16. Familienkongress „Vater, wo bist Du?“ am 11. und 12. November 2017 in Halle

Der Verein Väteraufbruch für Kinder e. V. (VafK) veranstaltete am 11. und 12. November 2017 in Halle seinen 16. Familienkongress. Der VafK möchte die Rechte von Vätern stärken und setzt sich dafür ein, dass Kinder einen klar geregelten Anspruch auf alle Eltern haben. Der Verein wird auf der politischen Ebene ernstgenommen und regelmäßig befragt. So auch im Rahmen zur Einführung des Spenderregistergesetzes, wo er klar Position bezog, bei Spenderkindern den biologischen Vaters in das Geburtsregister einzutragen.

Bei der Jahrestagung mit dem Titel „Vater, wo bist Du? Kindeswohlgefährdung durch Eltern-Kind-Entfremdung oder Kontaktabbruch“ waren circa 140 Teilnehmer. In etlichen Beträgen, Workshops und einem Podiumsgespräch wurden die Ursachen und Verläufe von Eltern-Kind-Entfremdungen erkundet.

Der Verein Spenderkinder war zum Podiumsgespräch mit eingeladen und wurde durch mich (Spenderkinder-Mitglied Sven) vertreten. Als Tagungsgast verfolgte ich auch andere Beiträge, die im Folgenden zusammengefasst werden.

Kinder bestimmen selbst, wer zu ihrer Familie gehört

Eröffnet wurden die Fachbeiträge von der Psychologin Dr. Katharina Behrend mit einem Vortrag über die Folgen von Eltern-Kind-Entfremdung nach Trennung oder Scheidung der Eltern. Die Referentin erklärte, dass seit einigen Jahren bei Jugendämtern und an Familiengerichten ein Paradigmenwechsel stattfinde. Die kindzentrierte Sicht werde bei Trennungen der Eltern immer mehr als Ausgangspunkt angenommen. Dr. Behrend schilderte eindrucksvoll, wie Kinder das Bedürfnis nach allen (beiden) Eltern äußern. Kinder bestimmen, wer zu ihrer Familie gehört und wer für sie welche Rolle einnehmen sollte. Wenn getrennte Eltern mit einem bzw. einer Dritten ein neues Paar bilden, dann wird er oder sie nicht automatisch zu Vater oder Mutter. Kinder bestimmen selbst, wie sie (neue) Familienmitglieder nennen möchten. Bei Kontaktabbruch zwischen dem Kind und einem Elternteil verfalle das Kind in den Modus des „aktiven Wartens“. Im Falle des Kontaktabbruchs zum Vater während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt lebe das Kind in einer passiven Fernbeziehung zu einem Unbekannten. Eltern, die dem Kind den anderen Elternteil vorenthalten, gefährden das Wohl des Kindes. Folgen sind gestörte Identitätsbildung und langfristig Bindungs-/Verlust- und Vertrauensängste und Konfliktmeidung, um nicht „mitschuldig“ an der Situation zu werden.

