Rezension – „Bis ich ihn finde“ (Jugendroman)

„Bis ich ihn finde“ heißt ein im April 2020 erschienener Jugendroman von Christine Fehér, der sich mit dem vermutlich wichtigsten Thema von uns Spenderkindern auseinandersetzt: der Suche nach dem eigenen Vater.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht die sechzehnjährige Ich-Erzählerin Elena Rehwald aus Berlin-Schöneberg. Sie wächst in einer Regenbogenfamilie mit zwei Müttern auf – bzw. ihrer Mutter Conny und ihrer „Co-Mutter“ Manuela, wie Elena es nennt. Während ihre Mutter ihr die Haare geflochten und ihr das Backen beigebracht hat, ist Elena mit ihrer Co-Mutter Motorrad gefahren und hat von ihr Zaubertricks und handwerkliche Fertigkeiten gelernt. Dem Leser wird sie als fröhliches und selbstbewusstes Mädchen vorgestellt mit einer Begeisterung für Handarbeiten und mit Interesse an fremden Ländern. Kurz und gut: sie führt offenbar ein glückliches Leben. Wenn da nicht diese eine Sache wäre: sie hat keine Ahnung, wer ihr Vater ist, denn Elena ist durch eine anonyme Samenspende in Dänemark entstanden.

An Elenas 16. Geburtstag geben sich ihre zwei Mütter offiziell das Ja-Wort, was natürlich groß gefeiert wird. Ausgerechnet auf diesem für alle Nachbarn offenen Hoffest begegnet Elena einem Jungen, der mit seinen intoleranten Sprüchen und seiner wilden, machohaften Art letztlich zum Auslöser für die Vatersuche wird. Noch in der Nacht grübelt sie über ihre Situation nach und hat das Gefühl, sich „erst als vollständig, als ganze Person empfinden [zu können], wenn [sie] weiß, wer er ist.“ Elena spürt: „Jetzt hat es angefangen. Ich bin auf der Suche nach meinem Vater. Und ich werde nicht aufgeben, bis ich ihn gefunden habe.“

Mit der nun beginnenden Suche stößt Elena bei ihren Müttern nicht gerade auf große Begeisterung, vor allem für ihre Co-Mutter ist die Situation nicht einfach und das plötzliche Interesse kaum nachvollziehbar. Verknüpft ist diese Suche mit einer sich anbahnenden „Liebesgeschichte“ zu Rouven – eben jenem Jungen, der sie überhaupt zur Suche motiviert hat. Während er aber eher eine ablehnende Haltung zeigt, wird Elena von Anfang an von ihrer besten Freundin Fabienne unterstützt.

Das Buch zeigt auf, was viele Spenderkinder gut kennen: Die Suche nach dem genetischen Vater nimmt mehr und mehr Raum in Elenas Leben ein. Immer wieder fühlt sie sich daran erinnert, die Konzentration auf anderes, wie z.B. schulische Aufgaben, fällt zunehmend schwerer. Sie geht schließlich auch den vielen Spenderkindern bekannten Weg über einen Gentest und ihr wird bewusst, dass ihre Suche sie auch zu Geschwistern führen könnte.

Ob es Elena letzten Endes gelingt, ihren Vater zu finden, möchte ich hier nicht verraten – das kann jeder selbst nachlesen. Aber sie entdeckt für sich, dass sie trotz der Suche nach ihrem Vater aufgrund der Vielzahl an Beziehungen in ihrem Leben eigentlich „reicher [ist], als [sie] es je zu träumen gewagt hätte“. Und ihren Müttern gegenüber findet Elena zu einer Erkenntnis, die vielleicht nicht allen Spenderkindern vertraut ist: „Ihr beide seid es, die mich für mein ganzes Leben geprägt haben. Ihr seid mein Zuhause und werdet es immer sein.“

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Als potentieller Leser von „Bis ich ihn finde“ muss man sich zunächst zwei Dinge vergegenwärtigen: Es handelt sich zum einen um ein Buch, welches das Thema „Spenderkinder“ für Jugendliche veranschaulicht und zum anderen wurde es in Romanform geschrieben. Es ist kein Sachbuch für erwachsene Spenderkinder! Das hat natürlich Auswirkungen auf die Darstellung des Themas, in der sich vermutlich nicht jeder von uns wiederfinden kann.

