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Private Samen“spende“ und Co-Parenting

Als Alternative zu einer Samen“spende“1 (im Folgenden Samenvermittlung) über eine Samenbank oder einen Arzt, die zunächst anonym erfolgt, werden oft die private Samenvermittlung und Co-Parenting genannt. Die wesentlichen Unterschiede zu einer ärztlichen Samenvermittlung sind, dass die Wunscheltern sich den genetischen Vater des Kindes selbst aussuchen und es wahrscheinlicher ist, dass die Eltern es über seine Entstehung schon früh aufklären.

Beide Konzepte sind recht unterschiedlich. Der entscheidende Unterschied aus Sicht des Kindes ist, dass der genetische Vater bei Co-Parenting eine Bedeutung im Leben des Kindes einnehmen soll, bei einer privaten Samenvermittlung eher nicht. Dennoch können die Übergänge zur privaten Samenvermittlung fließend sein, z. B. wenn der Vater das Kind einmal im Jahr besucht oder er eine väterliche emotionale Beziehung zum Kind entwickelt oder auch in finanzieller oder anderweitiger Hinsicht Verantwortung für das Kind übernimmt.2

Auf dem Foto seht ihr Spenderkinder-Vereinsmitglied Lisa mit Co Papa und dem gemeinsamen Sohn.

1. Private Samenvermittlung

Bei einer privaten Samenvermittlung gibt ein Mann ohne Zwischenschaltung eines Arztes oder einer Samenbank seinen Samen einer Frau (alleinstehend oder mit Partner/in), zu der er keine Liebesbeziehung hat, damit ein Kind entsteht. Wie bei einer ärztlichen Samenvermittlung ist dabei meist nicht gewollt, dass der genetische Vater als Person eine Bedeutung im Leben des Kindes einnimmt und Verantwortung übernimmt.


Motivation von „Spendern“ und Empfängerinnen

Zur Motivation für eine private Samenvermittlung existieren unseres Wissens nach keine Untersuchungen, daher beruhen unsere Einschätzungen vor allem auf Medienberichten, eigenen Kontakten und Internetrecherchen. Manche privaten Samen“spender“ sind finanziell motiviert, weil die „Spender“ (in dem Fall dann eher “Verkäufer”) ohne Einschaltung einer Samenbank mehr Geld fordern können, als sie normalerweise als „Aufwandsentschädigung“ von einer Samenbank erhalten würden. Andere private Samen“spender“ möchten gern Kinder zeugen, zum Teil ausdrücklich sehr viele Kinder.3 Andere schätzen das Gefühl, von den empfangenden Frauen gebraucht zu werden, den Wunscheltern “helfen” zu können4 oder als attraktiver genetischer Vater angesehen zu werden. Manche privat „spendende“ Männer wollen sich und ihr Erbgut “streuen”.5 Manche haben auch sexuelle Interessen und bestehen auf eine „natürliche“ Zeugung, d.h. dass sie fordern, zur Zeugung des Kindes Geschlechtsverkehr zu haben. In Fällen, in denen weder finanzielle Forderungen gestellt noch “unmoralische Angebote” unterbreitet werden, ist es schwieriger auf die Motivlage der “Spender” zu schließen. In einigen Fällen mag der Wunsch nach einem leiblichen Kind eine Rolle spielen, in anderen Fällen (insbesondere bei Bekannten der Wunscheltern) ist auch der Wunsch zu helfen als Motiv denkbar.

Frauen oder Paare wählen eine private Samenvermittlung aus finanziellen Gründen, weil sie einen persönlicheren Kontakt wünschen als bei einer Vermittlung über eine Samenbank oder weil sie den genetischen Vater ihres Wunschkindes persönlich kennenlernen möchten.6 Damit sind allerdings auch gewisse Risiken verbunden: Die Männer werden nicht auf übertragbare sexuelle Krankheiten oder Erbkrankheiten getestet.

Eine finanzielle Verantwortung des genetischen Vaters für das Kind ist meist von beiden Seiten beider Elternteile nicht vorgesehen. Allerdings können private Samen“spender“ als rechtlicher Vater des Kindes festgestellt werden, denn der gesetzliche Ausschluss einer Feststellung als Vater gilt nur bei ärztlicher Samenvermittlung. Eine Feststellung als rechtlicher Vater des Kindes kann vertraglich nicht ausgeschlossen werden, da es sich um ein Recht des Kindes handelt, auf das Eltern nicht stellvertretend verzichten können. Ebenso ist es möglich, dass der Samen”spender” Umgang mit dem Kind beansprucht oder, im Fall von alleinstehenden oder lesbischen Müttern, das Sorgerecht oder sich auch als Vater anerkennen lassen möchte.


Private Samenvermittlung aus Sicht des Kindes

Private Samenvermittlung entspricht eher dem Interesse des Kindes, wenn es eine Beziehung zu dem genetischen Vater aufbauen kann. Wenn vereinbart wird, dass der genetische Vater keine Rolle im Leben des Kindes spielen soll, entspricht private Samenvermittlung nicht dem Interesse des Kindes.

Nachteilig kann bei einer privaten Samenvermittlung sein, dass das Recht des Kindes auf Kenntnis der Abstammung nicht gewährleistet wird.7 Manche private Samen“spender“ möchten sogar ausdrücklich anonym bleiben. Treffen zwischen Samen”spendern” und Wunscheltern finden dann im privaten Rahmen statt, bspw. in Hotels, und die Männer geben keine oder falsche Identitätsdaten an. Damit ist nicht gewährleistet, dass das Kind die Identität des genetischen Vaters erfahren kann.8 Manche privaten Samen“spender“ möchten ausdrücklich nicht anonym bleiben, laufen aber Gefahr, dass sie anonym bleiben, weil die Wunscheltern die Kinder nicht aufklären. Bei unserem Verein haben sich private Samen”spender” gemeldet, bei denen die Wunscheltern keinen Kontakt ermöglichen. Bei Samenvermittlungen über Samenbanken oder Ärzte werden die Daten des genetischen Vaters dagegen im Samenspenderregister gespeichert und das Kind kann sie dort anfordern (ohne Altersgrenze).

Nachteilig kann ebenfalls sein, dass manche genetische Väter sehr viele Kinder zeugen möchten. In den Niederlanden hat die dortige Spenderkinder-Organisation Stichting Donorkind den privaten „Spender“ Jonathan Jacob Meijer wegen erhöhter Inzest-Gefahr verklagt, weil er mehr als 450 Kinder gezeugt haben soll. Vielen Empfängern war dies nicht bewusst. Für die Kinder kann es schwierig sein, eine so große Anzahl von Halbgeschwistern zu haben (siehe auch 100 Halbgeschwister und mehr).

Auch die Motivation des genetischen Elternteils kann bei privater Samenvermittlung dem Kindeswohl zuwiderlaufen. Vor allem eine primär finanzielle Motivation ist verletzend für das Kind, wenn sich der genetische Elternteil nicht für das Kind interessiert. Es kann aber auch verletzend für das Kind sein, wenn der “Spender” nur aus dem Grund heraus Samen weitergab, um den Wunscheltern zu “helfen”, und nicht an das dadurch entstehende Kind gedacht hat. Möchte der genetische Vater möglichst viele Kinder zeugen, sinkt mit der Anzahl der Kinder die Chance, eine echte Beziehung zu ihm aufzubauen. Narzisstisch motivierte Personen sind außerdem oft keine sonderlich guten Eltern, weil sie vor allem Selbstbestätigung in ihren Kindern suchen, aber wenig bis gar nicht auf deren Bedürfnisse achten.

Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich private Samenvermittlung und Co-Parenting nicht immer trennscharf voneinander unterscheiden lassen. Insbesondere in Fällen, in denen sich Samen”spender” und die beteiligte(n) Frau(en) bereits kennen – und der “Spender” nicht finanziell oder sexuell motiviert ist – werden sich Kind und genetischer Vater vermutlich kennenlernen und eine Beziehung entwickeln. In diesen Fällen ist es schwierig abzugrenzen, ob es sich noch um eine „Spende“ handelt oder schon Co-Parenting mit einer nur geringen Partizipation des zweiten genetischen Elternteils.

2. Co-Parenting

Auch bei Co-Parenting gibt eine Person ihren Samen an eine weitere Person (alleinstehend oder mit Partner*in), zu der er keine Liebesbeziehung hat, damit ein Kind entsteht – allerdings soll der genetische Elternteil eine aktive Rolle im Leben des Kindes übernehmen. Diese Rolle kann sehr unterschiedlich aussehen und von geteiltem Sorgerecht zu regelmäßiger tageweiser Betreuung oder gelegentlichen Besuchen reichen, manchmal wohnen die Eltern bewusst in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander. Oft übernimmt der genetische Elternteil auch finanzielle Verpflichtungen für das Kind. Teilweise ist er offiziell als Vater des Kindes in der Geburtsurkunde eingetragen.

Da der genetische Elternteil seine Elternrolle aktiv wahrnimmt, handelt es sich eigentlich nicht um eine Samenvermittlung. Im Gegenteil: da der genetische Vater von Anfang an im Leben des Kindes präsent sein soll, stellt das Konzept des Co-Parenting einen unmittelbaren Gegensatz zum Konzept einer Samenvermittlung dar und berücksichtigt die Interessen des Kindes in stärkerem Maße. Aus Sicht der Vereins Spenderkinder wäre es daher wünschenswert, wenn mehr Menschen Co-Parenting als Alternative zu einer Samenvermittlung wählen würden.

Motivation

Co-Parenting wird meistens von alleinstehenden Personen oder lesbischen Paaren gewählt, die möchten, dass der genetische Elternteil eine Rolle im Leben des Kindes spielt. Eine Mutter beschreibt ihre Motivation in der Broschüre des LSVD folgendermaßen: „Aber es ging uns vielmehr um das Beste für das Kind. Und unserer Meinung nach ist die Identität des Vaters ein wichtiges Puzzleteil für die Identität des Kindes. Und eine männliche Bezugsperson wollten wir definitiv immer fürs Kind.“9

Heterosexuelle Paare entscheiden sich unserem Eindruck nach eher selten für Co-Parenting, vermutlich weil der präsente genetische Vater als zu starke Konkurrenz zum Wunschvater empfunden wird. Die genetischen Väter sind meist alleinstehende Männer oder Männer in homosexuellen Beziehungen mit unerfülltem Kinderwunsch. Als wichtigste Voraussetzung nennt ein lesbisches Paar im Buch „Kinder machen“ von Andreas Bernard nicht attraktives Aussehen oder intellektuelle Brillanz, sondern dass es sich um einen Mann handele, mit dem man ein solches Abkommen verbindlich schließen könne und bei dem sie sich vorstellen können, dass sie in den nächsten Jahrzehnten gut miteinander auskommen.10

Co-Parenting aus Sicht des Kindes

Kindern geht es gut, wenn sich ihre Eltern grundsätzlich verstehen und Konflikte konstruktiv lösen. Die Herausforderung bei Co-Parenting besteht darin, dass Menschen zusammen ein Kind bekommen, die keine traditionell hierfür vorausgesetzte Liebesbeziehung haben.11

Bei Co-Parenting-Vereinbarungen mit mehr als zwei Eltern kann es für die Kinder bereichernd sein, dass sie durch das Nebeneinander von sozialen und genetischen Eltern mehr als die klassischen zwei Elternteile haben. Diese sind durch die geteilte Verantwortung oft etwas entlastet, weil sie hierdurch mehr Unterstützung erhalten. Damit ist auch verbunden, dass es mehr als zwei Großelternpaare und mehrere Tanten und Onkel gibt, die aktiv am Leben des Kindes teilhaben können.

Wählen Eltern Co-Parenting für das erste Kind, sollten auch spätere Geschwisterkinder einen präsenten genetischen Vater haben. Unter Geschwistern kann es zu Enttäuschungen, Neid und vielen anderen negativen Gefühlen kommen, wenn ein Kind einen präsenten Vater hat und der Vater des Geschwisterkindes ein Samen“spender“ ist, der keine Bedeutung im Leben des Kindes einnehmen soll/möchte.

Grundvoraussetzung: Genaue Absprachen

Voraussetzung für eine erfolgreiche Co-Parenting-Beziehung sind meist umfangreiche Absprachen, wie die Elternrollen verteilt und ausgeübt werden sollen. Hierbei kann schwierig sein, dass die Tragweiten der Absprachen schwer vorauszusehen sein können oder dass die Absprachen mit der Zeit nicht mehr den Interessen der Beteiligten entsprechen, zum Beispiel wenn sich der genetische Vater stärker oder weniger stark als vereinbart einbringen möchte. Es liegt in der Natur sozialer Beziehungen, dass sie sich im Laufe der Zeit weiterentwickeln und sich diese Entwicklung nicht vorab festlegen lässt. Die Absprachen stellen dennoch sicher, dass die Eltern sich über diese Aspekte Gedanken machen und Lösungen vorher diskutieren.
Wichtig für diese Form der Familiengründung ist, dass sich alle Beteiligten ausreichend Zeit nehmen, um sich kennenzulernen und zu klären, ob die Vorstellungen über die Rechte und Pflichten miteinander kompatibel sind. Auch die Ansichten aller Beteiligten zum Thema Kindererziehung sollten vorab besprochen werden: soll das Kind getauft oder geimpft werden, auf was für eine Art von Kita oder Schule soll es gehen, wie viel finanzielle Verantwortung soll jeder Elternteil tragen, wie viel Zeit soll es bei welchem Elternteil verbringen, kann es ein Geschwisterkind geben?

