Filmrezension: MENSCHENSKIND! von Marina Belobrovaja

Nelly hat viele Geschwister aber keinen Vater. Das ist der Anfang der Beschreibung von „Menschenskind!“, einer Dokumentation der Befruchtung der Singlemutter und Filmemacherin Marina Belobrovaja. Weil sie viele Jahre keinen festen Partner, aber einen Kinderwunsch hatte, entschied sie sich zu einer privaten Samenspende, um ihre Tochter Nelly zu bekommen. Nachdem sie zwei Monate online Männer angeschrieben hat, findet sie den zukünftigen Vater, trifft ihn zum Sex und wird daraufhin schwanger. Das heißt, die Beschreibung des Films stimmt nicht ganz, Nelly hat natürlich einen Vater, aber eben keinen, der bereit ist, die Verantwortung für sie zu übernehmen.

Als Nelly heranwächst, konfrontiert sich Belobrovaja mit ihrer Entscheidung und trifft andere Spenderkinder, um zu verstehen, was ihre Entscheidung für ihr Kind bedeuten und wie sie am besten damit umgehen kann. Die Regisseurin versucht einen multiperspektivischen Blick auf das Thema einzunehmen: sie befragt den Vater ihres Kindes, warum er Kinder zeugt (er bleibt im Film anonym), andere Spenderkinder und mehrere Eltern, die auf nicht normative Arten eine Familie gegründet haben. Es geht also nicht nur um Singlemütter, sondern auch generell um Familie. Was ist Familie, was kann Familie sein? Belobrovaja ist in der ehemaligen Sowjetunion groß geworden, ihre Eltern und ihre Oma leben in Israel. Immer wieder sehen wir sie über Facetime mit Nelly reden und ihre Tochter und Enkelin bei ihrer Mutterschaft begleiten. Diese Szenen gehören zu den besten Momenten des Films, weil sie sehr authentisch zeigen, wie diese Familie funktioniert. Der stille Papa, die aufbrausenden Gespräche zwischen der Singlemutter in der Schweiz und der pragmatischen Mutter, die mit Putzhandschuhen aus Israel ihrer Tochter Ratschläge gibt. Im Gegensatz zu Deutschland gebe es in Israel kein Nachdenken über die ethischen Konsequenzen eines Kindes ohne sozialen Vater, vermutet Belobrovaja.

Weil ihr in ihrer Wahlheimat, der Schweiz, Kritik entgegenschlägt, versucht sie zu verstehen, woher die Kritik rührt, und ob sie bei ihrer Entscheidung ethische Fragen übersehen und mögliche psychische Folgen für ihre Tochter nicht bedacht hat. Für sie ist es natürlich zu spät, sie hat ihre Entscheidung schon getroffen. Aber für andere Wunscheltern kann der Film ein Teil der Entscheidungsgrundlage sein – und zwar bevor das Kind geboren wurde.

In „Menschenskind!“ sehen wir Nelly heranwachsen, aber auch am Ende ist sie noch zu jung, um für sich selbst sprechen zu können. Wird sie ihre Mutter irgendwann damit konfrontieren, dass sie ohne Vater aufwachsen muss? Wird sie Kontakt zu ihrem Vater aufbauen wollen? Wird dieser bereit sein, sie zu treffen? Oder wird sie das Gefühl haben, dass ihre Mutter die eigenen Wünsche, über ihr Wohl gestellt hat? „Es gibt kein Recht auf ein eigenes Kind“, betont das Spenderkind Anne Meier-Credner im Film. Belobrovaja fragt nach, ob ihre Eltern etwas hätten anders machen können? „Das kann man nicht richtig machen“, betont Meier-Credner. Man suche gezielt Männer, die kein emotionales Interesse an dem entstehenden Kind haben. Das wird für das entstehende Kind immer Verletzungspotenzial haben. Sicherlich schmerzhafte Momente für Belobrovaja. Umso mutiger, dass sie diesen Schmerz öffentlich macht. Als ein anderes Spenderkind erfährt, dass Belobrovaja sich für den Samen eines Mannes entschieden hat, der um die 60 Kinder gezeugt hat, äußert auch er Kritik an ihrer Entscheidung. Fühle sich das Kind nicht am Ende beliebig? Wahllos? Wie eine Nummer? Die Regisseurin konfrontiert sich zwar mit der Kritik an der Entscheidung, aber als Zuschauerin gewinnt man nicht den Eindruck, dass sie daraus für ihren Film die richtigen Schlüsse zieht: Sonst wären die privaten Szenen mit Nelly nicht im Film gewesen. Belobrovaja hat jedes Recht ihre Mutterschaft in einem Film zu thematisieren, aber nicht, Nellys Kindheit abzubilden. Gegen Ende der Dokumentation sieht man Nelly still auf der Straße liegend, noch zu klein, um sich zu alldem zu verhalten. Richtig wäre es gewesen ihr Bild und ihren Namen zu schützen. „Menschenskind!“ ist ein meinungsoffener, wichtiger und mutiger Film. Er stellt unerschrocken und ehrlich die richtigen Fragen.  

Autorin: Lena

Solo Mütter durch Samenvermittlung aus Sicht des Kindes

Medienberichten zufolge entscheiden sich zunehmend Frauen ohne Partner*in, mit einer Samen“spende“1 (im Folgendem Samenvermittlung genannt) „alleine“ Mutter zu werden. Angeblich werden knapp 30% der Vorräte aus Samenbanken heutzutage an alleinstehende Frauen mit Kinderwunsch verkauft, so genannte Solo-Mütter (oder auf Englisch „Single Mothers By Choice“ (SMBC)). Auch die Elternorganisation DI-Netz bietet hierzu bereits Informationsveranstaltungen an.

