CBC)

Das Geschäft mit dem Kinderwunsch – Film von Julia Kaulbars.

#BigFertility: It’s All About The Money

Breeders: A Subclass of Women? (2014)

Google Baby (2009) Dokumentarfilmüber Leihmutterschaft in Indien (Trailer)

Eva Maria Bachinger, Kind auf Bestellung – Ein Plädoyer für klare Grenzen, Deuticke 2015.

Andreas Bernard, Kinder machen – Samenspender, Leihmütter, Künstliche Befruchtung. Neue Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Familie. S. Fischer 2014.

  1. Wir verstehen den Begriff der „Leihmutter“ im Folgenden vom Geschlecht unabhängig als die Person, die ein Kind zur Welt bringt. []
  2. siehe auch die Legaldefinition der „Ersatzmutter“ in § 13a Adoptionsvermittlungsgesetz. []
  3. zum Beispiel bei Schauspieler*innen oder Manager*innen). Zunehmend stellen auch schwule Paare die Zielgruppe von Leihmutterschaftsagenturen dar. ((Leihmutterschaft wird fälschlicherweise oft als einzige Möglichkeit dargestellt, mit der schwule Paare Kinder bekommen könnten – was die Möglichkeit von Co-Parenting mit einer Frau oder einem Paar völlig ignoriert. []
  4. so geschehen in dem Fall „Baby M.“ in den USA im Jahr 1986. []
  5. Zu Griechenland siehe Das ist nicht ihr Baby, Zeit vom 24.5.2019. []
  6. §1 Absatz 1 Nummer 7 Embryonenschutzgesetz, § 13c i. V. m. § 14b Adoptionsvermittlungsgesetz. []
  7. Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 138 Rn. 48 []
  8. siehe Interview mit der FDP-Bundestagsabgeordneten Katrin Helling-Plahr, Die Legalisierung der Leihmutterschaft ist überfällig, Redaktionsnetzwerk Deutschland 1.1.2020. []
  9. § 1747 Absatz 2 BGB Satz 1 BGB sieht vor, dass die Einwilligung in die Freigabe zur Adoption erst erteilt werden kann, wenn das Kind acht Wochen alt ist. []
  10. Zusammenfassend siehe Oldenburger, Die Abstammung von Leihmütterkindern, in Neue Zeitschrift für Familienrecht 2020, S. 457 ff. []
  11. BGH, Beschluss vom Beschl. v. 5.9.2018, Az. XII ZB 224/17, besprochen in der Legal Tribune Online. []
  12. siehe z. B. Warnung der deutschen Botschaft in Indien vor indischen Leihmutterschaften; Gesetzesbruch für den Kinderwunsch, Tagesspiegel vom 27.3.2018 []
  13. Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 1741 Rn. 6. []
  14. für einen Überblick siehe Europäisches Parlament, Generaldirektion für interne Politikbereiche, Das System der Leihmutterschaft in den EU-Mitgliedstaaten, 2013. []
  15. siehe Informationstext der britischen Regierung; Surrogacy is absolutely what I want to do, BBC News 22.9.2021. []
  16. Das ist nicht ihr Baby, Zeit vom 24.5.2019; Eva Maria Bachinger, Kind auf Bestellung – Ein Plädoyer für klare Grenzen, Deuticke 2015, S. 116. []
  17. siehe Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2018. []
  18. EGMR, Urteil vom 26. Juni 2014, Mennesson gegen Frankreich, Beschwerde-Nr. 65192/11, deutsche Übersetzung NJW 2015, S. 3211. []
  19. EGMR, Urteil vom 16.07.2020 – Beschwerde-Nr. 11288/18, Paradiso u. Campanelle gegen Italien. []
  20. EGMR, Beschwerde-Nr. 25358/12, Besprechung in der Legal Tribune Online vom 25.1.2017. []
  21. siehe Überblick über die Rechtslage und Kosten in der NZZ vom 19.4.2022, Babys im Luftschutzkeller: Der Krieg in der Ukraine wirft ein Schlaglicht auf das Geschäft mit der Leihmutterschaft. []
  22. NZZ vom 19.4.2022 Babys im Luftschutzkeller: Der Krieg in der Ukraine wirft ein Schlaglicht auf das Geschäft mit der Leihmutterschaft. []
  23. Einige US-Bundesstaaten verbieten Leihmutterschaft aber auch. In Kalifornien, wo etwa die Hälfte aller Leihmutterschaftsverträge abgeschlossen werden, bestehen keine rechtlichen Regelungen zu Leihmutterschaft. []
  24. siehe Das Geschäft mit dem Frauenbauch, Handelsblatt vom 31.12.2016. []
  25. Eva Maria Bachinger, Kind auf Bestellung – Ein Plädoyer für klare Grenzen, Deuticke 2015, S. 56. []
  26. siehe z. B. Ein Fall in Brasilien, bei dem die Mutter die Leihmutter für ihren schwulen Sohn war. []
  27. siehe z. B. V. Jadva, S. Imrie: Children of surrogate mothers: psychological well-being, family relationships and experiences of surrogacy; Human Reproduction, Vol. 29 (1), S. 90–96 []
  28. Mariano Mascarenhas, Sesh Kamal Sunkara, Belavendra Antonisamy, Mohan S Kamath: Higher risk of preterm birth and low birth weight following oocyte donation: A systematic review and meta-analysis; Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 2017 Nov;218:60-67. []
  29. Eva Maria Bachinger, Kind auf Bestellung – Ein Plädoyer für klare Grenzen, Deuticke 2015, S. 131. []
  30. Eva Maria Bachinger, Kind auf Bestellung – Ein Plädoyer für klare Grenzen, Deuticke 2015,S. 99. []
  31. Eva Maria Bachinger, Kind auf Bestellung – Ein Plädoyer für klare Grenzen, Deuticke 2015, S. 121. []
  32. Europäisches Parlament, Generaldirektion für interne Politikbereiche, Das System der Leihmutterschaft in den EU-Mitgliedstaaten, 2013. []
  33. Eva Maria Bachinger, Kind auf Bestellung – Ein Plädoyer für klare Grenzen, Deuticke 2015, S. 86. []
  34. Eva Maria Bachinger, Kind auf Bestellung – Ein Plädoyer für klare Grenzen, Deuticke 2015, S. 98. []
  35. Eva Maria Bachinger, Kind auf Bestellung – Ein Plädoyer für klare Grenzen, Deuticke 2015, S. 90. []
  36. Das ist nicht ihr Baby, Zeit vom 24.5.2019, Eva Maria Bachinger, Kind auf Bestellung – Ein Plädoyer für klare Grenzen, Deuticke 2015, S. 112. []
  37. Ich bin nicht Mutter Teresa„: Warum eine Ukrainerin zur Leihmutter wurde, Deutsche Welle 14.6.2020. []
  38. Surrogacy is absolutely what I want to do‚, BBC 22.9.2021. []
  39. so zum Beispiel in Australien, wo argumentiert wurde, Paare seien deswegen gezwungen, nach Indien auszuweichen – Eva Maria Bachinger, Kind auf Bestellung – Ein Plädoyer für klare Grenzen, Deuticke 2015, S. 86-87. []
  40. Eva Maria Bachinger, Kind auf Bestellung – Ein Plädoyer für klare Grenzen, Deuticke 2015, S. 114. []
  41. Eva Maria Bachinger, Kind auf Bestellung – Ein Plädoyer für klare Grenzen, Deuticke 2015, S. 131. []
  42. Eva Maria Bachinger, Kind auf Bestellung – Ein Plädoyer für klare Grenzen, Deuticke 2015, S. 131. []
  43. Andreas Bernard, Kinder machen – Samenspender, Leihmütter, Künstliche Befruchtung. Neue Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Familie. S. Fischer 2014, S. 273. []
  44. Eva Maria Bachinger, Kind auf Bestellung – Ein Plädoyer für klare Grenzen, Deuticke 2015, S. 123-124. []
  45. D. H. Adams, R. A. Clark, M. J. Davies and S. de Lacey: A meta-analysis of neonatal health outcomes from oocyte donation, Journal of Developmental Origins of Health and Disease (2016), 7(3), 257–272; Y. B. Jeve, N. Potdar, A. Opoku, M. Khare; Donor oocyte conception and pregnancy complications: a systematic review and meta-analysis, BJOG 2016 Aug;123(9):1471-80. []
  46. Birth of a Baby, Death of a Mother: A Secondhand Victim of Surrogacy Speaks Out, CBC 13.6.2022; Nachruf für Lydia Katherine Cox, verstorben am 18.7.2021; Calif. Mother of 2 Who Was on Her Second Surrogacy for Another Family Dies Giving Birth, People 21.1.2020; Delhi: 42-year-old woman who died is case study against commercial surrogacy, The Indian Express 1.10.2019. []
  47. Swissinfo vom 28.4.2022, Der Krieg wirft ein Licht auf die Leihmutterschaft in der Ukraine. []
  48. Ukrainische Leihmütter zwischen den Fronten, Deutsche Welle vom 28.3.2022. []
  49. Urteil des California Supreme Court vom 20.5.1993 []
  50. Viral TikTok Shows The Dark Side of Surrogacy, Reduxx 11.5.2022 []
  51. Damaged babies and broken hearts: Ukraine’s commercial surrogacy industry leaves a trail of disasters, ABC Net 9.8.2019. []
  52. I hired a surrogate and now I don’t want the baby‚, Kidspot 8.11.2021. []
  53. Infants Born Through Surrogacy Contracts Cannot Be Canceled or Returned, Bill of Health (blog of the Petrie-Flom Center at Harvard Law School), 8.2.2021. []
  54. My Surrogacy Nightmare, CBC 4.2.2021. []

