Wie würde eine Unterhaltung zwischen einem Spenderkind, einem Samenspender, einer Solomama, einem sozialen Vater und einem Reproduktionsmediziner aussehen? Die Installation „DEIN PAPA IST NICHT DEIN PAPA“ zeigt eine virtuelle Gesprächsrunde, bei der alle ihre persönliche Sicht der Dinge schildern. Denn nur wenn wir einander zuhören, können wir die Zusammenhänge besser verstehen, den eigenen Standpunkt überdenken, die eigene Haltung hinterfragen.
Archiv der Kategorie: Spender
Der Fall des Massenspenders Jonathan Jacob Meijer
Ende April ging die Meldung durch die Nachrichten, dass die niederländische Spenderkinder-Organisation Stichting Donorkind ein Unterlassungsurteil bei einem Gericht in Den Haag gegen den niederländischen Samenspender Jonathan Jacob Meijer erwirkt hat, der über 500 Kinder gezeugt haben soll. Das Urteil verbietet Meijer bei Androhung einer Strafe von 100 000 Euro, weiterhin seinen Samen anzubieten, er muss Kliniken auffordern seinen Samen zu vernichten. Ausnahmen gibt es für die Zeugung von Geschwisterkinder.
In den Niederlanden durften bis 2019 nur 25 Kinder durch einen Samenspender entstehen, seit 2019 wurde die die Grenze zur besseren Berücksichtigung von Geschwisterkindern auf 12 Familien geändert. Meijer, ein 41jähriger Musiker, hatte sich laut den Berichten bei 11 Samenbanken in den Niederlanden sowie bei jeweils einer in Dänemark und der Ukraine als Spender registriert und außerdem seinen Samen auch privat über diverse Online-Foren angeboten. Dabei soll er die empfangenden Familien nach Berichten teilweise bewusst über die Anzahl der durch ihn gezeugten Kinder getäuscht haben. 2017 wurde die niederländische Vereinigung für Reproduktionsmedizin auf die Massenspenden aufmerksam und setzte ihn auf eine schwarze Liste. Allerdings gibt es in den Niederlanden kein Zentralregister, das über die Einhaltung dieser Grenze wachen würde und die Kliniken teilen ihre Informationen über Spender nicht.
Das Gericht begründete sein Unterlassungsurteil mit der hohen Inzestgefahr bei über 500 Halbgeschwistern und damit, dass viele Eltern nun ungewollte Teil eines riesigen Verwandtschaftsnetzwerks seien.
Stichting Donorkind nannte das Verhalten Meijers ein „bizarres soziales Experiment“. Während es einige Berichte über Massenspender gibt, bewegt sich die Zahl der genannten gezeugten Kinder meist um die 100 – der Fall Meijer sticht wegen der ungewöhnlich hohen Zahl von über 500 besonders hervor. Obwohl sich die meisten Spenderkinder durchaus über Halbgeschwister freuen, sollte eine bestimmte Zahl nicht überschritten werden (siehe auch unser Beitrag 100 Halbgeschwister und mehr) – vor allem weil die Gefahr einer unwissentlichen Inzest-Beziehung steigt, aber auch weil eine so hohe Zahl die Fähigkeit der meisten überfordern wird, eine sinnvolle Beziehung aufbauen und pflegen zu können.
Ein Fall wie mit Meijer könnte jedoch ohne weiteres auch in Deutschland passieren. Anders als in den Niederlanden gibt es in Deutschland noch nicht einmal eine gesetzliche Obergrenze für die Zahl von Kindern, die durch eine Person gezeugt werden können, die Samen abgibt. Ein Münchner Reproduktionsmediziner dokumentierte über 100 Schwangerschaften durch den Samen eines Mannes. Der Arbeitskreis Donogene Insemination empfiehlt offiziell eine Grenze von 15 Kindern, die jedoch nicht einmal von den eigenen Mitgliedern eingehalten wird. So bot z.B. eine Samenbank aus Essen noch im Jahr 2022 bis zu 74 Einheiten eines Mannes in ihrem Online-Katalog an.
Der Verein Spenderkinder fordert daher, dass eine gesetzliche Höchstgrenze von Familien festgelegt wird, die Samen einer Person in Anspruch nehmen, die diesen über eine Samenbank zur Verfügung stellt. Die Einhaltung könnte das Samenspenderregister überprüfen, die entsprechenden Spender sperren und auch eine Warnung aussprechen, wenn sich Spender bei mehreren Samenbanken registrieren lassen.
Es gibt auch deutsche Eltern, die ein Kind durch Jonathan Jacob Meijer bekommen haben, und die sich in Kontakt zueinander und zu den niederländischen Familien befinden. Einen Kontakt können wir für andere betroffene Familien auf Nachfrage gerne herstellen.
