Stina und Anne haben an der diesjährigen Tagung des deutschen Ethikrates zum Thema (zum Thema) „Fortpflanzungsmedizin in Deutschland. Individuelle Lebensentwürfe – Familie – Gesellschaft“ am 22. Mai in Berlin teilgenommen. Bei der Tagung wurde diskutiert, was Familie heute vor dem Hintergrund von Reproduktionsmedizin bedeutet, inwiefern Menschen ein Recht auf Fortpflanzung haben und ob bestimmte Verfahren – die Eizellhüllenspende, Eizellspende, Leihmutterschaft und social freezing – in Deutschland zugelassen werden sollten.
Schon im Vorhinein hatten wir kritisiert, dass das Programm nur vorsah, dass über die mit Reproduktionsmedizin gezeugten Menschen gesprochen wird, wir als unmittelbar Betroffene aber nicht selbst eine Stellungnahme dazu abgeben konnten. Vielleicht ist bei manchen Menschen immer noch nicht angekommen, dass es uns gibt und wir auch nicht mehr alle im Kindesalter sind. Daher konnten wir unsere Perspektive nur wie jeder andere Teilnehmer nach den Vorträgen am Mikrophon äußern.
In dem morgendlichen Vortrag von Georg Griesinger vom universitären Kinderwunschzentrum Lübeck übermögliche reproduktive Verfahren wurde sehr deutlich, dass Kinderwunsch für viele Ärzte eine Dienstleistung ist, bei der die Frage, wie es den damit verbundenen Menschen damit geht, eher untergeordnet ist. Frau Prof. Coester-Waltjen, deren Meinung wir im Zusammenhang mit dem Recht auf Kenntnis der Abstammung sehr schätzen, forderte in ihrem rechtlichen Vortrag die Zulassung von Eizellspende in Deutschland und die Anerkennung von Leihmutterschaftsverträgen aus anderen Ländern. Auch hierbei kamen die Belange der gezeugten Kinder – gespaltene Mutterschaft und Behandlung des mit einer Leihmutterschaft gezeugten Kindes als Handelsobjekt – nicht vor.
In dem Vortrag von Claudia Wiesemann, Mitglied des Deutschen Ethikrates, wurde die „reproduktive Autonomie“ der Eltern stark betont. Die Darstellung dieses „Rechts“ vor dem Hintergrund von in der Vergangenheit in einigen Ländern erfolgten Zwangssterilisationen und -adoptionen und der Vergleich mit dem Recht auf Bildung ließen das Recht auf die Inanspruchnahe von Reproduktionsmedizin jedoch geradezu zwingend erscheinen und ließen aus unserer Sicht außer Acht, dass bei Reproduktionsmedizin ein neuer Mensch entsteht, dessen Rechte ebenfalls geachtet werden müssen. Pervertiert auf die Spitze getrieben wurde das ganze mit dem Argument, dass Eizellspende gerade zum Schutze des Kindeswohls in Deutschland erlaubt werden müsse, damit Paare nicht auf anonyme Spenden im Ausland zurückgreifen „müssten“, so dass es dem Kind nahezu unmöglich ist, seine Abstammung zu erfahren.
Kindzentrierter gab sich Eberhard Schockenhoff, MItglied des Deutschen Ethikrates, der vor allem auf die Bedeutung der Familie für die Entwicklung eines Kindes hinwies, in der sich das Kind bedingungslos angenommen weiß. Er wies darauf hin, dass es für Kinder wichtig sei, zwei Eltern zu erleben, die auch untereinander füreinander da sind und dem Kind eine erwachsene Beziehung vorleben. Kritisch äußerte er sich in diesem Zusammenhang für Singlefrauen, die eine Samenspende zur Befriedigung ihres Kinderwunsches in Anspruch nehmen. Er erinnerte daran, Kinder als Subjekte und nicht als Projektion elterlicher Wünsche wahrzunehmen.