Für diesen Klärungsprozess gibt es Listen.12 Allgemein werden bei Co-Parenting möglichst präzise, auch schriftliche Absprachen im Vorhinein empfohlen. Sören Kittel, einer der Autoren des Regenbogen-Väterbuches, sagt dazu: „Da kann man tatsächlich nicht zu klein denken: Wer macht was, wie werden Wochenenden/Feiertage aufgeteilt, auch im Fall eines Streits der Eltern. Dann natürlich und ganz besonders auch das Finanzielle. Wer zahlt was? Von Unterhalt bis Nachhilfe.“13 Gleichzeitig sollte gegenseitige Sympathie vorhanden sein, eine grundsätzliche Bereitschaft Kompromisse zu schließen sowie die Bereitschaft, Absprachen ggf. anzupassen und Fehler auch zu verzeihen.

Co-Parenting mit mehr als zwei Eltern

Bei Co-Parenting mit mehr als zwei Eltern besteht die Situation, dass ein Kind rechtlich nur zwei Eltern haben kann.14 Oft verspricht der genetische Vater, das Kind nach der Geburt von der Partnerin der Mutter adoptieren zu lassen. Eine solche Absprache ist jedoch rechtlich nicht bindend, so dass viel auf dem Vertrauen der Eltern untereinander beruht. Das gilt genauso für die Vereinbarung, dass der genetische Vater nach der Freigabe zur Adoption ein Umgangsrecht mit dem Kind haben soll.15

Insbesondere bei Co-Parenting Konstellationen mit drei oder mehr Eltern wird zum Teil berichtet, dass es nach der Geburt zu einer Distanzierung kam und der genetisch nicht mit dem Kind verwandte Elternteil eifersüchtig auf den genetischen Vater reagierte. In dem Buch „Kinder machen“ von Andreas Bernard wird die Situation kurz nach der Geburt folgendermaßen geschildert: „Im ersten Jahr nach Charlottes Geburt kommt ihr leiblicher Vater immer am Montagnachmittag zu Besuch, zwei Stunden lang. Liane zieht sich dann lieber in den ersten Stock des Hauses zurück; sie hat ihre Unbefangenheit im Umgang mit Alex in dieser Zeit, in der die Stiefkindadoption noch nicht vollzogen ist, ein wenig verloren.“16 Die Situation entspannt sich erst nach einigen Jahren. Rückblickend sagt die leibliche Mutter dazu, sie hätten sich nach der Geburt zunächst abschotten müssen, um zu sehen, wie es zu dritt als Kernfamilie überhaupt funktioniere, ob es für ihr Kind sofort klar sein würde, das ihre Frau und sie die Eltern seien, so wie auch ihre Frau mit der Situation zurechtkommt.17 Es gibt jedoch auch Fälle, in denen die Unsicherheiten und negativen Emotionen gegenüber dem Vater des Kindes so erheblich waren und sich die Beziehung zwischen Vater und Müttern so zuspitzte, dass der genetische Vater entgegen vorheriger Absprachen keinen Kontakt mehr zu dem Kind haben sollte.18

Der Grund für diesen Verhaltenswechsel ist vermutlich, dass das Bild der klassischen bürgerlichen Familie bestehend aus (nur) zwei Eltern auch dann in der eigenen Wertvorstellung präsent sein kann, wenn man sich zuvor bewusst für eine Familie mit mehreren Eltern entschieden hat. Zwei Elternteile haben außerdem eine genetische Verbindung zum Kind und zusätzlich eine soziale, während weitere Wunschelternteile ausschließlich eine soziale Verbindung haben. Da soziale Beziehungen erst wachsen müssen und auch nicht vorab bestimmt werden kann, wie sie sich entwickeln werden, kann dies für die Wunscheltern beunruhigend sein. Daher kann es zu einer Verunsicherung hinsichtlich der eigenen Mutterrolle bei der Co-Mutter kommen und gleichzeitig Ängste und Einstellungen hervorrufen, die bewirken können, dass die Co-Mutter neben der biologischen Mutter keinen weiteren Elternteil – und eben auch nicht den Vater des Kindes- akzeptieren kann.19
Wahrscheinlich ist es am besten, sich im Vorhinein bewusst zu sein, dass es zu diesen Gefühlen kommen kann, um sie dann offen zu kommunizieren und im Interesse des Kindeswohls zu entscheiden. Um das Problem auch rechtlich zu lösen, sollten individuelle Absprachen zu Umgangskontakten auch bei einer Adoption eine höhere Verbindlichkeit erhalten, damit ein Umgang nicht gegen das eigentliche Interesse des Kindes an Kontakt zu leiblichen Elternteilen abgebrochen werden kann.20

Weitere Links zu Co-Parenting

Alexander Schug, Sören Kittel, Uli Heissig, Gianni Betucci: Das Regenbogenväter-Buch. Ratgeber für schwule Papas (und alle, die es werden wollen). Omnino-Verlag, 368 Seiten, 22 Euro.

Jansen, E.; Bruns, M.; Greib, A. & Herbertz-Floßdorf, M. (2014). Regenbogenfamilien – Alltäglich und doch anders. Beratungsführer für lesbische Mütter, schwule Väter und familienbezogene Fachkräfte (2. komplett überarbeitete Auflage). Familien- und Sozialverein des LSVD (Hrsg.). Köln: LSVD.

Jochen König: Mama, Papa, Kind? Von Singles, Co-Eltern und anderen Familien. Verlag Herder. Jochen König hat auch einen Blog.

Sven Riesel: Spenderkind, Sohn, Vater, Samenspender? Rollenverortungen innerhalb meiner Familien, in: Katharina Beier/Claudia Wiesemann u. a. (Hg.), Assistierte Reproduktionsmedizin mit Hilfe Dritter, Berlin 2020, S. 287-300.

Planning Mathilda – Blog von Jennifer, die ihr Kind zusammen mit einem Freund bekommen hat

Podcast Eltern ohne Filter, Staffel 17 Episode 4: Christian – Vater durch Samenspende. Christian wollte immer Vater werden. Doch für homosexuelle Männer ist der Weg dahin äußerst schwierig. Er ist ihn trotzdem gegangen. Am Ende wurde es ein Weg zu sich selbst. Heute hat er fünf Söhne, die ihn Papa nennen.

Dokumentation “Vier werden Eltern”.

„Alle Familien sind richtig“ – Interview in der taz vom 9.2.2021 mit der Soziologin Christine Wimbauer, die ein Buch über Co-Elternschaft geschrieben hat (Co-Parenting und die Zukunft der Liebe, erschienen im Transcript-Verlag).

Sophia Schirmer, „Ich finde meine Familie ganz normal“ – Laura ist bei lesbischen Müttern aufgewachsen, bento 30.08.2017.

  1. Weswegen wir den Begriff kritisieren, erklären wir in unserem Beitrag: Was ist problematisch am Begriff der Spende []
  2. Siehe zum Beispiel Der Superspreader, tageszeitung vom 26.7.2020; Sven Riesel: Spenderkind, Sohn, Vater, Samenspender? Rollenverortungen innerhalb meiner Familien, in: Katharina Beier/Claudia Wiesemann u. a. (Hg.), Assistierte Reproduktionsmedizin mit Hilfe Dritter, Berlin 2020, S. 287-300. []
  3. Siehe zum Beispiel Samenspender kriegt Inzest-Klage über den Niederländer Jonathan Jacob Meijer, der mehr als 450 Kinder gezeugt haben soll, Bild vom 28.3.2023; Jacqueline Mroz, The case of the serial sperm donor, New York Times vom 1.2.2021; Der Superspreader, tageszeitung vom 26.7.2020; sehr bekannt ist auch der Niederländer Ed Houben, der (Stand 2014) 102 Kinder gezeugt haben soll. []
  4. Barbara Nolte, Samenspender – Der Vater, das Phantom. Tagesspiegel 21.2.2013. []
  5. Nellie Bowles, The Sperm Kings have a Problem: Too Much Demand. New York Times vom 8.1.2021. []
  6. Eine der Mütter in dem taz-Artikel Der Superspreader beschreibt den privaten „Spender“ folgendermaßen: „B. sei perfekt, (…) Nett, schlau, selten anwesend, aber erreichbar.“ tageszeitung vom 26.7.2020. []
  7. In der Zeit, als Samenbanken Samen oft noch unter rechtlich eigentlich unzulässigen Anonymitätsvereinbarungen vermittelten, war private Samenvermittlung eher nachverfolgbar als eine nicht ordentlich dokumentierte oder ärztliche Samenvermittlung. Spätestens seit der gerichtlichen Klärung, dass Spenderkinder ein Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung haben und seit Inkrafttreten des Samenspenderregistergesetzes kann aber von einer ordentlichen Dokumentation der Ärzte ausgegangen werden. []
  8. Zwar besteht die Möglichkeit zur anonymen Zeugung von Kindern mit der zunehmenden Verbreitung von DNA-Datenbanken faktisch nicht mehr, die Recherchearbeit kann dennoch erheblich sein. []
  9. Jansen, E.; Bruns, M.; Greib, A. & Herbertz-Floßdorf, M. (2014). Regenbogenfamilien – Alltäglich und doch anders. Beratungsführer für lesbische Mütter, schwule Väter und familienbezogene Fachkräfte (2. komplett überarbeitete Auflage). Familien- und Sozialverein des LSVD (Hrsg.). Köln: LSVD, S. 67. []
  10. Andreas Bernard, Kinder machen, Fischer 2014, S. 484. []
  11. Eine Liebesbeziehung kann die Kompromissfähigkeit erhöhen, aber natürlich können auch Liebesbeziehungen enden und die verletzten Gefühle eine gemeinsame Ausübung des Sorgerechts im Interesse des Kindes stark erschweren. []
  12. z. B. in der Broschüre des LSVD oder dem Regenbogen-Väterbuch von Schug/Kittel/Heissig/Betucci. []
  13. Die Probleme der Regenbogenväter: Berliner schreiben ersten Ratgeber für schwule Papas, tip-berlin, 23.07.2020. []
  14. Für eine Debatte zu einer Reform: Jochen König, Drei sind keiner zu viel, tageszeitung vom 4.9.2016. []
  15. Siehe hierzu Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 16. Juni 2021 – XII ZB 58/20 : zwar besteht ein Umgangsrecht auch grundsätzlich nach der Freigabe zur Adoption, wenn es nicht ausgeschlossen wurde, aber das Umgangsrecht muss dem Wohl des Kindes dienen. Das kann fraglich sein, wenn zwischen den Erwachsenen so erhebliche Konflikte bestehen, dass das Kind in einen Loyalitätskonflikt geraten könnte. Der Fall wird geschildert in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 12.07.2020, Semmling darf nicht Papa sein, S. 28. []
  16. Andreas Bernard, Kinder machen, Fischer 2014, S. 486. []
  17. Andreas Bernard, Kinder machen, Fischer 2014, S. 487-488. []
  18. Semmling darf nicht Papa sein, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 12.07.2020, S. 28. []
  19. Jansen, E.; Bruns, M.; Greib, A. & Herbertz-Floßdorf, M. (2014). Regenbogenfamilien – Alltäglich und doch anders. Beratungsführer für lesbische Mütter, schwule Väter und familienbezogene Fachkräfte (2. komplett überarbeitete Auflage). Familien- und Sozialverein des LSVD (Hrsg.). Köln: LSVD; S. 66. []
  20. Botthof FamRZ 2020, 1275. []

Jahresbericht 2020

1. Verein

  • Am 10. Oktober fand unser offizielles Vereinstreffen in Berlin statt.
  • Außerdem gab es im November und im Dezember erstmals virtuelle Treffen zum persönlichen Austausch. Diese werden wir im nächsten Jahr auf jeden Fall wiederholen und dabei auch bestimmte Themen diskutieren.
  • Im November haben wir zusätzlich zur Spenderkinder-internen Austausch-Gruppe eine gemeinsame Facebook-Gruppe für Spenderkinder und am Thema interessierte Menschen ins Leben gerufen.

2. Verwandtentreffer

  • Für Spenderkinder, die noch keinen DNA-Test gemacht haben, empfehlen wir weiterhin Ancestry, weil man die Rohdaten dieses Tests auch bei Family Finder und MyHeritageDNA kostenlos hochladen kann. Das geht zwar mit 23andMe auch, aber Ancestry hat die größere Datenbasis.
  • Dieses Jahr haben mindestens 8 Spenderkinder herausgefunden, wer ihr genetischer Vater ist. Außerdem hatten wir 15 neue Halbgeschwistertreffer.
  • Von insgesamt 265 Spenderkindern, von denen wir wissen, dass sie einen beliebigen DNA-Test gemacht haben, haben 184 Personen einen Verwandten ersten Grades gefunden..
  • Insgesamt haben 33 Spenderkinder ihren genetischen Vater gefunden. 13 von ihnen über Herausgabe von Daten durch den Arzt, der den Samen vermittelt hatte. Bei drei Spenderkindern steht bislang fest, dass der ihre Mutter behandelnde Arzt seinen eigenen Samen eingesetzt hatte.

3. Internetseite

Wir haben unsere FAQ überarbeitet.

Folgende Beiträge auf unserer Internetseite aus diesem Jahr möchten wir besonders ans Herz legen:

4. Öffentlichkeitsarbeit

Coronabedingt gab es dieses Jahr wenige Veranstaltungen.

