Der Fall des Massenspenders Jonathan Jacob Meijer

Ende April ging die Meldung durch die Nachrichten, dass die niederländische Spenderkinder-Organisation Stichting Donorkind ein Unterlassungsurteil bei einem Gericht in Den Haag gegen den niederländischen Samenspender Jonathan Jacob Meijer erwirkt hat, der über 500 Kinder gezeugt haben soll. Das Urteil verbietet Meijer bei Androhung einer Strafe von 100 000 Euro, weiterhin seinen Samen anzubieten, er muss Kliniken auffordern seinen Samen zu vernichten. Ausnahmen gibt es für die Zeugung von Geschwisterkinder.

In den Niederlanden durften bis 2019 nur 25 Kinder durch einen Samenspender entstehen, seit 2019 wurde die die Grenze zur besseren Berücksichtigung von Geschwisterkindern auf 12 Familien geändert. Meijer, ein 41jähriger Musiker, hatte sich laut den Berichten bei 11 Samenbanken in den Niederlanden sowie bei jeweils einer in Dänemark und der Ukraine als Spender registriert und außerdem seinen Samen auch privat über diverse Online-Foren angeboten. Dabei soll er die empfangenden Familien nach Berichten teilweise bewusst über die Anzahl der durch ihn gezeugten Kinder getäuscht haben. 2017 wurde die niederländische Vereinigung für Reproduktionsmedizin auf die Massenspenden aufmerksam und setzte ihn auf eine schwarze Liste. Allerdings gibt es in den Niederlanden kein Zentralregister, das über die Einhaltung dieser Grenze wachen würde und die Kliniken teilen ihre Informationen über Spender nicht.

Das Gericht begründete sein Unterlassungsurteil mit der hohen Inzestgefahr bei über 500 Halbgeschwistern und damit, dass viele Eltern nun ungewollte Teil eines riesigen Verwandtschaftsnetzwerks seien.

Stichting Donorkind nannte das Verhalten Meijers ein „bizarres soziales Experiment“. Während es einige Berichte über Massenspender gibt, bewegt sich die Zahl der genannten gezeugten Kinder meist um die 100 – der Fall Meijer sticht wegen der ungewöhnlich hohen Zahl von über 500 besonders hervor. Obwohl sich die meisten Spenderkinder durchaus über Halbgeschwister freuen, sollte eine bestimmte Zahl nicht überschritten werden (siehe auch unser Beitrag 100 Halbgeschwister und mehr) – vor allem weil die Gefahr einer unwissentlichen Inzest-Beziehung steigt, aber auch weil eine so hohe Zahl die Fähigkeit der meisten überfordern wird, eine sinnvolle Beziehung aufbauen und pflegen zu können.

Ein Fall wie mit Meijer könnte jedoch ohne weiteres auch in Deutschland passieren. Anders als in den Niederlanden gibt es in Deutschland noch nicht einmal eine gesetzliche Obergrenze für die Zahl von Kindern, die durch eine Person gezeugt werden können, die Samen abgibt. Ein Münchner Reproduktionsmediziner dokumentierte über 100 Schwangerschaften durch den Samen eines Mannes. Der Arbeitskreis Donogene Insemination empfiehlt offiziell eine Grenze von 15 Kindern, die jedoch nicht einmal von den eigenen Mitgliedern eingehalten wird. So bot z.B. eine Samenbank aus Essen noch im Jahr 2022 bis zu 74 Einheiten eines Mannes in ihrem Online-Katalog an.

Der Verein Spenderkinder fordert daher, dass eine gesetzliche Höchstgrenze von Familien festgelegt wird, die Samen einer Person in Anspruch nehmen, die diesen über eine Samenbank zur Verfügung stellt. Die Einhaltung könnte das Samenspenderregister überprüfen, die entsprechenden Spender sperren und auch eine Warnung aussprechen, wenn sich Spender bei mehreren Samenbanken registrieren lassen.

Es gibt auch deutsche Eltern, die ein Kind durch Jonathan Jacob Meijer bekommen haben, und die sich in Kontakt zueinander und zu den niederländischen Familien befinden. Einen Kontakt können wir für andere betroffene Familien auf Nachfrage gerne herstellen.