In Diskussionen wird diese Form der Kinderwunscherfüllung oft eher oberflächlich behandelt und entweder als egoistisch verdammt oder als Emanzipation der Frau gefeiert. Beides trifft aus unserer Sicht das Problem nicht: jeder Kinderwunsch ist auf gewisse Weise egoistisch. Auch bei Samenvermittlung an Paare geht es darum, Menschen ihren Wunsch nach einem Kind zu erfüllen. Dabei wird dem Kind der genetische Vater (zumindest zunächst) vorenthalten. Grundsätzlich sind alle ethischen Bedenken in Bezug auf Samenvermittlung auch auf alleinstehende Frauen anwendbar (siehe hierzu unser Text Ethische Aspekte). Bei Solo-Müttern kommen aus Sicht des gezeugten Kinder jedoch noch einige weitere Aspekte hinzu, die wir in diesem Artikel darstellen – und am Ende auch einige inzwischen erwachsene Kinder von Solo-Müttern selbst erzählen lassen.

Motivation von Solo-Müttern

Solo-Mütter entscheiden sich überwiegend, ohne Partner ein Kind mit einer Samenvermittlung zu bekommen, weil sie einen starken Kinderwunsch haben, ihnen aber der passende Partner fehlt, um ein Kind bekommen.2 Für manche dieser Mütter kommt auf Grund zunehmenden Alters hinzu, dass sie das Gefühl haben, nicht mehr lange warten zu können, um ein Kind zu bekommen. Eine Samenvermittlung erscheint daher vielen als schnell zu realisierende Lösung. Dagegen scheint eher nur eine Minderheit gar keine Beziehung eingehen zu wollen.

Samenvermittlung ist jedoch nicht die einzige Möglichkeit, ohne Liebesbeziehung ein Kind zu bekommen: so wird beim Co-Parenting bewusst ein Vater für das Kind gesucht, mit dem die Mutter keine Liebesbeziehung führt, der aber die Vaterrolle einnimmt. Dies entspricht aus Sicht des Vereins Spenderkinder wesentlich mehr den Interessen des Kindes (siehe unser Beitrag Private Samen“spende“ und Co-Parenting). Einige Solo-Mütter scheinen hier aber Vorbehalte wegen der hierfür erforderlichen Abstimmungen und Kompromisse zu haben. So schreibt eine Solo-Mutter hierzu: „Die Möglichkeit eines Co-Parenting-Modells habe ich kurz überlegt, war dann aber nicht davon überzeugt, dass ein “fremder” Mann und ich einen gemeinsamen Weg finden können, unser Kind aufzuziehen.“

Rechtliche Aspekte bei Solo-Müttern

In Deutschland ist nicht gesetzlich geregelt, welche Personengruppen das Recht haben, ein Kind mit einer Samenvermittlung zu bekommen. Bis 2018 sprachen sich die Richtlinien der Bundesärztekammer gegen eine Vermittlung an alleinstehende Frauen aus. Die aktuelle Richtlinie der Bundesärztekammer zur Entnahme und Übertragung von menschlichen Keimzellen im Rahmen der assistierten Reproduktion aus dem Jahr 2018 enthält hierzu jedoch keine Aussage mehr.

Bis zum Jahr 2018 vermittelten die meisten Ärzte keinen Samen an alleinstehende Frauen, weil das so gezeugte Kind keinen rechtlichen Vater hatte und man den Samengeber somit als Vater hätte feststellen können. Am 1. Juli 2018 trat das Gesetz zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen in Kraft. Das Gesetz sah insbesondere die Schaffung des Samenspenderregisters vor, gegen das Spenderkinder ein Recht auf Auskunft über ihren genetischen Vater ausüben können. Es sah aber auch eine Regelung vor, nach der ein Mann, der seinen Samen über eine medizinische Einrichtung zur Zeugung eines Kindes abgegeben hat, nicht als Vater des Kindes festgestellt werden kann (§ 1600 Absatz 4 BGB). Das gilt unabhängig davon, ob die Mutter des Kindes mit einem Mann oder eine Frau verheiratet ist.

Seitdem diese Regelung in Kraft getreten ist, nimmt der überwiegende Teil der juristischen Literatur an, dass die rechtlichen Risiken für Ärzte bei der Samenvermittlung an alleinstehende Frauen entfallen sind. Entsprechend wird zumindest berichtet, dass mehr deutsche Samenbanken Solo-Mütter als Kundinnen akzeptieren. Es gibt allerdings auch kritische Stimmen, die weiterhin ein rechtliches Risiko für Ärzte und Kliniken bei der Vermittlung an alleinstehende Frauen annehmen, weil der Gesetzgeber bei dem Ausschluss der Feststellung des Samengebers als Vater davon ausgegangen wäre, dass dem Kind einen anderen Mann als Vater zugeordnet werde.3

Wir haben auf Grund von Anfragen an unseren Verein den Eindruck gewonnen, dass viele Solo-Wunschmütter weiterhin für eine Samenvermittlung in europäische Nachbarländer wie die Niederlande oder nach Dänemark gehen. Zum Teil ist die seit 2018 veränderte Rechtslage in Deutschland möglicherweise nicht bekannt. Oft erwarten die Frauen aber auch, dass ihre Entscheidung bei ausländischen Kliniken besser angenommen wird und dass sie mehr Einfluss auf die Auswahl des Samengebers nehmen können. In diesen Fällen ist allerdings das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung vom betreffenden Recht des Landes abhängig. Dieses kann sehr anders aussehen als in Deutschland, wo das Recht auf Kenntnis der Abstammung verfassungsmäßig geschützt ist und Kinder seit 2018 vom Samenspenderregister Auskunft über den genetischen Vater erhalten können. So ist in Dänemark eine anonyme Samenvermittlung der Normalfall, offene Samen“spenden“ müssen ausdrücklich vereinbart werden und sind teurer. Beim Verein Spenderkinder haben sich einige Solo-Mütter gemeldet, denen erst im Nachhinein bewusst wurde, dass ihr Kind bei einer Samenvermittlung in Dänemark – anders als in Deutschland – nicht den Namen des genetischen Vaters erfahren kann. Daher sollte eine Samenvermittlung im Ausland nur in Ländern in Anspruch genommen werden, in denen das Recht des Kindes auf Kenntnis der Abstammung geschützt ist.

Kinder von Solo-Müttern sind finanziell und emotional schlechter abgesichert

Ein Kind ist finanziell und emotional besser abgesichert, wenn es zwei Elternteile hat. Zum Teil wird hiergegen eingewandt, dass die Situation bei Solo-Müttern nicht anders sei als bei allen anderen Alleinerziehenden. Das ist aus unserer Sicht nicht zutreffend. „Normale“ Alleinerziehende sind meistens nicht geplant alleinerziehend. Das Kind weiß, wer Vater und Mutter sind. Oft ist der andere Elternteil weiterhin im Leben des Kindes präsent, zahlt Unterhalt und übernimmt einen Teil der Betreuung des Kindes.