  • Deswegen war es eigentlich ein ideales Jahr für den Start unserer SocialMedia-Kampagne am 1. März 2020 in der wir auf den Wunsch vieler durch „Samenspende“ gezeugter Menschen hinweisen, ihre leiblichen Väter zu kennen. An drei Termine pro Woche haben wir dazu Aussagen und Fotos von unseren Mitgliedern auf Facebook, Instagram und Twitter gepostet. Im September haben wir den Fokus der Kampagne auf die Suche nach Halbgeschwistern erweitert und auf Aussagen von Spenderkindern zum Umgang mit unserer Zeugungsart. Außerdem haben sich einzelne Mitglieder vorgestellt, um dem Verein ein Gesicht zu geben und darauf hinzuweisen, dass wir auch andere Interessen haben. Ihr könnt uns bei der Kampagne helfen, indem ihr die Kanäle abonniert und teilt.
  • Am 16./17. September hat Anne uns bei der Jahrestagung „Ein Wunschkind um welchen Preis? Ethische Fragen an die Reproduktionsmedizin“ der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie (EAF) in Bonn vertreten.
  • Im Oktober hat Anne uns bei der Jahrestagung der Ärztinnen in der Reproduktionsmedizin in Weimar vertreten. Eine Zusammenfassung des Vortrags „Kinderwunsch – ein Perspektivwechsel zu den entstandenen Menschen“ wurde im Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie in der Rubrik der Gesellschaftmitteilungen der DGRM im Rahmen eines Berichts über die Tagung abgedruckt.
  • Seit Oktober 2019 veröffentlicht Sunny Videos zum Thema „Samenspende“ auf ihrem YouTube Kanal.

Darüber hinaus haben wir uns auch schriftlich geäußert:

  • Mit einem Kommentar zu einem möglicherweise künftigen Fortpflanzungsmedizingesetz in der Zeitschrift Familienpolitische Informationen der evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie (4/2020).
  • Im April erschien der Sammelband „Assistierte Reproduktion mit Hilfe Dritter. Medizin – Ethik – Psychologie – Recht, herausgegeben von Katharina Beier, Claudia Brügge, Dr. Petra Thorn und Prof. Dr. Claudia Wiesemann. In dem Buch sind zwei Beiträge von Anne und Sven enthalten.
  • Wir beteiligten uns an der Überarbeitung der S2k1-Leitlinie „Psychosomatisch orientierte Diagnostik und Therapie bei Fertilitätsstörungen“ (AWMF-Reg.-Nr. 016-003) und brachten zwei Sondervoten für eine verpflichtende psychosoziale Information der genetischen und geplanten rechtlichen Elternteile sowie zum Sprachgebrauch und zu Leihmutterschaft ein, außerdem einen kritischen Kommentar zur Datenlage zu den langfristigen psychosozialen Konsequenzen einer Familiengründung mit den Keimzellen Dritter.

5. Rechtliches

  • Anfang 2020 kam es im Verfahren zur Datenherausgabe durch einen Reproduktionsmediziner aus München zu einer Einigung mit dem klagenden Spenderkind. Das Spenderkind hatte erfolgreich einen Vergleich aus einem früheren Verfahren angefochten. Es hatte sich nämlich herausgestellt, dass – anders als 2014 behauptet – doch noch Unterlagen vorhanden waren. Das Spenderkind erhielt sämtliche noch vorhandene Unterlagen, um selbstständig damit recherchieren zu können, wer als sein genetischer Vater infrage kommt. Relevant ist an dieser Einigung vor allem, dass das Landgericht München es in seinem Beschluss vom 12.11.2019 für vertretbar hielt, einem Spenderkind sämtliche Unterlagen herauszugeben.
  • Insbesondere gegen Novum in Essen laufen weiter Verfahren zur Herausgabe von Informationen über die genetischen Väter. In mindestens fünf Fällen wurde die Praxis bzw. einzelne Gesellschafter bereits verurteilt, Auskunft zu geben, weigern sich aber diesen Urteilen nachzukommen und berufen sich darauf, die betreffenden Akten im Jahr 2007 oder auch in den Jahren 2007 bis 2010 vernichtet zu haben. Im Rahmen des Vollstreckungsprozesses fand im September eine mündliche Verhandlung vor dem Landgericht Essen statt. Ein Urteil wurde noch innerhalb 2020 zugesagt, steht aber noch aus. Zur mündlichen Verhandlung tauchten weitere Unterlagen auf, rund 50 noch vorhandene Akten aus den Jahren vor 1996. In der Verhandlung wurde bestritten, dass diese Unterlagen für die aktuell Klagenden relevant sind. Einige Wochen später erhielt aber einer der Kläger unerwartet Auskunft, da angeblich unter den noch vorhandenen Akten doch die Akte seiner Mutter gewesen war.
  • Novum fordert außerdem für die Auskunft über den genetischen Vater eine Bearbeitungsgebühr von ca. 90 Euro, obwohl die Auskunft nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Hamm kostenlos erteilt werden muss.
  • Ein weiteres Spenderkind klagt derzeit vor dem Amtsgericht Dresden gegen die Uniklinik Dresden, die sich seit vier Jahren weigert, Auskunft zur Identität des genetischen Vaters zu geben. Im Oktober fand eine erste mündlichen Verhandlung statt, für das erste Quartal 2021 ist eine zweite Verhandlung angesetzt.
  • Das Bayerische Oberlandesgericht hat am 4. November 2020 den Freispruch des Landgerichts Augsburg im Strafverfahren gegen mehrere Vorstandsmitglieder des Netzwerks Embryonenspende aufgehoben und festgestellt, dass die Weiterkultivierung von Zellen im Vorkernstadium strafbar ist, wenn das Ziel ist, sie einer Frau einzusetzen, von der die Eizellen nicht stammen. Damit wurde die Rechtsauffassung unseres Vereins bestätigt. Das Verfahren wurde nun an das Landgericht Augsburg zur Klärung einiger tatsächlicher Fragen zurückverwiesen.

6. Medienbeiträge

  • Das Online-Magazin der VICE berichtete am 29. Januar 2020 unter dem Titel „Samenspende: Wie Britta ihren Vater kennenlernte“ über die Geschichte von Britta und Dietrich.
  • Julia erzählte bei „Die Frage„, wie sie ihren biologischen Vater mit Hilfe eines DNA Test gefunden hat und wie sich ihre Beziehung entwickelt hat.
  • Am 12. Mai waren Christiane, Britta und Brittas Vater Dietrich live zu Gast in der Fernsehsendung von Marco Schreyl (RTL).
  • In der Sendung Eine Stunde Liebe auf Deutschlandfunk Nova vom 15. Mai erzählte Spenderkinder-Vorstandsmitglied Stina von der Arbeit des Vereins und der zunehmenden Bedeutung von DNA-Datenbanken für die Suche nach Elternteilen und Halbgeschwistern.
  • Britta erzählte im Juni gemeinsam mit ihrem leiblichen Vater Dietrich bei Radio youfm im hessischen Rundfunk, wie sie sich über eine DNA-Datenbank gefunden haben. (Link leider nicht mehr online)
  • Auch im Juni wurde der Film Solomütter von Yvonne Rüchel ausgestrahlt, in dem Stina unseren Verein vertrat und insbesondere auf die schlechte Absicherung von Spenderkindern bei Solomüttern hinwies.
  • In der Radiosendung Quarks – Wissenschaft und mehr im Juli erzählten Martina und Sibylle, was Spenderkinder erleben können, wenn sie nicht aufgeklärt werden und von ihrer Suche nach ihren genetischen Vätern. ()
  • Sabina erzählte im August in der Sendereihe TRU DOKU des öffentlich-rechtlichen Senders Funk auf Youtube von ihrer Aufklärung und Suche nach ihrem genetischen Vater.
  • Alexander, Stina, Martina und Anne erzählten am 14. September in der Sendung Neugier genügt auf WDR 5, wie sie von ihrer Entstehung erfuhren und über ihre Suche
  • Am 22. September berichtete der Kölner Stadtanzeiger unter dem Titel Samenspenderkinder erzählen „Wir wollen wissen, wo wir herkommen – keinen Unterhalt“ über Mona, Sophie und Alina (Anne), wie sie von ihrer Entstehung erfuhren und von ihrer bisherigen Suche nach ihren genetischen Vätern.
  • Am 4. November rief Martina im Lokalsender Radio Essen ehemalige Samenspender aus der Region auf, sich zu melden und berichtete von der Suche nach ihrem leiblichen Vater.
  • Im Dezember hat Julia dem CampusMagazin KURT der TU Dortmund über ihre erfolgreiche Suche nach ihrem genetischen Vater berichtet und Anne über die rechtliche Situation aufgeklärt.

7. Spender

  • Wir freuen uns, dass sich in diesem Jahr wieder einzelne „Samenspender“ bei uns gemeldet haben. Darunter auch jüngere Männer, die sich rückblickend von den Samenbanken nicht hinreichend psychosozial informiert fühlten.

8. Internationales

9. Ausblick auf 2021

  • Wir sind gespannt auf die Ergebnisse der Spenderkinderstudie2020, in der erstmals Spenderkinder in Deutschland dazu befragt wurden, wie sie ihre Aufklärung erlebt haben und wie sich die Beziehung zu Halbgeschwistern und den verschiedenen Elternteilen entwickelt.
  1. S2k bedeutet, dass die Leitlinie konsens-basiert ist, im Unterschied zu evidenzbasierten S2e-Leitlinien []

DNA Tests als Black Friday Angebot

Verschiedene DNA Tests gibt es derzeit als Black Friday Angebote:

Ancestry für 45 Euro (bis 2.12.2020)

23andme für 79 USD (bis 26.11.2020)

Der Vollständigkeit halber: MyHeritage gibt es derzeit auch für 45 Euro und FTDNA für 59 USD. Wir empfehlen aber, den Ancestry Test zu machen, weil man die Ancestry-Rohdaten kostenlos bei MyHeritage und FTDNA hochladen kann (mehr Infos). Wir empfehlen, das auf jeden Fall zu machen, da die meisten unserer Mitglieder bei FTDNA registriert sind.

Die Suche nach der Herkunft in Jim Knopf und die Wilde 13

Jim Knopf war als Kind eins meiner Lieblingsbücher. Noch bevor ich selbst lesen konnte, hat meine Mutter es mir vorgelesen und manche Kapitel wollte ich immer wieder lesen. Dass Jim, der als Findelkind in einem Paket bei Frau Waas in Lummerland landet, trotz der liebevollen Frau Waas wissen möchte, wer seine Geburtseltern sind, habe ich nie hinterfragt. Meine Mutter übrigens auch nie. Das Buch ist 1960 erschienen und vermutlich noch nicht vom Zeitgeist der 68er zu dieser Frage geprägt, dass nur soziale Bindungen zählen.

Vielleicht hat mich der frühe Kontakt zu dieserAdoptions-Geschichte auch geprägt für meine eigene Einstellung, als ich von meiner Zeugung durch Samenspende erfahren habe. Vorletztes Wochenende habe ich mit meiner Tochter Jim Knopf und die Wilde 13 im Kino gesehen. Sowohl diesen Film wie auch den 1. Film finde ich sehr gelungen. Besonders hat mich gefreut, dass dem Thema Abstammung auch im Film so viel Bedeutung zugemessen wird. Sowohl Jims Wunsch, seine Herkunft zu erfahren, als auch der sehr emotionale Moment, in dem er im Hauptquartier der Wilden 13 im Auge des Sturms einen Brief seiner Eltern mit ihren Namen und Bildern findet. Es ist wichtig, einen realen Menschen als Elternteil vor Augen zu haben – das haben Adoptierte, Spenderkinder und Kuckuckskinder gemeinsam. Ich weiß nicht, ob nur mir als Betroffener das Thema so auffiel, aber ich hoffe dass er bei der Sensibilisierung für die Bedeutung der Abstammung hilft.

Wenn die Wahrheit ans Licht gekommen ist – unsere Empfehlungen an Spenderkinder, die gerade erst von ihrer Zeugungsart erfahren haben*

Oft melden sich Spenderkinder bei uns, die gerade erst von ihrer Zeugung durch Samenvermittlung erfahren haben. Manche hatten schon lange eine Ahnung, dass ihre Eltern ihnen etwas über ihre Abstammung verschweigen, andere haben es aus relativ heiterem Himmel erfahren, manche auch erst über die Anzeige von Halbgeschwistern oder ihren genetischen Vater in einer DNA-Datenbank.

Menschen sind verschieden und reagieren deswegen auch unterschiedlich auf eine solche Neuigkeit. Deswegen können wir nur ganz allgemeine Empfehlungen für diese Situation geben, die aber vielleicht trotzdem wichtig sind.

* Diese Empfehlungen gelten natürlich auch über die erste Zeit nach der Aufklärung hinaus. Manchmal ist es im weiteren Verlauf hilfreich, sich an sie zu erinnern.

1. Alle Gefühle sind berechtigt

Viele spät aufgeklärte Spenderkinder empfinden die Neuigkeit, durch Samenvermittlung entstanden zu sein, als schockierend.

Ich fühle mich wie ein Haus nach einem Erdbeben mit nur noch 3 Wänden, bei dem die halbe Badewanne raushängt und man in alle Zimmer gucken kann. Ich bin unglaublich wütend, dass man mir das nicht vorher gesagt hat, mir nicht zugetraut hat, mit der Information umzugehen und sie in mein Ich einzubauen. 

Es gibt aber auch Spenderkinder, die eher erleichtert sind, zum Beispiel weil sie schon vorher den Eindruck  hatten, dass irgendetwas nicht stimmt. 

Für mich war es damals im ersten Moment eine Erleichterung, da ich zu meinem sozialen Vater kein gutes Verhältnis hatte.