In dem Forum zu Eizellspende und Leihmutterschaft waren die Vorträge immerhin kritisch zu diesen Verfahren, allerdings vor allem aus Gründen des Schutzes der Eizellspenderin und der Leihmutter. In der Diskussion verglich dann ein Mitglied des Ethikrates eine Eizellspende sogar mit einer Blutspende, die ja auch risikoreich sei, und natürlich durfte auch das beliebte Argument nicht fehlen, das die damit gezeugten Kinder doch „gewolllt“ seien, was viele wohl als gleichbedeutend mit dem Kindeswohl sahen. Stina trug am Publikumsmikrophon die Position von Spenderkinder zu Eizellspende vor und wies darauf hin, dass Samenspenden in Deutschland immer noch unzureichend rechtlich geregelt sind und dies der Zulassung neuer Reproduktionsverfahren voran gehen müsse.
Zu dieser eher elternbezogenen und reproduktionstechnologie-freundlichen Diskussion hob sich die Abschlussdiskussion mit den Politikern Hubert Hüppe (CDU), Harald Terpe (Bündnis 90/Die Grünen) und Kathrin Vogler (Die Linke) wohltuend hervor (Audioprotokoll). Diese ließen insbesondere nicht das Argument gelten, man müsse Eizellspende und Leihmutterschaft in Deutschland anerkennen, weil es ansonsten im Ausland durchgeführt würde. Dies würde ansonsten zu einem Ethikdumping führen.
Liebe Stina und Anne,
Danke für Euren Beitrag am Publikumsmikrofon! Man hatte bei dieser Tagung fast den Eindruck, dass Reproduktionsmedizin ausschließlich Eltern und Ärzte was angeht.
Möglichkeiten, Machbarkeit und Elternrechte standen sehr im Vordergrund, so dass
die eigentlich Betroffenen, die mithilfe von Reproduktionsmedizin erzeugten Kinder fast übersehen worden wären, aber dank eurer Intervention haben sich einige wieder daran erinnert, worum es eigentlich geht.
Arbeite an einem Theaterstück, das in einer Reproduktionswunschpraxis spielt, und will auch den Wunsch (das Recht) eines Spenderkindes nach Kenntnis seiner Herkunft thematisieren.
Auf eurer Seite habe ich schon viele Informationen gefunden, würde mich aber auch sehr über ein persönliches Gespräch freuen!
beste Grüße
Felicia Zeller
Sehr geehrte Stina und Anne,
Sie haben Recht, dass betroffene Personen auf der Jahrestagung des Ethikrats mehr hätten gehört werden müssen. Ich selbst habe mich dafür im Vorfeld sehr eingesetzt, habe auch viele Selbsthilfegruppen auf die Online-Befragung aufmerksam gemacht.
Es ist mir schon immer sehr wichtig gewesen, mich für die Rechte von Kindern einzusetzen. Ich habe mich deshalb auch in meinem Vortrag klar für ein Recht des Kindes auf Kenntnis der Abstammung ausgesprochen (nachzulesen online, s. Webadresse). Fortpflanzungsrechte gelten eben nicht unbegrenzt, sondern nur soweit sie nicht die Rechte anderer Personen beschränken. Das habe ich an mehreren Stellen des Vortrags betont.
Sie kritisieren meinen Vortrag aus mir nicht verständlichen Gründen. Ich würde mir wünschen, dass wir über solche Themen stattdessen einen konstruktiven Dialog führen.
Claudia Wiesemann
Liebe Frau Wiesemann,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Es freut uns, dass Mitglieder des Deutschen Ethikrats unsere Seite lesen. Vielen Dank auch, dass Sie sich im Vorfeld dafür eingesetzt haben, dass Betroffene mehr gehört werden.
Uns fiel auf der Tagung unangenehm auf, dass über uns, die durch diese Technologien gezeugt wurden, wieder nur geredet wurde – das entspricht der Perspektive der Reproduktionstechnologie, uns nur als Wunscherfüllung zu sehen, und nicht als Menschen mit eigenen Perspektiven und Rechten. Das fanden wir vor allem deswegen enttäuschend, weil wir die Stellungnahme des Deutschen Ethikrats zu Babyklappen sehr gut finden. Im Vorfeld hatten wir in der Onlinebefragung und in einer direkten Mail an den Ethikrat auf die Existenz unseres Vereins aufmerksam gemacht und um Einbeziehung unserer Perspektive als unmittelbar Betroffene gebeten.