WAZ vom 5. Februar 2023: Gezeugt durch Fremdsamen: Ein Spenderkind sucht seinen Vater
Anfang Februar 2023 berichtete die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) in ihrer Print- und Onlineversion von Martinas Suche nach ihrem genetischen Vater. Martina wurde 1985 in einer Praxis in Essen mit dem Samen eines ihrer Mutter unbekannten Mannes gezeugt. Der vermittelnde Reproduktionsmediziner sagte bereits 2008 in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung, dass er nur Auskunft gebe, wenn ein Gericht ihn dazu zwinge. Der Gerichtsprozess zieht sich hin.
Spenderkinder haben – wie alle Menschen – ein Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung. Darauf wies die Bundesärztekammer bereits 1970 in Zusammenhang mit Samenvermittlung hin. Der Bundesgerichtshof hat dies 2015 bestätigt. Ein Recht anonym Kinder zu zeugen, gibt und gab es hingegen nicht.
Martina bittet Männer, die in den 80er-Jahren in Essen Samen „gespendet“ haben, sich per E-Mail an martoena@gmx.de bei ihr zu melden. Auch Hinweise können helfen: Wer kennt jemanden, der in den 80er Jahren in Essen Samen „gespendet“ hat? Wer erkennt Ähnlichkeiten mit Martina? Sehr wahrscheinlich hat Martina auch Halbgeschwister, die womöglich nichts von ihrer Entstehungsweise wissen.
WDR-Sendung „Anonym gezeugt“ in der Reihe Planet Wissen am 29. September 2022 mit Spenderkinder-Mitglied Anne
In der Folge „Anonym gezeugt – Wenn Spenderkinder ihre Väter suchen“ vom 29. September 2022 ist die Psychologin und Mit-Gründerin des Vereins Spenderkinder, Anne Meier-Credner, zu Gast bei Planet Wissen und berichtet u.a. über die psychosozialen Herausforderungen von Spenderkindern. Die Sendung kann noch bis 2027 über die Mediathek aufgerufen werden.
Ergänzende Info: Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung wurde 2013 auch für Spenderkinder bestätigt. Es gilt auch für alle vorher gezeugten Spenderkinder. Darauf wies bereits 1970 die Bundesärztekammer hin. Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung gilt außerdem nicht erst ab einem bestimmten Alter, sondern von Anfang an. Spenderkinder, die noch nicht 16 Jahre alt sind, brauchen eine rechtliche Vertretung (z.B. durch ihre Eltern), wenn sie ihr Recht wahrnehmen möchten.
Treffen der Spenderkinder aus Bad Pyrmont
Anfang Mai fand haben sich mehrere Spenderkinder in Bad Pyrmont getroffen, die an der dortigen Klinik gezeugt wurden. Es war ein tolles und spannendes Treffen mit viel Austausch, interessanten Informationen und guten Gesprächen!
Die Gruppe besuchte die ehemalige Klinik von Dr. Schaad und das Stadtarchiv . Außerdem trafen sie eine Redakteurin der Bad Pyrmonter Nachrichten, die schon länger zu der Geschichte der Klinik recherchierte und in den Bad Pyrmonter Nachrichten einen Artikel über die Geschichte der Klinik und das Spenderkinder-Treffen (Paywall) veröffentlicht hat.
100 Halbgeschwister und mehr?
Aus den USA ist es schon bekannt: Gruppen mit mehr als 100 Halbgeschwistern, die denselben genetischen Elternteil haben. Auch im Verein Spenderkinder haben DNA-Tests bewiesen, dass esmehrere große Halbgeschwistergruppen gibt. Wir haben fünf Halbgeschwistergruppen, die aus 7 bis 9 Familien bestehen1. Da sehr viele Spenderkinder in Deutschland nichts von ihrer Zeugungsart wissen, dürften viele Halbgeschwistergruppen tatsächlich noch erheblich größer sein. Von einem Reproduktionsmediziner wissen wir aus Praxisaufzeichnungen, dass er teilweise über 100 durch einen Mann erzeugte Schwangerschaften dokumentierte. Bei zwei Reproduktionsmedizinern vermuten wir, dass sie jeweils nur einen Spender hatte, da bislang alle Spenderkinder aus diesen Praxen sich als Halbgeschwister herausgestellt haben. Durch die zunehmende Verbreitung von DNA-Datenbanken und die Durchsetzung des Rechts von Spenderkindern auf Kenntnis ihrer Abstammung werden solche Vorgänge zunehmend nachvollziehbar und aufgedeckt.
