Archiv der Kategorie: Reproduktionsmedizin

Mindestens 197 Kinder durch vermittelten Samen mit Krebs-Gen gezeugt

Im Frühsommer 2025 wurde bekannt, dass die in Dänemark sitzende European Sperm Bank den Samen eines Mannes vermittelt hat, der eine Genmutation hatte, die zu einer stark erhöhten Krebswahrscheinlichkeit führt. Jetzt wurde bekannt: das Ausmaß ist noch viel größer als zunächst angenommen1.

Während zunächst angenommen wurde, dass 67 Kinder mit dem Samen des „Spenders 7069“ mit den Alias „Kjeld“ gezeugt wurden, stellte sich nun heraus, dass die Zahl mit mindestens 197 Kinder deutlich höher ist. Dies ergab eine Recherche eines investigativen Reporternetzwerks der Europäischen Rundfunkunion (EBU), einem Zusammenschluss öffentlich-rechtlicher Sender. Das Recherche Netzwerk fragte bei den Behörden in den betroffenen Ländern nach der Anzahl der Kinder, deren biologischer Vater Kjeld ist. Allerdings führen nicht alle Länder ein Register für Spenderkinder, sodass das Netzwerk davon ausgeht, dass die Informationen möglicherweise unvollständig sind.

Es ist nicht bekannt, wie viele dieser Kinder von dem Gendefekt betroffen sind.

Spenderkinder mit ungeklärten genetischen Auffälligkeiten werden gebeten, sich vertraulich beim internationalen Rechercheteam zu melden, gerne auch über unsere Infoadresse: info(at)spenderkinder.de.

Aktuell unzuverlässiger Informationsweg stellt gesundheitliches Risiko für Spenderkinder dar

Das Bundesministerium für Gesundheit hat auf die Anfrage des Vereins Spenderkinder die Funktionsweise des Warnsystems am 19. August 2025 folgendermaßen erläutert: Bei schwerwiegenden Zwischenfällen im Rahmen der Gewebespende (wozu Samenvermittlung gehört) erfolgen auf der Ebene der Europäischen Union Schnellwarnungen (Rapid Alerts) unter den Mitgliedstaaten auf Grundlage der Richtlinien 2004/23/EG und 2006/86/EG. Gehe eine Schnellwarnung bei der zuständigen Bundesoberbehörde ein, werde diese an die obersten Landesgesundheitsbehörden weitergeleitet, die für die Überwachung der Einrichtungen, in dem Fall der Samenbanken, zuständig seien. Zudem würden die betroffenen Einrichtungen kontaktiert, sobald die dafür erforderlichen Informationen vorliegen. Für die weitere Kommunikation mit den Familien seien die Einrichtungen verantwortlich. Ab dem 7. August 2027 würden die Schnellwarnungen und die Kommunikationswege in Art. 34 der Verordnung (EU) 2024/1938 über Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur Verwendung beim Menschen bestimmte Substanzen menschlichen Ursprungs (SoHO-Verordnung) geregelt, die in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar sei. In dem Fall von Kjeld sei das Paul Ehrlich Institut unverzüglich nach Schnellwarnung aktiv geworden.

Obwohl das Problem mit dem Samen von Kjeld seit 2023 bekannt ist, sind dem Bericht zufolge noch immer nicht alle potenziell betroffenen Familien kontaktiert worden2. Andere erfuhren erst mit einer Verspätung von über einem Jahr, dass sie ihre Kinder auf den Gendefekt testen lassen sollten. Manche Kliniken haben laut dem Bericht Schwierigkeiten, die betroffenen Frauen zu kontaktieren, weil die Komtaktdaten der Patientinnen sich geändert haben. Der Bericht weistjedoch auch darauf hin, dass Daten zum Teil nicht ordnungsgemäß aufbewahrt wurden, insbesondere wenn der Eigentümer der Kinderwunschklinik wechselte.