WDR-Sendung „Anonym gezeugt“ in der Reihe Planet Wissen am 29. September 2022 mit Spenderkinder-Mitglied Anne

In der Folge „Anonym gezeugt – Wenn Spenderkinder ihre Väter suchen“ vom 29. September 2022 ist die Psychologin und Mit-Gründerin des Vereins Spenderkinder, Anne Meier-Credner, zu Gast bei Planet Wissen und berichtet u.a. über die psychosozialen Herausforderungen von Spenderkindern. Die Sendung kann noch bis 2027 über die Mediathek aufgerufen werden.

Ergänzende Info: Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung wurde 2013 auch für Spenderkinder bestätigt. Es gilt auch für alle vorher gezeugten Spenderkinder. Darauf wies bereits 1970 die Bundesärztekammer hin. Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung gilt außerdem nicht erst ab einem bestimmten Alter, sondern von Anfang an. Spenderkinder, die noch nicht 16 Jahre alt sind, brauchen eine rechtliche Vertretung (z.B. durch ihre Eltern), wenn sie ihr Recht wahrnehmen möchten.

Dokumentation Our Father auf Netflix

Auf Netflix ist seit Mitte Mai die Dokumentation „Our Father“ abrufbar (Trailer und mehr Hintergrundinformationen).

Die Dokumentation erzählt – fast im Stil eines Thrillers – die fast unglaubliche Geschichte der US-Amerikanerin Jacoba Ballard und ihrer inzwischen fast 100 Halbgeschwister. Sie finden über DNA-Datenbanken heraus, dass ihr genetischer Vater der Reproduktionsmediziner ihrer Mütter ist, Dr. Donald Cline. Manche der Halbgeschwister wussten nicht, dass sie durch eine Samenspende gezeugt wurden, bei anderen wussten es noch nicht einmal die Eltern, weil eigentlich das Sperma des Ehemannes verwendet werden sollte.