Für meinen Geschmack und für die Realität viel zu schnell, aber dennoch immer nachvollziehbar, zeigt die Autorin auf, wie sich Elenas Leben, ihre Beziehungen und sie selbst seit der beginnenden Suche an ihrem 16. Geburtstag grundlegend verändern. Aber dabei bleibt es nicht, denn die Suche hat natürlich auch Einfluss auf Elenas eigene Familie: So wird ihren Müttern bewusst, dass der bislang unbekannte genetische Vater nicht mehr ausgeblendet werden kann.

Es sind uns Spenderkindern sehr vertraute Fragen, welche die Autorin ihre Protagonistin am Anfang und auch während ihrer Suche stellen lässt: Wie wäre es gewesen, mit dem eigenen Vater aufzuwachsen? Wie sieht er aus? Wie lebt er? Was habe ich von ihm „geerbt“?

Hinzu kommen Fragen, die die besondere Situation als Kind einer Regenbogenfamilie widerspiegeln: Hätte sich Elenas Charakter mit einem Mann im Haushalt anders entwickelt? Hätte sie andere Hobbys, Meinungen und Verhaltensweisen?

Geschickt wird dem Leser im Verlauf des Buches durch Zwischentexte deutlich gemacht, dass Elenas Suche eigentlich doch nicht so aus heiterem Himmel begonnen hat, wie es anfangs wirken mag. Schon als kleines Kind hat sie sich mit dem fehlenden Vater befasst, hat versucht diesen „blinden Fleck“ mit Leben zu füllen, ihre heimliche „Suche“ aber als 14-jährige schließlich eingestellt, was Elena „nicht einmal weh [tat]“.

„Bis ich ihn finde“ ist sicherlich dafür geeignet, ein unter Jugendlichen kaum bekanntes Thema einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Ob dabei allerdings so viele Verwicklungen und Nebenschauplätze notwendig sind, wie sie von der Autorin eingebracht werden, ist durchaus zu hinterfragen. So hat Christine Fehér für meinen Geschmack an manchen Stellen vielleicht etwas „dick aufgetragen“ – stellenweise wirkt das Buch wie das Skript einer vorabendlichen „Seifenoper“ im TV! – und die Situation für Elena abseits der Vatersuche komplizierter gemacht, als sie im realen Leben tatsächlich sein würde. Andererseits hat natürlich jedes Spenderkind seine eigene Geschichte und die ist manchmal unglaublich genug.

Ein paar Worte seien mir noch zu einem weiteren im Buch angesprochenen Thema erlaubt: der „Regenbogenfamilie“. Das hier von der Autorin transportierte Rollenbild ist zumindest mal als „schwierig“, besser sogar als „überholt“ einzuschätzen – obwohl Christine Fehér diese Familienkonstellation gleichzeitig als völlig normal deklariert. Leider ist sie dann aber so inkonsequent und schreibt der genetischen Mutter typisch mütterliche Eigenschaften zu, während die „Co-Mutter“ die Vaterrolle zumindest zum Teil übernimmt. Hier wäre doch etwas weniger klischeehaftes Denken angebracht gewesen!

Als Jugendroman ist „Bis ich ihn finde“ meines Erachtens gut gelungen. So einige Unterthemen des Buches lassen sich gerade aufgrund dieser Zielgruppe erklären und auch der sprachliche Stil ist entsprechend: unkompliziert, jugendlich, leicht lesbar. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, kann auch als Erwachsener mit dem Buch trotz des letztlich schwierigen existenziellen Themas ein paar schöne Stunden verbringen.

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Als kleinen Nachtrag möchte ich noch anmerken, dass sich mehrfach Rückbezüge auf unsere Homepage und auf andere Spenderkinder und ihre Geschichte finden. Natürlich sind wir im Verein und im Forum eine bunte Mischung mit ganz unterschiedlichen Meinungen und Ansichten zu diesem Thema, aber dennoch empfinde ich die Sicht des Kindes im Buch recht gut dargestellt!

Autor: Jörg