Nationale Obergrenzen werden häufig überschritten

Der Fall zeigt, dass die national bestehenden Obergrenzen für die Anzahl von Kindern, die durch den Samen eines Mannes gezeugt werden, oft nicht eingehalten werden. In Belgien wurden 53 Kinder von 38 verschiedenen Müttern mit dem Sperma von Kjeld gezeugt, obwohl es in dem Land ein Limit von maximal sechs Familien gibt, die Sperma eines einzigen Spenders erhalten dürfen. Auch in Dänemark ist Kjeld der biologische Vater von 49 Kindern, obwohl die damaligen Richtlinien in der Region maximal 25 Kinder pro Spender vorsahen. In Spanien wurden 35 Kinder gezeugt.

Die Dänische Patientensicherheitsbehörde hat die European Sperm Bank bei der dänischen Polizei angezeigt3. Die 2004 gegründete und in Kopenhagen ansässige Eurpean Sperm Bank ist heute eine der größten Samenbanken der Welt. Seit 2022 besitzt der europäische Private-Equity-Fonds Perwyn die Samenbank.

Der Fall führte auch in Dänemark dazu, dass mehrere Politiker strengere Gesetze fordern, insbesondere eine europäische Obergrenze und ein Register4.

Liste gesperrter Samenspender offenbart Weitergabe von Erbkrankheiten durch Samenspender als strukturelles Problem

Im Zusammenhang mit der öffentlichen Diskussion über den Fall „Kjeld“ hat die belgische Spenderkinderorganisation donorkinderen eine Liste mit 29 weiteren dänischen „Samenspendern“ veröffentlicht, die gesperrt wurden, weil sie nachweislich Erbkrankheiten weitergegeben haben5. Allein in Belgien wurde in diesen Fällen jeweils die nationale Obergrenze von sechs Familien pro „Samenspender“ überschritten. Das zeigt, dass es sich nicht nur um einen Einzelfall handelt, sondern um ein strukturelles Problem von Samenbanken.

Grenzen genetischer Screenings und Risiken großer Halbgeschwistergruppen

Diese Fälle zeigen sehr deutlich, dass genetische Screenings Risiken reduzieren, aber niemals ausschließen können. Weder bei „Samenspendern“ noch bei natürlicher Fortpflanzung ist es möglich, alle existierenden oder zukünftigen genetischen Risiken zu testen; viele Mutationen sind noch unzureichend erforscht oder werden bei den üblichen Screenings nicht erfasst.

Bei natürlicher Fortpflanzung betreffen unbekannte genetische Risiken in der Regel nur die Kinder einer einzelnen Familie. Bei „Samenspendern“ dagegen sind hunderte Kinder in vielen Familien betroffen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Betroffenen sich oft nicht kennen und oft nicht wissen, dass sie mit Samenvermittlung entstanden sind. Die Koordination von Information, genetischer Beratung und medizinischer Vorsorge wird dadurch stark erschwert. Je größer und international verteilter die Halbgeschwistergruppe ist, desto unwahrscheinlicher wird es, dass tatsächlich alle informiert werden und frühzeitig Zugang zu notwendigen Vorsorgeuntersuchungen und Behandlungen erhalten.

Internationale Obergrenze und Register notwendig zur Sicherheit von Spenderkindern

Die aufgedeckten Fälle machen deutlich: Wenn Samenbanken ihren Samen weltweit vertreiben, werden nationale Obergrenzen unterlaufen, weil derselbe „Samenspender“ in mehreren Ländern parallel eingesetzt wird. Die Auf diese Weise entstehen große, grenzüberschreitende Halbgeschwistergruppen mit gemeinsamen genetischen Risiken. Samenbanken überblicken nicht, wie viele Kinder bereits entstanden sind.

