Les enfants du secret – Dokumentation über französische Spenderkinder auf Arte

Auf Arte wird derzeit die Dokumentation „Les enfants du secret“ (deutscher Titel: Papa ist nicht mein Papa) über die Situation der etwa 70.000 Spenderkinder in Frankreich gezeigt – einer der schönsten und berührendsten Filme, die ich über das Thema Spenderkinder bislang gesehen habe. In Frankreich ist die Anonymität der Spender gesetzlich vorgeschrieben, Spenderkinder haben – anders als in Deutschland – kein Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung. Sie dürfen noch nicht einmal den Spender fragen, ob er mit einem Kontakt einverstanden wäre.

Der Filmregisseur Rémi Delescluse ist selbst ein Spenderkind. Er wurde von seinen Eltern im Alter von fünf Jahren aufgeklärt. Als er selbst 31 Jahre später Vater wird, begibt er sich auf die Suche nach seinem genetischen Vater. Auf dieser Suche interviewt er mehrere Reproduktionsmediziner, seine Eltern, Spender und andere Spenderkinder, die überwiegend Mitglieder unserer französischen Schwester-Organisation PMA sind.

Die Dokumentation ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert: sie ist sehr bewegend, da seine eigene Betroffenheit es Rémi ermöglicht, auch sehr persönliche und emotionale Gespräche vor der Kamera zu führen. Gleichzeitig wird klar, dass Spenderkinder auch in Frankreich die gleichen Probleme haben und ähnliche Fragen stellen wie in Deutschland und in anderen Ländern.

Typisch hierfür ist zum Beispiel, dass Rémi bereits im Alter von fünf Jahren aufgeklärt wurde, aber erst 31 Jahre später wieder mit seinen Eltern darüber spricht. Er begründet dies mit den folgenden Worten: „Weil ihr nie darüber gesprochen habt, habe ich mich nicht getraut zu fragen.“ Es entspricht den Erfahrungen einiger unserer frühaufgeklärten Mitglieder, dass die Samenspende trotz der Aufklärung des Kindes ein Tabu in der Familie darstellen kann. Rémis Mutter bestätigt, dass sie auch aus Unbehagen über die Unfruchtbarkeit ihres Mannes nicht darüber gesprochen hätten. Ganz selbstverständlich sagt Rémi inzwischen: ich habe drei Eltern. Auch der Verein Spenderkinder bevorzugt den Begriff der „Familiengründung zu dritt“.

In den Interviews mit der behandelnden Ärztin seiner Mutter und einer Oberärztin in einer der staatlichen Samenbank CECOS schafft Rémi es, seine Perspektive freundlich aber nachdringlich durch Fragen einzubringen. So schafft er es, dass die Ärztin der Samenbank recht offen zugibt, dass sie und andere Ärzte es bereits bei der Schaffung des Systems für wahrscheinlich hielten, dass die Kinder wissen möchten, wer ihr genetischer Vater ist. Sie entschieden sich aber, die Anonymität der genetischen Väter höher zu gewichten. Sie vermuteten, dass Samenspenden nur unter dieser Voraussetzung akzeptiert würden, weil sie ansonsten in der damaligen konservativen Gesellschaft zu sehr mit Ehebruch assoziiert worden wären.

Rémi ist auch dabei, als die Mitglieder von PMA sich entschließen, sich bei einer amerikanischen DNA-Datenbank einzutragen (es sieht im Film aus wie 23andme). Das ist in Frankreich zwar außerhalb eines Gerichtsverfahrens verboten und bei einer Zuwiderhandlung droht ein Bußgeld von 3750 Euro – aber wie die Mitglieder von PMA sagen, lässt ihnen der französische Staat keine andere Wahl, Klarheit über ihre Herkunft und Verwandtschaftsverhältnisse untereinander zu erhalten.

Eine große Rolle in dem Film nimmt die Geschichte von Arthur und Audrey Kermalvezen ein. Beide sind in Frankreich relativ bekannt, da sie Bücher über ihre Geschichte veröffentlicht haben.1 Selbst als sie heiraten wollten, und Auskunft darüber begehrten, ob sie denselben genetischen Vater haben, wurde ihre Klage auf Auskunft abgewiesen. Daher überlegten sie, ob sie ihren Kinderwunsch lieber aufschieben sollten. Schließlich erfuhren sie inoffiziell, dass sie nicht verwandt sind. Über den DNA-Test erfährt Audrey, dass sie zwei Halbschwestern hat, die sie bereits aus dem Verein PMA kennt. Eine ihrer Halbschwestern hatte sie bereits als Anwältin vertreten.