Schlechtere finanzielle Absicherung

Das gilt erst einmal finanziell: Kinder verursachen viele Kosten, brauchen aber insbesondere auch Betreuung – das ist Zeit, in der man nicht erwerbstätig sein kann. Wer weiterhin erwerbstätig ist, ist darauf angewiesen, anderweitige Betreuung zu organisieren und in der Regel auch zu bezahlen. Da ist es gut, wenn es zwei Gehälter in der Familie gibt. Das gilt insbesondere, wenn man selbst oder das Kind erkrankt. Auch für den schlimmsten denkbaren Fall ist das wichtig: Wenn die Mutter stirbt oder erkrankt, ist noch ein anderer Elternteil vorhanden, der für das Kind sorgen kann.

Solo-Mütter erhalten keinen Unterhaltsvorschuss, weil ein Samen“spender“ nicht als Vater festgestellt werden kann und daher auch nicht unterhaltsverpflichtet ist.4 Nicht wenige Solo-Mütter lügen Berichten zufolge und geben nicht an, dass sie eine Samenvermittlung in Anspruch genommen haben, sondern behaupten, sie könnten die Identität des Vaters lediglich nicht ermitteln. Das dürfte jedoch eine Straftat darstellen. Viele Gerichte verlangen außerdem zumindest Bemühungen, den genetischen Vater zu ermitteln.5

Wenn die Mutter nicht erwerbstätig ist oder nur ein geringes Gehalt verdient, bleibt nur der Anspruch auf andere Sozialleistungen wie das ALG II, Sozialhilfe oder Wohngeld.

Herausforderungen für die emotionale Entwicklung

Ein zweiter Elternteil ist aber auch wichtig für die emotionale Entwicklung des Kindes: Auch sehr gewünschte Kinder können für Eltern sehr anstrengend sein. Zwei Partner können sich gegenseitig entlasten: bei anstehenden Besorgungen, aber auch wenn ein Elternteil oder das Kind gerade eine schwierige Phase durchmacht. Von einer Entlastung durch den zweiten Elternteil profitiert das Kind, weil es gelassenere und geduldigere Eltern hat, die sich ausgleichen können. Außerdem lernt ein Kind durch das Vorleben einer Partnerschaft, wie Menschen zusammenleben und Konflikte konstruktiv lösen können. Das gilt selbst dann, wenn die Eltern aktuell kein Paar mehr sind.

Obwohl die meisten Studien sagen, dass es Kinder von Alleinerziehenden grundsätzlich gut geht, sind sie doch besonderen Belastungen ausgesetzt. So haben sie haben ein deutlich höheres Risiko, depressiv zu werden. Das wirkt sich auch auf das Kind aus. Einige Kinder von Solo-Müttern berichten, dass sie sich als Mittel gefühlt hätten, die Einsamkeit ihrer Mutter zu lindern. Solo-Mütter sollten daher sicherstellen, dass ihr Kind weitere Bezugspersonen hat, insbesondere auch männliche, und Personen, die sie verlässlich unterstützen werden.

Kinder von Solo-Müttern wachsen – anders als viele Spenderkinder von heterosexuellen Wunschelternpaaren – meistens in dem Bewusstsein auf, dass ihr Vater ein Samen“spender“ ist. Wird das Kind einer Solo-Mutter älter, wird es wahrnehmen, dass sein Vater nicht präsent in seinem Leben ist und auch kein anderer zweiter Elternteil dessen Rolle teilweise übernimmt.6 Die Wahrnehmung des genetischen Vaters durch das Kind kann sich über die Zeit verändern und von der von der Mutter gewünschten Rolle oder ihrer Wahrnehmung des genetischen Vaters abweichen. Viele Spenderkinder möchten wissen, wer ihr genetischer Vater ist und zum Teil auch eine Beziehung zu ihm aufbauen. Grundvoraussetzung einer Samenvermittlung ist jedoch meistens, dass der Vater kein wirkliches Interesse am Kind hat. Das kann potentiell kränkend für das Kind sein. Auch wenn ein Kind eine sehr gute Beziehung zu seiner Mutter hat, so bleibt am Ende doch diese Kränkung, dass der andere Elternteil, von dem das Kind 50 % hat, nicht wirklich an ihm interessiert ist, es ignoriert oder sogar ablehnt. Vereinbarungen im Bereich der privaten Samen“spende“, bei denen das Kind zumindest einen gewissen Kontakt zum Vater haben kann, liegen eher im Interesse des Kindes. Noch wünschenswerter wäre Co-Parenting, das, anders als Solo-Mutterschaft, den zweiten Elternteil des Kindes integriert (siehe hierzu auch unser Beitrag zu Co-Parenting).

Von alleinerziehenden Elternteilen ist bekannt, dass für die Kinder das Risiko einer so genannten „Parentifizierung“ besteht. Dabei fühlen sich Kinder aufgefordert, nicht kindgerechte Rollen einzunehmen und sich um die Eltern oder einen Elternteil zu kümmern. So übernehmen manche Kinder Aufgaben des fehlenden Partners, weil sie merken, dass dieser Part dem Elternteil fehlt und sie meinen, ihn unterstützen zu müssen. Von dieser Gefahr sind Spenderkinder allgemein betroffen – unabhängig davon, ob sie nur eine Mutter haben oder zwei Elternteile. Es gehört zum Konzept der Samenvermittlung, dass der genetische Vater gerade nicht in der Familie präsent sein soll. Die Elternschaft durch Samenvermittlung ist also mit der unausgesprochenen Bitte an das Kind verbunden, von ihm als gleichwertige Eltern anerkannt zu werden. Spenderkinder möchten z.B. oft ihr Interesse an ihrer Abstammung aus Rücksicht auf die Wunscheltern nicht zeigen. Zum Teil spüren sie eine starke Erwartung der Eltern, dass diese ihnen genug sein sollen. Damit die Eltern sich selbst als gute Eltern wahrnehmen können, darf es dem Kind nicht schaden, dass sie ihm den genetischen Vater vorenthalten. Es ist möglich, dass Kinder von Solo-Müttern diesen Druck noch stärker empfinden. Genauso gut möglich ist allerdings, dass Solo-Mütter eine Kontaktaufnahme des Kindes zum genetischen Vater offener gegenüberstehen, weil er nicht als Konkurrenz empfunden wird.