Deshalb ist die Einrichtung einer internationalen Obergrenze für die Anzahl der Familien pro „Samenspender“ ist notwendig. Zentrale bzw. verknüpfte Register, die die Identität von Samenspendern und der Frauen, an die der Samen vermittelt wird, erfassen, sind notwendig, damit die Einhaltung der Obergrenze überprüft werden kann und Spenderkinder bei unverzüglich informiert werden können, wenn Erbkrankheiten bekannt werden.

  1. https://www.dw.com/de/krebsrisiko-durch-samenspender-europas-samenbank-in-kritik/video-75082905 []
  2. https://www.dr.dk/nyheder/indland/ikke-alle-moedre-har-faaet-vide-deres-donorbarn-kan-udvikle-kraeft []
  3. https://www.dr.dk/nyheder/indland/den-danske-saedbank-european-sperm-bank-er-blevet-politianmeldt []
  4. https://www.dr.dk/nyheder/indland/dansk-donor-leverede-saed-med-risiko-kraeft-nu-raabes-der-efter-nye-regler []
  5. https://www.donorkinderen.com/lijst29spermadonoren []

Liste gesperrter „Samenspender“ veröffentlicht

Im Mai wurde öffentlich bekannt, dass ein Mann aus Dänemark als Samenspender unwissentlich eine Gen-Mutation weitergegeben hat, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Entstehung von Krebs führt. (Wir berichteten dazu.) In diesem Zusammenhang wurde bekannt, dass mit dem Samen mindestens 67 Kinder in über zehn verschiedenen Ländern gezeugt wurden. Allein in Belgien entstanden 52 Kinder, obwohl dort eine Obergrenze von 6 Frauen besteht, an die der Samen desselben Mannes vermittelt werden darf.

Mittlerweile kam heraus, dass in Belgien in mindestens 29 weiteren Fällen die Obergrenze von 6 Frauen überschritten wurde und verschiedene Krankheitsveranlagungen vererbt wurden. Der Samen kam von den dänischen Samenbanken Cryos International und European Sperm Bank. Die belgische Spenderkinderorganisation donorkinderen hat eine aktuelle Liste der gesperrten „Spender“ veröffentlicht. Vermutlich wurden noch nicht alle betroffenen Familien informiert.

Wenn Sie befürchten, dass Sie bzw. ihre Kinder, betroffen sind, wenden Sie sich bitte mit Ihrer Spendernummer an die belgische Spenderkinderorganisation. Dort erhalten Sie weitere Informationen und können sich mit weiteren Betroffenen vernetzen.

67 Kinder durch Samenvermittlung eines Mannes mit Krebs-Gen gezeugt

Die in Dänemark sitzende European Sperm Bank hat den Samen eines Mannes vermittelt, der eine Genmutation hatte, die zu einer stark erhöhten Krebswahrscheinlichkeit führt. In acht europäischen Ländern wurden so zwischen 2008 und 2015 mindestens 67 Kinder gezeugt. Mindestens 23 dieser Kinder tragen die Mutation, mindestens zehn sind bereits an Krebs erkrankt.

Der Fall wurde in den Medien bekannt, als eine Expertin für genetische Krebsanlagen am Universitätsklinikum der nordfranzösischen Stadt Rouen im Mai auf dem Kongress der Europäischen Gesellschaft für Humangenetik (ESHG) in Mailand davon berichtete.

Die Mutation befindet sich auf dem TP53-Gen, das ein Tumorsupressor-Protein codiert. Bei der Mutation ist die Menge des erzeugten Proteins zu gering. Der Spender selbst ist bis heute gesund. Zum Zeitpunkt der Spende im Jahr 2008 sei die Mutation nicht nachweisbar gewesen.

Die betroffenen Kinder müssen nun engmaschige Vorsorgeuntersuchungen einhalten. Die Erkrankung selbst ist nicht heilbar, aber bei frühzeitigem Erkennen einer Krebserkrankung besteht die Aussicht auf erfolgreiche Behandlung. Leider besteht eine Chance von 50 %, dass sie das Gen an ihre eigenen Kinder weitergeben werden.