Keine gesetzliche Obergrenze in Deutschland
Eine gesetzliche Grenze für die Anzahl der Kinder, die durch den Samen einer Person durch Samenvermittlung entstehen, gibt es in Deutschland nicht. In der „(Muster-)Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion“ fand sich von 2006 bis 2018 die Vorgabe, dass durch einen Spender nicht mehr als zehn Schwangerschaften erzeugt werden sollten.2 Ob diese standesrechtlichen Regelungen jedoch tatsächlich verbindlich waren, ist umstritten, weil die Ärzte bis zum Inkrafttreten des Samenspenderregistergesetzes im Jahr 2018 nicht verpflichtet waren, die durch eine Person gezeugten Kinder nachzuverfolgen und zu dokumentieren. Die Ärztekammer Nordrhein wies im Jahr 2015 auf eine Beschwerde des Vereins Spenderkinder darauf hin, dass diese Richtlinie nur nachrangig anwendbar sei und die Forderung nach einer Obergrenze in den politischen Raum gebracht werden sollte. Außerdem könne daraus, dass ein Mann über eine sehr lange Zeit Samen abgegeben habe, nicht darauf geschlossen werden, dass hierdurch eine erhebliche Zahl von Kindern gezeugt würde. In der aktuellen Version der „Richtlinie zur Entnahme und Übertragung von menschlichen Keimzellen im Rahmen der assistiertenReproduktion“ aus dem Jahr 2018 findet sich keine Aussage mehr zu einer Obergrenze. Grund hierfür ist, dass der Vorstand der Bundesärztekammer m Februar 2015 beschlossen hatte, die medizinisch- wissenschaftlichen Fragestellungen klar von den gesellschaftspolitischen Aspekten zu trennen.
Dem Verein Spenderkinder ist bekannt, dass manche Menschen bei deutschen Samenbanken oder an deutsche Reproduktionsmediziner bis über 20 Jahre regelmäßig Samen abgegeben haben. Bei einer Abgabe über einen solch langen Zeitraum liegt es nahe, dass wesentlich mehr als zehn Kinder entstanden sind, wie z.B. die Dokumentation des Münchner Arztes zeigt, der bis über 100 erzeugte Schwangerschaften durch einen einzelnen Spender festgehalten hat. Einige Menschen haben zudem an mehreren Kliniken oder Samenbanken Samen abgegeben. Ein Arzt, bei dem eine sehr große Halbgeschwistergruppe entstand, äußerte sich hierzu, dass es zu teuer wäre, wenn man den Samen einer Person nur für wenige Paare verwenden würde, außerdem gäbe es nicht so viele abgabebereite Personen.
Einige Samenbanken äußern zumindest öffentlich, dass sie sich bemühen, eine gewisse Anzahl an Kindern nicht zu überschreiten. Wie genau sie das sicherstellen, ist jedoch nicht nachvollziehbar und auch nicht überprüfbar. Insbesondere ist momentan aber auch keine rechtliche Verpflichtung dazu erkennbar. Bei einer deutschen Samenbank, die derzeit einen öffentlich einsehbaren Spenderkatalog anbietet, werden 5 Personen aufgeführt, bei denen über 30 Einheiten Samen verfügbar sind. In einem Fall waren sogar 74 Einheiten verfügbar. Auch wenn sicherlich nicht jede künstliche Befruchtung mit dem Samen dieser Personen erfolgreich sein wird, ist doch davon auszugehen, dass bei so vielen verfügbaren Einheiten mehr als 10 Kinder gezeugt werden – zusätzlich zu vermutlich bereits gezeugten Kindern.
Andere Länder sind hier weiter: In Großbritannien dürfen die Keimzellen einer Person nur für 10 Familien verwendet werden. Diese Obergrenze wird durch die Regulierungsbehörde HFEA kontrolliert. In Belgien dürfen nur 6 Frauen durch den ärztlich vermittelten Samen einer Person schwanger werden, allerdings sind mehrere Kinder pro Frau erlaubt (Art. 55 Loi relative à la procréation médicalement assistée). Die Schweiz hat eine Obergrenze von acht Kindern (Art. 22 Abs. 4 FMedG).
Zu viele Halbgeschwister sind für viele Spenderkinder belastend
Aus Sicht der Vereins Spenderkinder ist eine Begrenzung der Anzahl der durch eine Person über eine ärztliche Samenvermittlung gezeugten Kinder unbedingt notwendig. Zu diesem Thema haben wir unsere Mitglieder befragt, die schon relativ viele Halbgeschwister gefunden haben, ihre Aussagen geben wir in kursiver Schrift wieder.