Viele der Halbgeschwister wohnen in einem Umkreis von nur 40 km, manchen kannten sich vorher. Dr. Cline wurde schließlich zwar strafrechtlich verurteilt, aber nur wegen „Obstruction of Justice“ („Behinderung der Justiz“). Dass er sich ohne Wissen der Mütter als Spender eingesetzt hat, erfüllt keinen Straftatsbestand in den USA.1 Inzwischen haben Betroffene in einigen US-Bundesstaaten erreicht, dass dieses Verhalten in Zukunft unter Strafe gestellt wird.2

In teilweise sehr emotionalen Interviews erzählen die Halbgeschwister und ihre Mütter, welche Auswirkungen diese Enthüllungen auf sie hatten und wie sie versuchen, Antworten auf ihre Fragen von Dr. Cline zu bekommen – vor allem was ihn dazu motiviert hat, sich selbst als Spender einzusetzen und so viele Kinder zu zeugen. Hinzu kommt, dass Dr. Cline einige Vorerkrankungen hat, auf Grund derer er vermutlich nie offiziell seinen Samen hätte abgeben dürfen. Während das Ansehens muss man sich teilweise daran erinnern, dass es sich um einen echten Fall handelt.

Der „Fall“ zeigt, wie wichtig rechtliche Regelungen sind, um die entstandenen Menschen und auch „Wunscheltern“ zu schützen, und wie wichtig es ist, überhaupt über dieses Thema der „Spende“ in der Öffentlichkeit zu reden und hierüber aufzuklären, um Menschen wie Dr. Cline nicht freie Bahn zu lassen.

Der Verein Spenderkinder weiß von inzwischen vier Fällen in Deutschland, in denen der Arzt sein eigenes Sperma ohne Wissen der Empfänger verwendet hat. Der bekannteste Fall ist der von Prof. Dr. Thomas Katzorke, einem der bekanntesten Reproduktionsmediziner Deutschlands, Mitgründer der Klinik Novum in Essen und langjährigen Vorsitzenden des Arbeitskreises Donogene Insemination.3 Anders als in den USA handelt es sich aber (bislang) um Einzelfälle, weil die betroffenen Spenderkinder noch keine Halbgeschwister gefunden haben.

Viele Reproduktionsmediziner haben sich in den 70er und 80er Jahren anscheinend als über den Gesetzen und anderen moralischen Regeln stehend betrachtet. Dass sie sich auch als hervorragenden genetischen Elternteil angesehen haben, liegt nahe. Daher ist es wahrscheinlich, dass mehr Fälle in den nächsten Jahren ans Licht kommen werden, weil sich erst langsam mehr Menschen in Deutschland bei DNA-Datenbanken eintragen.

Eine Parallele gibt es jedoch, denn auch im Verein Spenderkinder zeigt sich, dass es einige schon recht große Halbgeschwistergruppen gibt (siehe der Beitrag „100 Halbgeschwister und mehr?“). Wir setzen uns daher dafür ein, dass durch den Samen einer Person nur eine bestimmte Anzahl von Familien entstehen darf, und dass dies durch das Samenspenderregister kontrolliert wird.

  1. Das ist in Deutschland ebensowenig der Fall, es stellt vermutlich nur eine Körperverletzung dar, die jedoch schnell verjährt. []
  2. Sog. Fertility Fraud. []
  3. siehe Die Zeit vom 14.2.2019, Tief in den Genen, (paywall []

Treffen der Spenderkinder aus Bad Pyrmont

Anfang Mai fand haben sich mehrere Spenderkinder in Bad Pyrmont getroffen, die an der dortigen Klinik gezeugt wurden. Es war ein tolles und spannendes Treffen mit viel Austausch, interessanten Informationen und guten Gesprächen!


Die Gruppe besuchte die ehemalige Klinik von Dr. Schaad und das Stadtarchiv . Außerdem trafen sie eine Redakteurin der Bad Pyrmonter Nachrichten, die schon länger zu der Geschichte der Klinik recherchierte und in den Bad Pyrmonter Nachrichten einen Artikel über die Geschichte der Klinik und das Spenderkinder-Treffen (Paywall) veröffentlicht hat.

Die Spenderkinder aus Bad Pyrmont – Foto von Annette Schrader Fotografie.

Vor 40 Jahren wurde das erste deutsche Retortenbaby geboren – ein Beitrag im Deutschlandfunk am 18. April 2022

1982 wurde in Deutschland das erste Kind nach In-vitro-Fertilisation (IVF) geboren. Ein Beitrag im Deutschlandfunk ist diesem runden Geburtstag gewidmet: Vor 40 Jahren wurde das erste deutsche Retortenbaby geboren. Samenvermittlung findet offiziell bereits seit 1970 statt.*1 Beiden Verfahren gemein ist, dass sie möglichst Erfolge vorweisen mussten, um sich zu bewähren. Rasch entwickelte sich ein Markt, der „Kinderwunschbehandlungen“ anbietet. 1990 gab es bereits 63 „Kinderwunschzentren“ – mittlerweile sind es über 140.