Oft hören wir auch, dass Geschwister ganz anders reagieren und sich mit der Neuigkeit entweder gar nicht beschäftigen möchten oder kein Interesse am genetischen Vater oder Halbgeschwistern äußern. Manche Spenderkinder spüren eher Wut, andere eher Verständnis für die Entscheidungen ihrer Eltern.

Wichtig ist, dass alle Gefühle berechtigt sind. Es ist okay, schockiert, beunruhigt oder wütend zu sein, und umgekehrt ist es genauso okay, wenn man all dies nicht ist. Gefühle sind einfach da, und man sollte sie erst einmal zulassen und erforschen. Es können auch ganz unterschiedliche Gefühle gleichzeitig oder kurz nacheinander auftreten. Das kann ganz schön verwirrend sein. 

Es kommt öfters vor, dass Menschen aus dem näheren Umfeld eine bestimmte Reaktion erwarten oder erhoffen. Oft sind das die Eltern, die nicht mit negativen Gefühlen wie Wut, Enttäuschung oder Trauer konfrontiert werden möchten. Es können aber auch Freunde oder Bekannte sein, die (vielleicht auch auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen) den Eindruck entstehen lassen, die Gefühle des Spenderkindes zu bewerten oder relativieren (siehe hierzu unseren Beitrag 12 Bemerkungen, die Spenderkinder nerven).

2. Gib Dir selbst Zeit

Allen frisch aufgeklärten Spenderkindern, die diese Neuigkeit als Schock empfinden, raten wir vor allem, sich selbst Zeit zu geben. Manche Spenderkinder können sich in den ersten Wochen danach kaum auf etwas anderes konzentrieren.Die Gedanken schwirren im Kreis, und wenn sie kurz abgelenkt werden, trifft es sie nachher wieder wie ein Schlag. Manche haben das Gefühl, viele ihrer Erinnerungen an ihre Kindheit neu bewerten zu müssen, was sehr herausfordernd sein kann. Oder sie müssen überlegen, wie sie in Zukunft damit umgehen werden und fühlen sich davon überfordert.

Ich habe mich am Anfang gefühlt, als hätte man mich in einer Nussschale im Meer ausgesetzt. 

Ich hatte eine schwierige Zeit, litt an Depressionen und Panikattacken. 

Die ersten Tage waren ein Albtraum für mich. Meine Identität schien für mich zuvor gefestigt, seit ich selber Mama geworden bin noch mehr. Ich habe mich vom Kindsein eigentlich seit 15 Jahren gelöst. Jetzt bin ich wieder komplett im Kind-Ich drin und es fällt mir schwer, die Stabilität zurück zu gewinnen, die ich für meine eigene Familie brauche. 

Ich habe mit 28 herausgefunden, woher ich komme und es war eine Sache, die so sehr an meinen Grundfesten gerüttelt hat, etwas, was viel zu groß war, es in den ersten Jahren zu begreifen – ich war in zwei Psychotherapie-Kliniken. Wir haben zusammen insgesamt fünf Jahre für die Verarbeitung gebraucht. 

Es kann einige Zeit dauern, bis man die Tatsache verarbeiten kann, einen unbekannten genetischen Vater zu haben und von den Eltern hierüber lange Zeit im Unklaren gelassen oder aktiv belogen worden zu sein.  Es wird nach einer Zeit aber auf jeden Fall einfacher und nach einigen Jahren wird es vermutlich einfach ein Puzzlestück Deiner Identität sein – wie groß, entscheidest Du selbst.

Mit der Zeit wurde meine Entstehung durch eine Samenspende ein normaler Teil meiner Geschichte, über den ich manchmal mehr, manchmal weniger nachgedacht habe. 

Außerdem ist es gut möglich, dass Deine Gefühle sich über die Zeit noch verändern. Manche Spenderkinder interessieren sich zum Beispiel erst für ihre Abstammung, wenn sie selbst Kinder bekommen. Andere finden das Konzept einer Samen“spende“ möglicherweise anfangs unproblematisch und lehnen es später nach intensiverer Beschäftigung mit dem Thema eher ab (oder umgekehrt).

3. Finde heraus, was Du möchtest und was Dir gut tut

Du bist für Dich selbst die wichtigste Person – daher solltest Du herausfinden, was Du selbst möchtest und was Dir gut tut.

Das kann zum einen der Umgang mit Deiner Zeugungsart sein.Viele Spenderkinder sind auch nach ihrer Aufklärung noch sehr davon beeinflusst, wie ihre Eltern sich fühlen oder wie andere Menschen aus ihrem sozialen Umkreis ihre Situation einschätzen. So sagen manche Spenderkinder im Nachhinein, dass sie sich anfangs nicht eingestehen wollten, dass sie sich für ihren genetischen Vater oder Halbgeschwister interessieren, weil sie Angst hatten, ihre Eltern zu verletzen oder zu beunruhigen. Vielleicht möchtest Du offen mit Deiner Zeugungsart umgehen und nicht mit einem Geheimnis leben.

Ich würde das Geheimnis nicht mehr so viele Jahre wahren, weil meine Eltern es von mir verlangen. Ich würde viel früher mit anderen darüber reden und mich nicht mehr von relativierenden Vergleichen von anderen verunsichern lassen. Ich würde sehr viel selbstbewusster damit umgehen.

Ich würde jedem empfehlen, der aufgrund seiner Familienangehörigen nicht darüber spricht und das Geheimnis für sich behält und selber daran zerbricht, es einfach zu tun. Egal in welcher Form, ob es öffentlich ist, Freunden davon zu erzählen oder es einfach niederzuschreiben. Einfach machen. 

Vielleicht hast Du aber auch das Gefühl, dass Du gerade keine Kraft hast, Dich mit Deiner Abstammung und Deiner Familiensituation auseinanderzusetzen – dann musst Du das auch nicht tun. Manchmal braucht man auch einfach mal eine Pause. Du musst Dich auch nicht mit Deinen Eltern auseinandersetzen, wenn Du dazu keine Kraft hast. Es gibt Spenderkinder, die den Kontakt zu ihren Eltern erst einmal abgebrochen haben, weil sie Zeit für die Verarbeitung brauchten. Anderen liegt viel daran, die Situation zusammen mit ihren Eltern zu klären.

Helfen können auch bestimmte Herangehensweisen: 

Mir hat geholfen, meine Gedanken aufzuschreiben, weil ich meine Gefühle dafür ordnen und genauer benennen und erklären musste. Und danach waren sie auf Papier gebannt (bzw. in einer Datei) und nicht mehr ganz so quälend.

Wir haben uns ein White board besorgt, das hängt jetzt an unserer Familienfotowand. Mein genetischer Vater hat einen Namen erhalten (Papa/Opa Otto) und auf dem white board tragen wir mit abwaschbarem Stift alle Eigenschaften ein, die wir an uns feststellen und von denen wir glauben, dass sie von „Otto“ stammen könnten. So ist Papa/Opa Otto sehr flexibel und ein bißchen auch unser „Eigenartenmülleimer“, aber auch das hilft mir sehr.

Wenn Du empathische Partner, Freunde, Familienangehörige hast, sprich mit ihnen darüber. Wenn Du merkst, dass Deine Gefühle nicht ernst genommen werden, lass dich dadurch nicht runterziehen oder verunsichern, sondern umgib Dich mit Menschen, die Dir gut tun. Viele Spenderkinder haben vor allem den Kontakt zu anderen Betroffenen als besonders hilfreich empfunden (siehe 4.).

Ich spreche viel mit meiner Familie und mit meinen Kindern darüber, sie haben eine wunderbar natürliche Art, damit umzugehen. 

Am meisten geholfen haben mir Interviews mit Journalisten, die ernsthaftes Interesse an meinen Gefühlen hatten, ohne sie dabei zu relativieren oder zu bewerten.

Nicht zuletzt kann auch Hilfe von außen durch eine Behandlung bei einem Psychotherapeuten helfen. Die Kosten für eine Psychotherapie (Verhaltenstherapie, tiefenpsychologische oder psychoanalytische Therapie) werden in der Regel von der Krankenkasse übernommen. Voraussetzung dafür ist, dass eine krankheitswertige Störung vorliegt, z.B. eine Anpassungsstörung und die Therapeutin/der Therapeut mit der Krankenkasse abrechnen kann. Du kannst unverbindlich eine psychotherapeutische Sprechstunde wahrnehmen, um diese Punkte abzuklären. Gerade weil es in einer Psychotherapie um ganz persönliche Themen geht, ist es wichtig, dass “die Chemie” stimmt. Du kannst bei mehreren Psychotherapeut*innen in die Sprechstunde gehen und dann spüren, wo Du Dich am besten aufgehoben fühlst. Leider ist es auch im professionellen Kontakt in Einzelfällen vorgekommen, dass Spenderkinder das Gefühl hatten, dass ihre Gefühle relativiert werden. Daher kann es sinnvoll sein, wenn der oder die Beratenden schon Adoptierte oder im Kontext von Familiengeheimnissen beraten hat.

4. Du bist nicht alleine

Manche amerikanischen Spenderkinder sagen zur Begrüßung: „Welcome to the club nobody wanted to join!“ Als Trost ist es ein ziemlich netter Club, in dem Du viel Unterstützung finden kannst. Du bist nicht alleine mit Deiner Zeugungsart. Egal ob es rechtliche Probleme sind, Fragen bei der Recherche in DNA-Datenbanken oder solche zum Umgang mit den Eltern – vermutlich wird Dir jemand helfen können oder zumindest interessante Anregungen oder eine andere Perspektive geben können.

Heute würde ich mich direkt auf die Suche begeben und bei den Spenderkindern melden. Es war wichtig zu wissen dass ich nicht alleine bin und meine Mutter nicht die einzige Mutter ist, die mit diesem Thema große Schwierigkeiten hatte. 

Was mir hilft: reden, reden, reden. Dann hilft mir der Spenderverein sehr, hier habe ich das Gefühl, dass man mein Durcheinander versteht. 

Ich würde mich immer wieder sofort beim Spenderkinderverein melden. Der Kontakt mit anderen Spenderkindern war unglaublich hilfreich. 

Mir hat natürlich der Verein generell ganz arg geholfen. Während in meinem privaten Umfeld viele mit Floskeln reagiert haben, mit denen ich nicht viel anfangen konnte, habe ich hier mit Menschen zu tun, durch die ich eine Legitimation dafür bekommen habe, mich so zu fühlen, wie ich es tue.

Deshalb ist das der bisher einzige Tipp, den ich anderen geben würde – sehr frühzeitig (von Beginn an) Kontakt zu anderen Spenderkindern zu pflegen. 

Der Kontakt zu anderen Spenderkindern hat mir sehr weitergeholfen – ich fühlte mich nicht mehr alleine. Mein erstes Treffen mit einem anderen Spenderkind werde ich nicht vergessen. Und ich finde auch nach 13 Jahren immer noch faszinierend, wie viele Gemeinsamkeiten es bei allen Unterschieden zwischen uns gibt. 

Außer unserem Verein gibt es die sehr aktive internationale Gruppe „We are donor conceived“ auf Facebook (auf Englisch).

Die Erfahrungsberichte von Spenderkindern auf unserer Internetseite und die Medienberichte über unsere Mitglieder (siehe Links) geben einen guten Überblick darüber, wie unterschiedlich Spenderkinder mit ihrer Situation umgehen. Empfehlenswert ist auch das Buch “Spenderkinder” von Wolfgang Oelsner und Gerd Lehmkuhl (Rezension) sowie das Buch “Inheritance” der US-amerikanischen Schriftstellerin Dani Shapiro, die im Alter von fast 50 Jahren durch einen DNA Test entdeckte, dass sie ein Spenderkind ist (bislang leider nur auf Englisch erschienen).

5. Du kannst die Nadel im Heuhaufen finden

Wenn Du wissen möchtest, wer Dein genetischer Vater ist oder ob Du Halbgeschwister hast, denkst Du vielleicht, dass Du vor einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen stehst. Das war bis vor wenigen Jahren tatsächlich so – inzwischen sind die Chancen aber durch die modernen DNA-Datenbanken recht gut, dass Du Halbgeschwister oder Deinen genetischen Vater finden wirst (siehe Verwandtensuche mit DNA-Datenbanken). Vielleicht nicht sofort, aber womöglich nach einiger Zeit. Außerdem ist in Deutschland inzwischen höchstrichterlich geklärt, dass Spenderkinder ein Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung haben. Inzwischen haben daher auch einige unserer Mitglieder Auskunft von dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin ihrer Eltern erhalten. Aus unserem Verein haben inzwischen mehr als 30 Spenderkinder erfahren, wer ihr genetischer Vater ist, und es haben sich 45 Halbgeschwistergruppen gefunden (Stand Juni 2020).

6. Wenn das Leben Dir Zitronen gibt, mach Limonade draus

Es kann eine große Herausforderung darstellen, ein Familiengeheimnis über die eigene Abstammung erst als Erwachsener herauszufinden. Aber Menschen können an Krisen wachsen. Auch wenn Du erst einmal eine sehr schwierige Zeit hast, kannst Du diese Erfahrung vielleicht in etwas Positives umwandeln. Das kann zum Beispiel a) die Gewissheit sein, dass Du auch solche Erschütterungen verkraftest, b) die Möglichkeit, die Beziehung zu den Eltern neu zu gestalten, c) mehr Empathie, Engagement, Kontakt zu interessanten Menschen, die Du sonst nie getroffen hättest, oder d) ein tieferes Verhältnis zu Menschen, die Dir etwas bedeuten, oder e) die Erweiterung ihrer Familie oder f) etwas ganz anderes, an das man nicht direkt denkt.