Der Samen wurde nach Belgien, Bulgarien, Zypern, Deutschland, Spanien, Ungarn, Irland, Griechenland, die Niederlande und Polen vermittelt. Die in Deutschland betroffenen Familien sind dem Verein Spenderkinder nicht bekannt.

Mit 52 betroffenen Kindern stammt eine besonders hohe Anzahl betroffener Familien aus Belgien. Hierdurch wurde deutlich, dass sich einige belgische Kliniken nicht an die seit 2007 geltende gesetzliche Obergrenze gehalten hatten. Nach dieser darf der Samen einer Person höchstens an sechs Frauen gegeben werden. Die Kliniken behaupteten zunächst, ihnen habe der Gesamtüberblick in Belgien gefehlt. Einige Kliniken hatten die Zahl von sechs Frauen jedoch schon allein bei ihnen überschritten.

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Spender eine genetische Krankheit an eine große Anzahl von Nachkommen weitergibt. Schon vor 12 Jahren gab es bei dem Vorgänger der European Sperm Bank, der Nordic Cryobank einen ähnlichen Fall : Ein Samenspender, der die genetische Krankheit Neurofibromatose Typ 1 (kurz: NF1) trug, auch Morbus Recklinghausen oder Periphere Neurofibromatose genannt, gab diese an mindestens 9 der 45 durch ihn gezeugten Kinder weiter. Die Samenbank hatte hier zunächst die betroffenen Familien nur zögerlich informiert.

Der Fall zeigt deutlich, dass die grenzüberschreitende Vermittlung von Samen auch europaweit einheitlich geregelt sein muss.

Wenn eine Person über Samenvermittlung eine erhebliche Anzahl von Nachkommen zeugt, erhöht dies das Risiko, dass auch Krankheiten an viele Kinder weitergegeben werden. Dieses Risiko ist mit Samenvermittlung eng verbunden. Eine derart hohe Anzahl von Kindern ist bei natürlichen Zeugungen extrem selten. Die Spenderkinder-Organisationen anderer Länder berichten auch von weiteren Fällen, in denen mit der Samenvermittlung vermutlich eine genetische Erkrankung übertragen wurde. Diese Fälle sind bislang jedoch noch nicht öffentlich. Neben diesen gesundheitlichen Risiken birt eine zu hohe Zahl von Nachkommen auch Risiken für das Wohlbefinden der so entstandenen Kinder (siehe hierzu unser Artikel 100 Halbgeschwister und mehr).

Nationale Obergrenzen für die Anzahl der gezeugten Kinder oder entstehenden Familien sind besser, als wenn ein Land wie Deutschland keine Obergrenze hat. Wenn der Samen europaweit vermittelt wird, können hierdurch aber dennoch eine erhebliche Anzahl von Kindern gezeugt werden. Daher sollte eine europaweite Obergrenze geschaffen werden.

Die Handhabung in Belgien zeigt zudem, dass die Einhaltung der Obergrenzen auch kontrolliert werden muss.

In Deutschland gibt es keine gesetzliche Obergrenze von Familien, die durch Samenvermittlung einer Person entstehen können. Ein Spender kann an mehreren Samenbanken spenden. Das Samenspenderregister könnte eine Obergrenze gut kontrollieren, da ihnen die Identität der Samen abgebenden und empfangenden Personen bekannt ist. Dies gehört jedoch bislang nicht zu den gesetzlichen Aufgaben des Samenspenderregisters.

Der Verein Spenderkinder fordert eine Begrenzung auf sechs Familien. Diese Grenze sollte vom Samenspenderregister kontrolliert werden und auch international gelten.

Videoinstallation Dein Papa ist nicht Dein Papa

Spenderkind Julia Walerian hat für ihre Bachelorarbeit in Kommunikationsdesign an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin eine Videoinstallation mit dem Titel „Dein Papa ist nicht dein Papa“ gestaltet.