Bezüglich der Anzahl der Halbgeschwister: also ich denke ab 20-30 wird es schon schräg. Vorausgesetzt alle suchen den Kontakt. Spätestens ab 50 wird es vermutlich unangenehm. Eine gesetzliche Grenze? Ja, definitiv. Ich finde die Größenordnung 10 erfolgreiche Spenden sollten nicht überschritten werden.
Ich fände es auf jeden Fall gut, wenn es dazu feste Grenzen gäbe. Das würde dann auch die Ungewissheit beseitigen, wie viele mögliche Halbgeschwister dort wohl sein mögen. 100 oder 200 finde ich deutlich zu viel. Ich hätte nichts dagegen, wenn es bei meinen 14 Geschwistern bleibt, denke aber es sollten nicht mehr als 20 werden.
Zwar freuen sich die meisten Spenderkinder über Halbgeschwister.
Ich war in der komfortablen Situation, dass mir nach und nach mehr Geschwister angezeigt wurden und ich sie nach und nach kennenlernen konnte und nicht mit einer großen Menge zu Beginn abgeschreckt war. So könnte es aus meiner Sicht auch eine Weile weitergehen, ruhig auch bis 20 oder mehr, da ja auch nicht alle den Kontakt wünschen oder man sicher nicht zu allen hingezogen sein wird, was ja bei uns in der Gruppe auch teilweise der Fall ist. Momentan finde ich jeden Treffer noch sehr aufregend und freue mich sehr, Kontakt mit den neuen Geschwistern zu haben.
Ich habe die Tatsache, viele Halbgeschwister zu haben, nicht als „Belastung“ wahrgenommen. Es war am Anfang eher eine Überraschung und sehr unerwartet von Null Treffern auf so viele Halbgeschwister zu treffen. Das Gefühl bei den Treffern hat sich dementsprechend auch verändert: Anfangs war es super aufregend und man konnte es kaum fassen. Jetzt hat man sich daran gewöhnt, die Neugier auf die neue Person bleibt aber natürlich.
Je mehr Halbgeschwister es gibt, desto eher kann jedoch das Gefühl entstehen, aus einer „Massenproduktion“ zu stammen.
Mein Erzeuger war bei der Zeugung von bis zu 400 Kinder beteiligt. Als ich davon im ersten Gespräch mit einem Halbbruder erfahren habe, war ich erstmal überrascht. Es ging mir nie darum, dass ich eine von vielen und so weniger wert bin. Der Erzeuger hat ja vermutlich eh keine Bindung zu uns gehabt. Doch ich musste mich mehrere Tage erstmal fragen was für eine Person er sein muss, wenn er so viele Male seine Gene verantwortet hat. Dementsprechend fand ich es schon sehr schockierend.
Ich weiß, dass vor allem bei unseren ehelichen Geschwistern der Gedanke der Entwertung eine Rolle spielt. Meinem Gefühl nach gehen sie mit jedem neuen Geschwister mehr auf Abstand. Wären wir nur ein oder zwei Spenderkinder, schätzte ich die Wahrscheinlichkeit für eine enge Beziehung höher ein.
Jedes neue Geschwisterkind bedeutet außerdem eine mentale Anpassung, eine Erweiterung der Familie und der bestehenden Beziehungen.
Würden mir 20 oder mehr Halbgeschwister angezeigt, wäre das ein zusätzlicher Schock mit dem ich eine ganze Weile bräuchte um einen Umgang damit zu finden. Je mehr Halbgeschwister, desto schwieriger.
Ich fühle mich verpflichtet, künftige Halbgeschwister mit offenen Armen zu begrüßen, aber ich habe es mir auch nicht ausgesucht, dies eventuell 50 mal tun zu müssen.
Aktuell kann ich mir nicht vorstellen, zu weiteren, neu dazu kommenden Menschen eine enge Beziehung aufzubauen, einfach aus Kapazitätsgründen. Und irgendwie wären dann auch erstmal diejenigen dran, zu denen ich jetzt aktuell schon keine enge Beziehung habe.
Je größer die Gruppe ist, desto unpersönlicher wird es.
Es war etwas merkwürdig, dazu zu kommen. Alle kannten sich schon, teilweise sehr gut. Man kann sich so auch schnell etwas abgehängt fühlen. Ich glaube das wird neuen Generationen sogar eher mal passieren.
Bei sehr vielen Halbgeschwistern ist es auch für den genetischen Elternteil kaum möglich, alle als Individuen wahrzunehmen, wenn die Spenderkinder – was wahrscheinlich ist – früher oder später Kontakt zu ihm aufnehmen.
Viele Mitglieder unseres Vereins schildern es als besonders belastend, dass sie nicht wissen, wie viele andere Geschwister sie in der Zukunft noch entdecken werden – 5 oder 100.