Rezension Christine Müller: Der Schattenvater: Narrative Identitätskonstruktionen von »Kuckuckskindern« und »Spenderkindern«

Eine Gastrezension von Immo Lünzer aus Sicht eines Kuckuckskindes

»Nicht Fleisch und Blut, das Herz macht uns zu Vätern und Söhnen.« (Friedrich Schiller – Die Räuber)

In ihrer 2002 erschienen Dissertation „Der Schattenvater: Narrative Identitätskonstruktionen von „Kuckuckskindern“ und „Spenderkindern“ (Verlag Forschung psychosozial, 44,90 Euro, auch als eBook erhältlich) untersucht Christine Müller ein immer noch stark tabuisiertes und bislang wenig erforschtes Thema: Probleme der Identitätsfindung bei Kuckuckskindern und Spenderkindern (Kinder, die aus einer Samenspende gezeugt wurden).

Die Entdeckung dieser Kinder, dass ihr sozialer Vater nicht der biologische Papa ist, kann zu starken Erschütterungen führen. Kuckuckskinder sind oft sehr erschüttert, wenn sie endlich die Wahrheit über ihren ‚Erzeuger‘ erfahren – und zugleich werden viele wichtige Fragen beantwortet, weil es oftmals besonders schwierig mit dem sozialen Vater war, bei dem sie aufgewachsen sind.

Bei ihnen überwiegen negative Affekte, wie Hass, Eifersucht, Neid oder Schuld. Bei Spenderkindern ist durchaus auch Dankbarkeit und Liebe anzutreffen. Außerdem scheint das Niveau der Abwehrmechanismen bei diesen höher zu sein.

Insgesamt scheinen die Entwicklungsverläufe von Spenderkindern einen günstigeren Ausgang zu nehmen als die der Kuckuckskinder. Die Autorin dazu: Die größten Unterschiede zwischen Kuckuckskindern und Spenderkindern in dieser Untersuchung betreffen das belastete Familienklima sowie die ökonomischen und sozialen Gegebenheiten. Hierbei scheinen die Kuckuckskinder tendenziell zu den Verlierer*innen zu gehören: Die Ehequalität der Eltern eines Kuckuckskindes (Mutter und sozialer Vater) wurde in den meisten Fallen als schlecht bezeichnet;

bei den Eltern der Spenderkinder (Mutter und sozialer Vater) scheint die Ehe in den meisten Fällen stabil zu sein und im Modus gegenseitiger Unterstützung zu funktionieren.

Nach der Aufklärung erfuhren die Beziehungen der Spenderkinder zu den Eltern und die Beziehungen der Eltern zueinander keine größeren Unterschiede. Bei den Kuckuckskindern hingegen änderten sich die Beziehungen zum Kind und zwischen den Eltern zum Teil noch einmal mehr zum Negativen (vgl. Kap. 5.3.1). Die sozioökonomischen Bedingungen waren bei den Spenderkindern in aller Regel günstiger, was sich z. B. in den besseren Bildungschancen zeigt.‘

‚Die Teilnehmer*innen beider Gruppen erleben die Aufklärung nach anfänglichem Schock als insgesamt positiv. Sie geben an, etwas über sich und die elterliche Beziehung verstanden zu haben. Die Auswirkungen auf das weitere Leben waren bei den Kuckuckskindern meist negativer als bei den Spenderkindern; hier änderte sich im Prinzip nichts.‘ ‚Das Beziehungserleben unterscheidet sich: In der Gruppe der Kuckuckskinder existieren mehr negative frühe Beziehungserfahrungen, positive Erfahrungen in der Beziehung scheinen bei einem klaren »Ja« der Eltern zum Kind gegeben.