Besonders ungünstig kann eine Solo-Mutterschaft mit Samenvermittlung sein, wenn bereits Geschwisterkinder existieren, die in einer normalen Partnerschaft entstanden sind. Unter Geschwistern kann es zu Enttäuschungen, Neid und vielen anderen negativen Gefühlen kommen, wenn ein Kind einen verantwortlichen Vater hat und der Vater des Geschwisterkindes ein Samen“spender“ ist, der keine Rolle im Leben des Kindes einnehmen möchte.

Zwar gibt es Studien, nach denen Kinder und Jugendlichevon Solo-Müttern ihre Entstehungsweise grundsätzlich positiv sehen, psychopathologisch unauffällig sind und sozial funktionieren. Vom Funktionieren kann jedoch nicht auf das subjektive Erleben der Spenderkinder geschlossen werden (siehe auch unser Beitrag „Wie gut geht es Spenderkindern wirklich“). Für viele durch Samenvermittlung gezeugte gewinnt die Entstehungsweise – wie auch bei adoptierten Menschen – häufig erst im Erwachsenenalter an Bedeutung, wenn sie sich zunehmend von ihrer Herkunftsfamilie emotional emanzipieren. Es gibt Hinweise darauf, dass – nicht nur in Deutschland – erwachsene Spenderkinder Keimzellvermittlung kritischer sehen, als dies von der Reproduktionsmedizin und Wunscheltern gewünscht ist.

Was sagen Kinder von Solo-Müttern?

Die folgenden Zitate stammen aus Diskussionen in der Facebook Gruppe „We are donor conceived“ und wurden mit Zustimmung der UrheberInnen veröffentlicht und auf Deutsch übersetzt.

Maria
Meine Mutter hatte viele Zweifel, ob es überhaupt ethisch für sie vertretbar ist, als alleinstehende Frau schwanger zu werden und ein Kind zu haben. Sie war immer ehrlich zu mir, woher ich komme und was meine Rechte sind, und hat mir mehrere Male gesagt dass ich das Recht habe wütend auf sie zu sein, dass sie mich unter diesen Umständen auf diese Welt gebracht hat, obwohl ich ihr gegenüber niemals Wut oder Groll deswegen empfunden habe. Ich verurteile Solo-Mütter nicht, aber ich denke, dass jede Situation suboptimal ist in der man seine biologischen Eltern nicht kennt oder nicht bei ihnen aufwächst und wenn möglich vermieden werden sollte. Ich persönlich habe nichts bestimmtes in meiner Kindheit vermisst, und ich glaube das hat auch damit zu tun, dass meine Großmutter praktisch wie ein zweiter Elternteil für mich war. Ich habe es nie als Problem gesehen, eine alleinstehende Mutter zu haben, aber ich glaube, dass ein Kind immer mehrere Erwachsene (idealerweise unterschiedlichen Geschlechts) um sich herum haben sollte, die wie eine Art Eltern sein können oder mit denen man sprechen kann, wenn man Streit mit dem offiziellen Elternteil hat. Obwohl ich nichts Bestimmtes vermisste, habe ich mich immer gefragt wer mein Vater sein könnte, und es hat mich manchmal traurig gemacht, nicht zu wissen wer er ist.7

H.
Meine Mutter war eine Solo-Mutter und sie hat ihr ganzes Leben lang deutliche psychische Probleme gehabt. Erst als ich deutlich älter war, sah ich, wie ungewöhnlich und isoliert meine Kindheit war. Ich bin auf die Welt gekommen, um eine Rolle zu erfüllen, die man nicht erfüllen kann.8

Karla
Meine Mutter hat eine nicht diagnostizierte Borderline-Persönlichkeitsstörung. Sie hat absolut ein Kind bekommen, um jemanden nur für sich alleine zu haben.9

J.
Ich wurde gezeugt, um eine unmögliche Rolle für meine Mutter zu erfüllen. Meine Mutter wollte ein Kind haben, um nicht alleine zu sein und Kontrolle ausüben zu können. Ich hatte eine furchtbare Kindheit und habe nie ganz verstanden, was falsch mit meiner Mutter ist, bis ich älter wurde und das größere Bild sehen konnte. (…). Manchmal frage ich mich, was mein Samenspendervater darüber denken würde, dass seine Spende an eine Frau ging, die unethische Gründe hatte ein Kind zu bekommen.10

B.
Ich bin bei einer alleinstehenden Mutter aufgewachsen. Ich habe mich gefühlt, als wäre ich mit der Aufgabe gezeugt wurden, ihr Gesellschaft zu leisten. Sie wollte keinen Partner. Sie wollte eine Mutter sein und Kinder haben, dass sie nicht verlassen würden. Ich war immer neugierig, wer mein Vater ist, sogar als ich sehr jung war.11

J.
Meine Mutter wollte bewusst eine alleinstehende Mutter sein. Sie hatte mehrere Jahre versucht, auf traditionelle Weise eine Famiilie zu gründen und hat nie den Richtigen getroffen. Bis ich 28 Jahre alt wurde habe ich nicht gewusst, wer mein Spender ist und mich auch nicht dafür interessiert. Er hat mich nicht aufgezogen, und ich habe ganz sicher nicht meine Identität von ihm abgeleitet. Ich habe mich als Resultat von meiner Mutter, Spendersamen und anderen Einflüssen um mich herum gesehen. Nachdem ich mich mit den Umständen von Samenspenden beschäftigt habe, fing ich an mich zu wundern, woher meine Gewohnheiten und Neigungen herkommen. Ich bin mir bewusst dass ich andere Gefühle als andere habe, aber ich würde die Umstände ehrlich gesagt nicht anders haben wollen. Ich bin nie mit einer Vaterfigur aufgewachsen, aber hatte viele männliche Rollenmodelle, zu denen ich aufblicken und von denen ich lernen konnte.12

Links

Blog von Hanna

Golombok, S., Zadeh, S., Imrie, S., Smith, V., & Freeman, T. (2016). Single mothers by choice: Mother–child relationships and children’s psychological adjustment. Journal of Family Psychology, 30(4), 409-418. http://dx.doi.org/10.1037/fam0000188


Mayer-Lewis, Birgit: Familiengründung von Frauen außerhalb einer Partnerschaft. Was Solo- Mütter in Deutschland bewegt – eine qualitativ- empirische Untersuchung, in: K. Beyer/C. Brügge/P. Thorn/C. Wiesemann (Hrsg.) , Assistierte Reproduktion mit Hilfe Dritter, Springer 2020, S. 213-227, S. 218.