Es war nicht schön, so spät von meiner Zeugung durch eine Samenspende zu erfahren, aber ich wäre glaube ich ein ganz anderer Mensch, wenn das nicht passiert wäre. Ich habe in den letzten vierzehn Jahren viele tolle Menschen deswegen kennengelernt. Außerdem habe ich mich mit so vielen auch unangenehmen Gefühlen auseinandergesetzt, dass ich daran als Person gewachsen bin. Deswegen schätze ich alles im Nachhinein doch als etwas Gutes ein. 

Es hat mich so sehr befreit, die Wahrheit zu erfahren, das ist mit Worten nicht zu beschreiben. Es war als wenn ich in tiefes klares Wasser schaue, bis zu meinem Ursprung hin und endlich sehe ich, was da ist. Es war ein Gefühl, als dürfte ich endlich aus einem Gefängnis gehen, in dem ich mich so lange befunden hatte. Endlich die Türen auf, endlich alles richtig und stimmig, endlich frei in mein ganzes Leben zu gehen. 

Könnte ich mir einen Brief in die Vergangenheit schicken, würde ich mir gerne sagen: „Entspann Dich mal, denn alles wird gut, am Ende findest Du Dich selbst in einer Klarheit, die es mit der Lüge nie gegeben hätte“! 

Viele Spenderkinder haben sich über das Finden von Halbgeschwistern oder ihres genetischen Vaters gefreut, einige so sehr, dass es sie mit ihrer Zeugungsart versöhnt hat.

Ich hatte Glück, meinen Vater finden zu dürfen und konnte somit meine Geschichte und auch die meiner Familie heilen.

Spenderkinder bei Marco Schreyl und Deutschlandfunk Nova

Am 12. Mai waren Spenderkinder-Mitglieder Britta und Christiane und Brittas Vater Dietrich live zu Gast in der Fernsehsendung von Marco Schreyl (RTL): Von einem hervorstehenden Nagel und leiblichen Vätern, die Verantwortung übernehmen.

In der Sendung Eine Stunde Liebe auf Deutschlandfunk Nova vom 15. Mai erzählt außerdem Spenderkinder-Vorstandsmitglied Stina von der Arbeit des Vereins und wie wichtig DNA-Datenbanken inzwischen sind.

Rezension: The Lost Family von Libby Copeland

Das englischsprachige Buch „The Lost Family“ von Libby Copeland ist ein faszinierendes Buch über DNA-Datenbanken (wie Ancestry, Family Finder, 23andme und MyHeritageDNA) und wie diese Familienbeziehungen auf eine bislang unbekannte Art auf den Kopf stellen. Indem die Tests ihren Teilnehmern bislang unbekannte Informationen über die eigene Abstammung zeigen, werden auch Geheimnisse enthüllt wie Unfruchtbarkeit, unehelich zur Welt gebrachte Kinder, uneheliche Beziehungen, sexuelle Gewalt oder eine geheim gehaltene ethnische Zugehörigkeit.

Anhand der Geschichte von Alice Plebusch, einer siebzigjährigen Frau, die mit Erstaunen feststellte, dass Ancestry ihr einen beträchtlichen Anteil jüdischer DNA auswies,1 werden verschiedene, mit DNA-Datenbanken verbundene Themen diskutiert und anhand weiterer persönlicher Geschichten illustriert – von Adoptierten, Findelkindern, Kuckuckskindern, Spenderkindern und andere Menschen die einen anderen Elternteil hatten als sie annahmen (auf englisch wird dies als NPE beschrieben – „Not Parent Expected“).

Die Suchenden, die Unwissenden und die Gefundenen

Libby Copeland teilt die von den Tests betroffenen Menschen in 3 Gruppen ein: Genealogiker, Suchende (Adoptierte, Spenderkinder, Kuckuckskinder und andere Personen, die Zweifel an ihrer Abstammung haben) und bislang Unwissende. Die letzte Gruppe nimmt an den DNA-Tests oft teil, weil sie diese als Geschenk erhält oder denkt, dass sich die Tests interessant anhören, weil man damit Informationen über ihre allgemeine ethnische Abstammung erhält – zum Beispiel, welcher Anteil der eigenen Vorfahren aus Irland kommt oder ob die Familiengeschichten über indianische Vorfahren stimmen. Das Interesse hieran ist insbesondere in den USA sehr groß, da die USA eine Einwanderungsgesellschaft sind und die Zugehörigkeit zu den verschiedenen Einwanderergruppen und Subkulturen eine große Bedeutung besitzt.

Vielen Unwissenden ist dabei nicht bewusst, dass sie über den Test auch nähere Verwandte finden können oder von ihnen gefunden werden können – und wer weiß schon Bescheid, ob der Vater früher seinen Samen verkauft hat oder eine Affäre hatte? Inzwischen warnen die DNA-Datenbanken sogar ausdrücklich vor diesen Folgen – aber vermutlich denkt niemand, dass sie selbst davon betroffen sein könnten. Ancestry hat in den USA daher ein Team, dass sich besonders um Menschen kümmert, die ein unerwartetes Testergebnis erhalten. Da Kunden mit unerwarteten Testergebnissen den Test oft für falsch halten, bietet FamilyTreeDNA standardmäßig einen zweiten Test für die Hälfte des Geldes an und verspricht, das Geld zurückzuerstatten, wenn der erste Test falsch war. Es komme fast nie vor, dass der Test fehlerhaft sei.

Manche der Unwissenden forschen nach, andere lassen die Testergebnisse „wie eine zufällig am Strand entdeckte Granate“ liegen. Die Testergebnisse führen zum Teil dazu, dass Menschen mit lange zurückliegenden Ereignissen und damit verbundenen schmerzhaften Gefühlen konfrontiert werden oder diese erst entdecken. Vielen Spenderkindern, Adoptierten und Kuckuckskindern wurde nicht die Wahrheit über ihre Entstehungsweise gesagt. Einige Männer erfahren als Sechzigjährige, dass sie als junge Männer ein Kind gezeugt haben und fühlen sich, als hätten sie ihr Kind verlassen. Ehemalige Samen“spender“ entdecken, dass sehr viele Kinder mit ihrem Samen gezeugt wurden, manche Spenderkinder erfahren, dass sie möglicherweise mehr als 100 Halbgeschwister haben. Fünfzigjährige müssen sich damit auseinandersetzen, dass ihre bereits verstorbene Mutter ein Kind ausgesetzt oder zur Adoption freigegeben hat. Andere fanden schmerzhafte Erklärungen für ihre Abstammung wie Inzest oder Vergewaltigung. Von diesen Informationen betroffen sind meistens nicht nur die unmittelbaren Verwandten, sondern ihre ganze Familie. Erfährt ein Mann, dass er vor Jahrzehnten ein Kind in einer Affäre gezeugt hat, wird vermutlich auch seine Frau von der Untreue erfahren wird und seine ehelichen Kinder, weil sie Halbgeschwister haben.

Ob die Gefundenen offen oder mit Zurückweisung reagieren, kann nicht vorhergesagt werden. Mache reagieren abweisend und sehen die neuen Verwandten als Eindringlinge, andere Gefundene freuen sich dagegen, weil für sie mehr Verwandte mehr Liebe bedeuten. Eine Betroffene vergleicht es mit russischem Roulette, eine andere rät: Rechne mit dem Schlimmsten und hoffe auf das Beste! Für viele Suchende, die sich falsch in ihrer Familie gefühlt haben, kann Desinteresse oder Zurückweisung ihrer genetischen Verwandten sehr schmerzhaft sein. Das Buch erzählt Geschichten von Zurückweisung, bei denen man die Betroffenen am liebsten in den Arm nehmen möchte – und von herzlichen Aufnahmen, die einem Tränen der Rührung in die Augen steigen lassen. Genauso berührend sind die Geschichten, bei denen die Tests enthüllten, dass die Betroffenen entgegen ihrer vorherigen Annahme nicht verwandt waren – und dennoch entschieden, sich emotional weiterhin als Verwandte zu sehen. Wie eine Betroffene meint: DNA ist nicht Liebe.

Auch bei gegenseitiger Freude über die Familienerweiterung wird teilweise von Schmerz darüber begleitet, dass man viele Jahre in Unwissenheit lebte und diese Zeit nicht miteinander verbringen konnte. Manche Verwandte wuchsen wenige Kilometer voneinander entfernt auf. Vielen stellt sich die Frage: wäre ich ein anderer Mensch, wenn ich es früher gewusst hätte?

Die Datenbanken

Da der Verein Spenderkinder den Test Family Finder von Family Tree DNA zur Verwandtensuche nutzt, aber die Registrierung in allen großen Datenbanken empfiehlt, fand ich die Interviews mit den Gründern bzw. Leitern der Tests besonders spannend.

Family Tree DNA wurde primär aus genealogischem Interesse im Jahr 2000 gegründet. Mit nur rund 150 Angestellten ist das in Houston sitzende Unternehmen immer noch relativ klein. Bei den autosomalen DNA-Tests handelte es sich zunächst um ein Nischenprodukt, erst im Jahr 2013 wurde die Marke von mehr als einer Million verkaufter Tests überschritten. Bereits in der Testphase vor Verkaufsbeginn fanden die Testpersonen unerwartete Ergebnisse in ihrer Abstammung – man wusste also, was passieren könnte. Gründer Bennett Greenspan sagt dazu, er sei kein Ethiker, es würde immer jemand verletzt werden – der Suchende, dem Informationen über seine Abstammung vorenthalten werden, oder dem Gefundenen, der möglicherweise nicht gefunden werden möchte. Er bezeichnet den Begriff „anonymer Samenspender“ als Oxymoron wie „Jumbo Shrimp“ und rät scherzhaft Großeltern, ihren Enkelsöhnen Geld für Bier zu schicken, damit die jungen Männer von heute nicht ihr Sperma verkaufen müssten, damit nicht in zwanzig Jahren jemand an ihre Tür klopft und sie „Dad“ nennt.

23andme wurde im Jahr 2006 gegründet. Die Erfolgsgeschichte des Unternehmens begann mit dem Angebot des ersten autosomalen DNA-Tests im Jahr 2009, der damals noch stolze 999 USD kostete. Die Datenbank ist auf die DNA-Analyse von Gesundheitsanlagen spezialisiert (die aber überwiegend nur auf Vermutungen beruhen, da der Einfluss der Gene auf viele Krankheiten noch nicht ausreichend geklärt ist). Daher hat das Unternehmen Forschungskooperationen mit mehreren Unternehmen, die Zugriff auf anonymisierte DNA-Daten haben. Die Kunden können sich gegen eine Teilnahme entscheiden oder aber durch zusätzliche Informationen über ihre Gesundheit die Kooperationen fördern.

Ancestry sitzt in Lehi, Utah und ist inzwischen die größte DNA-Datenbank. Das im Jahr 1996 gegründete Unternehmen bot zunächst lediglich den Zugang zu historischen Dokumenten für die Ahnenforschung an. Erst ab 2012 wurden zusätzlich autosomale DNA-Tests aufgenommen. Das Geschäftsmodell ist (wie bei MyHeritageDNA) die Kombination von autosomalen DNA Tests und Abonnements für Datenbanken mit historischen Dokumenten. Inzwischen ist es mit mehr als 15 Millionen Teilnehmern die größte DNA-Datenbank.

Zusammensetzung der Abstammung

Alle großen DNA-Datenbanken bieten die Funktion an, die Zusammensetzung der Abstammung einzuschätzen (in Form der regionalen Herkunft). Während die Einschätzung noch 2012 auf einer relativ geringen Datenbasis erfolgte, ist sie inzwischen manchmal sehr genau.2 Allerdings kommt es sehr auf die Größe der jeweiligen Referenzgruppe bei der jeweiligen Datenbank an. So konnte die regionale Abstammung aus Afrika lange nur sehr ungenau zugewiesen werden. Die Resultate können sich zwischen den Datenbanken zudem erheblich unterscheiden, da jede Datenbank einen anderen Algorithmus verwendet.

Die Abstammungsschätzung ist eine sehr beliebte Funktion und wird daher als Werbung verwendet: So warb 23andme bei der Fußball WM, dass man anhand der eigenen ethischen Herkunft ein Team unterstützen sollte (Root for your roots). Um die Olympischen Winterspiele 2018 herum warb Ancestry mit einer Eiskunstläuferin, bei der ihre ethnische Abstammung mit kulturellen Stereotypen in Zusammenhang gebracht wurde (48 % Skandinavien für die Präzision, 27 % Zentralasien für die Grazie, 21 % Großbritannien für ihren Ehrgeiz).

Diese Funktion wird zum Teil kritisiert, da es bei Menschen die Vorstellung hervorrufen oder verstärken könnte, dass Rassen oder Ethnien genetisch bedingt sind und zu erheblichen Unterschieden führen, während die Wissenschaft Ethnie vor allem als soziales oder gesellschaftliches Konzept sieht. Andere erhoffen eine gegenteilige Wirkung: weil die meisten Menschen von verschiedenen Orten in der ganzen Welt abstammen, könnten sie sehen, dass Rassismus keine wissenschaftliche Basis besitzt.

Ein anderer Kritikpunkt ist, dass die Teilnehmer die Schätzung oft falsch verstehen oder als die Antwort für Fragen nach ihrer Identität werten. Aber nur weil die DNA zu 5 % auf Irland zurückverfolgt werden kann, bedeutet dies nicht, dass die näheren Vorfahren aus Irland kamen. Interessant ist, dass die Ergebnisse oft selektiv interpretiert werden: vor allem weiße Teilnehmer empfinden einen geringen Teil nicht-europäischer Abstammung als positiv.