Die Teilnehmer*innen in der Gruppe der Spenderkinder beklagen sich über eine schwierige Beziehung in den Fällen, in denen die Familie von Scheidung betroffen war. Die Personen aus der untersuchten Gruppe der Kuckuckskinder beschreiben ein deutlich schwierigeres Erleben in aktuellen Beziehungen als die Gruppe der Spenderkinder (vgl. Kap 5.3.1): ‚Lebensbestimmende Konflikte, die bestehende Beziehungen und die Entwicklungsläufe der Teilnehmer*innen belasten, zeigen sich vermehrt in der Gruppe der Kuckuckskinder. Dort fehlte häufiger die Fähigkeit zu einer konstruktiven Konfliktbewältigung (vgl. Kap. 5.3.2).‘

‚Schwierige, die Beziehungen belastende Gefühle waren vermehrt in der Gruppe der Kuckuckskinder zu finden: Manche sprachen von tiefsitzenden Gefühlen der Unsicherheit und Verlustängsten, die sie ihr ganzes Leben begleitet hätten. Viele sprechen von einem Schamerleben oder berichten von Hassgefühlen, besonders gegenüber ihren Müttern und ihren sozialen Vätern. Die Kuckuckskinder leiden vermehrt unter mangelnder Anerkennung, was sich dann im Kontakt zu den biologischen Vätern, sofern dieser möglich war, erneut bestätigt.

Bei den Spenderkindern gibt es sehr vereinzelt das Gefühl einer ausgeprägten Erwartung zur Dankbarkeit vonseiten der Mütter aufgrund der Opfer, die diese erbracht hatten. Das positive Selbstbild der Spenderkinder ist maßgeblich über einen hohen Leistungsanspruch definiert.‘

Abschließend fordert Christine Müller: ‚Gerade die Auseinandersetzung mit den neuen Reproduktionstechniken sollte nicht auf einer abstrahierten »entindividualisierten« Ebene stattfinden. Und auch die Kuckuckskinder verdienen einen genauen Blick auf ihr individuelles Schicksal.

Die Studie hat bei mir mehr Fragen aufgeworfen, als Antworten gegeben. Die Begrenzung dieser Arbeit muss ich an dieser Stelle akzeptieren. Christine Müller sagt dazu: „Es war mir wichtig, für Kuckucks- und Spenderkinder zu schreiben. Dabei wollte ich ihre Gefühle und ihr Verhalten verstehbarer machen – genauso wie das Verhalten und die möglichen Gefühle der Eltern. Ein Ziel der Arbeit war es, aus den Ergebnissen dieser Einzelfallstudie Anregungen und weiterführende Fragestellungen für zukünftige Forschungen abzuleiten.‘ Dazu schlägt sie vor: ‚Ein mögliches Ziel wäre ggf. die Etablierung eines Beratungsangebots für diesen spezifischen Personenkreis, z. B. die Mütter und ggf. die sozialen Vater eines Kuckuckskindes sowie die Eltern von Spenderkindern, die Spender und selbstverständlich die Kinder selbst. Als Gruppentherapeutin halte ich einen gruppentherapeutischen Prozess zur Unterstützung von Betroffenen, die mit der Aufklärung in eine längerfristige Krise geraten sind, für äußerst hilfreich.‘

Hoffen wir, dass dies zunehmend gelingt. Frau Müllers Doktorvater Prof. Dr. Wolfgang Mertens hat das Vorwort – für diese Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Fakultät für Psychologie der Universität in München – geschrieben; ein Auszug daraus: „Aus der Therapie entsprechender Menschen ist bekannt, wie quälend die Frage nach dem biologischen Vater sein kann, vor allem in solchen Fällen, wenn Mütter sich konsequent weigern, ihren Kindern darüber Auskunft zu geben. Aus eigener Erfahrung und angereichert mit einem psychoanalytischen Verständnis von mannigfachen Abwehrvorgängen kann die Verfasserin eine lebendige Einschätzung dieser Problematik vorlegen. Neben einer ausführlichen theoretischen Auseinandersetzung mit den Themen Identität, Affektentwicklung und der Rolle der Eltern im Sozialisationsprozess besticht die Arbeit auch durch einen sorgfältig und differenziert durchgeführten empirischen Teil. Die Verfasserin hat sich intensiv mit den Methoden der Rekonstruktion narrativer Identität, der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) sowie der psychoanalytischen Hermeneutik auseinandergesetzt und damit einen zeitgemäßen Mixed-Methods-Ansatz verfolgt.

