Rezension des Buches Ungestillte Sehnsucht von Millay Hyatt

Ich habe lange Zeit gezögert, ein Buch über Kinderwunsch zu lesen. Vielleicht weil ich befürchtet habe, die absolute Verteidigung dieses Wunsches und aller möglichen Mittel auf Buchformat ausgewalzt zu bekommen. Über eine Talkshow zu Reproduktionsmedizin bin ich dann auf Millay Hyatts Buch Ungestillte Sehnsucht aufmerksam geworden, habe es gelesen und bin sehr angetan. Ich wünschte, mehr Wunscheltern würden dieses Buch lesen und sich ebenfalls derart differenzierte Gedanken machen.

Millay Hyatt erfährt mit 30 Jahren, dass sie frühzeitig in die Wechseljahre gekommen ist. Die Verarbeitung dieser Diagnose, die Überlegung woher ihr Kinderwunsch kommt und welche Schritte sie bereit ist für ein Kind zu gehen, schildert sie in ihrem Buch, begleitet von den Geschichten von anderen Menschen mit Kinderwunsch, darunter auch homosexuelle und alleinstehende Menschen. Bei manchen wird der Kinderwunsch später erfüllt – durch Reproduktionsmedizin, Adoption, oder auch anderweitigen Kontakt zu Kindern – während andere nach erfolglosen Behandlungen mit dem Wunsch abschließen.

Achtung der Individualität des Kindes und seiner Bedürfnisse

Beeindruckt hat mich Millay Hyatts konsequente Sicht des Kindes als Individuum und ihre Orientierung am Kindeswohl, die ich mir bei mehr Kinderwunscheltern wünschen würde. Sie sagt ganz deutlich am Ende des Buches: „(.) es gibt kein Recht darauf, Kinder zu haben. (…) Ein Kind ist auch kein Geschenk, dass mir jemand (eine Behörde, abgebende Eltern, die Medizin) zukommen lässt, um mir meinen Wunsch zu erfüllen. Ein Kind ist ein Mensch, der noch nicht eigenständig ist und (seine) Eltern braucht.“

Eines der von ihr porträtierten Paare bekommt im Alter von 45 bzw. 60 Jahren ein Kind mit einer anonymen Eizellspende aus Spanien. Das kritisiert sie nicht ausdrücklich, deutlich wird aber, dass dies ein Weg ist, den sie selbst nicht gehen würde. Das Angebot einer Freundin aus den USA, ihre Leihmutter zu sein, lehnt sie ab, als sie im Internet Berichte von Kindern von Leihmüttern findet, die diese Praxis entwürdigend finden und Gefühle äußern, verlassen und verkauft worden zu sein. Eine Eizellspende möchte sie wegen der Gesundheitsgefahren für die Spenderin und deren Anonymität in vielen Ländern nicht. Nach einem längeren Prozess des Abschieds der Idee von einem genetisch eigenem Kind entschließt sie sich mit ihrem Mann zu einer Adoptionsbewerbung, legt aber Wert darauf, dass es eine ethisch arbeitende Agentur ist, damit nicht zur Erfüllung ihres Kinderwunsches ein Kind von seiner Familie getrennt wird. Sie kritisiert die zu oft auftretende Verdinglichung von Kinder und der Nichtachtung ihrer Würde.

Nicht richtig finde ich allerdings ihre Darstellung, dass vor allem die Verheimlichung der Zeugungsart und mangelnde Offenheit in der Familie den mit Samen- oder Eizellspende gezeugten Menschen zu schaffen macht. Das wirkt so, als könnten anonyme Spender unter diesen Umständen doch okay sein. Das ist aus unserer Sicht nicht so. Auch früh aufgeklärte Spenderkinder wollen wissen, von wem sie abstammen, und das Unwissen darüber macht ihnen ebenfalls zu schaffen.

Beschäftigung mit Kinderwunsch auch als Chance, sich selbst besser kennenzulernen

Millay Hyatt schildert auch die Notwendigkeit, sich mit dem Kinderwunsch selbst zu beschäftigen und nicht nur damit, wie man ihn erfüllen kann. Sie gibt sie zu, dass es in den ersten Jahren ihrer Kinderwunschgeschichte vor allem um sich selbst ging. Mit der Zeit wich jedoch ihr Bedürfnis, möglichst schnell ein Kind zu bekommen, der Sorge um die Bedürfnisse des Kindes. Ihren unerfüllten Kinderwunsch sieht sie auch als Chance, sich selbst besser kennenzulernen und von der Situation, ein Kind haben zu wollen, zu ein Kind lieben zu wollen über zu gehen.