Darin sprechen eine Solomama, ein Reproduktionsmediziner, Spenderkind Verena, ein Samenspender und Verenas sozialer Vater (Verenas Vater) in einer virtuelle Diskussion miteinander. Um die verschiedenen Stimmen klar voneinander abzutrennen, werden die Protagonisten in der Installation jeder für sich, auf einem eigenen Monitor gezeigt. Das Ganze bekommt durch einen semitransparenten Raumtrenner einen intimen Rahmen. Ziel der Arbeit ist es, dass die Betrachtenden den verschiedenen Ansichten zuhören können, um sich dadurch ein ganzheitlicheres Bild der Debatte zu Samenspende und der Bedeutung der eigenen Abstammung zu verschaffen.

Dazu sagt Julia: „Denn nur wenn wir einander zuhören, werden wir weiterkommen, weil wir Zusammenhänge besser verstehen können. So helfen die Argumente anderer, den eigenen Standpunkt zu überdenken und die eigene Haltung zu hinterfragen. Das gelingt nur, wenn man sich auf einen Perspektivwechsel einlässt und sich mit den Argumenten anderer auseinandersetzt.

Weitere Infos sowie den Trailer zum Projekt findet ihr auf der Internetseite des Projekts.

Julia erzählt mehr von der Instalation und über Ihre eigene Geschichte in einem Artikel im Frameless Magazin.

Den Film der Videoinstallation ist auf YouTube zu sehen.

Die Videoinstallation wurde bislang zweimal ausgestellt: im Rahmen einer Fachtagung des Netzwerk Qualitative Familienforschung und beim Fachtag des Arbeitskreis Frauengesundheit. Julia würde sich freuen, wenn die Videoinstallation weitere Ausstellungsorte finden würde – Anfragen leiten wir gerne an Julia weiter.

Veranstaltungshinweis: Fachtag „Das Kindeswohl in der Reproduktionsmedizin“ der Diakonie Deutschland und dem Ev. Bundesverband Adoption e.V. am 30. November 2023

Am 30. November 2023 findet von 10:30 bis 16:15 Uhr der Fachtag: Das Kindeswohl in der Reproduktionsmedizin, in Berlin statt. Die Anmeldung ist möglich bis zum 3. November, unter https://ewde.guestoo.de/public/event/f43ece9d-452b-4dba-bb48-ae582d058b72. Nach Absenden der Anmeldung bitte Bestätigungsmail beachten, damit die Anmeldung verbindlich zählt. Die Teilnahme ist kostenfrei.

Sehr große Halbgeschwistergruppen sind weltweit ein Thema – ein Beitrag im Deutschlandfunk vom 11. Juni 2023

Im Deutschlandfunkbeitrag Spenderkinder auf Spurensuche. Vater, Mutter, Massenprodukt (1/2): Überall Halbgeschwister vom 11. Juni 2023 geht es um ein Thema, das auch in Deutschland immer offensichtlicher wird: DNA-Datenbanken decken auf, dass in den letzten Jahrzehnten sehr große Halbgeschwistergruppen entstanden sind.

Die Bundesärztekammer empfahl von 2006 bis 2018 eine Begrenzung auf maximal 10 Kinder pro „Spender“1 und der Arbeitskreis für Donogene Insemination, ebenfalls seit 2006, eine Begrenzung auf maximal 15 Kinder pro „Spender“2. Diese Parallelität wirft nebenbei die Frage auf, für wen die Begrenzung der Bundesärztekammer gelten sollte, wenn nicht für die Mitglieder des Arbeitskreises für Donogene Insemination.

Nach wie vor gibt es in Deutschland keine verbindliche Begrenzung. Unsere Beobachtungen deuten darauf hin, dass sowohl in der Vergangenheit als auch gegewärtig sehr große Halbgeschwistergruppen entstehen. Neben einer verbindlichen Begrenzung wünschen wir uns, dass Reproduktionsmediziner und Samenbanken offenlegen, mit wie vielen Halbgeschwistern unsere Mitglieder aus den verschiedenen Entstehungsorten rechnen können.

