Rezension des Buches „Kinder machen“ von Andreas Bernard

Für das 500-Seiten starke Buch „Kinder machen“ des (damaligen) SZ-Journalisten Andreas Bernard aus dem Jahr 2014 wurden Spenderkinder-Mitglieder Anne und Stina interviewt und unser Verein kommt auch etwas ausführlicher darin vor. Die vier Kapitel thematisieren die Geschichte der Empfängnislehre, Samenspende, Leihmutterschaft und Eizellspende und zuletzt die in-vitro Fertilisation. Es handelt sich um eine kulturhistorische Untersuchung – Reproduktionsmedizin wird in den Kontext gestellt, wie wenig man lange Zeit über menschliche Fortpflanzung wusste, was tatsächlich faszinierend ist, und wie viel sich im letzten Jahrhundert und insbesondere seit Ende der 70er Jahre verändert hat. Ein größerer Teil des Buchs handelt von Entwicklungen in den USA, wo die in Deutschland verbotene Eizellspende und Leihmutterschaft zugelassen sind und sich ein großer, fast unreglementierter Fortpflanzungsmarkt entwickelt hat.

Das Buch ist gut geschrieben und wird jedem, der sich für Reproduktionsmedizin interessiert und mehr darüber erfahren möchte, sicherlich Spaß bei der Lektüre bereiten. Andreas Bernard schildert plastisch Begegnungen mit Reproduktionsmedizinern, Samenbankinhabern, Spenderkindern, einer Leihmutter und Eltern. Dabei nimmt er die sachliche Perspektive eines Kulturhistorikers ein und bleibt auch bei der Darstellung der ethischen Probleme bei dieser Herangehensweise.

Aus Perspektive der Spenderkinder wäre eine tiefergehende Diskussion der ethischen Probleme wünschenswert gewesen: wie wirkt sich die Ausblendung des Dritten auf die entstandenen Familien aus, was ist eigentlich die Bedeutung genetischer Abstammung, was bewirkt die Bezahlung der „Spender“. Bei Lektüre des Buches kann man den Eindruck gewinnen, als sei alles schon einmal dagewesen – „Leih“mütter in der Bibel und Ammen als nicht-genetischverwandte Aufzieherinnen – und alles Aufhebens über entsprechende Entwicklungen in der Reproduktionsmedizin übertrieben. Dabei wird nicht ausreichend gewürdigt, dass es die Menschen seit jeher beschäftigt, woher sie kommen und es auch historisch alles andere als egal war, wer Vater eines Kindes war (die Mutter war ja ohnehin klar). Und auch die Sklavinnen, die in der Bibel als „Leih“mütter dienten, hätten es verdient, dass auch ihre Perspektive gewürdigt wird.

Jedoch wird auch bei den eher neutralen Schilderungen deutlich, wie wenig das Kindeswohl im Fokus der Reproduktionsmedizin steht. Es geht lediglich darum, Eltern zu einem Kind zu verhelfen, die sich auch immer mehr dem Druck ausgesetzt sehen, alles zu versuchen was möglich ist. Genauso wird dargestellt, dass viele Reproduktionsmediziner nicht fähig sind, die mit ihrer Hilfe gezeugten Menschen als Subjekte mit eigenen Rechten, Gefühlen, und Wünschen wahrzunehmen. Andreas Bernard beschreibt auch ausführlich die Ausblendung des „Dritten“ durch die Eltern, die insbesondere von deutschen Reproduktionsmedzinern empfohlen wird.

Das Buch verlässt sich in vielen Teilen auf die Schilderung von Anekdoten und persönlichen Begegnungen und liest sich in Teilen eher wie eine Reportage. Das macht es angenehm zu lesen. Das beinhaltet aber gleichzeitig das Problem, dass Begegnungen mit einzelnen Repräsentanten wie einer Leihmutter oder einem Samenspender nicht repräsentativ sind. Trotzdem werden in dem Buch daraus oft bestimmte Einsichten gezogen. Diese Herangehensweise betrifft auch das Kapitel über uns Spenderkinder (ab S. 124). Der unvoreingenommene Leser kommt bei der Schilderung der vier Einzelfälle möglicherweise zu dem Schluss, dass Spenderkinder ein generelles Probleme mit ihrer Zeugungsweise haben. Nur kurz wird zum Schluss mit der Bezeichnung „genetische Lücke“ dargestellt, dass das eigentliche Problem die für viele Spenderkinder de facto vorhandene Anonymität der genetischen Väter ist, der „Spender“.