Neben Paaren, die ihr Wunschkind doch noch bekommen haben, schildert sie genauso die Geschichten von Paaren, die sich vom Kinderwunsch verabschiedet haben und trotzdem ein erfülltes Leben führen, weil sie zum Beispiel die Beziehung zu ihrem Partner noch mehr zu schätzen gelernt haben. Das fand ich wiederum sehr tröstlich. Wir von Spenderkinder möchten keinem Menschen mit Kinderwunsch sagen, dass er sich mit einem Leben ohne Kinder abfinden soll. Genauso befremdlich finde ich aber die oft vehement vorgetragene Ansicht, man könne sich ein Leben ohne Kinder auf keinen Fall vorstellen. Ein Kind als alleinige Sinnstiftung zu sehen, spricht von einer seltsamen Konzeption des eigenen Lebens – vor allem da man sich ja klar machen muss, dass das Kind nur einen Teil des Lebens wirklich präsent sein wird.

Unabhängige Beratung erforderlich

Die von Millay Hyatt und ihren Interviewpartnern geschilderten Gefühle und Geschichten haben mich in der Ansicht bestätigt, dass unsere Forderung sehr wichtig ist, dass Wunscheltern vor Inanspruchnahme von Samenspenden zu einer unabhängigen Beratung verpflichtet werden sollten.

Dabei ist eine freiwillig aufgesuchte Beratung natürlich wirksamer. Wie Millay Hyatt jedoch schreibt, ist die Hemmschwelle von Kinderwunschpatienten groß, sich selbst einzugestehen, man könnte ganz gut eine Außenperspektive oder Unterstützung gebrauchen, wenn man in dem Prozess drin steckt. An anderer Stelle schildert sie, dass viele Wunscheltern gar nicht oder nur mit wenigen Menschen über ihren Kinderwunsch oder die reproduktionsmedizinische Behandlung sprechen – auch aus Angst, nicht verstanden zu werden. Diese fehlende Kommunikation ist aber weder gut für sie und wird es bestimmt auch nicht einfacher machen, mit dem entstehenden Kind hierüber zu sprechen. Wir von Spenderkinder stellen immer wieder fest – auch bei unseren eigenen Eltern – dass der Scham über die eigenen Unfruchtbarkeit und die daraus resultierende Scheu, über den Kinderwunsch zu sprechen, eine der Hauptgründe für das spätere Verschweigen uns gegenüber darstellt. Eine Kinderwunsch-Beratung könnte daher auch Kontakt zu anderen Betroffenen wie zum Beispiel DI-Netz vermitteln.

Sog der Erfüllungsmaßnahmen

Die unabhängige Beratung ist auch deswegen nötig, weil die Reproduktionsmedizin auch nach der Ansicht von Millay Hyatt nicht am Wohl der Patienten ausgerichtet ist, sondern nur auf die Erzielung einer Schwangerschaft. Die meisten Betroffenen, mit denen sie spricht, hätten das starke Gefühl, alles was in Reichweite ist versuchen zu müssen. Sei man aber einmal in den Sog der Erfüllungsmaßnahmen geraten, könne es sehr schwer sein zu erkennen, wie weit zu weit ist.

Eine gewinnbringende Lektüre

Für mich war es sehr gewinnbringend, Millay Hyatts Buch zu lesen, und ich glaube dass ich ein tieferes Verständnis für die Situation von Eltern mit Kinderwunsch dadurch bekommen habe. Das soll übrigens nicht bedeuten, dass ich – oder die anderen Spenderkinder-Mitglieder – vorher kein Verständnis für Kinderwunsch-Eltern hatten. Schließlich stammen unsere eigene Eltern auch aus diesem Personenkreis, ich kenne einige Kinderwunsch-Eltern in meinem Alter, und viele von uns haben auch selbst Kinder. Genauso wenig bedeutet es, dass ich deswegen jetzt alles akzeptiere, was manche Eltern zur Erfüllung ihres Kinderwunsches machen. Das tut Millay Hyatt genauso wenig, denn sie fordert zum Beispiel nicht, dass Eizellspende und Leihmutterschaft in Deutschland zugelassen werden sollten.

Aber ich verstehe jetzt vielleicht besser, in welchem Sog sich manche Eltern befinden. Vieles, was Millay Hyatt schreibt, habe ich so oder so ähnlich gewusst oder geahnt, auch weil ich mir nach meiner späten Aufklärung selbst sehr viele Gedanken darüber gemacht habe, woher eigentlich der Kinderwunsch kommt. Aber es so fundiert, differenziert und auch hinterfragend zu lesen, war ein echter Genuss, und ich wünsche dem Buch noch viel mehr Leser.