Und manchmal erschüttern die Ergebnisse der Ethnizitätsschätzung die Identität: Libby Copeland erzählt die Geschichte von einem Mann, der mit einem DNA Test feststellte, dass sein eher dunkles Aussehen nicht wie gedacht auf eine südeuropäische Abstammung zurückzuführen ist, sondern dass seine Mutter einen afro-amerikanischen Vater hatte und sie aus einer verbotenen gemischten Beziehung stammte. Bei Afro-Amerikanern kommt es vor, dass sie einen Teil europäischer DNA entdecken (oder Weiße als entfernte Verwandte), weil Sklavenhalter nicht selten ihre Sklavinnen vergewaltigten.

Bei vielen Ethnien oder Gruppen stellt sich zudem die Frage, ob diese genetisch oder kulturell begründet sind und was eine Zugehörigkeit der DNA zu diesen Gruppen bedeutet. Wenn jemand in dem Glauben aufwächst, italienischer Abstammung zu sein, aber tatsächlich afro-amerikanischer Abstammung ist, was ist dann „echt“? Kann man sich jüdisch fühlen, wenn man nicht mit der Kultur aufgewachsen ist? Kann man sich „schwarz“ fühlen, wenn man nie die Erfahrung der entsprechenden Diskriminierung gemacht hat? Und wer entscheidet dies? So sehen es wohl insbesondere die amerikanischen Ureinwohner kritisch, wenn sich Menschen auf Grund indianischer DNA als „Native Americans“ bezeichnen.3.

Datenschutz

Da DNA-Daten Auskunft über Verwandtschaftsbeziehungen und Krankheitsanlagen geben können, sind sie natürlich besonders sensibel. Daher bestehen Bedenken, dass die DNA-Datenbanken als private Unternehmen über solche Daten verfügen oder dass Dritte Zugriff auf diese Daten erhalten könnten. So gab es im Jahr 2018 eine Sicherheitslücke bei MyHeritageDNA, bei der viele Kundendaten entwendet wurde, allerdings keine DNA-Daten. Bedenken bestehen insbesondere, dass Menschen bei Bekanntwerden bestimmter Krankheitsanlagen keine Versicherungen mehr erhalten könnten.4 Andere meinen dagegen, dass Informationen, die viele Menschen über soziale Netzwerke wie Facebook oder Kundenkarten weitergeben, mehr über sie verraten als ihre DNA.

Kritisch wird bei den DNA-Datenbanken gesehen, dass die Daten teilweise anonymisiert für Forschungskooperationen mit Unternehmen verwendet werden. Manche begrüßen diesen Aspekt auf der anderen Seite und helfen den Unternehmen durch zusätzliche Auskünfte über ihren Gesundheitszustand bei der Interpretation der DNA-Daten.

Dass die Daten in zunehmendem Maße zur Identifikation Dritter verwendet werden, ist nicht nur für Menschen nützlich, die Familienmitglieder aus emotionalen Gründen suchen, sondern auch für Strafverfolger. Nach einem Paper von Yaniv Erlich u.a. ist es mit den genetischen Daten von 1,28 Millionen Menschen möglich, für 60 % der Amerikaner mit europäischen Wurzeln einen Cousin dritten Grades oder näher zu finden.5 Ancestry hat im Jahr 2020 schon mehr als 15 Millionen Teilnehmer. Das bedeutet, dass inzwischen alle Amerikaner potentiell mit ein bisschen Recherche identifiziert werden können. Das nutzen inzwischen auch Strafverfolgungsbehörden wie das FBI, die hierdurch einige Jahrzehnte lang ungelöste Mordserien aufklären konnten.6 Das bedeutet, dass man durch die eigene Registrierung möglicherweise seine Angehörigen dem Risiko der Strafverfolgung aussetzt. Auch dieser Aspekt wird von anderen begrüßt, wenn er sich auf schwere Verbrechen bezieht. Trotzdem stellt sich natürlich die Frage, was unterdrückerische Regimes mit diesen Daten anfangen könnten. Es gibt daher bereits Vermutungen, dass die Nachfrage nach DNA-Test wegen Datenschutzbedenken nachlässt.

Unbedingt lesen!

Jeder, der sich für die Entwicklung von Verwandtensuche und die soziale Bedeutung von DNA-Datenbanken interessiert, sollte das Buch unbedingt lesen. Es enthält eine beeindruckende Mischung aus Fakten und emotional berührenden Geschichten und war auch beim zweiten Lesen für diese Besprechung immer noch faszinierend.

Obwohl nur wenige Geschichten von Spenderkindern vorkommen, berühren viele der Fragen und Themen auch unsere eigenen Erfahrungen und zeigen, dass wir damit nicht alleine sind.

Leider gibt es das Buch derzeit noch nicht als deutsche Übersetzung. Da die DNA-Datenbanken jedoch auch in Deutschland immer mehr Teilnehmer bekommen, wird sich das Bedürfnis nach einem Buch, das diese Geschichten erzählt und Themen diskutiert, sehr bald auch in Deutschland zeigen.

  1. ich möchte an dieser Stelle nicht spoilern, aber eine Kurzfassung ihrer faszinierenden Geschichte hat Libby Copeland 2017 in einem Washington Post Artikel veröffentlicht, der derzeit leider nicht zugänglich ist. Eine Nacherzählung der Geschichte erschien in der Irish Times. []
  2. In meinen 23andme Resultaten werden zum Beispiel die Gegenden in Polen angezeigt, von denen ich weiß, dass dort meine Großväter geboren wurden. []
  3. So geschehen bei der demokratischen Senatorin und Präsidentschaftskandidatur-Bewerberin Elizabeth Warren []
  4. Die Bedenken scheinen mir aber eher nur auf die USA zuzutreffen: in Europa dürften Unternehmen solche illegal erhaltenen Daten nicht nutzen. []
  5. Yaniv Erlich, Tal Shor, Itsik Pe’er, Shai Carmi: Identity inference of genomic data using long-range familial searches, Science 09 Nov 2018: Vol. 362, Issue 6415, pp. 690-694. []
  6. Wie z. B. Den Fall des Golden State Killers, der über eine Recherche bei GEDmatch gelöst wurde. []

Rezension – She has her mother’s Laugh – The Powers, Perversions, and Potential of Heredity (Carl Zimmer)

Bei dem englischsprachigen Buch „She has her mother’s Laugh – The Powers, Perversions, and Potential of Heredity“ des amerikanischen Wissenschaftsjournalisten Carl Zimmer handelt es sich nicht um ein Buch über Spenderkinder oder Reproduktionsmedizin im engeren Sinne. Dargestellt werden die Grundlagen der Vererbung und wie sich bestimmte Gene auswirken, aber auch die Geschichte unseres Verständnisses von Vererbung und die modernen Möglichkeiten, in diese einzugreifen.

Das Thema Vererbung wiederum ist eng mit der Reproduktionsmedizin verbunden. Der Wunsch nach Kenntnis der eigenen Abstammung liegt in der Frage, welche Gemeinsamkeiten mit dem genetischen Vater oder der genetischen Mutter bestehen, was man geerbt hat. Aber auch der Wunsch nach dem „eigenen“ Kind und die Ansprüche an den „Spender“ oder die „Spenderin“ wurzeln in der Bedeutung, die Vererbung beigemessen wird.

Ich fand das Buch faszinierend und kann es wirklich empfehlen. Da es ein langes Buch mit sehr hoher Informationsdichte ist, möchte ich nur einige Aspekte erwähnen, die mich besonders beeindruckt haben:

Die Grundlagen der Vererbung werden gut erklärt. Interessant ist, dass die Bedeutung der Gene vor allem durch die Entdeckung von gewissen Krankheiten wie Phenylketonurie (PKU) erkannt wurde. Bei dieser absoluten wissenschaftlichen Evidenz habe ich mich erneut gefragt, wie es passieren kann, dass dennoch Reproduktionsmediziner behaupten können, der genetische Vater sei nicht wichtig. Besonders interessant: Nachdem Meiose die Chromosomen durcheinander gebracht hat, kann es passieren, dass die Eizelle einer Frau mehr DNA von ihrer Mutter enthält als von ihrem Vater oder umgekehrt. Meiose kann auch dazu führen, dass zwei Geschwister genetisch mehr miteinander verwandt sind als mit ihren anderen Geschwistern. Vollgeschwister teilen zwischen 61,7 und 37,4 % ihrer DNA. Noch bis 1945 entschieden Richter bei Vaterschaftsfeststellungen anhand des Aussehen des Kindes, danach konnte eine Vaterschaft zumindest anhand der Blutgruppen ausgeschlossen werden. Mütter haben nach einer Geburt DNA-Zellen ihrer Kinder in ihrem Blut und können diese auch an weitere Kinder weitergeben. Damit besitzt auch eine „Leihmutter“ eine genetische Verbindung zu ihrem Kind.

Bei der Geschichte der Wahrnehmung der Bedeutung von Vererbung fand ich beeindruckend, welche Bedeutung von Anfang an die Idee der Eugenik besaß, also durch Vererbung den Menschen besser zu machen bzw. Menschen mit unerwünschten Merkmalen aus der Vererbung auszuschließen. Nach der NS-Zeit mit der Einteilung in lebensunwertes Leben war dieser Gedanke zu Recht erst einmal verfemt, ist aber in der Reproduktionsmedizin in gewissen Maße wiederauferstanden. Es soll gewährt werden, dass der „Spenders“ oder die „Spenderin“ gesund sind und wünschenswerte Anlagen haben (wie musische oder sportliche Begabung). Während solche Erwägungen in Deutschland vermutlich wegen NS-Zeit nur sehr vorsichtig eine Rolle spielen dürfen, wird in den USA ganz offen damit geworben, dass man sich Spender aussuchen kann, die Filmstars ähnlich sehen. Auch in europäischen Nachbarländern wie Dänemark oder Spanien wird eine Katalogauswahl nach verschiedenen Merkmalen angeboten.

In dem Zusammenhang ist wissenswert, dass nach wie vor sehr unklar ist, in welchem Maße viele Merkmale überhaupt vererbt werden. Dargestellt wird dies an den relativ gut erforschten und nachvollziehbaren Faktoren Größe und Intelligenz. Diese werden auch von sehr vielen externen Faktoren (wie Ernährung) beeinflusst.

Am Ende werden die modernen Möglichkeiten der Beeinflussung von Genen (z. B. Mit CRISPR) und insbesondere das Embryoscreening dargestellt. Hier stellt sich erneut die Frage, welches Risiko die Menschheit mit einer solchen Technologie eingeht und auch, nach welchen Maßstäben wir in erwünschte und unerwünschte Gene einteilen.

Das Buch enthält sehr viele Informationen, aber es erklärt die meisten Informationen anhand von Geschichten und macht es daher gut lesbar. Für alle, die es noch genauer wissen oder nachlesen möchten, gibt es einen umfangreichen Literaturanhang.

Vererbung dringend gesucht – Reproduktionsmedizin wirbt mit Epigenetik

Die Reproduktionsmedizin rechtfertigt den Einsatz von Samen- und Eizellen Dritter zur Erfüllung des Kinderwunsches mit der primären Bedeutung sozialer Beziehungen vor genetischer Verwandtschaft. Logisch beeinträchtigt wurde dies seit jeher dadurch, dass zur weiteren Rechtfertigung auch darauf hingewiesen wurde, dass wenigstens einer der Elternteile mit dem Kind verwandt sein sollte. Außerdem wurde relativ großen Wert darauf gelegt, dass die genetischen Elternteile gut überprüft werden, manche Praxen äußerten gegenüber den Wunscheltern, dass sie nur Akademiker akzeptieren würden. Damit wurde (für die Wunschelternseite!) anerkannt, dass genetische Verwandtschaft Bedeutung besitzt. Nur für die Kinder sollte sie das nicht. Die fehlende genetische Verwandtschaft des nur-sozialen Elternteils bleibt aber eine Schwachstelle in der Familie, die mit einem weiteren genetischen Elternteil entsteht.1

„Liebe lässt sich vererben“

Einige Reproduktionsmediziner verweisen daher auf Epigenetik, um zu suggerieren, dass auch der nicht genetische Elternteil das Erbgut des Kindes beeinflussen könne. So hielt Frau Constanze Bleichrodt, die Geschäftsführerin der Samenbank Cryobank-München und derzeit zweite Vorsitzende des Arbeitskreises Donogene Insemination, auf der Herbsttagung des Beratungsnetzwerks Kinderwunsch Deutschland (BKiD) im letzten Jahr einen Vortrag mit dem Titel „Liebe lässt sich vererben – die epigenetische Prägung des Kindes insbesondere auch im Hinblick auf die Familiengründung mit Gametenspende„.

Den Inhalt des Vortrags von Frau Bleichrodt kenne ich nicht, der Titel orientiert sich offensichtlich an dem populärwissenschaftlichen Buch über Epigenetik „Liebe lässt sich vererben“ von Prof. Dr. Johannes Huber. Allerdings legt der Titel den – nicht zutreffenden – Schluss nahe, dass Eltern Kindern etwas von der eigenen DNA mitgeben könnten, auch wenn sie genetisch nicht verwandt sind. Einen Einblick auf den Inhalt des Vortrags geben möglicherweise zwei andere Quellen: Auf der Internetseite der Cryobank München wird in einem Eingangsgespräch auch informiert „.. über die neuesten Erkenntnisse der Epigenetik und darüber, dass Sie auch „von außen“ durch Liebe und Fürsorge Einfluss auf die Gene Ihres Kindes nehmen können.