Korrektur der rechtlichen Aussagen

Aus unserer Perspektive müssen wir auch klarstellen, dass die Dokumentationsdauer für Spenderdaten in Deutschland nicht bis 2007 nur 10 Jahre betrug – die Berufsordnung für Ärzte wies jahrelang darauf hin, dass Daten länger aufbewahrt werden müssen, wenn angenommen werden muss, dass ein Grund hierfür besteht. Auch durfte Spendern in Deutschland nie – und nicht nur nach aktueller Rechtslage – Anonymität gewährt werden. Darauf weist schon der Beschluss der Ärztekammer von 1970 hin, mit dem Samenspenden nicht mehr als „nicht standesgemäß“ beurteilt wurden. Grund für das Verbot der Leihmutterschaft in Deutschland ist insbesondere auch, dass die Bestellung und Abgabe eines Kindes gegen Entgelt als Verletzung der durch Art. 1 Grundgesetz geschützten Würde des Kindes gesehen wird, weil der Leihmutterschaftsvertrag es zum Handelsobjekt macht (siehe zum Beispiel KG Berlin, Beschluss vom 01.08.2013, S. 8.).

Fakten zum Verein Spenderkinder

Da das Buch aus dem Jahr 2014 stammt, sind einige Fakten aus dem Buch über unseren Verein veraltet. Wir haben inzwischen deutlich mehr Mitglieder, auch Männer, und viele von uns haben inzwischen Verwandte über DNA-Datenbanken gefunden.

Die Vermutung des Autors, Spenderkinder studierten eher Psychologie, weil ihre Existenz so schwierig sei (S. 129), halten wir für etwas überfrachtet. Wir haben genauso viele Ärztinnen wie Psychologinnen als Mitglieder.

Eine der Forderungen unseres Vereins wird missverständlich dargestellt: wir haben nie gefordert, die Möglichkeit für Kinder abzuschaffen, die Vaterschaft des nicht genetischen Vaters nach § 1600 Abs. 1 Nr. 4 BGB anzufechten. Einen solchen, oft von den Wunscheltern geforderten Ausschluss lehnen wir sogar ausdrücklich ab und halten ihn für eine Verletzung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung. Wir haben früher, wie auch in dem darauf folgendem Absatz im Buch richtig zitiert, die Abschaffung der Möglichkeit gefordert, den Spender als Vater rechtlich feststellen zu lassen. Das ist aber rechtlich nicht mit einer Anfechtung verbunden. Kann ein Spenderkind anfechten, aber niemand anderen als Vater feststellen lassen, ist es danach rechtlich vaterlos.

Ein lesenswertes Buch

Alles in allem handelt es sich um ein wirklich lesenswertes Buch. Sehr aufschlussreich ist auch das Kapitel über die deutschen Reproduktionsmediziner. Der Schlussthese von Andreas Bernard, dass sich die Familie nicht aufgrund von Reproduktionsmedizin auflöst, sondern dass sie die Integration von Dritten bewerkstelligt und somit eine Erweiterung des Familienbegriffs stattfindet, stimme ich zu. Leider bleibt es in Realität oft noch bei einer möglichen Familienerweiterung. Dieser Prozess findet oft nicht statt, weil Eltern die Abstammung von einem Dritten vor den Kindern geheim halten oder den Dritten Anonymität gewährleistet (oder aufgezwungen) wurde. Daher bleibt zu hoffen, dass auch mehr Eltern die Vorteile dieser erweiterten Familie erkennen werden.