In den sogenannten „Pioniertagen“ der Reproduktionsmedizin wurde frisches Sperma (im Unterschied zu heute tiefgekühltem) verwendet. Ärzte waren darauf angewiesen, dass stets ein „Spender“ verfügbar war, wenn die Patientin am Tage ihres Eisprungs zur Befruchtung in die Praxis kam. Es ist bekannt, dass einige Reproduktionsmediziner auch ihr eigenes Sperma verwendeten – womöglich, um den „Erfolg“ nicht zu gefährden, wenn ein „Spender“ kurzfristig nicht verfügbar war. Es liegt nahe, dass die „Spender“ der ersten Jahre Männer waren, die die Ärzte gut kannten, auf die sie sich verlassen konnten. Unsere Halbgeschwistertreffer und Auskünfte ehemaliger „Samenspender“ zeigen, dass einige Männer über viele Jahre, manche sogar über Jahrzehnte, Samen zur Zeugung von Kindern abgaben. Teilweise wurden über 100 Schwangerschaften durch den Samen eines Mannes dokumentiert. Bis heute gibt es keine verbindliche Grenze und Hinweise, dass häufig sehr viele Kinder durch den Samen eines Mannes entstehen: 100 Halbgeschwister und mehr

Den Preis für den „Erfolg“ der Anfangsjahre bezahlen Spenderkinder, wenn Ärzte behaupten, sie könnten ihnen keine Auskunft geben, weil sie nicht wüssten, wer die genetischen Väter sind.

Ein Geburtstagswunsch nach 40 Jahren: Wir wünschen uns erkennbare Bemühungen von Seiten der Reproduktionsmedizin zur Aufklärung unserer Herkunft.

  1. und in der Regel ohne IVF []

100 Halbgeschwister und mehr?

Aus den USA ist es schon bekannt: Gruppen mit mehr als 100 Halbgeschwistern, die denselben genetischen Elternteil haben. Auch im Verein Spenderkinder haben DNA-Tests bewiesen, dass esmehrere große Halbgeschwistergruppen gibt. Wir haben fünf Halbgeschwistergruppen, die aus 7 bis 9 Familien bestehen1. Da sehr viele Spenderkinder in Deutschland nichts von ihrer Zeugungsart wissen, dürften viele Halbgeschwistergruppen tatsächlich noch erheblich größer sein. Von einem Reproduktionsmediziner wissen wir aus Praxisaufzeichnungen, dass er teilweise über 100 durch einen Mann erzeugte Schwangerschaften dokumentierte. Bei zwei Reproduktionsmedizinern vermuten wir, dass sie jeweils nur einen Spender hatte, da bislang alle Spenderkinder aus diesen Praxen sich als Halbgeschwister herausgestellt haben. Durch die zunehmende Verbreitung von DNA-Datenbanken und die Durchsetzung des Rechts von Spenderkindern auf Kenntnis ihrer Abstammung werden solche Vorgänge zunehmend nachvollziehbar und aufgedeckt.

Keine gesetzliche Obergrenze in Deutschland

Eine gesetzliche Grenze für die Anzahl der Kinder, die durch den Samen einer Person durch Samenvermittlung entstehen, gibt es in Deutschland nicht. In der „(Muster-)Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion“ fand sich von 2006 bis 2018 die Vorgabe, dass durch einen Spender nicht mehr als zehn Schwangerschaften erzeugt werden sollten.2 Ob diese standesrechtlichen Regelungen jedoch tatsächlich verbindlich waren, ist umstritten, weil die Ärzte bis zum Inkrafttreten des Samenspenderregistergesetzes im Jahr 2018 nicht verpflichtet waren, die durch eine Person gezeugten Kinder nachzuverfolgen und zu dokumentieren. Die Ärztekammer Nordrhein wies im Jahr 2015 auf eine Beschwerde des Vereins Spenderkinder darauf hin, dass diese Richtlinie nur nachrangig anwendbar sei und die Forderung nach einer Obergrenze in den politischen Raum gebracht werden sollte. Außerdem könne daraus, dass ein Mann über eine sehr lange Zeit Samen abgegeben habe, nicht darauf geschlossen werden, dass hierdurch eine erhebliche Zahl von Kindern gezeugt würde. In der aktuellen Version der „Richtlinie zur Entnahme und Übertragung von menschlichen Keimzellen im Rahmen der assistiertenReproduktion“ aus dem Jahr 2018 findet sich keine Aussage mehr zu einer Obergrenze. Grund hierfür ist, dass der Vorstand der Bundesärztekammer m Februar 2015 beschlossen hatte, die medizinisch- wissenschaftlichen Fragestellungen klar von den gesellschaftspolitischen Aspekten zu trennen.

Dem Verein Spenderkinder ist bekannt, dass manche Menschen bei deutschen Samenbanken oder an deutsche Reproduktionsmediziner bis über 20 Jahre regelmäßig Samen abgegeben haben. Bei einer Abgabe über einen solch langen Zeitraum liegt es nahe, dass wesentlich mehr als zehn Kinder entstanden sind, wie z.B. die Dokumentation des Münchner Arztes zeigt, der bis über 100 erzeugte Schwangerschaften durch einen einzelnen Spender festgehalten hat. Einige Menschen haben zudem an mehreren Kliniken oder Samenbanken Samen abgegeben. Ein Arzt, bei dem eine sehr große Halbgeschwistergruppe entstand, äußerte sich hierzu, dass es zu teuer wäre, wenn man den Samen einer Person nur für wenige Paare verwenden würde, außerdem gäbe es nicht so viele abgabebereite Personen.

Einige Samenbanken äußern zumindest öffentlich, dass sie sich bemühen, eine gewisse Anzahl an Kindern nicht zu überschreiten. Wie genau sie das sicherstellen, ist jedoch nicht nachvollziehbar und auch nicht überprüfbar. Insbesondere ist momentan aber auch keine rechtliche Verpflichtung dazu erkennbar. Bei einer deutschen Samenbank, die derzeit einen öffentlich einsehbaren Spenderkatalog anbietet, werden 5 Personen aufgeführt, bei denen über 30 Einheiten Samen verfügbar sind. In einem Fall waren sogar 74 Einheiten verfügbar. Auch wenn sicherlich nicht jede künstliche Befruchtung mit dem Samen dieser Personen erfolgreich sein wird, ist doch davon auszugehen, dass bei so vielen verfügbaren Einheiten mehr als 10 Kinder gezeugt werden – zusätzlich zu vermutlich bereits gezeugten Kindern.