Auf uns wirkte Ihr Vortrag leider wie eine sehr starke Betonung der Elternautonomie, obwohl Sie die Grenzen dieses Rechts mit den Rechten anderer und auch das Recht der Kinder auf Kenntnis der Abstammung erwähnt haben. Wir begrüßen, wenn das nicht ihrer Intention entspricht. Zur Verdeutlichung fanden wir den Vergleich der reproduktiven Autonomie mit dem Recht auf Bildung besonders irritierend. Der große Unterschied ist doch, dass bei Reproduktionstechnologien neue Menschen mit eigenen Rechten entstehen.
Für die Wahrung der Rechte dieser Menschen reicht es nicht aus, das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung umsetzbar zu machen, wie es bei der Zulassung von Eizellspende in Deutschland eher als im Ausland möglich wäre, sondern es bedeutet auch, zu hinterfragen, ob die Konstellation einer gespaltenen Mutterschaft, die nicht 1:1 mit Samenspende zu vergleichen ist, eine grundsätzlich zumutbare und mit der Würde des Menschen zu vereinbaren ist. Für durch Keimzellspende entstandene Menschen kann auch der Aspekt der Künstlichkeit oder Natürlichkeit ihrer Entstehung von erheblicher Bedeutung sein. Wir haben die Präsentation zu Ihrem Vortrag jetzt in dem Beitrag verlinkt, damit sich die Leser selbst ein Bild machen können.
Wir würden uns ebenfalls freuen, zu diesen Themen in einen konstruktiven Dialog zu treten, und stehen für eine Diskussion jederzeit bereit.
Viele Grüße Stina
Liebe Stina,
danke für Ihre Antwort auf meinen Kommentar. In der Tat habe ich mich dafür eingesetzt, Fortpflanzungsfreiheit als ein moralisches Recht anzuerkennen und nicht unter den Tisch fallen zu lassen. Ich halte das für sehr wichtig. Es gibt Länder auf dieser Welt, in denen Frauen noch nicht einmal Zugang zu Verhütungsmitteln haben oder diskriminiert werden, wenn sie ein uneheliches Kind bekommen. Das Recht auf Fortpflanzungsfreiheit schützt ihre Interessen und damit auch die Interessen ihrer Kinder. Aber das heißt nicht, dass andere Rechte damit unerheblich geworden sind. Selbstverständlich müssen die Rechte des Kindes stets auch berücksichtigt werden. Wir alle sollten gemeinsam entscheiden, wann wir Freiheitsrechte einschränken müssen, weil durch sie zu viel Schaden angerichtet wird. Dies zu bekräftigen war das Ziel meines Vortrags.
Ich wollte aber auch klar machen: Wer das Recht auf Fortpflanzungsfreiheit pauschal verwirft, begibt sich in eine große Gefahr. Denn auch in unserer Gesellschaft ist es noch nicht lange her, dass Menschen im Namen staatlicher Interessen Heiratsverbote, Verhütungsverbote, Zwangssterilisationen und anderes mehr ertragen mussten.
Liebe Frau Wiesemann,
es ist vielleicht eine Wahrnehmungsfrage, aber ich habe nicht das Gefühl, dass das Recht auf Fortpflanzungsfreiheit (ich finde eigentlich auch die Bezeichnung Recht auf Familie schöner und passender) sich in Gefahr befindet, pauschal verworfen zu werden. Im Gegenteil nehmen wir eher wahr, dass vornehmlich die Perspektive der Kinderwunscheltern eingenommen wird und bei den Kindern nur angenommen wird, sie sollten doch froh sein, überhaupt zu existieren und Wunschkinder zu sein.
Sie haben Recht, dass es eine unrühmliche Vergangenheit staatlicher Interventionen in das Recht auf Familie gibt. Allerdings sehe ich diese Gefahr bei der Reproduktionsmedizin nicht gegeben, weil durch die Inanspruchnahme von Spendern und Leihmüttern der Privatbereich verlassen wird.
Liebe Felicia,
danke für Deinen Kommentar. Es freut uns dass wir bei der Tagung des Deutschen Ethikrates nicht die einzigen waren, die die ungleiche Gewichtung der Interessen der Beteiligten bemerkt haben. Schreib uns einfach eine email wegen einem persönlichen Gespräch, das ist bestimmt möglich!
Viele Grüße Stina