Gesundheitliche Folgen für Kinder bei Abwesenheit eines Elternteils

Prof. Dr. Matthias Franz (Universitätsklinik Düsseldorf, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, forscht zur entwicklungspsychologischen Bedeutung des Vaters) ging mit einer Menge Statistiken und internationalen Studien (andere Länder sind auf dem Gebiet der Familienforschung deutlich weiter) auf die gesundheitlichen Folgen für Kinder bei Familienkonflikten ein. Grundsätzlich stellte er klar, dass Kinder nicht die Familienform an sich belaste, sondern das jeweilige Ausmaß der (offenen oder verdeckten) Konflikte. Sind die Eltern oder ein Elternteil abwesend, so fielen kleine Kinder in Ängste und Betroffenheitszustände. Kopf- und Rückenschmerzen, Reizmagen, Asthma und Angsterkrankungen seien oft Jahre später auftretende psychosomatische Effekte bei Trennungskindern, vor allem bei Kontaktabbruch eines Elternteils, was meist der Vater sei. Väter mit Kontaktabbruch zu ihrem Kind wie auch Stiefväter, die mit ihrem „sozialen“ Kind zusammenleben, neigen zu einer deutlich höheren Affinität zu Drogen wie Alkohol oder Nikotin. Laut Prof. Franz könne so ein Gefühl des Alleinseins kompensiert werden, welches durch die ständige Konfrontation mit dem nicht „eigenen“ leiblichen Kind herrühre. Für Kinder sei das Fehlen des Vaters eine eindeutige Risikoquelle für Krankheiten, Suchtverhalten und Delinquẹnz. Mit „Fehlen des Vaters“ meinte Prof. Franz meist die komplette Abwesenheit. Aber Männer, die „nur“ eine Vaterrolle einnehmen, könnten auch die Identitäts- und Autonomieentwicklung des Kindes beeinträchtigen. Nicht nur fehlende Väter, sondern auch „dysfunktionale“ Väter könnten lebenslange Auswirkungen auf das Kind haben, da es sich nicht mit dem Vater identifizieren könne. Daher lautete auch bei diesem Beitrag der Schlussappell, dass das Kind selbst die Menschen bestimmen solle, von denen es emotional und identifikatorisch abhängig sein möchte. Das sei schwierig, wenn der Vater nicht zur Verfügung stehe.

Kindeswohlgefährdung beginnt nicht erst mit körperlicher Gewalt

Sehr praxisorientiert schilderte Marc Serafin als Leiter des Niederkasseler Jugendamtes die Möglichkeiten der Jugendhilfe bei Eltern-Kind-Entfremdungen. Er hält zwei (derzeit in der Jugendhilfe einsetzende) Paradigmenwechsel für maßgeblich: Erstens werde die Rolle des Vaters deutlich aufgewertet. Zweitens beginne Kindeswohlgefährdung nicht erst bei Schlägen, sondern bei Lebenslügen, Instrumentalisierung der Kinder und fehlender Identitätsentwicklung durch Vorenthaltung eines Elternteils. Serafin präferiert klar das sogenannte Doppelresidenzmodell für Trennungskinder und fordert eine deutliche Aufwertung der Vaterrolle. Das heiße nicht nur, dass Jugendämter und Gerichte den Vätern mehr Zeit mit ihren Kindern geben, auch wenn die Mütter das nicht wünschen, sondern bedeute auch, dass Väter verpflichtet werden können, Umgang mit ihren Kinder zu haben. Wenn der Vater den Kontakt zu ihnen aktiv abbreche oder ihn passiv auslaufen lasse, könnten sich Trennungskinder massiv gekränkt fühlen. Eltern, die den fehlenden Elternteil abwerten, wiedersprächen oftmals den Gefühlen und Wertungen, die das Kind gegenüber dem fehlenden Elternteil habe.

Die angebotenen Workshops behandelten im Sinne der teilnehmenden Eltern sehr praxisnah verschiedene Themen wie „Überlebensstrategien betroffener Eltern“, „Familienrecht“, „Kinderschutz für Trennungskinder“.

Ausgegrenzte und geflüchtete Väter

Den Tagungsabschluss bildete das Podiumsgespräch „Vater, wo bist Du? Ausgegrenzte und flüchtende Väter“. Weitere Podiumsgäste waren Regina Deertz, Karin Kokot und Dr. Charlotte Michel-Biegel. Frau Deertz ist Autorin des Buches „Mondpapa“. Sie beschrieb, warum sie als Sozialpädagogin und Kindertherapeutin ein Buch für drei- bis sechsjährige Kinder mit abwesenden Vätern (die weit weg, wie auf dem Mond lebten, daher der Titel …) schrieb: Damit sich die Kinder nicht alleine fühlen, wenn im Kindergarten „Vatertag“ gefeiert wird. Damit die Kinder besser damit zurechtkommen, wenn sie nie von ihrem Vater abgeholt werden; wenn sie kein Foto von ihm im Familienalbum haben usw.