Es bleibt die Ungewissheit, wie viele Treffer noch kommen werden und wie viele Halbgeschwister es insgesamt gibt, von denen man nie erfahren wird.
Wenn ich lese und mir vorstelle, dass ich hundert (oder lass es auch nur 20) Halbgeschwister habe, dass fühle ich gleichzeitig auch ein Bedürfnis, alle kennenzulernen. Irgendwie der Vollständigkeit halber. In gewisser Weise gehören sie zu mir. Ein Halbgeschwister nicht zu kennen, fühlt sich in meiner Vorstellung unvollständig an. So geht es mir auch mit dem Gedanken, dass da draußen höchstwahrscheinlich noch weitere von unserer Halbgeschwistergruppe rumlaufen. Sie sind mir zu viel. Und gleichzeitig will, muss! ich sie kennenlernen.
Dazu kommt, dass die Gefahr einer unwissentlichen sexuellen Beziehung zwischen Halbgeschwistern rein statistisch steigt, je mehr Kinder durch eine Samen abgebende Person gezeugt werden, insbesondere weil viele Eltern ihre Kinder nicht über ihre Zeugungsart aufklären. Diese Befürchtung empfinden viele Mitglieder unseres Vereins als belastend. Einige Halbgeschwister ähnlichen Alters aus unserem Verein sind in Nachbarorten aufgewachsen, so dass die Gefahr einer Beziehung relativ hoch war.
Ich bin absolut für eine Maximalanzahl, und auch für eine Streuung. Es kann nicht sein, dass ich jahrelang jeden Freitag und Samstag im gleichen Club in Reutlingen tanzen war wie einer meiner vielen Halbbrüder – ohne es zu wissen.
Obergrenze durch Ergänzung des Samenspenderregistergesetzes einfach umzusetzen
Mit dem Samenspenderregister existiert seit Mitte 2018 ein zentrales Register, mit dem die Einhaltung einer Obergrenze tatsächlich kontrolliert werden könnte. In diesem wird bereits festgehalten, an welche Empfänger:innen der Samen welcher Person vermittelt wird. Es wäre leicht umsetzbar, bei eine bestimmten Anzahl von Empfänger:innen die jeweilige Samen abgebende Person für weitere Vermittlungen zu sperren.
Der Verein Spenderkinder wird sich in dieser Legislaturperiode dafür einsetzen, dass im Zuge der anstehenden Überarbeitung des Samenspenderregistergesetzes auch eine entsprechende Obergrenze eingeführt wird. Dabei halten wir es für sinnvoll, dass sich die Obergrenze an den Empfänger:innen orientiert (also an Familien) und nicht an der Zahl der insgesamt gezeugten Kinder. Das Erreichen der Obergrenze würde dann nicht verhindern, dass eine Familie ein weiteres Kind von demselben genetischen Elternteil bekommt.
Auch die Bundesärztekammer hatte sich im Jahr 2016 in einer Stellungnahme zum „Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen“ vom 21.12.2016 für eine gesetzliche Beschränkung der durch einen Samenspender gezeugten Kinder ausgesprochen.
Samen und Eizellen im Shopping Portal?
Der Verein Spenderkinder hat eine Beschwerde gegen zwei Samenbanken eingereicht, die einen öffentlich im Internet einsehbaren Katalog von Männern anbieten, die ihren Samen abgeben.
In den USA üblich, in Deutschland aber nicht: Datenbanken von Samen- und Eizellbanken, in denen sich Wunscheltern Menschen aussuchen können, deren Samen oder Eizellen sie kaufen möchten. Die Menschen werden mit Fotos, ethnischem Hintergrund, Größe, Gewicht, Aussehen und Hobbys beworben, meistens sind Fotos beigefügt. Für Sperma und Eizellen von attraktiven und hoch gebildeten Menschen werden dabei üblicherweise höhere Preise gefordert.
In Europa haben sich die Mitgliedsstaaten der EU jedoch entschieden, dass Organe und Gewebe, wozu auch Ei- und Samenzellen zählen, keine Handelsware sein dürfen. Die „Richtlinie 2004/23/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Konservierung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen“ (auch bezeichnet als Gewebe-Richtlinie) sieht vor, dass Organe und Gewebe nicht mit Gewinnerzielungsabsicht vertrieben werden.1 Umgesetzt worden ist dies in Deutschland in § 17 Absatz 1 Satz 1 des Transplantationsgesetzes (TPG): „Es ist verboten, mit Organen oder Geweben, die einer Heilbehandlung eines anderen zu dienen bestimmt sind, Handel zu treiben.“ Ausgenommen ist lediglich die „Gewährung oder Annahme eines angemessenen Entgelts für die zur Erreichung des Ziels der Heilbehandlung gebotenen Maßnahmen“. Entsprechend dürfen Spermien nicht gekauft und auch nicht zum Kauf angeboten werden, erlaubt ist lediglich eine Aufwandsentschädigung.2 Hieran erinnern wir regelmäßig Samenbanken in Deutschland, die versuchen, für die Abgabe von Samen vor allem mit der dafür gezahlten Aufwandsentschädigung zu werben.