Andere Länder sind hier weiter: In Großbritannien dürfen die Keimzellen einer Person nur für 10 Familien verwendet werden. Diese Obergrenze wird durch die Regulierungsbehörde HFEA kontrolliert. In Belgien dürfen nur 6 Frauen durch den ärztlich vermittelten Samen einer Person schwanger werden, allerdings sind mehrere Kinder pro Frau erlaubt (Art. 55 Loi relative à la procréation médicalement assistée). Die Schweiz hat eine Obergrenze von acht Kindern (Art. 22 Abs. 4 FMedG).

Zu viele Halbgeschwister sind für viele Spenderkinder belastend

Aus Sicht der Vereins Spenderkinder ist eine Begrenzung der Anzahl der durch eine Person über eine ärztliche Samenvermittlung gezeugten Kinder unbedingt notwendig. Zu diesem Thema haben wir unsere Mitglieder befragt, die schon relativ viele Halbgeschwister gefunden haben, ihre Aussagen geben wir in kursiver Schrift wieder.

Bezüglich der Anzahl der Halbgeschwister: also ich denke ab 20-30 wird es schon schräg. Vorausgesetzt alle suchen den Kontakt. Spätestens ab 50 wird es vermutlich unangenehm. Eine gesetzliche Grenze? Ja, definitiv. Ich finde die Größenordnung 10 erfolgreiche Spenden sollten nicht überschritten werden.

Ich fände es auf jeden Fall gut, wenn es dazu feste Grenzen gäbe. Das würde dann auch die Ungewissheit beseitigen, wie viele mögliche Halbgeschwister dort wohl sein mögen. 100 oder 200 finde ich deutlich zu viel. Ich hätte nichts dagegen, wenn es bei meinen 14 Geschwistern bleibt, denke aber es sollten nicht mehr als 20 werden.

Zwar freuen sich die meisten Spenderkinder über Halbgeschwister.

Ich war in der komfortablen Situation, dass mir nach und nach mehr Geschwister angezeigt wurden und ich sie nach und nach kennenlernen konnte und nicht mit einer großen Menge zu Beginn abgeschreckt war. So könnte es aus meiner Sicht auch eine Weile weitergehen, ruhig auch bis 20 oder mehr, da ja auch nicht alle den Kontakt wünschen oder man sicher nicht zu allen hingezogen sein wird, was ja bei uns in der Gruppe auch teilweise der Fall ist. Momentan finde ich jeden Treffer noch sehr aufregend und freue mich sehr, Kontakt mit den neuen Geschwistern zu haben.

Ich habe die Tatsache, viele Halbgeschwister zu haben, nicht als „Belastung“ wahrgenommen. Es war am Anfang eher eine Überraschung und sehr unerwartet von Null Treffern auf so viele Halbgeschwister zu treffen. Das Gefühl bei den Treffern hat sich dementsprechend auch verändert: Anfangs war es super aufregend und man konnte es kaum fassen. Jetzt hat man sich daran gewöhnt, die Neugier auf die neue Person bleibt aber natürlich.

Je mehr Halbgeschwister es gibt, desto eher kann jedoch das Gefühl entstehen, aus einer „Massenproduktion“ zu stammen.

Mein Erzeuger war bei der Zeugung von bis zu 400 Kinder beteiligt. Als ich davon im ersten Gespräch mit einem Halbbruder erfahren habe, war ich erstmal überrascht. Es ging mir nie darum, dass ich eine von vielen und so weniger wert bin. Der Erzeuger hat ja vermutlich eh keine Bindung zu uns gehabt. Doch ich musste mich mehrere Tage erstmal fragen was für eine Person er sein muss, wenn er so viele Male seine Gene verantwortet hat. Dementsprechend fand ich es schon sehr schockierend.

Ich weiß, dass vor allem bei unseren ehelichen Geschwistern der Gedanke der Entwertung eine Rolle spielt. Meinem Gefühl nach gehen sie mit jedem neuen Geschwister mehr auf Abstand. Wären wir nur ein oder zwei Spenderkinder, schätzte ich die Wahrscheinlichkeit für eine enge Beziehung höher ein.

Jedes neue Geschwisterkind bedeutet außerdem eine mentale Anpassung, eine Erweiterung der Familie und der bestehenden Beziehungen.

Würden mir 20 oder mehr Halbgeschwister angezeigt, wäre das ein zusätzlicher Schock mit dem ich eine ganze Weile bräuchte um einen Umgang damit zu finden. Je mehr Halbgeschwister, desto schwieriger.

Ich fühle mich verpflichtet, künftige Halbgeschwister mit offenen Armen zu begrüßen, aber ich habe es mir auch nicht ausgesucht, dies eventuell 50 mal tun zu müssen.

Aktuell kann ich mir nicht vorstellen, zu weiteren, neu dazu kommenden Menschen eine enge Beziehung aufzubauen, einfach aus Kapazitätsgründen. Und irgendwie wären dann auch erstmal diejenigen dran, zu denen ich jetzt aktuell schon keine enge Beziehung habe.

Je größer die Gruppe ist, desto unpersönlicher wird es.

Es war etwas merkwürdig, dazu zu kommen. Alle kannten sich schon, teilweise sehr gut. Man kann sich so auch schnell etwas abgehängt fühlen. Ich glaube das wird neuen Generationen sogar eher mal passieren.