Karin K. schilderte ihre sehr persönliche Geschichte als Trennungskind, das seinen Vater entbehren musste. Sie erzählte von dem Leben mit einer sehr dominanten Mutter, die die Briefe des Vaters an die Kinder vorenthielt und die ihre Lügen auf ihre Kinder übertrug. Und sie erzählte, dass sie nun selbst Mutter ist, die keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern hat. Besprochen wurden die Fragen von transgenerationellen Wirkungsmechanismen von Eltern-Kind-Entfremdung sowie von jahrzehntelangen Familiengeheimnissen, die niemals für irgendjemanden gut sind.

Frau Dr. Michel-Biegel schilderte ihre Arbeit als Sozialarbeiterin und ihre Erfahrungen mit entfremdeten Eltern und Kindern. Ihr Fazit fällt klar aus: Weder Vater noch Mutter können sich aussuchen, ob sie Verantwortung haben möchten oder nicht. Sie haben sie mit der Geburt, ja der Zeugung des Kindes von Anfang an. Viele während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt flüchtende Väter seien mit der neuen Situation und ihrer neuen Rolle vollkommen überfordert. Hier gelte es – so banal es klingen möge – vor der Zeugung eines Kindes aufzuklären, dass sie lebenslange Konsequenzen für alle Beteiligten nach sich ziehe.

Abwesende Väter

Als Spenderkind, das erst spät von seiner Herkunft erfuhr, als es einem Familiengeheimnis auf die Spur kam, versuchte ich aus meiner Spenderkindersicht die Frage(n) nach der Rolle des Vaters zu ergründen. Hilfreich war mir vor allem auch unsere Diskussion „Spender oder Vater“, die wir in diesem Jahr hatten. Im Gegensatz zu den auf der Tagung im Fokus stehenden Kindern brach unser Vater nicht nach der Geburt den Kontakt ab oder flüchtete während der Schwangerschaft, sondern weder wir, noch gar unsere Mütter hatten jemals Kontakt zu ihm. Er war noch nicht einmal bei unserer Zeugung anwesend. Von vielen Spenderkindern wird die Abwesenheit des eigenen biologischen Vaters als eine maßgebliche Leerstelle im Leben und in der Identitätsfindung angesehen. Abgesehen von meiner persönlichen Sichtweise auf Vaterrolle(n) und Vaterentbehrung sprachen wir darüber, wie auch nach Jahrzehnten Kinder mit ihren leiblichen Eltern und (Halb-)Geschwistern in Kontakt kommen können. Und anhand der Rückmeldungen aus dem Publikum, das sich insbesondere aus Eltern zusammensetzte, die keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern haben, können unsere Spenderkindergeschichten ermutigen: Obwohl viele von uns einen (oder gar mehrere) „sozialen“ Vater haben, möchten sie den biologischen kennenlernen. Für manche der entfremdeten Eltern kann diese Erkenntnis ein wichtiges Mittel im „aktiven Warten“ auf ihre Kinder sein – und nicht aufzugeben.

Die Expertise der Spenderkinder

Interdisziplinär Positionen austauschen, gemeinsame Ziele definieren – auf dem Familienkongress des VafK war dies möglich. Die Erfahrungen und die Sicht der Spenderkinder mit den Anliegen unseres Vereins betreffen nicht nur den Bereich der Reproduktionsmedizin, sondern sie beziehen sich auf gesamtgesellschaftliche Fragen, die die Tagungsorganisatoren selbst stellten: „Wie ernst ist dieser Gesellschaft das Kindeswohl? Wie muss Kinderschutz gestaltet werden, dass das Leitmotiv ‚Allen Kindern beide [alle, Anm. Sven] Eltern!‘ auch unter schwierigen Bedingungen von Anfang an Bestand hat?“

 

Autor: Sven