Forschungsleitende Fragestellungen sind die folgenden: Welchen spezifischen Einflüssen waren diese Menschen in ihrer Kindheit innerhalb ihrer Familien ausgesetzt und welche psychischen

Folgen haben sich daraus für sie ergeben? Lassen sich spezifische Vater- und Mutterbilder identifizieren? Was bedeuten diese für das Selbsterleben der betreffenden Personen? Lassen sich aus psychoanalytischer Sicht bestimmte Konfliktdimensionen und strukturelle Eigentümlichkeiten im Sinne der OPD erkennen? Gibt es Auffälligkeiten des Übertragungs- und Gegenübertragungs-

geschehens? Lassen sich die beiden Personengruppen hinsichtlich ihrer bevorzugten Coping- und Abwehrmechanismen unterscheiden?“

Leider lagen der Autorin keine Interviews mit Vätern und Müttern vor – das wäre sicher sehr aufschlussreich gewesen. Bleibt zu hoffen, dass dies in einer weiteren Arbeit dokumentiert wird.

Für mich als Kuckuckskind ist das Buch insgesamt ein sehr interessantes und aufschlussreiches Werk. Witzigerweise ist das Werk in Gießen erschienen, wo ich als Kuckuckskind geboren und 25 Jahre aufgewachsen bin – aber erst mir 42 Jahren bin ich dahinter gekommen, dass ich so ein besonderes Kind bin. Dank an Holly Hazelnut für den Hinweis auf dieses eindrucksvolle Werk.

Die Autorin:

Christine Müller, Dr. phil., Dipl.-Psych., ist analytische Psychotherapeutin und Gruppentherapeutin. Sie ist als Dozentin an der Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie in München tätig und promovierte im Bereich Familienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

ZDF-37°-Reportage „Auf der Suche nach dem leiblichen Vater“ am 16. April 2023 mit Spenderkinder-Mitglied Sandra

In der ZDF 37°-Folge „Auf der Suche nach dem leiblichen Vater“ erzählt Spenderkinder-Mitglied Sandra wie sie als Erwachsene über ihre Entstehungsweise aufgeklärt wurde. Anschließend machte sie sich auf die Suche nach ihrem Erzeuger.

Rechtliche Korrektur: Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung galt auch schon zu Sandras Entstehungszeit. Bereits 1970 wies die Bundesärztekammer darauf hin, dass Spenderkinder ein Recht haben, zu erfahren, wer ihr genetischer Vater ist (Deutsches Ärzteblatt, 1970). Die Sendung ist bis zum 16.04.2028 über die Mediathek abrufbar.

Vorfahren, Vorlieben und Erkrankungen? Veranstaltung am 19.4. im Hygienemuseum Dresden mit Spenderkinder-Mitglied Kay

Am Mittwoch, den 19. April 2023 findet um 19 Uhr im Hygienemuseum Dresden die Veranstaltung „Vorfahren, Vorlieben und Erkrankungen – Was verraten genetische Herkunfstests und wie sicher sind sie?“ statt.

Über das Thema diskutieren folgende Gäste, darunter Spenderkinder-Mitglied Kay:

Prof. Dr. Evelin Schröck, Humangenetikerin, Leiterin des Instituts für Klinische Genetik am Uniklinikum Dresden;
Dr. Isabelle Bartram, Molekularbiologin und Mitarbeiterin beim Gen-Ethischen Netzwerk e. V.;
Dr. Kay Büttner, engagiert sich bei Spenderkinder e. V.; hat mittels eines kommerziellen Gentests seine Halbschwester und seinen biologischen Vater gefunden;
Dr. Thilo Weichert, Jurist und Politologe, Vorstandsmitglied der Deutschen Vereinigung für Datenschutz e. V. (DVD); er hat 2018 ein viel beachtetes Gutachten zu Datenschutzregelungen des Gentestanbieters und Weltmarktführers Ancestry erstellt.

Moderation:
Christiane Grefe, Journalistin und Sachbuchautorin, Berlin

Karten gibt es für 1,50 / 3 Euro im Vorverkauf, online, an der Museumskasse oder an der Abendkasse.