Arthur findet schließlich als erstes französisches Spenderkind seinen genetischen Vater mit Hilfe eines DNA-Tests. Er sagt fast verwundert: „Nach drei Wochen habe ich alles, was ich seit dreißig Jahren wissen wollte.“ Er hat Glück und sein genetischer Vater ist offen für einen Kontakt. Rémi ist bei ihrer dritten Begegnung dabei und es ist rührend zu sehen, wie vertraut die beiden bereits miteinander umgehen. Arthur sagt zur Bedeutung seiner Entdeckung: „Mein Leben hat ein viel stabileres Fundament“. Das entspricht meinen eigenen Gefühlen, als ich vor mehr als einem Jahr meinen Vater ebenfalls durch einen DNA-Test identifizieren konnte – obwohl er – anders als Arthurs Vater – nicht offen für einen Kontakt war.

Arthur macht allerdings auch eine gesundheitlich wichtige Entdeckung: Sein genetischer Vater hat eine Erbkrankheit in Form einer Proteinstörung, die das Risiko für eine Lungenembolie erhöht. Möglicherweise hat Arthur oder eines seiner beiden kleinen Kinder die Störung ebenfalls. Durch dieses Wissen kann er zumindest bewusst mit der Möglichkeit dieser Krankheit umgehen.

Rémi selbst überlegt länger, ob er den DNA-Test wirklich machen möchte. Als er sich dafür entschieden hat, findet er aber leider nicht sofort direkte Hinweise auf Verwandte väterlicherseits. Der Film endet dennoch versöhnlich mit der Geburt von Rémis Tochter. Es ist relativ wahrscheinlich, dass Rémi in den nächsten Jahren nähere Verwandte findet, da sich immer mehr Menschen bei DNA-Datenbanken eintragen lassen.

Zwei Kritikpunkte an dem Film gibt es allerdings doch: 1. Die deutsche Übersetzung des Titels in „Papa ist nicht mein Papa“ ist unpassend. Rémi sagt mehrmals, dass sein sozialer Vater sein Papa sei. Auch viele deutsche Spenderkinder wehren sich dagegen, „Papa“ und „genetischer Vater“ gleichzusetzen. 2. Am Schluss sagt Rémi, dass er seinem genetischen Vater „nur“ „danke“ sagen wolle, dafür, dass es ihn gibt. Manche Spenderkinder empfinden tatsächlich Dankbarkeit gegenüber ihren genetischen Vater. Andere Spenderkinder kritisieren, dass von Ihnen oft Dankbarkeit für ihre Existenz erwartet wird und damit verlang wird, von anderen als unangenehm erlebte Gefühle (wie z.B. Unzufriedenheit über die eigene Entstehungsweise, Trauer über die Unkenntnis des genetischen Vaters oder dessen Desinteresse, Ärger über missbrauchtes Vertrauen, etc.) hinter einer grundsätzlichen Dankbarkeit für das Leben zurückzustellen.

In Frankreich wird derzeit erwogen, die Rechtslage zu künstlicher Befruchtung und den Rechten von Spenderkindern zu ändern. Umfragen zufolge finden inzwischen mehr Franzosen, dass Spenderkinder zumindest das Recht haben sollten, ihren genetischen Vater zu kontaktieren. Außerdem läuft derzeit noch eine Klage von Audrey Kermalvezen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Es gibt also Hoffnung, dass die restriktive Rechtslage in Frankreich zumindest etwas gelockert wird.

Der Film kann bis zum bis zum 6. September 2019 in der Arte Mediathek auf Deutsch und auf Französisch angesehen werden. Hoffentlich wird er aber noch öfter gezeigt werden.

  1. Arthur Kermalvezen, Ganz der Papa: Samenspender unbekannt, Patmos 2009; Audrey Kermalvezen, Mes origines : Une affaire d’état, 2014; Arthur Kermalvezen, Le Fils, Iconoclaste 2019. []