Bei sehr vielen Halbgeschwistern ist es auch für den genetischen Elternteil kaum möglich, alle als Individuen wahrzunehmen, wenn die Spenderkinder – was wahrscheinlich ist – früher oder später Kontakt zu ihm aufnehmen.

Viele Mitglieder unseres Vereins schildern es als besonders belastend, dass sie nicht wissen, wie viele andere Geschwister sie in der Zukunft noch entdecken werden – 5 oder 100.

Es bleibt die Ungewissheit, wie viele Treffer noch kommen werden und wie viele Halbgeschwister es insgesamt gibt, von denen man nie erfahren wird.

Wenn ich lese und mir vorstelle, dass ich hundert (oder lass es auch nur 20) Halbgeschwister habe, dass fühle ich gleichzeitig auch ein Bedürfnis, alle kennenzulernen. Irgendwie der Vollständigkeit halber. In gewisser Weise gehören sie zu mir. Ein Halbgeschwister nicht zu kennen, fühlt sich in meiner Vorstellung unvollständig an. So geht es mir auch mit dem Gedanken, dass da draußen höchstwahrscheinlich noch weitere von unserer Halbgeschwistergruppe rumlaufen. Sie sind mir zu viel. Und gleichzeitig will, muss! ich sie kennenlernen.

Dazu kommt, dass die Gefahr einer unwissentlichen sexuellen Beziehung zwischen Halbgeschwistern rein statistisch steigt, je mehr Kinder durch eine Samen abgebende Person gezeugt werden, insbesondere weil viele Eltern ihre Kinder nicht über ihre Zeugungsart aufklären. Diese Befürchtung empfinden viele Mitglieder unseres Vereins als belastend. Einige Halbgeschwister ähnlichen Alters aus unserem Verein sind in Nachbarorten aufgewachsen, so dass die Gefahr einer Beziehung relativ hoch war.

Ich bin absolut für eine Maximalanzahl, und auch für eine Streuung. Es kann nicht sein, dass ich jahrelang jeden Freitag und Samstag im gleichen Club in Reutlingen tanzen war wie einer meiner vielen Halbbrüder – ohne es zu wissen.

Obergrenze durch Ergänzung des Samenspenderregistergesetzes einfach umzusetzen

Mit dem Samenspenderregister existiert seit Mitte 2018 ein zentrales Register, mit dem die Einhaltung einer Obergrenze tatsächlich kontrolliert werden könnte. In diesem wird bereits festgehalten, an welche Empfänger:innen der Samen welcher Person vermittelt wird. Es wäre leicht umsetzbar, bei eine bestimmten Anzahl von Empfänger:innen die jeweilige Samen abgebende Person für weitere Vermittlungen zu sperren.

Der Verein Spenderkinder wird sich in dieser Legislaturperiode dafür einsetzen, dass im Zuge der anstehenden Überarbeitung des Samenspenderregistergesetzes auch eine entsprechende Obergrenze eingeführt wird. Dabei halten wir es für sinnvoll, dass sich die Obergrenze an den Empfänger:innen orientiert (also an Familien) und nicht an der Zahl der insgesamt gezeugten Kinder. Das Erreichen der Obergrenze würde dann nicht verhindern, dass eine Familie ein weiteres Kind von demselben genetischen Elternteil bekommt.

Auch die Bundesärztekammer hatte sich im Jahr 2016 in einer Stellungnahme zum „Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen“ vom 21.12.2016 für eine gesetzliche Beschränkung der durch einen Samenspender gezeugten Kinder ausgesprochen.

  1. wir zählen nach Familien, nicht nach Kindern []
  2. (Muster-)Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion, Deutsches Ärzteblatt, Jg. 103, Heft 20 vom 19. Mai 2006, S. A1392 ff., S. A1397. []

Samen und Eizellen im Shopping Portal?

Der Verein Spenderkinder hat eine Beschwerde gegen zwei Samenbanken eingereicht, die einen öffentlich im Internet einsehbaren Katalog von Männern anbieten, die ihren Samen abgeben.

In den USA üblich, in Deutschland aber nicht: Datenbanken von Samen- und Eizellbanken, in denen sich Wunscheltern Menschen aussuchen können, deren Samen oder Eizellen sie kaufen möchten. Die Menschen werden mit Fotos, ethnischem Hintergrund, Größe, Gewicht, Aussehen und Hobbys beworben, meistens sind Fotos beigefügt. Für Sperma und Eizellen von attraktiven und hoch gebildeten Menschen werden dabei üblicherweise höhere Preise gefordert.

In Europa haben sich die Mitgliedsstaaten der EU jedoch entschieden, dass Organe und Gewebe, wozu auch Ei- und Samenzellen zählen, keine Handelsware sein dürfen. Die „Richtlinie 2004/23/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Konservierung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen“ (auch bezeichnet als Gewebe-Richtlinie) sieht vor, dass Organe und Gewebe nicht mit Gewinnerzielungsabsicht vertrieben werden.1 Umgesetzt worden ist dies in Deutschland in § 17 Absatz 1 Satz 1 des Transplantationsgesetzes (TPG): „Es ist verboten, mit Organen oder Geweben, die einer Heilbehandlung eines anderen zu dienen bestimmt sind, Handel zu treiben.“ Ausgenommen ist lediglich die „Gewährung oder Annahme eines angemessenen Entgelts für die zur Erreichung des Ziels der Heilbehandlung gebotenen Maßnahmen“. Entsprechend dürfen Spermien nicht gekauft und auch nicht zum Kauf angeboten werden, erlaubt ist lediglich eine Aufwandsentschädigung.2 Hieran erinnern wir regelmäßig Samenbanken in Deutschland, die versuchen, für die Abgabe von Samen vor allem mit der dafür gezahlten Aufwandsentschädigung zu werben.