Die Veranstaltung findet im Rahmen der Ausstellung „Von Genen und Menschen“ statt.

Artikel in der Zeit 20 Geschwister und mehr

In der Zeit ist ein Artikel über die größte Halbgeschwistergruppe in unserem Verein erschienen: „20 Geschwister … und die Frage: habe ich noch mehr? Wie die Nachkommen eines Samenspenders für ihre Rechte kämpfen und einen Präzedenzfall schaffen könnten.“ Nachzulesen in der gedruckten Zeit vom 6. April 2023 oder online (paywall). Unsere Mitglieder Leonie und Franzi erzählen, wie sie nach und nach herausbekommen haben, dass sie sehr viele Halbgeschwister haben – die teilweise in ihrer Umgebung aufgewachsen sind. Die beiden möchten wissen, mit wie vielen Halbgeschwistern sie noch rechnen müssen – und fordern von dem Arzt, der die Samenspenden damals vermittelt hat, Informationen darüber, wie häufig der Samen ihres genetischen Vaters eingesetzt wurde.

Fakt ist: es gibt in Deutschland immer noch keine Begrenzung dafür, wie viele Kinder durch den Samen von einer Person gezeugt werden darf, der diesen an eine Samenbank abgegeben hat. Dabei könnte man das durch das seit dem 1. Juli 2018 existierende Samenspenderregister kontrollieren. Mehr dazu in unserem Artikel 100 Halbgeschwister und mehr.

Erst letzte Woche wurde darüber berichtet, dass die niederländische Spenderkinder-Organisation Stichting Donorkind den niederländischen Samenspender Jonathan Jacob Meijer wegen eines erhöhten Inzest-Risikos verklagt hat, weil er über 450 Kinder gezeugt haben soll – über private Anzeigen und durch „Spenden“ an Samenbanken.

ZDF-37°-Reportage „Lebenslügen und Familiengeheimnisse“ am 28.März 2023 mit Spenderkinder-Mitglied Britta

Spenderkinder-Mitglied Britta erfuhr als Erwachsene, dass sie durch Samenvermittlung entstanden ist. In der Reportage „Lebenslügen und Familiengeheimnisse“ in der ZDF-Reihe 37° blickt sie darauf zurück, was die Aufklärung für sie bedeutet und erzählt, wie es anschließend für sie weiterging. Neben Britta äußern sich in der Reportage auch ihre Mutter und ihr sozialer Vater zur Aufklärung, die sie mit ganz verschiedenen Gefühlen berührt. Britta betont, wie wichtig die frühe Aufklärung von Spenderkindern ist, um eine authentische Beziehung zwischen ihnen und ihren Eltern zu ermöglichen. Die Sendung kann in der ZDF-Mediathek nachgeschaut werden.

Von Genen und Menschen – Ausstellung und Veranstaltungsreihe im Hygienemuseum Dresden

Vom 11. Februar bis 10. September 2023 zeigt das Deutsche Hygienemuseum in Dresden die Ausstellung „Von Genen und Menschen – Wer wir sind und werden könnten.“ Die Ausstellung hinterfragt die aktuellen Erkenntnisse der Genforschung aus der Perspektive der Sozial- und Kulturwissenschaften: mit Objekten aus Alltag und Wissenschaft, Kultur und Geschichte, mit Positionen der zeitgenössischen Kunst – und mit Stationen, die dazu einladen selbst herauszufinden, wer wir sind und werden könnten. In der Ausstellung spielen die Themen Herkunft, Identität, Verwandtschaft eine große Rolle, ein eigener Abschnitt widmet sich auch dem Thema DNA-Datenbanken. Einige unserer Mitglieder haben sich die Ausstellung bereits angesehen und empfehlen sie.