  1. (Muster-)Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion – Novelle 2006. Deutsches Ärzteblatt, 103(20), A 1397. – In der aktuellen Version der „Richtlinie zur Entnahme und Übertragung von menschlichen Keimzellen im Rahmen der assistiertenReproduktion“ aus dem Jahr 2018 findet sich keine Aussage mehr zu einer Obergrenze. Grund hierfür ist, dass der Vorstand der Bundesärztekammer m Februar 2015 beschlossen hatte, die medizinisch- wissenschaftlichen Fragestellungen klar von den gesellschaftspolitischen Aspekten zu trennen. []
  2. Richtlinien des Arbeitskreises für Donogene Insemination zur Qualitätssicherung der Behandlung mit Spendersamen in Deutschland, S. 25. []

Der Fall des Massenspenders Jonathan Jacob Meijer

Ende April ging die Meldung durch die Nachrichten, dass die niederländische Spenderkinder-Organisation Stichting Donorkind ein Unterlassungsurteil bei einem Gericht in Den Haag gegen den niederländischen Samenspender Jonathan Jacob Meijer erwirkt hat, der über 500 Kinder gezeugt haben soll. Das Urteil verbietet Meijer bei Androhung einer Strafe von 100 000 Euro, weiterhin seinen Samen anzubieten, er muss Kliniken auffordern seinen Samen zu vernichten. Ausnahmen gibt es für die Zeugung von Geschwisterkinder.

In den Niederlanden durften bis 2019 nur 25 Kinder durch einen Samenspender entstehen, seit 2019 wurde die die Grenze zur besseren Berücksichtigung von Geschwisterkindern auf 12 Familien geändert. Meijer, ein 41jähriger Musiker, hatte sich laut den Berichten bei 11 Samenbanken in den Niederlanden sowie bei jeweils einer in Dänemark und der Ukraine als Spender registriert und außerdem seinen Samen auch privat über diverse Online-Foren angeboten. Dabei soll er die empfangenden Familien nach Berichten teilweise bewusst über die Anzahl der durch ihn gezeugten Kinder getäuscht haben. 2017 wurde die niederländische Vereinigung für Reproduktionsmedizin auf die Massenspenden aufmerksam und setzte ihn auf eine schwarze Liste. Allerdings gibt es in den Niederlanden kein Zentralregister, das über die Einhaltung dieser Grenze wachen würde und die Kliniken teilen ihre Informationen über Spender nicht.

Das Gericht begründete sein Unterlassungsurteil mit der hohen Inzestgefahr bei über 500 Halbgeschwistern und damit, dass viele Eltern nun ungewollte Teil eines riesigen Verwandtschaftsnetzwerks seien.

Stichting Donorkind nannte das Verhalten Meijers ein „bizarres soziales Experiment“. Während es einige Berichte über Massenspender gibt, bewegt sich die Zahl der genannten gezeugten Kinder meist um die 100 – der Fall Meijer sticht wegen der ungewöhnlich hohen Zahl von über 500 besonders hervor. Obwohl sich die meisten Spenderkinder durchaus über Halbgeschwister freuen, sollte eine bestimmte Zahl nicht überschritten werden (siehe auch unser Beitrag 100 Halbgeschwister und mehr) – vor allem weil die Gefahr einer unwissentlichen Inzest-Beziehung steigt, aber auch weil eine so hohe Zahl die Fähigkeit der meisten überfordern wird, eine sinnvolle Beziehung aufbauen und pflegen zu können.