Rüchel, Yvonne: Solomama – Mit Samenspende Schwanger werden
Produktion von Tellux Film GmbH / ARD im Auftrag des SWR / 45 Minuten / 2020

  1. Weswegen wir den Begriff kritisieren, erklären wir in unserem Beitrag: Was ist problematisch am Begriff der Spende []
  2. Birgit Mayer-Lewis, Familiengründung von Frauen außerhalb einer Partnerschaft. Was Solo- Mütter in Deutschland bewegt – eine qualitativ- empirische Untersuchung, in: K. Beyer/C. Brügge/P. Thorn/C. Wiesemann (Hrsg.) Assistierte Reproduktion mit Hilfe Dritter, Springer 2020, S. 213-227, S. 218. []
  3. Wehrstedt, Das neue Samenspenderregister und die Auswirkungen auf notarielle Beurkundungen anlässlich einer heterologen Insemination, MittBayNot 2019, 122, 127. []
  4. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 03.05.2012, Az. 12 S 2935/11, besprochen in der Legal Tribune Online. []
  5. siehe Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 24.09.2018, Az. 7 A 103000/18.OVG, besprochen in der Legal Tribune Online. []
  6. Die Rolle des genetischen Vaters kann nicht vollständig von einem anderen Menschen übernommen werden. []
  7. My mother had a lot of doubts whether it would even be ethical for her to become pregnant and have a child as a single woman. She was always honest to me about everything, where I came from and what my rights were, and has told me many times that I am allowed to be angry at her for bringing me into this world in these circumstances, though I’ve never felt anger or resentment towards her for this. I do not condemn smbc, but I do think that every situation in which you do not know and/or are not raised by your biological parent(s) is suboptimal and should be avoided if possible. I personally did not miss anything specific while growing up, and I think that also has to do with the fact that my grandmother was basically a second parent to me. I never considered having a single mother as a problem, but I do think that as a child you should always have multiple adults (of different genders, ideally) around who function as some sort of parent or who you can always talk to if you’re having an argument with your one official parent. Though I didn’t miss anything specific, I always did wonder about who my father would be, and not knowing him made me sad sometimes. []
  8. My mother was a SMBC and she has significant lifelong mental health issues. I never realized how unusual and isolating my childhood was until I was much older. I hear you about being born to fulfill an impossible role []
  9. My mother has undiagnosed borderline personality disorder. She absolutely had a child to have someone “all to herself.” []
  10. I was conceived to fulfill an impossible role for my mother. My mother wanted a child to never be alone and exact control. I had a horrible childhood and never quite understood what was wrong with my mom until I got older and could see the bigger picture. (…) I sometimes wonder what my donor sperm father would think about donating to a woman who had unethical reasons to conceive. []
  11. I was raised by a single mom. I felt like I was created with a job to keep her company. She didn’t want a partner. She wanted to be a mom and have kids who wouldn’t leave her. I was always curious about whom my father was, even when I was very young. []
  12. My mother wanted to be a single mother by choice. This happened after trying to have a family the traditional way for many years and just never meeting Mr. Right. From the time I was born until around 28, I never knew or cared about who my donor was. He didn’t raise me, and I certainly didn’t form my identify off of him. As far as I was concerned, I was the product of my mother, donor sperm, and other influences around me. After diving into the donor-conceived vortex, I have started to wonder where I get all of my habits and tendencies from. I know I feel differently than some, but I honestly wouldn’t have had it any other way. I never had a „dad figure“ growing up but I had plenty of male role models to look up to and learn from. []

Verein Spenderkinder unterstützt auch minderjährige Spenderkinder bei Auskunftsproblemen

Der Verein Spenderkinder unterstützt auch minderjährige Spenderkinder und ihre Eltern, Auskunft über die eigene Herkunft zu bekommen. Das machen wir selbstverständlich kostenlos.

Wenn Spenderkinder erfahren möchten, wer ihr genetischer Vater ist, müssen sie sich an die Praxis wenden, in der sie entstanden sind.1 Eigentlich dürften derzeit minderjährige Spenderkinder keine Probleme haben, Auskunft zu erhalten. Seit dem Jahr 2007 galt eine ausdrückliche 30jährige Aufbewahrungsdauer, die alle zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Dokumente erfasst. Das beinhaltet alle Daten von seit 1997 gezeugten Kindern.2 Wir hören aber immer wieder, dass doch Probleme auftauchen. weil entweder keine Auskunft gegeben wird oder nur eine unvollständige Auskunft. Es gibt nach wie vor Ärzte, die es vermeiden, Auskunft zu geben.

Als Einzelperson hat man kaum eine Chance, einzuschätzen, ob Informationen zurückgehalten werden. Dafür ist die Zusammenarbeit und der Austausch von uns Spenderkindern hilfreich.

Der Verein Spenderkinder hat durch seine vielen Mitglieder viel Wissen über verschiedene Kliniken und Praxen gesammelt. Wir können zum Beispiel sagen, ob eine Klinik oder ein Arzt schon Auskunft erteilt oder diese abgelehnt hat und was die vorgebrachten Argumente waren oder ob bereits andere Spenderkinder gerichtlich vorgegangen sind. Dieses Wissen teilen wir gerne mit anderen Spenderkindern und ihren Eltern.