Begleitend gibt es eine Reihe von interessanten Veranstaltungen. Am Donnerstag, den 23. März 2023 wird der Film „Menschenskinder“ der Filmemacherin Marina Belobrovaja gezeigt. In dem Film (siehe Rezension) setzt sich die Filmemacherin mit ihrer Entscheidung auseinander, als aleinstehende Frau ein Kind mit einer anonymen Samenspende zu bekommen. Dafür interviewt sie unter anderem Spenderkinder-Mitglied Anne. An den anschließenden Podiumsgespräch nehmen neben der Filmemacherin Marina Belobrovaja Spenderkinder-Mitglied Sven Riesel teil und Prof. Dr. Andreas Bernhard, der Autor des Buches „Kinder machen. Samenspender, Leihmütter, Künstliche Befruchtung. Neue Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Familie“ (Rezension).    

Es werden im Laufe der Ausstellungsdauer auch noch weitere Begleitveranstaltungen stattfinden, die den Themenkomplex Abstammung berühren.  

Erster Artikel über die größte Spenderkinder-Befragung in Deutschland veröffentlicht

Tobias Bauer und Anne Meier-Credner haben den ersten Artikel über die Befragung von Spenderkindern in Deutschland veröffentlicht, die mit 59 Teilnehmenden zwischen 21 und 46 Jahren die Studie mit den bislang meisten Befragten in Deutschland darstellt:

Bauer, T., & Meier-Credner, A. (2023). Circumstances Leading To Finding Out about Being Donor-Conceived and Its Perceived Impact on Family Relationships: A Survey of Adults Conceived via Anonymous Donor Insemination in Germany. Social Sciences, 12(3), 155.

Der Artikel ist frei verfügbar (open access) abrufbar auf der Journal-Website oder als PDF Version.

Der Artikel beschreibt die vielfältigen Umstände, unter denen die Teilnehmenden von ihrer Entstehungsweise erfahren haben und darüber hinaus, welche Einflüsse der Aufklärung auf die Beziehung zu verschiedenen Familienmitgliedern berichtet wurden. Die Aufklärung erfolgte teilweise bereits in der Kindheit, teilweise im mittleren Erwachsenenalter (5 bis 46 Jahre). Es wurden ganz verschiedene Aufklärungsumstände berichtet wie z.B. durch medizinische Unterlagen, bewusste Aufklärung durch ein oder zwei Elternteile und auch die Aufklärung durch DNA-Datenbanken.

Die stärkste Veränderung berichteten insbesondere spätaufgeklärte Spenderkinder nach der Aufklärung in der Beziehung zu ihrer Mutter, bei der tendenziell mehr Verantwortung für die Aufklärung als beim rechtlichen Vater wahrgenommen wurde. Die Beziehung zum rechtlichen Vater wurde tendenziell bereits vor der Aufklärung als weniger emotional und nah beschrieben. Das entspricht den Ergebnissen internationaler Erhebungen an Spenderkindern.

Wenig Veränderung wurde in der Beziehung zu Geschwistern berichtet, mit denen die Befragten aufgewachsen waren. Spannungen wurden berichtet in Bezug auf unterschiedliche Umgangsweisen der Geschwister mit der Entstehungsweise. Als wenig verändernd wurde die Aufklärung auf die Beziehung zu Partner*innen, eigenen Kindern sowie der erweiterten Familie (Onkel, Tanten, Großeltern etc.) berichtet. In der Diskussion wird insbesondere die Bedeutung psychosozialer Beratung zur Förderung von Aufklärung und der aufklärungsfördernde Einfluss von DNA-Datenbanken hervorgehoben.

Die Daten wurden im Herbst 2020 mit einem Online-Fragebogen erhoben, die meisten Teilnehmenden sind Mitglieder unseres Vereins. Es ist nicht bekannt, inwieweit sich unsere Mitglieder möglicherweise von Spenderkindern unterscheiden, die sich nicht bei unserem Verein melden. Möglicherweise haben unsere Mitglieder ein stärkeres Interesse daran, mehr über ihre Herkunft zu erfahren – möglicherweise haben sie auch mehr Ressourcen, um sich emotional mit dem Thema auseinanderzusetzen. Letzteres legen Zuschriften von Spenderkindern an unseren Verein nahe, die sich erst nach Jahren reiflicher Überlegung bei uns melden sowie Berichte über Halbgeschwister, die eine Auseinandersetzung mit dem Thema ablehnen.