Inzwischen gibt es auch zwei Samenbanken in Deutschland, die einen öffentlich einsehbaren Katalog von Menschen anbieten, die Samen abgeben.3 In dem Katalog werden ethnischer Hintergrund, Augenfarbe, Größe, Gewicht, Ausbildung, Hobbys und Motivation angegeben. Bei der einen Samenbank können nach Erstellung eines Accounts sogar Fotos betrachtet und Favoritenlisten angelegt werden. Bei der anderen Samenbank ist das bei Internetshops übliche Symbol für den Einkaufswagen durch einen Kinderwagen ersetzt worden. Letztere ist mit Novum verbunden – eine reproduktionsmedizinische Praxis, mit der viele unserer Mitglieder rechtliche Auseinandersetzungen führen. Die andere Samenbank scheint eine deutsche Niederlassung einer dänischen Samenbank zu sein – die sich aber dennoch an deutsches Recht halten muss.
Solche Kataloge sind aus Sicht des Vereins Spenderkinder in Deutschland wegen eines Verstoßes gegen § 17 TPG rechtswidrig, weil sie Samen wie ein kommerzielles Produkt darstellen, das wie bei einem Shopping-Portal mit wenigen Klicks gekauft werden kann. Es handelt sich hierbei jedoch um einen Vorgang, der zur Zeugung eines Menschen führen wird – die Person, deren Sperma gewählt wird, ist der genetische Elternteil des entstehenden Kindes. Ein solcher Vorgang muss aus unserer Sicht mit dem entsprechenden Respekt behandelt werden. Eine anpreisende Werbung erfüllt nicht diesen Respekt. Außerdem dürfte es die Auswahl von genetischen Elternteilen nach als wünschenswert beurteilten Merkmalen wie Studium und Aussehen fördern – teilweise vielleicht in der Hoffnung, dass das entstehende Kind diese Merkmale ebenfalls aufweisen wird. Das kann dazu beitragen, dass das durch den Samen dieser Person entstehende Kind sich wie ein gekauftes Profukt fühlen. Einige Mitglieder unseres Vereins schildern dieses Gefühl bereits jetzt.
Zwar ist nach § 17 Absatz 1 Satz 2 TPG die „Gewährung oder Annahme eines angemessenen Entgelts für die zur Erreichung des Ziels der Heilbehandlung gebotenen Maßnahmen“ zulässig sei. Das beinhaltet unserer Ansicht nach jedoch nicht, die Samen abgebenden Menschen mit anpreisenden Angaben zu bewerben. Wenn Ärzte beteiligt sind, dürfte es sich außerdem um einen Verstoß gegen § 27 Absatz 3 der der (Muster-)Berufsordnung für Ärzte handeln.
Auffallend ist, dass andere Samenbanken in Deutschland einen vergleichbaren Online-Katalog nicht anbieten, sondern den Wunscheltern Spender lediglich aufgrund einer Typangleichung in Beratungsgesprächen vorschlagen. Damit können Wunscheltern immer noch in einem gewissen Umfang den genetischen Elternteil auswählen, aber nicht nach völlig frei gewählten Merkmalen. Wir hoffen, dass dies so bleibt. Eine Samenbank aus München lehnt eine solche Katalogbestellung sogar ausdrücklich ab: „Eine Kommerzialisierung der Samenspende durch optimierende Auswahlverfahren (z.B. nur Universitätsprofessoren und Leistungssportler) fördert die Cryobank-München deshalb ebenso wenig, wie anonymen Versandhandel übers Internet. Auch können Sie bei uns nicht aus Katalogen auswählen und bestellen.“
Noch handelt es sich bei den Katalogen um einen ungewöhnlichen Vorgang in Deutschland. Wir befürchten jedoch, dass in der Zukunft viele andere Samenbanken nachziehen könnten, um nicht in einen Wettbewerbsnachteil zu gelangen. Insbesondere müssen denkbare Steigerungen der Kommerzialisierung verhindert werden, zum Beispiel indem Rabatte für die Proben von wenig beliebten Spendern gewährt werden oder Samenbanken an Verkaufsaktionen wie dem „Black Friday“ mitwirken (beides ist in den USA bereits vorgekommen).