Inzwischen gibt es auch zwei Samenbanken in Deutschland, die einen öffentlich einsehbaren Katalog von Menschen anbieten, die Samen abgeben.3 In dem Katalog werden ethnischer Hintergrund, Augenfarbe, Größe, Gewicht, Ausbildung, Hobbys und Motivation angegeben. Bei der einen Samenbank können nach Erstellung eines Accounts sogar Fotos betrachtet und Favoritenlisten angelegt werden. Bei der anderen Samenbank ist das bei Internetshops übliche Symbol für den Einkaufswagen durch einen Kinderwagen ersetzt worden. Letztere ist mit Novum verbunden – eine reproduktionsmedizinische Praxis, mit der viele unserer Mitglieder rechtliche Auseinandersetzungen führen. Die andere Samenbank scheint eine deutsche Niederlassung einer dänischen Samenbank zu sein – die sich aber dennoch an deutsches Recht halten muss.

Solche Kataloge sind aus Sicht des Vereins Spenderkinder in Deutschland wegen eines Verstoßes gegen § 17 TPG rechtswidrig, weil sie Samen wie ein kommerzielles Produkt darstellen, das wie bei einem Shopping-Portal mit wenigen Klicks gekauft werden kann. Es handelt sich hierbei jedoch um einen Vorgang, der zur Zeugung eines Menschen führen wird – die Person, deren Sperma gewählt wird, ist der genetische Elternteil des entstehenden Kindes. Ein solcher Vorgang muss aus unserer Sicht mit dem entsprechenden Respekt behandelt werden. Eine anpreisende Werbung erfüllt nicht diesen Respekt. Außerdem dürfte es die Auswahl von genetischen Elternteilen nach als wünschenswert beurteilten Merkmalen wie Studium und Aussehen fördern – teilweise vielleicht in der Hoffnung, dass das entstehende Kind diese Merkmale ebenfalls aufweisen wird. Das kann dazu beitragen, dass das durch den Samen dieser Person entstehende Kind sich wie ein gekauftes Profukt fühlen. Einige Mitglieder unseres Vereins schildern dieses Gefühl bereits jetzt.

Zwar ist nach § 17 Absatz 1 Satz 2 TPG die „Gewährung oder Annahme eines angemessenen Entgelts für die zur Erreichung des Ziels der Heilbehandlung gebotenen Maßnahmen“ zulässig sei. Das beinhaltet unserer Ansicht nach jedoch nicht, die Samen abgebenden Menschen mit anpreisenden Angaben zu bewerben. Wenn Ärzte beteiligt sind, dürfte es sich außerdem um einen Verstoß gegen § 27 Absatz 3 der der (Muster-)Berufsordnung für Ärzte handeln.

Auffallend ist, dass andere Samenbanken in Deutschland einen vergleichbaren Online-Katalog nicht anbieten, sondern den Wunscheltern Spender lediglich aufgrund einer Typangleichung in Beratungsgesprächen vorschlagen. Damit können Wunscheltern immer noch in einem gewissen Umfang den genetischen Elternteil auswählen, aber nicht nach völlig frei gewählten Merkmalen. Wir hoffen, dass dies so bleibt. Eine Samenbank aus München lehnt eine solche Katalogbestellung sogar ausdrücklich ab: „Eine Kommerzialisierung der Samenspende durch optimierende Auswahlverfahren (z.B. nur Universitätsprofessoren und Leistungssportler) fördert die Cryobank-München deshalb ebenso wenig, wie anonymen Versandhandel übers Internet. Auch können Sie bei uns nicht aus Katalogen auswählen und bestellen.“

Noch handelt es sich bei den Katalogen um einen ungewöhnlichen Vorgang in Deutschland. Wir befürchten jedoch, dass in der Zukunft viele andere Samenbanken nachziehen könnten, um nicht in einen Wettbewerbsnachteil zu gelangen. Insbesondere müssen denkbare Steigerungen der Kommerzialisierung verhindert werden, zum Beispiel indem Rabatte für die Proben von wenig beliebten Spendern gewährt werden oder Samenbanken an Verkaufsaktionen wie dem „Black Friday“ mitwirken (beides ist in den USA bereits vorgekommen).

Der Verein Spenderkinder hat daher gegen die beiden Samenbanken mit Internet-Katalog eine Beschwerde bei den jeweiligen Aufsichtsbehörden eingereicht und hofft, dass diese entsprechende Maßnahmen ergreifen wird. Ganz allgemein halten wir es jedoch für erforderlich, dass sich Berufsverbände wie die Bundesärztekammer und der Arbeitskreis Donogene Insemination auch verstärkt damit beschäftigen, welche Art von Information zu Samenvermittlung zulässig ist bzw. wo die Grenze zwischen Werbung und Informationsvermittlung verläuft. In den derzeitigen Richtlinie finden sich hierzu keine Hinweise.

Wünschenswert wäre aus unserer Sicht eine Darstellung von Samenvermittlung, die einerseits Informationen über das Angebot der Familiengründung mit dem Samen eines Fremden bietet, gleichzeitig aber auch die daraus entstehende Verantwortung und Herausforderungen betont. Dazu gehört bei der Suche nach Samen abgebenden Personen unbedingt, dass diese durch die Samenabgabe der genetische Elternteil eines Kindes wird und dies Auswirkungen auf seine oder ihre weiteren Kinder haben kann. Gleichzeitig sollten die Wunscheltern informiert werden, dass das Kind im Wissen um seine Abstammung aufwachsen sollte und es möglicherweise später Kontakt zum genetischen Elternteil und Geschwistern haben möchte. Auf keinen Fall sollte eine Darstellung von Samenvermittlung erlaubt sein, die die vermeintlichen körperlichen und intellektuellen Vorzüge der Samen abgebenden Personen hervorhebt oder die vor allem den finanziellen Aspekt als Motivation anspricht.