Aus einigen Praxen sind uns auch „Samenspender“ bekannt. Wenn wir unsere Informationen miteinander abgleichen, können wir verhindern, dass diese Männer mehrfach kontaktiert werden. Unter Umständen können wir auch den Erstkontakt vermitteln. Das ist wichtig, weil eine Kontaktaufnahme auch für einige „Samenspender“ psychisch herausfordernd ist.

  1. Das Samenspenderregister hat nur Daten zu ab Juli 2018 entstandenen Kindern. []
  2. Der Verein Spenderkinder geht davon aus, dass auch zuvor eine Pflicht zur Aufbewahrung der Daten bestand – siehe hierzu unsere Informationen unter Rechtliches []

Filmpremiere MENSCHENSKIND! beim DOK.fest München2021

Der Film MENSCHENSKIND! feiert beim Dokumentarfilmfestival in München seine Deutschlandpremiere! Die Filmemacherin Marina Belobrovaja ist Mutter einer aus privater Samenvermittlung hervorgegangenen Tochter. Im Dokumentarfilm MENSCHENSKIND! zeigt sie ihre eigene Familiengeschichte und die anderer nicht normativer Familien. Zwei erwachsene Spenderkinder sind auch dabei.

Das DOK.fest München 2021 beginnt am Mittwoch, 5. Mai. Man kann den Film bis zum 23. Mai online sehen. Tickets gibt es für 6 € direkt beim Film. Für Neugierige gibt es vorab schon den Trailer.

(c) DOK.fest München MENSCHENSKIND!

Welt am Sonntag „Suche nach dem Vater“ am 21. Februar 2021

In der Welt am Sonntag vom 21. Februar 2021 erzählt der Artikel „Suche nach dem Vater“ von Wolfgang Büscher die Geschichte der Halbgeschwister Alexander, Stefano, Nina und Anne (mir). Wir haben uns über DNA-Datenbanken gefunden und sind nun gemeinsam auf der Suche nach unserem genetischen Vater. Der Artikel ist auch als Online-Version verfügbar, unter dem Titel Anonyme Samenspender – „Du bist eben der Sohn deiner Mutter“ allerdings nur mit Welt-Abo (kostenloser Probemonat möglich).

Anders als es in der Zusammenfassung der Printausgabe steht, ist das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung altbekannt und waren Anonymitätsversprechen immer ungültig.

Im Artikel wird beschrieben, dass Stefanos Eltern zunächst ein Spanier als „Spender“ zugesagt worden war. Stefanos DNA-Test zeigte jedoch, dass er keine spanischen Wurzeln hat. Wer ist dann unser genetischer Vater? Wir freuen uns sehr über alle Hinweise. Und natürlich freuen wir uns auch über weitere Halbgeschwister! Auch Menschen, die selbst keine Spenderkinder sind, uns aber bei der Suche helfen möchten, können das tun, indem sie sich selbst in DNA-Datenbanken registrieren lassen. Je mehr Menschen sich registrieren lassen, desto einfacher können Verbindungen aufgespürt werden.

Interview mit Spenderkinder-Mitglied Kerstin im Online-Magazin „im gegenteil“ am 23. Februar 2021

Im Interview Ich bin ein (Samen-) Spenderkind: Wie es sich anfühlt, den genetischen Vater nicht zu kennen erzählt Spenderkinder-Mitglied Kerstin wie sie mit 34 Jahren davon erfahren hat, ein Spenderkind zu sein. Im Gespräch mit Jenny Beck, Redakteurin des Online-Magazins „im gegenteil“, sagt sie, wie wichtig eine ehrliche Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist. Obwohl sie erst als Erwachsene von ihrer Entstehungsweise erfahren hat, erlebte sie die Aufklärung als positiv und große Erleichterung.

Kerstins Botschaft an Eltern lautet: Klärt eure Kinder auf, am besten früh – aber besser spät als nie!

Spenderkinder bei öffentlicher Anhörung im Gesundheitsausschuss zu Eizellvermittlung

Anne hat den Verein Spenderkinder als Sachverständige bei einer Anhörung des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages am 27. Januar 2021 zum Thema Legalisierung der Eizellvermittlung in Deutschland vertreten.

In dem „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Embryonenschutzgesetzes – Kinderwünsche erfüllen, Eizellspenden legalisieren“ fordert die FDP die Legalisierung der Eizellspende (im Folgenden Eizellvermittlung) in Deutschland. Als Hauptargument dafür nennt sie, dass Kinderwunschpaare sich sonst anonyme Eizellen im Ausland vermitteln lassen und die entstehenden Kinder ihr Recht auf Kenntnis ihrer genetischen Abstammung kaum wahrnehmen könnten. Außerdem werde die Eizellvermittlung im Ausland oft kommerziell angeboten, so dass Paare aus Deutschland viel Geld dafür bezahlen müssten.

Wir haben uns in unserer Stellungnahme gegen den Gesetzentwurf ausgesprochen. Aus unserer Sicht sprechen viele Argumente gegen die Legalisierung der Eizellvermittlung in Deutschland, wie z.B. fehlende Erfahrung zum Erleben der Kinder, aber auch die drohende Kommerzialisierung und die erhöhten gesundheitlichen Risiken für die abgebende Frau. Abgesehen davon enthält der Gesetzentwurf keine flankierenden Maßnahmen, die das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung in Deutschland sichern würden, wie eine Änderung des Samenspenderregistergesetzes. Diese hätte der Gesetzentwurf aber ebenfalls vorsehen müssen. Dem Gesetzentwurf nach dürften Eizellen bei einer Legalisierung der Eizellvermittlung völlig unreguliert vermittelt werden.

Ebenfalls fehlen Ausführungen dazu, wie eine Kommerzialisierung der Eizellvermittlung in Deutschland verhindert werden könnte. Erfahrungen aus Großbritannien und Österreich zeigen, dass nur sehr wenige Frauen bereit sind, ihre Eizellen abzugeben, wenn sie dafür keinen deutlichen finanziellen Vorteil erhalten. Wunscheltern gehen außerdem nach wie vor in andere Länder, in denen sich wegen niedrigerer Einkommen mehr Frauen finden, die bereit sind, ihre Eizellen gegen Bezahlung abzugeben. Wunscheltern, die das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung respektieren möchten, können für eine Eizellvermittlung in Länder reisen, in denen die abgebenden Frauen nicht anonym sind, wie z.B. die Niederlande, Österreich, Großbritannien und Finnland.