Der Verein Spenderkinder hat daher gegen die beiden Samenbanken mit Internet-Katalog eine Beschwerde bei den jeweiligen Aufsichtsbehörden eingereicht und hofft, dass diese entsprechende Maßnahmen ergreifen wird. Ganz allgemein halten wir es jedoch für erforderlich, dass sich Berufsverbände wie die Bundesärztekammer und der Arbeitskreis Donogene Insemination auch verstärkt damit beschäftigen, welche Art von Information zu Samenvermittlung zulässig ist bzw. wo die Grenze zwischen Werbung und Informationsvermittlung verläuft. In den derzeitigen Richtlinie finden sich hierzu keine Hinweise.
Wünschenswert wäre aus unserer Sicht eine Darstellung von Samenvermittlung, die einerseits Informationen über das Angebot der Familiengründung mit dem Samen eines Fremden bietet, gleichzeitig aber auch die daraus entstehende Verantwortung und Herausforderungen betont. Dazu gehört bei der Suche nach Samen abgebenden Personen unbedingt, dass diese durch die Samenabgabe der genetische Elternteil eines Kindes wird und dies Auswirkungen auf seine oder ihre weiteren Kinder haben kann. Gleichzeitig sollten die Wunscheltern informiert werden, dass das Kind im Wissen um seine Abstammung aufwachsen sollte und es möglicherweise später Kontakt zum genetischen Elternteil und Geschwistern haben möchte. Auf keinen Fall sollte eine Darstellung von Samenvermittlung erlaubt sein, die die vermeintlichen körperlichen und intellektuellen Vorzüge der Samen abgebenden Personen hervorhebt oder die vor allem den finanziellen Aspekt als Motivation anspricht.
- Artikel 12 Absatz 2: „Die Mitgliedstaaten treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass jede Werbung und sonstige Maßnahmen zur Förderung von Spenden menschlicher Gewebe und Zellen im Einklang mit den von den Mitgliedstaaten festgelegten Leitlinien oder Rechtsvorschriften stehen. Diese Leitlinien oder Rechtsvorschriften enthalten geeignete Beschränkungen oder Verbote, damit der Bedarf an menschlichen Geweben und Zellen oder deren Verfügbarkeit nicht in der Absicht bekannt gegeben werden, finanziellen Gewinn oder vergleichbare Vorteile in Aussicht zu stellen oder zu erzielen. Die Mitgliedstaaten streben danach, sicherzustellen, dass die Beschaffung von Geweben und Zellen als solche auf nichtkommerzieller Grundlage erfolgt.“ [↩]
- Makoski, in: Clausen/Schroeder-Printzen, Münchener Anwaltshandbuch Medizinrecht, 3. Aufl. 2020, § 19 Recht der Reproduktionsmedizin, Rn. 99. [↩]
- In Deutschland ist die Abgabe oder Vermittlung von Eizellen nicht erlaubt. [↩]
Fernsehdokumentation bei ARTE: Re: Samenbank oder Hausbesuch? Wunschkinder von fremden Vätern am 8. November 2021
Am Montag, den 8. November 2021, sendet ARTE die Dokumentation „Re: Samenbank oder Hausbesuch? Wunschkinder von fremden Vätern“. Darin geht es vor allem um private Samenvermittlung. Gezeigt werden eine alleinstehende Frau und ein Frauenpaar, die sich ihren Kinderwunsch mit privater Samenvermittlung erfüllen möchten. Gewünscht wird ein Kind, das bedingungslos liebt bzw. das seine beiden Wunschmütter als alleinige Eltern anerkennt. Das Frauenpaar möchte dem Kind zwar Kontakt zum Vater ermöglichen, wenn das Kind dies wünscht. Lieber wäre den Frauen aber, das Kind hätte kein Interesse daran, und fügt hinzu „wir wollen die Eltern sein“.
Welche Rolle spielt der genetische Vater?
Die Leiterin einer dänischen Samenbank erklärt, dass es zwar eine genetische Verbindung zwischen genetischem Vater und Kind gebe, dass jedoch der genetische Vater keinen Kontakt zum Kind haben dürfe, um die soziale Elternstellung der Wunscheltern nicht zu gefährden. Interessen des Kindes werden dabei nicht berücksichtigt.
Bei privater Samenvermittlung gibt es keine solchen Vorgaben. Zwei private „Samenspender“ berichten von ihren Erfahrungen. Einer von ihnen hat über 120 Kinder gezeugt, der andere nennt keine Zahl, „spendet“ aber seit Jahren zwei bis dreimal im Monat. Sie sind offen für Kontakt zu den entstehenden Kindern. Einer der beiden erzählt, wie herausfordernd die Rollenverteilung bereits auf Ebene der Eltern ist, wie ein Kind nach der Geburt auf seinem Bauch lag, die Wunschmutter ihn dann aber doch wegschickte, weil er in ihren Augen die Zweisamkeit der Wunschmütter mit dem Kind störte.