  1. Artikel 12 Absatz 2: „Die Mitgliedstaaten treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass jede Werbung und sonstige Maßnahmen zur Förderung von Spenden menschlicher Gewebe und Zellen im Einklang mit den von den Mitgliedstaaten festgelegten Leitlinien oder Rechtsvorschriften stehen. Diese Leitlinien oder Rechtsvorschriften enthalten geeignete Beschränkungen oder Verbote, damit der Bedarf an menschlichen Geweben und Zellen oder deren Verfügbarkeit nicht in der Absicht bekannt gegeben werden, finanziellen Gewinn oder vergleichbare Vorteile in Aussicht zu stellen oder zu erzielen. Die Mitgliedstaaten streben danach, sicherzustellen, dass die Beschaffung von Geweben und Zellen als solche auf nichtkommerzieller Grundlage erfolgt.“ []
  2. Makoski, in: Clausen/Schroeder-Printzen, Münchener Anwaltshandbuch Medizinrecht, 3. Aufl. 2020, § 19 Recht der Reproduktionsmedizin, Rn. 99. []
  3. In Deutschland ist die Abgabe oder Vermittlung von Eizellen nicht erlaubt. []

Fachkonferenz der KAS und der Leopoldina am 22. April 2021

Anlässlich des 30. Geburtstages des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) veranstalteten die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) am 22. April 2021 eine Fachkonferenz unter dem Titel Medizinischer Fortschritt, gesellschaftlicher Wandel und politischer Handlungsbedarf.

Die Veranstaltungsaufzeichnung ist online verfügbar.

Wir freuen uns, dass es zu dieser Veranstaltung kam und Anne als Vertreterin unseres Vereins die Perspektive der entstandenen Menschen einbringen konnte (Minute 37 bis 1:01). Einleitend betonten Prof. Norbert Lammert, Vorsitzender der KAS, und Prof. Gerald Haug, Präsident der Leopoldina, die große Bedeutung der Fortpflanzungsmedizin für die Gesellschaft und dass Wissenschaft und Politik die Entwicklungen so vorantreiben müssten, dass Fehlentwicklungen vermieden und Chancen genutzt werden könnten.

Das Programm begann mit einem Impulsvortrag der Soziologin Prof. Heike Trappe, die einen Überblick über die Familiendemografie in Deutschland gab und Anknüpfungspunkte zur Fortpflanzungsmedizin aufzeigte. Es folgten vier moderierte Debattenrunden zu den Fragen 1. Was wird von der Fortpflanzungsmedizin erwartet? 2. Was darf Fortpflanzungsmedizin? 3. Was können wir von anderen Ländern lernen? und 4. Wie muss Fortpflanzungsmedizin reguliert werden? Dazu wurden jeweils zwei Expert*innen interviewt. Den Abschluss bildete eine Podiumsdiskussion gesundheitspolitischer Vertreterinnen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vor den Schlussworten des stellvertretenden Vorsitzenden der KAS, Hermann Gröhe, und des Vizepräsidenten der Leopoldina, Prof. Dr. Thomas Krieg.

Zentrales Thema war die Eizellvermittlung, die laut ESchG in Deutschland verboten ist. Die Diskussion dazu wirkte eher politisch als wissenschaftlich geleitet. Anstatt zunächst Pro- und Contra-Argumente zu sammeln und transparent abzuwägen, servierte bereits der Impulsvortrag ein Plädoyer für die Legalisierung der Eizellvermittlung.

Viele kritische Argumente, die in der Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages Ende Januar zur Eizellvermittlung eingebracht wurden, wurden auf der Fachkonferenz kaum oder gar nicht aufgegriffen.

Es wirkte, als würde aus dem Wunsch nach einem Kind ein Bedarf an Realisierungsmöglichkeiten abgeleitet, dem sich die Beteiligten gleichsam als Erfüllungsgehilfen unterordneten. Dies überspringt die Notwendigkeit, den vermeintlichen Bedarf kritisch zu hinterfragen. Der Wunsch nach einem Kind ist verständlich und es ist naheliegend, alles zur Erfüllung der eigenen Wünsche zu unternehmen bzw. zu fordern. Wichtig wäre daher zu diskutieren, welche Grenzen dennoch verbindlich gelten sollen. Auch die Rolle/Funktion, in die das Kind bei dieser Herangehensweise gerät, wurde nicht reflektiert.

Anne hatte direkt in der ersten Debattenrunde darauf aufmerksam gemacht, dass es wichtig ist, alle Beteiligten als Menschen wahrnehmbar zu machen. Denn die entstehenden Menschen werden mit hoher Wahrscheinlichkeit ihre genetischen Eltern und (Halb-)geschwister kennenlernen wollen. Depersonalisierende und technisierende Begriffe wie „Spender“, „Spende“ und „Behandlung“ sind weder treffend noch langfristig hilfreich. Sie verschleiern, dass Keimzellvermittlung keine einfache Lösung ist, um Erwachsenen ihren Wunsch nach einem eigenen Kind zu erfüllen, sondern eine Form der Familiengründung mit ganz eigenen psychosozialen Herausforderungen für alle beteiligten Menschen. Trotzdem wurde weiter über „Eizellspendebehandlung“ und „Spender*innen“ diskutiert.

In der politischen Abschlussdiskussion wurde die Idee aufgeworfen, eine Enquête-Kommission einzurichten, um das Thema in der nächsten Legislaturperiode weiter zu verfolgen. Wir hoffen, dass die Auseinandersetzung mit der komplexen menschlichen Thematik dort vertieft wird.

Veranstaltungsbericht der KAS