Bei der Anhörung hat uns gefreut, dass auch viele andere der Sachverständigen vor allem ethische und medizinische Argumente gegen die Legalisierung der Eizellvermittlung eingebracht haben. Die Stellungnahmen sind öffentlich einsehbar.

Auch wenn der Entwurf der FDP abgelehnt werden sollte, wird uns das Thema Eizellvermittlung künftig weiterhin beschäftigen.

NDR-Podcast: Spenderkinder auf der Suche nach ihrer Identität

Im ersten Teil des zweiteiligen NDR-Podcasts „Spenderkinder auf der Suche nach ihrer Identität“ geht es darum, wie wichtig es ist, dass Spenderkinder frühzeitig von ihrer Entstehungsweise erfahren. Die Spenderkinder-Mitglieder Martina und Sandra berichten, wie sie es erlebten, nicht aufgeklärt zu sein und wie es ihnen nach der Aufklärung ging. Sandra hat ihren leiblichen Vater nach aufwendiger Recherche ausfindig gemacht. Anders als im Podcast dargestellt, sucht Martina weiterhin und hat dazu auch den Rechtsweg eingeschlagen.

Im zweiten Teil – u.a. mit Spenderkinder-Mitglied Britta, Dietrich (Brittas leiblichem Vater) und Constanze (dessen Frau) geht es um die Zeit nach der Aufklärung. Britta, Dietrich und Constanze schildern sehr anschaulich und differenziert welche Herausforderungen sie bei der Integration erlebt haben. Der zweite Teil endet mit der Vermutung, dass frühe Aufklärung dazu führen könnte, dass der genetische Vater dem Kind gar nicht so wichtig ist. Das zeigen unsere Erfahrungen und auch die Studienlage nicht.

Eine Studie aus dem Jahr 2011 weist aus, dass sich Kinder heterosexueller Eltern später auf die Suche machen, als Kinder homosexueller Eltern. 35% der Kinder heterosexueller Eltern und 72% der Kinder lesbischer Mütter gaben im Alter von 11 Jahren erstmals Interesse an ihrem leiblichen Vater an. Im Alter von 18 Jahren waren dies 65% der Kinder heterosexueller Paare und 95% der Kinder lesbischer Mütter.1 Das entspricht unserer Beobachtung, dass (früh-)aufgeklärte Spenderkinder häufig eine ausgeprägte Schonhaltung gegenüber ihren Eltern haben, weil sie diese nicht verunsichern oder verletzen möchten. In der internationalen Spenderkinderumfrage von 2020 gab etwa ein Drittel der Spenderkinder an, dass ihre Eltern ihre wahren Gefühle hinsichtlich ihrer Entstehungsweise nicht kennen.

  1. Beeson D, Jennings P, Kramer W (2011) Offspring searching for their sperm donors: how family type shapes the process. Human Reproduction 9 (26), S. 2415–2424, S. 2420. []

Was ist problematisch am Begriff der „Spende“?

Begriffe wie „Spende“, „Spender“ oder „Spendersamenbehandlung“ beinhalten eine positive Wertung, die jedoch gleichzeitig die dahinter stehenden Personen nicht als Mensch sichtbar macht. Wir bevorzugen daher die Begriffe „Samenvermittlung“, „genetischer Vater“ sowie „Familiengründung zu dritt“.

Manchmal verwenden wir für den Verein trotzdem die bekannten „Spende“-Begriffe, weil die meisten Menschen sie ohne zusätzliche Erklärung verstehen. Das betrifft auch unseren Vereinsnamen „Spenderkinder“, der kurz und treffend unsere Situation deutlich macht. Um heraus zu stellen, dass wir die Begriffe kritisch hinterfragen, setzen wir sie inzwischen oft in Anführungszeichen.

Weswegen wir die oben genannten Begriffe ablehnen, erklären wir gerne genauer:

1. „Spende“ – positiv besetzter Begriff täuscht über Schattenseite

  • Der Begriff „Spende“ ist einseitig positiv besetzt: Großzügige Menschen spenden z. B. Geld oder alte Kleider. Bei Samen geht es jedoch um die Zeugung von Kindern. Das hat aber auch weniger positive Aspekte. So wird gezielt ein Mann als genetischer Vater gewählt, der (zunächst) kein Interesse am Kind als Person hat. Das ist potenziell verletzend für den entstehenden Menschen.
  • Bei einer Spende gibt es eigentlich keine Gegenleistung. Nach § 17 Absatz 1 des Transplantationsgesetzes ist Organ- und Gewebehandel verboten. Erlaubt ist lediglich eine Aufwandsentschädigung. Dennoch geben viele „Samenspender“ den finanziellen Zugewinn als ein Hauptmotiv an1 und viele Samenbanken werben damit offensiv um „Spender“. Zutreffenderweise müsste man sie daher eigentlich „Verkäufer“ nennen. Für Spenderkinder kann es verletzend sein zu wissen, dass ihr genetischer Vater vor allem finanziell zu ihrer Zeugung motiviert war.

2. „Spender“ oder Vater?

  • Der Begriff des „Spenders“ verstellt den Blick dafür, dass es sich um den genetischen Vater des Kindes handelt. Er entspricht der Elternperspektive, denen etwas gegeben wird. 2
  • Die Bezeichnung „Spender“ reduziert die Bedeutung des genetischen Vaters auf eine Funktion. Leiblicher Vater zu sein ist aber kein Beruf wie „Verkäufer“. Es bedeutet, in einer unauflösbaren Beziehung zum Kind zu stehen.

3. „Behandlung“? – Frauen, denen Samen vermittelt wird, sind nicht unfruchtbar

  • Die Befruchtung mit dem Samen eines (anderen) Mannes ist keine Behandlung von Unfruchtbarkeit: An der Unfruchtbarkeit des Partners ändert sich dadurch nichts.
  • Bei lesbischen oder alleinstehenden Frauen liegt üblicherweise keine Unfruchtbarkeit vor.
  • Samenvermittlung ist auch keine Kinderwunschbehandlung. Am Kinderwunsch ändert sich durch die Befruchtung nichts. Es eine Form der Kinderwunscherfüllung. Würde die Erfüllung des Kinderwunsches als Behandlung gewertet, würde das Kind zum Heilmittel und damit zum Objekt.