Ein Fall wie mit Meijer könnte jedoch ohne weiteres auch in Deutschland passieren. Anders als in den Niederlanden gibt es in Deutschland noch nicht einmal eine gesetzliche Obergrenze für die Zahl von Kindern, die durch eine Person gezeugt werden können, die Samen abgibt. Ein Münchner Reproduktionsmediziner dokumentierte über 100 Schwangerschaften durch den Samen eines Mannes. Der Arbeitskreis Donogene Insemination empfiehlt offiziell eine Grenze von 15 Kindern, die jedoch nicht einmal von den eigenen Mitgliedern eingehalten wird. So bot z.B. eine Samenbank aus Essen noch im Jahr 2022 bis zu 74 Einheiten eines Mannes in ihrem Online-Katalog an.

Der Verein Spenderkinder fordert daher, dass eine gesetzliche Höchstgrenze von Familien festgelegt wird, die Samen einer Person in Anspruch nehmen, die diesen über eine Samenbank zur Verfügung stellt. Die Einhaltung könnte das Samenspenderregister überprüfen, die entsprechenden Spender sperren und auch eine Warnung aussprechen, wenn sich Spender bei mehreren Samenbanken registrieren lassen.

Es gibt auch deutsche Eltern, die ein Kind durch Jonathan Jacob Meijer bekommen haben, und die sich in Kontakt zueinander und zu den niederländischen Familien befinden. Einen Kontakt können wir für andere betroffene Familien auf Nachfrage gerne herstellen.

Gewünscht zu sein ist keine Garantie für eine glückliche Kindheit

Der in Wien lebende Pianist Albert Frantz wurde durch eine Samenspende gezeugt – und erzählt in einem Beitrag „Jetzt weiß ich, wer ich bin“ in der österrechischen Zeitung Der Sonntag, dass sein rechtlicher Vater ihn schwer misshandelt hat. Darüber zu sprechen fiel ihm schwer, und es ist ihm wichtig zu betonen, dass Eltern keine genetische Verbindung zu ihren Kindern benötigen, um sie lieben und unterstützen zu können. In seinem Fall ist er sich jedoch sicher, dass sein rechtlicher Vater ihn gerade deswegen misshandelt hat, weil sie nicht genetisch verwandt waren. 2018 fand er seinen genetischen Vater über einen DNA-Test – und erfuhr, dass seine Großmutter väterlicherseits Pianistin war.

Spenderkindern, die sich irgendwie kritisch über ihre Zeugungsart oder den Umgang damit äußern, wird oft entgegen gehalten, sie seien doch so gewollt gewesen. Damit verbunden ist die Annahme, dass Spenderkinder es wegen dieses Gewolltseins gut getroffen hätten im Leben und sie sich eigentlich nicht beschweren können. Schon wegen dieser pauschalen Annahme und der Aussage „Hör mal auf, Dich zu beschweren“, sind solche Äußerungen total ungebracht (siehe auch 12 Bemerkungen die Spenderkinder nerven und welche Reaktion sie sich stattdessen wünschen).

Geschichten wie die von Albert zeigen aber, dass alleine der Wunsch nach einem Kind nicht bedeutet, dass die Wünschenden auch gute Eltern sein werden. Mit dem tatsächlichen Kind konfrontiert zu werden, das sich teilweise nicht so verhält wie erwartet, und das vielleicht auch an die eigene Unfruchtbarkeit erinnert, kann sehr schwierig sein. Das muss nicht in Misshandlungen enden, aber kann auch zu Desinteresse und Distanzierung führen – was ebenfalls sehr schmerzhaft sein kann.

Wir haben vor einigen Tagen einen Tagen auf Instagram einen Artikel aus der Süddeutschen geteilt über eine 62jährige Frau aus Hildesheim, die wegen schwerer Misshandlung ihres siebenjährigen Sohnes verurteilt wurde, den sie mit einer Samen- und Eizellvermittlung aus Spanien bekommen hatten. Einige Kommentare haben das als Generalverdacht gegen Wunscheltern aufgefasst und kritisiert, es bestünde kein Zusammenhang zwischen der Misshandlung und der Zeugung mit fremden Ei- und Samenzellen.