Bei der Ablehnung der Bitte eines unserer Mitglieder nach Auskunft über den genetischen Vater verwies Herr Dr. med. Wulf Bleichrodt, Reproduktionsmediziner und Frau Bleichrodts Vater, auf die Forschungen zu Epigenetik und behauptete, das genetische Erbe von Vater und Mutter und deren Familien würde ein Kind nur zu höchsten 10 % „prägen“.2 Dabei entfielen 5 % auf die mütterliche und 5 % auf die väterliche Genetik. Mehr als 90 % würde ein Kind zu dem, was es ist, durch den Einfluss seiner innersten und nächsten Umgebung, in die es hineinwachse. Damit entschieden die Eltern, was aus ihrem Kind im Erwachsenenalter werde. Die Forschung zu Epigenetik wird also auch dazu bemüht, Spenderkindern zu sagen, dass ihre genetische Abstammung nicht wichtig sein sollte.

Was ist Epigenetik?

Epigenetik ist noch ein relativ junger Forschungszweig, der davon ausgeht, dass Umweltbedingungen, wie zum Beispiel intensiver Stress, zu vererbbaren Modifikationen an der DNA führen können, ohne die DNA-Sequenz selbst zu verändern. 3 So soll zum Beispiel eine Hungersnot in der Generation der Großeltern noch die Gesundheit der Generation der Enkelkinder beeinflussen.4 Durch die Umwelteinflüsse wird nicht der genetische Code der DNA verändert, sondern die nur die Ableserate von bestimmten Genen. Man kann es mit einem Buch vergleichen: mit der Epigenetik wird ausgewählt, welche Seiten jemand liest oder lesen kann. Es können aber nur die Seiten aufgeschlagen werden, die sich im jeweiligen Buch befinden – es kommt also nichts Neues dazu.

Allerdings sind die Ergebnisse epigenetischer Forschung bei Säugetieren durchaus umstritten, weil die Studien oft klein sind, die Ergebnisse oft nicht in Folgestudien repliziert werden konnten und unklar ist, ob die Auswirkungen tatsächlich wie behauptet über mehrere Generationen hinweg vererbt werden können.5

Vor allem populärwissenschaftliche Bücher über Epigenetik bemühen gerne einen bisher angeblich vorherrschenden Determinismus, dass die Gene alles bestimmen. Zur Erschütterung verweisen sie auf die (natürlich bewiesenen) Auswirkungen von Umwelteinflüssen auf Gesundheit und Wohlbefinden. Damit werden aber die epigenetischen Veränderungen eines Menschen gleichgesetzt mit Vererbung über mehrere Generationen hinweg.

Außerdem stützen sich die mir bekannten epigenetische Studien auf traumatische Ereignisse und nicht auf positive Ereignisse. Möglicherweise ist der Einfluss positiver Effekte daher „nur“, dass die DNA nicht negativ beeinflusst wird.

Vererbung durch soziale Einflüsse soll das Kind ein bisschen mehr zum „Eigenen“ machen

Klar und unbestritten ist: die Erfahrungen, die ein Kind mit seinen engen Bezugspersonen macht, bestimmen stark sein späteres Wesen und Selbstwertgefühl.6 Ein Mensch, dessen Grundbedürfnisse als Kind erfüllt wurden, wird auch als Erwachsener mit höherer Wahrscheinlichkeit selbstbewusst und zufrieden sein. Für diesen (natürlich absolut wichtigen!) Einfluss aber Genetik und Vererbung zu bemühen, weist darauf hin, dass vielen Wunscheltern die genetische Verbindung zum Kind wichtig ist und sie das Fehlen dieser Verbindung zu einem Elternteil als Verlust empfinden.

Mit der Behauptung, dass Erziehung sich auch genetisch auswirke, wird der Wunsch ausgedrückt, das Kind möge doch ein bisschen mehr das „eigene“ werden, nämlich auch über Einwirkung auf die (fremden) Gene, als es das tatsächlich ist. Das ist aber irreführend und wäre im Kontext von Werbung unzulässig. Nach den Berufsordnungen der Ärzte ist anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung berufswidrig.7 Diese Verschleierung des fremden Anteils im Kind ist außerdem aus psychologischer Sicht langfristig nicht hilfreich, weil sie verhindert, dass sich die Wunscheltern mit der fremden und nicht so erwünschten Herkunft des Kindes auseinandersetzen und diese Anteile in ihre Familie integrieren.

Nature or Nurture Debatte in neuem Gewand

In der Argumentation von Herrn Dr. Bleichrodt gegenüber einem unserer Mitglieder scheint außerdem die alte „Nature or Nurture“ Debatte wieder auf – die Herr Dr. Bleichrodt mit der Behauptung, dass 90 % der Anlagen auf dem Einfluss der nächsten Umgebung beruhen würden, eindrucksvoll für „Nurture“ entscheidet. Das ist natürlich ein erfreuliches Ergebnis für Wunscheltern, weil es bedeuten würde, dass der fremde genetische Elternteil nur 5 % der Anlagen des Kindes ausmache. Mit dieser Haltung liegt der Schluss nah, dass man diesen vermeintlich so unbedeutenden genetischen Elternteil des Kindes nach der Zeugung ruhig vergessen darf.

Letztlich lässt sich vielleicht auch gar nicht wissenschaftlich eindeutig aufklären, was an einem Menschen auf Vererbung und was auf sozialen und anderen Umwelteinflüssen beruht. Es erscheint unmöglich, dies bei jedem einzelnen Wesenszug oder Interesse eines Menschen objektiv zu klären. Daher kommt es entscheidend auf das Selbstverständnis jedes Einzelnen an – was ihm oder ihr in dem eigenen Leben als einflussreicher erscheint.

Auch in unserem Verein haben Mitglieder dazu unterschiedliche Meinungen: Manche haben sich immer fremd in ihrer Familie gefühlt und führen das auf ihre Abstammung von einem anderen Mann zurück. Manche haben viele Ähnlichkeiten zu ihrem genetischen Vater entdeckt, wenn sie ihn kennenlernen konnten. Es gibt aber auch Mitglieder unter uns, die sagen, dass sie sich auch ihrem sozialen Elternteil sehr nahe fühlen und vieles von ihm gelernt und übernommen haben. Solche Gefühle können nicht richtig oder falsch sein, sie sind einfach da.

Da aber jahrelang Reproduktionsmediziner das Recht von Spenderkindern auf Kenntnis ihrer Herkunft verletzt haben, weil sie entschieden haben, dass die genetische Herkunft für Spenderkinder nicht wichtig sein soll, ist es besonders bevormundend, weiterhin die Bedeutung des genetischen Elternteils zu marginalisieren, obwohl mittlerweile hinreichend bekannt sein sollte, dass niemand für einen anderen Menschen die Bedeutung der genetischen Elternteile vorgeben kann.

Eltern sollten nicht erwarten, sich in Ihren Kindern verewigen zu können

Den Vortragstitel finde ich aber auch in zwei weiteren Aspekten ziemlich ärgerlich.

Mit „Liebe lässt sich vererben“ wird quasi vorausgesetzt, dass Spenderkinder in liebevollen Familien aufwachsen. Dahinter steht die altbekannte Erwartung: Du bist ein Wunschkind – dann hast Du es doch besonders gut. Ein Satz, der viele Spenderkinder regelmäßig nervt. Viele Eltern lieben ihr Kind und sind trotzdem nicht fähig, gute Jeden-Tag-Eltern zu sein. Und manchmal merken die nur-sozialen Elternteile leider auch, dass es ihnen schwerer fällt als geplant, das nicht von ihnen abstammende Kind anzunehmen.

Ich finde es außerdem schwierig, wenn Eltern versuchen, ihre Kinder zu „prägen“, sich in ihren Kindern zu verewigen, etwas zu hinterlassen, sie zu beeinflussen. Das sind (recht egoistische) Interessen der Eltern. Diese Wünsche können durchaus enttäuscht werden, selbst wenn beide Eltern genetisch mit dem Kind verwandt sind. Je nach Zusammensetzung der Gene kann ein Kind den Eltern ähnlich oder auch ziemlich verschieden von ihnen sein.8 Das gilt sowohl für äußere Ähnlichkeiten als auch für Wesen und Interessen. Schon zwischen Geschwistern bestehen oft erhebliche Unterschiede. Sollte es nicht die Aufgabe von Eltern sein, die Individualität ihres Kindes zu akzeptieren und zu fördern und nicht, Ähnlichkeit zu einem selbst zu erwarten?

Das gilt besonders für eine Familiengründung mit einer oder einem Dritten als genetischem Elternteil des Kindes. Wie bei allen anderen Eltern auch, kann das Kind dem unbekannten genetischen Elternteil ähnlich sein. Es ist wichtig, dass das Kind dann nicht von den Eltern das Gefühl vermittelt bekommt, dass diese Ausprägungen unerwünscht sind, weil sie am liebsten vergessen möchten, dass sie ihre Familie mit einem dritten Menschen gegründet haben.

  1. Sie schafft ein Ungleichgewicht zwischen den Wunscheltern und auch gegenüber dem Kind. Studien zufolge reagiert der nicht-genetische Elternteil wesentlich sensibler, wenn das Kind nach seinen genetischen Verwandten sucht – Scheib J, Riordan M, Rubin S (2005) Adolescents with open-identity sperm donors: reports from 12–17 year olds. Human Reproduction (1) 20, S. 239–252, S. 249; Isaksson S et al. (2011) Two decades after legislation on identifiable donors in Sweden: are recipient couples ready to be open about using gamete donation? Human Reproduction, (4) 26 S. 853–860, S. 855. []
  2. „Prägung“ ist in diesem Zusammenhang inhaltlich eigentlich nicht passend, weil es eine Form des Lernens beschreibt, bei der die Reaktion auf einen bestimmten Reiz der Umwelt derart dauerhaft ins Verhaltensrepertoire aufgenommen, dass diese Reaktion wie angeboren erscheint und daher nichts mit Epigenetik zu tun hat: Die genetisch begründete Form des „Imprinting“ (die auf Deutsch manchmal irreführenderweise mit „Prägung“ übersetzt wird) hat auch nichts mit Epigenetik zu tun. []
  3. z. B. Venney u.a., DNA Methylation Profiles Suggest Intergenerational Transfer of Maternal Effects,
    Mol Biol Evol. 2020 Feb 1;37(2):540-548. []
  4. Die sogenannte Överkalix Studie: Bygren, Lars O. et al.: Change in Paternal Grandtmothers‘ Early Food Supply Influenced Cardiovascular Mortality of the Female Grandchildren, BMC Genetics 15 (2014), S. 12 ff., Eine Folgestudie aus dem Jahr 2018 bestätigte einen Teil der Ergebnisse: Vågerö u. a., Paternal grandfather’s access to food predicts all-cause and cancer mortality in grandsons, Nature Communications volume 9, Article number: 5124 (2018). []
  5. Edith Heard and Robert A. Martienssen, Transgenerational Epigenetic Inheritance: myths and mechanisms https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4020004/; Carl Zimmer, She has her mother’s laugh. The Power, perversions, and Potential of Heredity. Picador 2018, S. 434; SWR2 Verändert der Lebensstil die Vererbung? []
  6. z. B. Stefanie Stahl, Das Kind in dir muss Heimat finden, 9. Aufl., Kailash 2015, S. 14. []
  7. Unser Verein hat sich bereits bei einer Ärztekammer wegen irreführender und anpreisender Werbung für „Samenspende“ beschwert. []
  8. Largo, Kinderjahre – die Individualität des Kindes als erzieherische Herausforderung, S. 68. []

Jahresrückblick 2019

1. Verein

  • 2019 fand etwas unbemerkt das zehnjährige Jubiläum unseres Vereins statt. Auf unserer Internetseite geben Anne, Dana und Christina einen kleinen Rückblick und erzählen, was sich seitdem in ihrer Wahrnehmung verändert hat.
  • In diesem Jahr hatten wir so viele Neuzugänge wie in keinem Jahr zuvor.
  • Am 23. Februar fand unser offizielles Vereinstreffen in Essen statt. Außerdem fand am 12. Oktober ein regionales Treffen in Berlin statt.
  • Ab dem Jahr 2020 wird das jährliche offizielle Vereinstreffen am zweiten Samstag im Oktober in Berlin stattfinden. Darüber hinaus hoffen wir auf mehr Regionaltreffen!
  • Im September hat der Verein eine E-Mail Gruppe für Eltern von älteren oder bereits erwachsenen Spenderkindern angestoßen.

2. Verwandtentreffer

  • Für Spenderkinder, die noch keinen DNA-Test gemacht haben, empfehlen wir derzeit wieder Ancestry, weil man die Rohdaten dieses Tests auch bei Family Finder und MyHeritageDNA kostenlos hochladen kann. Das geht zwar mit 23andMe auch, aber Ancestry hat die größere Datenbasis.
  • Dieses Jahr haben mindestens 8 Spenderkinder herausgefunden, wer ihr genetischer Vater ist. Außerdem hatten wir 15 neue Halbgeschwistertreffer.
  • Von insgesamt 193 Spenderkindern, von denen wir wissen, dass sie einen beliebigen DNA-Test gemacht haben, haben 124 Personen mindestens ein Halbgeschwister und/oder ihren genetischen Vater gefunden.
  • Insgesamt haben 33 Spenderkinder ihren genetischen Vater gefunden. 13 von ihnen über Herausgabe von Daten durch den Arzt, der den Samen vermittelt hatte. Bei vier Spenderkindern steht bislang fest, dass der ihre Mutter behandelnde Arzt seinen eigenen Samen eingesetzt hatte.