Die Autor*innen haben in diesem Artikel erst einen kleinen Teil der Daten ausgewertet, weitere Artikel sind in Vorbereitung.

Gewünscht zu sein ist keine Garantie für eine glückliche Kindheit

Der in Wien lebende Pianist Albert Frantz wurde durch eine Samenspende gezeugt – und erzählt in einem Beitrag „Jetzt weiß ich, wer ich bin“ in der österrechischen Zeitung Der Sonntag, dass sein rechtlicher Vater ihn schwer misshandelt hat. Darüber zu sprechen fiel ihm schwer, und es ist ihm wichtig zu betonen, dass Eltern keine genetische Verbindung zu ihren Kindern benötigen, um sie lieben und unterstützen zu können. In seinem Fall ist er sich jedoch sicher, dass sein rechtlicher Vater ihn gerade deswegen misshandelt hat, weil sie nicht genetisch verwandt waren. 2018 fand er seinen genetischen Vater über einen DNA-Test – und erfuhr, dass seine Großmutter väterlicherseits Pianistin war.

Spenderkindern, die sich irgendwie kritisch über ihre Zeugungsart oder den Umgang damit äußern, wird oft entgegen gehalten, sie seien doch so gewollt gewesen. Damit verbunden ist die Annahme, dass Spenderkinder es wegen dieses Gewolltseins gut getroffen hätten im Leben und sie sich eigentlich nicht beschweren können. Schon wegen dieser pauschalen Annahme und der Aussage „Hör mal auf, Dich zu beschweren“, sind solche Äußerungen total ungebracht (siehe auch 12 Bemerkungen die Spenderkinder nerven und welche Reaktion sie sich stattdessen wünschen).

Geschichten wie die von Albert zeigen aber, dass alleine der Wunsch nach einem Kind nicht bedeutet, dass die Wünschenden auch gute Eltern sein werden. Mit dem tatsächlichen Kind konfrontiert zu werden, das sich teilweise nicht so verhält wie erwartet, und das vielleicht auch an die eigene Unfruchtbarkeit erinnert, kann sehr schwierig sein. Das muss nicht in Misshandlungen enden, aber kann auch zu Desinteresse und Distanzierung führen – was ebenfalls sehr schmerzhaft sein kann.

Wir haben vor einigen Tagen einen Tagen auf Instagram einen Artikel aus der Süddeutschen geteilt über eine 62jährige Frau aus Hildesheim, die wegen schwerer Misshandlung ihres siebenjährigen Sohnes verurteilt wurde, den sie mit einer Samen- und Eizellvermittlung aus Spanien bekommen hatten. Einige Kommentare haben das als Generalverdacht gegen Wunscheltern aufgefasst und kritisiert, es bestünde kein Zusammenhang zwischen der Misshandlung und der Zeugung mit fremden Ei- und Samenzellen.

Wir fanden sehr bedauerlich, dass unser eigentliches Anliegen – die Kritik an dem Argument „Ihr seid doch Wunschkinder“ dabei nicht mehr wahrgenommen wurde. Misshandlungen geschehen auch von leiblichen Eltern an ihren Kindern. Es ist wichtig, dass die Gesellschaft hier genauer hinsieht und die Kinder efektiv schützt.

Die fehlende genetische Verwandtschaft kann aber einen zusätzlichen Risikofaktor darstellen. Und Wunscheltern werden – anders als Adoptiveltern – nicht auf die zusätzlichen Herausforderungen vorbereitet, die eine Familiengründung mit fremden Samen- oder Eizellen beinhaltet. Die Forderung unseres Vereins nach einer unabhängigen psychosozialen Beratung vor einer Samenspende wurde bislang nicht aufgenommen. Kritisch sehen wir auch, dass manche Kliniken anscheinend die Wunscheltern nicht genauer überprüfen und die spanische Klinik anscheinend kein Problem damit hatte, bei einer 55jährigen Frau eine kombinierte Ei- und Samenvermittlung vorzunehmen. Solche Zeugungen sind eigentlich eher vergleichbar mit einer Adoption – für die ein Verfahren mit Kindeswohlüberprüfung erforderlich ist.