Wir fanden sehr bedauerlich, dass unser eigentliches Anliegen – die Kritik an dem Argument „Ihr seid doch Wunschkinder“ dabei nicht mehr wahrgenommen wurde. Misshandlungen geschehen auch von leiblichen Eltern an ihren Kindern. Es ist wichtig, dass die Gesellschaft hier genauer hinsieht und die Kinder efektiv schützt.

Die fehlende genetische Verwandtschaft kann aber einen zusätzlichen Risikofaktor darstellen. Und Wunscheltern werden – anders als Adoptiveltern – nicht auf die zusätzlichen Herausforderungen vorbereitet, die eine Familiengründung mit fremden Samen- oder Eizellen beinhaltet. Die Forderung unseres Vereins nach einer unabhängigen psychosozialen Beratung vor einer Samenspende wurde bislang nicht aufgenommen. Kritisch sehen wir auch, dass manche Kliniken anscheinend die Wunscheltern nicht genauer überprüfen und die spanische Klinik anscheinend kein Problem damit hatte, bei einer 55jährigen Frau eine kombinierte Ei- und Samenvermittlung vorzunehmen. Solche Zeugungen sind eigentlich eher vergleichbar mit einer Adoption – für die ein Verfahren mit Kindeswohlüberprüfung erforderlich ist.

Buchempfehlung: „Bin ich ein Klon-Kind?“ von Karin Lebersorger

Im August 2022 erschien das Buch „Bin ich ein Klon-Kind? Beratung, Begleitung und Psychotherapie nach Kinderwunschbehandlung“ von Karin Lebersorger. Lebersorger hat als Psychotherapeutin langjährige Erfahrung in der Begleitung von Wunscheltern vor und nach Familiengründung mit Samen- und Eizellen weiterer Menschen. Dabei verbleibt sie aber nicht in der Wunschelternperspektive, sondern bezieht aktiv die Kinderperspektive ein.

Das Buch gibt zunächst einen knappen Überblick über gegenwärtige technische und rechtliche Möglichkeiten sowie über den psychoanalytischen Hintergrund. Dann schildert sie sehr anschaulich anhand ganz unterschiedlicher Fallbeispiele, welche Herausforderungen sich aus „multipler Elternschaft“ – so bezeichnet Lebersorger die Kombination aus Wunscheltern und weiteren genetischen Elternteilen – für das zwischenmenschliche Familiengeschehen ergeben. Dabei bezieht sie sowohl Samen- als auch Eizell- und Embryonenvermittlung sowie Leihmutterschaft mit ein.

Lebersorgers aktuelles Buch greift vieles von dem auf, was wir auch in unseren Familien beobachten. Wir hoffen, dass das Buch vor allem viele psychosoziale Beratungsfachkräfte erreicht, dass sie die besonderen Herausforderungen bei diesen Familienkonstellationen verstehen.

Ihre Kernbotschaft fasst Lebersorger am Ende ihres Buches in Form von Wünschen für die entstehenden Kinder, Wunscheltern, die Gesetzgebung und psychosoziale Fachkräfte zusammen. Ihr Wunsch für die Kinder lautet:

„…dass ihre Perspektive von allen AkteurInnen in die Entscheidungsprozesse und Handlungsschritte miteinbezogen wird. Dazu zählen Offenheit gegenüber der besonderen Form ihrer Entstehung und Transparenz bezüglich biologisch Anderer, sofern diese miteinbezogen sind. Um nicht in Loyalitätskonflikte zu geraten, benötigen sie elterliche Ermutigung, sich für alle bedeutsamen Anderen zu interessieren und mit ihnen in phantasmatische oder reale Beziehung zu treten.“

(Lebersorger, 2022, S. 149)

Vielen Dank dafür, das wünschen wir uns auch!