3. Internetseite

Aus dem letzten Jahr möchten wir Ihnen und Euch folgende Beiträge auf unserer Internetseite besonders ans Herz legen:

4. Öffentlichkeitsarbeit

  • Am 3. Juni hat Anne unseren Verein beim 17. Fachforum Pränatalmedizin der Katharina Kasper-Stiftung vertreten mit dem Titel „Vater – Mutter – Kind?! Kinderwunschbehandlung und die Suche nach der eigenen Abstammung“.
  • Am 28. August hat Anne unseren Verein bei einem nicht-öffentlichen Fachgespräch im Bundesgesundheitsministerium zu Embryonenadoption mit dem Bundesminister für Gesundheit, Jens Spahn, vertreten.
  • Sven vertrat unseren Verein am 12. September auf der Fachtagung und der anschließenden öffentlichen Abendveranstaltung „Kinder unter allen Umständen?!“ des AWO-Bundesverbandes und der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Berlin.
  • Am 8. Oktober hat Anne den Verein bei einer Fortbildung vom Landesverband donum vitae NRW in Bonn vertreten.
  • Am 7. November hat Anne uns bei der Fachtagung Adoption: Wunsch- oder Bestellkind? Adoption nach Leihmutterschaft und Samenspende in Köln vertreten.
  • Seit Oktober veröffentlicht Sunny wöchentlich Videos zum Thema „Samenspende“ auf ihrem YouTube Kanal.

Darüber hinaus haben wir uns auch schriftlich geäußert:

  • Eine ausführliche Stellungnahme zum Positionspapier der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina „Fortpflanzungsmedizin in Deutschland – für eine zeitgemäße Gesetzgebung“ aus dem Juni 2019, in der ein neues Fortpflanzungsmedizinrecht gefordert wurde. In der Stellungnahme kritisieren wir, dass die Forderungen und zentralen Aussagen der Stellungnahme einseitig aus der Sicht von Wunscheltern und Reproduktionsmedizin geprägt sind.
  • Im Oktober haben wir kritisiert, dass eine Veranstaltung der FDP-Fraktion mit dem Titel „Auf dem Weg zur modernen Fortpflanzungsmedizin“ einseitig mit VertreterInnen derjenigen Interessensgruppen besetzt war, die von einer Legalisierung der fraglichen Erzeugungsweisen profitieren würden bzw. von denen eine positive Haltung hinsichtlich einer weitergehenden Legalisierung zu erwarten ist.
  • Im April erschien der Sammelband „Auf neuen Wegen zum Kind. Chancen und Probleme der Reproduktionsmedizin aus ethischer, soziologischer und psychoanalytischer Sicht“, herausgegeben von Prof. Dr. Rita Marx und Ann Kathrin Scheerer. In dem Buch sind zwei Beiträge von Anne und Sven enthalten sowie ein zwischen den Herausgeberinnen mit Kerstin, Rebecca und Sven geführtes Interview.

5. Rechtliches

  • Am 18. März hat Anne als Sachverständige an einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages teilgenommen zu dem Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen „Anpassung der abstammungsrechtlichen Regelungen an das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“.
  • Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat im März einen „Diskussionsteilentwurf“ zur Reform des Abstammungsrechts veröffentlicht. Dieser enthält umfassende Regelungen zur Begründung von Elternschaft mit den Keimzellen Dritter und möchte insbesondere auch voluntative Elemente zur Begründung von Elternschaft anerkennen. In unserer Stellungnahme haben wir kritisiert, dass der Entwurf weit über das Ziel hinausschießt und soziale Elternschaft letztlich genauso unangreifbar stellt wie eine bestehende genetische Vater- oder Mutterschaft. Insbesondere wird das Recht der Kinder zur Anfechtung der rein sozialen Elternstellung im Vergleich zur bestehenden Rechtslage stark eingeschränkt. Bis Ende 2019 hat das BMJV keinen überarbeiteten Entwurf in Form eines so genannten „Referentenentwurfs“ veröffentlicht, vermutlich wegen bestehender Unstimmigkeiten innerhalb der Bundesregierung zu diesem Thema.
  • Am 23. Januar hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass sich auch Samenspender in der DDR heute nicht auf eine zugesicherte Anonymität berufen können. Wir hoffen, dass es für Spenderkinder, die noch vor der deutschen Wiedervereinigung auf dem Gebiet der DDR gezeugt wurden, nun einfacher wird, ihr Recht auf Kenntnis der Abstammung durchzusetzen.
  • Auf Grund dieses Urteils hat das Landgericht Dresden mit Urteil vom 28. Juni 2019 der Klage eines unserer Mitglieder stattgegeben (Az. 3 S 390/17). Die Uniklinik Dresden hat daraufhin die Daten seines genetischen Vaters übermittelt. Trotz dieser Entscheidung weigert sich die Uniklinik Dresden aber weiterhin in mindestens einem bereits gerichtlich anhängigen Fall, Auskunft zu geben.
  • Insbesondere gegen Novum in Essen laufen weiter Verfahren zur Herausgabe von Informationen über die genetischen Väter. In mindestens vier Fällen wurde die Praxis bzw. einzelne Gesellschafter bereits verurteilt, Auskunft zu geben, weigern sich aber diesen Urteilen nachzukommen und berufen sich darauf, die betreffenden Akten im Jahr 2007 vernichtet zu haben. Die Vollstreckung ist in mindestens drei Fällen bereits beantragt worden. Die Vollstreckungsgegenklagen wurde abgewiesen. Das Novum bzw. einzelne Gesellschafter haben jedoch Berufung eingelegt, so dass die rechtlichen Auseinandersetzungen uns auch 2020 weiter begleiten werden.
  • Novum hat für eine Auskunftserteilung von manchen Spenderkindern eine Gebühr von mindestens 90 Euro verlangt. Nachdem die Ärztekammer Nordrhein darauf hinwies, dass die Auskunft kostenlos erteilt werden müsse, verzichtete Novum schließlich in einem uns bekannten Fall auf die Gebühr . Es ist nicht bekannt, ob Novum seitdem auch gegenüber anderen Spenderkindern kostenlos Auskunft erteilt hat.
  • Im Januar 2019 wurde bekannt, dass das Landgericht Augsburg im Strafverfahren gegen mehrere Vorstandsmitglieder des Netzwerks Embryonenspende die angeklagten Mediziner am 13. Dezember 2018 auch in zweiter Instanz freigesprochen hat. In letzter Instanz wird nun bald der Bundesgerichtshof entscheiden. Wir hoffen, dass ein BGH-Urteil zur politischen Regelung der rechtlichen Fragen der „Embryonenspende/Embryonenadoption“ führen wird.

6. Medienbeiträge

  • Im Februar machte das Zeit-Dossier „Tief in den Genen“ erstmals Stinas Geschichte der Suche nach ihrem genetischen Vater öffentlich – und die überraschende Entdeckung, dass er Prof. Thomas Katzorke ist, derjenige Arzt, der die Anonymität von „Samenspendern“ lange Zeit vehement als Vorsitzender des Arbeitskreises für donogene Insemination verteidigt hat und aus dessen Praxis Novum fast ein Viertel der Mitglieder unseres Vereins stammt. Die Geschichte wurde daraufhin von einigen Zeitungen aufgenommen (u.a. WAZ, tz). Eine richtige Erörterung des Skandals, dass ein angesehener Reproduktionsmediziner Patientinnen ohne deren Einverständnis mit seinem eigenem Sperma befruchtethat, blieb aber aus.
  • Der österreichische Radiosender Ö1 interviewte Sven am 24. April in der Live-Sendung „Punkt eins“ zum Thema „Mein unbekannter Vater. Über Samenspender und ihre Kinder“.
  • Ebenfalls im April wurde eine zweite Folge von „Menschen hautnah“ mit den Spenderkinder-Mitgliedern Anja und Sunny im WDR ausgestrahlt. Die Sendung zeigt mit Gerald erstmals einen ehemaligen „Spender“, der offen für Kontakt ist – und nur wenige Zeit später mit Britta seine erste Tochter gefunden hat.
  • Am 3. Juni erzählte Henk in der Sendereihe „Die Sofa-Richter“ im SWR seine Geschichte.
  • Stina hat ihre Geschichte außerdem selbst im Sommer in zwei Podcasts erzählt: im WDR bei StoryQuarks und in der audible-Serie „der Moment“ (bislang leider nur für Abonnenten).
  • Im August war Anne zu Gast bei der rbb-Sendung Zeitpunkte und hat die Forderungen der Leopoldina und der FDP zur Legalisierung von Eizellvermittlung und „altruistischer“ Leihmutterschaft kritisiert.
  • Sven erzählte im Oktober in der Radiossendung „Einhundert“ bei Deutschlandfunk Nova seine Geschichte.
  • Britta hat im Oktober bei Radio Charivari und in einem Interview mit YouTuber Leeroy Matata erzählt, wie sie mit Gerald ihren genetischen Vater gefunden hat.
  • Kurz vor Weihnachten erschien im Spiegel ein zweiseitiger Artikel, in dem Sarah und ihr genetischer Vater Hubertus davon erzählen, wie sich ihre Beziehung entwickelt hat, seit sie sich vor sechs Jahren kennengelernt haben und dass sie in diesem Jahr weitere Halbgeschwister von Sarah, bzw. Kinder von Hubertus gefunden haben.

7. Reproduktionsmediziner, Wunscheltern und Berater

  • Herr Prof. Katzorke veröffentlichte im Oktober einen Aufsatz im Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie über „Samenspende“ in Deutschland. Dabei erwähnte er nicht den Interessenskonflikt, dass er bei mindestens einer Patientin entschieden hat, ohne deren Wissen seinen eigenen Samen einzusetzen und dass er nach wie vor in Gerichtsverfahren zur Auskunft über den genetischen Vater involviert ist. Wir haben sowohl gegenüber den Herausgebern als auch öffentlich kritisiert, dass die fehlende Erwähnung des Interessenskonflikts gegen eine gute wissenschaftliche Praxis verstößt und einer Rehabilitierung von Herrn Prof. Katzorke gleichkommt.
  • Das Vorgehen von Katzorke und des Verlags wurde ebenfalls von der Arbeitsgemeinschaft der Ärztinnen in der Reproduktionsmedizin und Endokrinologie öffentlich kritisiert. Die Zeit vom 28. November hat den Artikel und die Reaktion der Ärztinnen in einem kurzen Artikel aufgenommen.
  • Der Verein Spenderkinder hat bei einer Ärztekammer eine Beschwerde wegen unsachlichen und anpreisenden Informationen zu „Samenspenden“ auf der Internetseite eines Kinderwunschzentrums eingelegt. Dort wurde unter anderem behauptet, dass die Ehen von Eltern, die ein Kind mit einer „Samenspende“ bekommen, besonders stabil seien und sich die Frage nach der Aufklärung immer seltener stelle. Die Darstellung auf der Internetseite wurde inzwischen geändert.
  • Im Dezember hat Anne unseren Verein bei der Leitlinienkonsensuskonferenz zur AWMF-Leitlinie „Psychosomatische Diagnostik und Therapie bei Fertilitätsstörungen“ vertreten.

8. Internationales

  • Am 19. November hat erstmals eine internationale Spenderkinderdelegation bei der UN-Kinderrechtskonferenz in Genf auf die Verletzung von Kinderrechten durch Reproduktionsmedizin hingewiesen und Regelungen gefordert, die primär dem Kindeswohl dienen.
  • Auf Arte lief die beeindruckende Dokumentation Les enfants du secret über die Situation von Spenderkindern in Frankreich.
  • In den Niederlanden hat am 13. Februar ein Gericht in Rotterdam entschieden, dass Spenderkinder, die davon ausgehen, dass der Reproduktionsmediziner Jan Karbaat selbst ihr genetischer Vater ist, dies nun in einem Abgleich mit seiner DNA überprüfen dürfen. Bislang hatten sich vor allem über DNA-Datenbanken etliche Halbgeschwister gefunden. Der Arzt ist im April 2017 im Alter von 89 Jahren verstorben, seine Frau hatte einen Abgleich mit der DNA des Verstorbenen abgelehnt.

9. Ausblick auf 2020

  • Wir werden unseren Twitter-Kanal starten und zugleich eine Suchkampagne in den Sozialen Medien beginnen – und hoffen auf viel Feedback aus der Öffentlichkeit und natürlich von ehemaligen „Samenspendern“.
  • Sunny wird im Januar auf Youtube ein fast einstündiges Interview mit Dietrich Gerald veröffentlichen, Brittas genetischem Vater.
  • Die FAQ auf der Internetseite wird Anfang Januar überarbeitet werden. Geplant sind außerdem Beiträge über Epigenetik und die Aufklärung von Spenderenkeln.
  • Im Februar wird das Buch „Assistierte Reproduktion mit Hilfe Dritter“, herausgegeben von Prof. Dr. Claudia Wiesemann u. a., erscheinen. In dem Sammelband werden zwei Beiträge von Anne und Sven enthalten sein.
  • Sven wird als Vorstandsmitglied für einen Dokumentarfilm zum Thema „Solomütter“ interviewt werden, der im Laufe des Jahres ausgestrahlt werden soll.
  • Am 10. Oktober 2020 wird das offizielle Vereinstreffen in Berlin stattfinden.
  • Wir werden uns weiter mit dem Thema befassen, ob und wie man per DNA-Datenbanken gefundenen Halbgeschwistern mitteilt, dass sie womöglich ein Spenderkind sind, ohne es selbst zu wissen. Immer mehr wird sich nun auch die Frage stellen, wie es weiter geht, wenn Spenderkinder ihre genetischen Verwandten gefunden haben und der Kontakt begonnen hat.