Bei Spenderkinder-Mitglied Britta und ihrem Vater Dietrich fügen sich die Perspektiven zu einer gemeinsamen Geschichte zusammen und vereinen Rückblick und Ausblick: Dietrich reflektierte seine Zeit als „Samenspender“ vor über 20 Jahren. Er übernahm Verantwortung für die entstandenen Menschen, indem er sich in einer DNA-Datenbank registrierte. So fand er Britta, die ihren genetischen Vater und Halbgeschwister suchte. Die beiden lernen sich kennen – und zur genetischen Verbindung kommt eine soziale Beziehung hinzu. Das bringt ganz neue Herausforderungen mit sich. Wieviel „Vater“ ist ok? Die unkomplizierte Anrede per Vorname ist für alle sofort selbstverständlich. Mit wachsender sozialer Beziehung stellt sich die Frage: Was braucht es für die Anrede „Vater“? Die Doku wagt einen kurzen Einblick – eine Fortsetzung wäre schön!
Die Sendung ist über die Mediathek abrufbar.
Das Fremde im eigenen Spiegelbild – Martina im Interview mit Sunny im Oktober 2021
Im Youtube-Interview mit Sunny spricht Martina darüber, wie sie erfahren hat, dass sie ein Spenderkind ist und von ihrer Suche nach ihrem biologischen Vater. Der Blick in den Spiegel macht das Unbekannte sichtbar, aber doch nicht greifbar.
Wer hat eine Idee, wer Martinas biologischer Vater sein könnte? Er lebte 1985 (evtl. auch schon vorher) im Raum Essen, ist vermutlich groß, blond und mindestens 53 Jahre alt, eher älter. Jeder Hinweis kann helfen! Hinweise gerne an info@spenderkinder.de.
ZDF Terra Xpress „Wer ist mein Vater“ am Sonntag, den 8. August 2021
Am Sonntag, den 8. August, ging es in der ZDF-Sendung Terra unter dem Titel „Wer ist mein Vater? Anonyme Samenspender und ihre Kinder“ (noch in Mediathek abrufbar, Minute 1 bis 12) um die Kontaktaufnahme zwischen Spenderkindern und dem leiblichen Vater bzw. Halbgeschwistern.
Udo gab in den 80er Jahren, 7 Jahre lang alle zwei Wochen, in einer Frauenarztpraxis in Essen Samen ab, damit daraus Kinder gezeugt würden. Jahrzehnte später wird er durch einen Zeitungsartikel darauf aufmerksam, dass viele Spenderkinder auf der Suche nach ihren leiblichen Vätern sind. Udo nimmt Kontakt mit dem Verein Spenderkinder auf und registriert sich in einer DNA-Datenbank, damit seine Kinder ihn finden können. Er erzählt auch seiner Tochter Andrea davon. Die Kinder, die er gezeugt hat, sind ihre Halbgeschwister.
Christoph erfährt von seiner Mutter, dass er mit Samen aus Essen entstanden ist. So konnte seine Mutter ein leibliches Kind bekommen. Nun ist er auf der Suche nach seinem leiblichen Vater. In einer DNA-Datenbank findet er einen nahen Verwandten.
Sunny entstand in Berlin mit Samen, den der Arzt ihrer Mutter vermittelte. Im Alter von 10 Jahren erfuhr sie davon. Als Erwachsene hat sich Sunny in einer DNA-Datenbank registriert. Auch sie hat einen nahen Verwandtentreffer.
Wir Spenderkinder wünschen uns sehr, dass weitere „Samenspender“ Udos und Peters Beispiel folgen, zu ihren genetischen Kindern stehen und sich am besten in einer DNA-Datenbank registrieren. So können suchende Kinder sie direkt finden. Alternativ freuen wir uns auch, wenn sich ehemalige „Samenspender“ direkt bei unserem Verein melden und zum Beispiel ein Suchprofil auf unsere Homepage setzen.
Rechtliche Ergänzung zum Beitrag: Auf das Recht des Kindes, den Namen seines genetischen Vaters zu erfahren, wies bereits 1970 der Justiziar der Bundesärztekammer im Zusammenhang zur Samenvermittlung hin.Seit 2018 gibt es ein zentrales Register, bei dem Spenderkinder unabhängig von den Ärzten ihrer Mütter Auskunft erhalten können. Anonymitätsversprechen waren hatten aber auch vorher keine rechtliche Grundlage.