4. Familiengründung mit Hilfe Dritter – wem wird geholfen?

  • Gelegentlich wird die Bezeichnung „Familiengründung mit Hilfe Dritter“ verwendet. In dieser Bezeichnung ist zwar eine dritte Person erkennbar. Diese erhält jedoch eindeutig eine Helferrolle und wird damit nicht als gleichwertiger Elternteil gesehen.
  • Auch diese Bezeichnung entspringt der Elternperspektive: Dem Kind hilft dieser Elternteil überhaupt nicht, vielmehr muss das Kind davon ausgehen, dass er kein Interesse an ihm hat.

5. Angewiesen auf Keimzellen Dritter – ein Kind zur Linderung der eigenen Not?

  • Gelegentlich kann man Formulierungen lesen, dass Wunscheltern auf eine Samenvermittlung oder andere Formen der Keimzellvermittlung angewiesen seien.
  • Das stimmt natürlich nicht: Es gibt auch andere Formen der Familiengründung wie Co-Parenting. Außerdem kann man sich auch bewusst entscheiden, einen Wunsch nicht zu erfüllen.
  • Eine „Angewiesenheit“ setzt die Erfüllung des Kindeswunsches absolut. Das Fortpflanzungsrecht beinhaltet die Freiheit, die eigenen Fortpflanzungsfähigkeiten zu nutzen. Es gibt aber keinen Anspruch, die dafür erforderlichen Ressourcen bereitgestellt zu bekommen, weder einen fortpflanzungswilligen Partner/Partnerin noch die Erfüllung des Kinderwunsches an sich.
  • Wird ein Kind als Heilmittel zur Linderung der Not seiner Eltern betrachtet, berührt das seine Würde im Kern. Es existiert dann zum Zweck Anderer und nicht mehr zum Selbstzweck.
  1. Thorn P, Katzorke T, Daniels K (2008) Semen donors in Germany: A study exploring motivations and attitudes. Human Reproduction (11) 23, S. 2415–2420, S. 2419. []
  2. Die meisten Spenderkinder bevorzugen den Begriff biologischer Vater / biologische Mutter, viele Spenderkinder benutzen aber auch je nach Kontext verschiedene Begriffe. Siehe auch unser Beitrag Spender oder Vater? Welche Begriffe verwenden Spenderkinder für ihren biologischen und ihren sozialen Vater? Natürlich darf jedes Spenderkind selbst entscheiden, welchen Begriff es für den genetischen Vater verwenden möchte. Oft wird dies jedoch durch Dritte vorgegeben (Aber er ist doch nur ein Spender!). []

Zählung von erfolgreichen Suchen nach Halbgeschwistern und „Spendern“

Auf unserer Internetseite haben wir seit dem Jahr 2013 jeweils eine Nachricht veröffentlicht, wenn eines unserer Mitglieder den genetischen Vater oder Halbgeschwister gefunden hatte (am besten auffindbar unter Stichworte – Verwandtentreffer).

Obwohl die Geschichten vom Suchen und Finden teilweise wirklich schön waren, haben wir im Sommer 2018, ungefähr nach dem 20. Halbgeschwistertreffer, damit aufgehört. Inzwischen gibt es so viele Erfolgsmeldungen, dass wir gar nicht mehr hinterherkommen würden, für jede eine eigene Meldung zu verfassen (und vermutlich möchte das auch niemand lesen). So haben allein im Jahr 2020 mindestens acht Spenderkinder herausgefunden, wer ihr genetischer Vater ist. Außerdem hatten wir mindestens 15 neue Halbgeschwistertreffer. Wir hatten also in diesem Jahr genauso viele Treffer wie in zuvor in fünf Jahren (2013 bis Mitte 2018).

Außerdem schien uns die Zählweise nach Treffern nicht mehr ganz zu passen, weil einige Halbgeschwister-Treffer oder Vater-Kind-Treffer später erweitert wurden, wenn weitere Spenderkinder einen DNA-Test gemacht hatten. Daher sind wir im Sommer 2018 dazu übergegangen, nur noch Gruppen zu zählen. Stand September 20231 haben wir

  • 73 Halbgeschwistergruppen, die aus zwei bis neun Familien bestehen, und
  • 53 Vater – Kind(er) Gruppen.

Die Zählung in Gruppen ist für uns aufschlussreicher, weil wir daran besser nachvollziehen können, für wie viele Familien der Samen einer Person in welchem Zeitraum eingesetzt wurde. Die drei größten Halbgeschwistergruppen aus Bad Nauheim, Essen und München bestehen jeweils aus neun Familien. Bei diesen Gruppen gehen wir davon aus, dass es noch wesentlich mehr Halbgeschwister gibt, die lediglich nichts von ihrer Abstammung wissen oder nicht in DNA-Datenbanken registriert sind. Und das dürfte nur die Spitze des Eisbergs sein. Von einigen Personen wissen wir, dass sie über viele Jahre, zum Teil bis zu 25 Jahre lang, wöchentlich Sperma zur Vermittlung abgegeben haben. Ein Arzt aus München hat in einem Gerichtsprozess erwähnt, dass er über 100 Schwangerschaften durch einen Mann dokumentiert hat. Viele Ärzte haben die ihnen bekannt gewordenen Schwangerschaften vermutlich lieber erst gar nicht dokumentiert.

Von insgesamt 265 Spenderkindern, von denen wir wissen, dass sie einen beliebigen DNA-Test gemacht haben, haben 184 Personen Halbgeschwister oder den genetischen Vater oder beide gefunden (Stand Januar 2021). Es ist wahrscheinlicher, Halbgeschwister zu finden als den genetischen Vater. Bei den Vater-Kind-Gruppen wurde die Verwandtschaft zum Teil durch Auskunft durch Ärzte oder Kliniken entdeckt. Die Halbgeschwister-Verbindungen wurden mit zwei Ausnahmen ausschließlich durch DNA-Datenbanken aufgedeckt.

  1. Wir werden versuchen, die Zahlen regelmäßig zu aktualisieren []