Aus den USA ist es schon bekannt: Gruppen mit mehr als 100 Halbgeschwistern, die denselben genetischen Elternteil haben. Auch im Verein Spenderkinder haben DNA-Tests bewiesen, dass esmehrere große Halbgeschwistergruppen gibt. Wir haben fünf Halbgeschwistergruppen, die aus 7 bis 9 Familien bestehen. Da sehr viele Spenderkinder in Deutschland nichts von ihrer Zeugungsart wissen, dürften viele Halbgeschwistergruppen tatsächlich noch erheblich größer sein. Von einem Reproduktionsmediziner wissen wir aus Praxisaufzeichnungen, dass er teilweise über 100 durch einen Mann erzeugte Schwangerschaften dokumentierte. Bei zwei Reproduktionsmedizinern vermuten wir, dass sie jeweils nur einen Spender hatte, da bislang alle Spenderkinder aus diesen Praxen sich als Halbgeschwister herausgestellt haben. Durch die zunehmende Verbreitung von DNA-Datenbanken und die Durchsetzung des Rechts von Spenderkindern auf Kenntnis ihrer Abstammung werden solche Vorgänge zunehmend nachvollziehbar und aufgedeckt.
Keine gesetzliche Obergrenze in Deutschland
Eine gesetzliche Grenze für die Anzahl der Kinder, die durch den Samen einer Person durch Samenvermittlung entstehen, gibt es in Deutschland nicht. In der „(Muster-)Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion“ fand sich von 2006 bis 2018 die Vorgabe, dass durch einen Spender nicht mehr als zehn Schwangerschaften erzeugt werden sollten. Ob diese standesrechtlichen Regelungen jedoch tatsächlich verbindlich waren, ist umstritten, weil die Ärzte bis zum Inkrafttreten des Samenspenderregistergesetzes im Jahr 2018 nicht verpflichtet waren, die durch eine Person gezeugten Kinder nachzuverfolgen und zu dokumentieren. Die Ärztekammer Nordrhein wies im Jahr 2015 auf eine Beschwerde des Vereins Spenderkinder darauf hin, dass diese Richtlinie nur nachrangig anwendbar sei und die Forderung nach einer Obergrenze in den politischen Raum gebracht werden sollte. Außerdem könne daraus, dass ein Mann über eine sehr lange Zeit Samen abgegeben habe, nicht darauf geschlossen werden, dass hierdurch eine erhebliche Zahl von Kindern gezeugt würde. In der aktuellen Version der „Richtlinie zur Entnahme und Übertragung von menschlichen Keimzellen im Rahmen der assistiertenReproduktion“ aus dem Jahr 2018 findet sich keine Aussage mehr zu einer Obergrenze. Grund hierfür ist, dass der Vorstand der Bundesärztekammer m Februar 2015 beschlossen hatte, die medizinisch- wissenschaftlichen Fragestellungen klar von den gesellschaftspolitischen Aspekten zu trennen.
Dem Verein Spenderkinder ist bekannt,
dass manche Menschen bei deutschen Samenbanken oder an deutsche
Reproduktionsmediziner bis über 20 Jahre regelmäßig Samen
abgegeben haben. Bei einer Abgabe über einen solch langen Zeitraum
liegt es nahe, dass wesentlich mehr als zehn Kinder entstanden sind,
wie z.B. die Dokumentation des Münchner Arztes zeigt, der bis über
100 erzeugte Schwangerschaften durch einen einzelnen Spender
festgehalten hat. Einige Menschen haben zudem an mehreren Kliniken
oder Samenbanken Samen abgegeben. Ein Arzt, bei dem eine sehr große
Halbgeschwistergruppe entstand, äußerte sich hierzu, dass es zu
teuer wäre, wenn man den Samen einer Person nur für wenige Paare
verwenden würde, außerdem gäbe es nicht so viele abgabebereite
Personen.
Einige Samenbanken äußern zumindest
öffentlich, dass sie sich bemühen, eine gewisse Anzahl an Kindern
nicht zu überschreiten. Wie genau sie das sicherstellen, ist jedoch
nicht nachvollziehbar und auch nicht überprüfbar. Insbesondere ist
momentan aber auch keine rechtliche Verpflichtung dazu erkennbar. Bei
einer deutschen Samenbank, die derzeit einen öffentlich einsehbaren
Spenderkatalog anbietet, werden 5 Personen aufgeführt, bei denen
über 30 Einheiten Samen verfügbar sind. In einem Fall waren sogar
74 Einheiten verfügbar. Auch wenn sicherlich nicht jede künstliche
Befruchtung mit dem Samen dieser Personen erfolgreich sein wird, ist
doch davon auszugehen, dass bei so vielen verfügbaren Einheiten mehr
als 10 Kinder gezeugt werden – zusätzlich zu vermutlich bereits
gezeugten Kindern.
Andere Länder sind hier weiter: In
Großbritannien dürfen die Keimzellen einer Person nur für 10
Familien verwendet werden. Diese Obergrenze wird durch die
Regulierungsbehörde HFEA kontrolliert. In Belgien dürfen nur 6
Frauen durch den ärztlich vermittelten Samen einer Person schwanger
werden, allerdings sind mehrere Kinder pro Frau erlaubt (Art. 55 Loi
relative à la procréation médicalement assistée). Die Schweiz hat
eine Obergrenze von acht Kindern (Art. 22 Abs. 4 FMedG).
Zu viele Halbgeschwister sind für viele Spenderkinder belastend
Aus Sicht der Vereins Spenderkinder ist eine Begrenzung der Anzahl der durch eine Person über eine ärztliche Samenvermittlung gezeugten Kinder unbedingt notwendig. Zu diesem Thema haben wir unsere Mitglieder befragt, die schon relativ viele Halbgeschwister gefunden haben, ihre Aussagen geben wir in kursiver Schrift wieder.
Bezüglich der Anzahl der
Halbgeschwister: also ich denke ab 20-30 wird es schon schräg.
Vorausgesetzt alle suchen den Kontakt. Spätestens ab 50 wird es
vermutlich unangenehm. Eine gesetzliche Grenze? Ja, definitiv. Ich
finde die Größenordnung 10 erfolgreiche Spenden sollten nicht
überschritten werden.
Ich fände es auf jeden Fall gut, wenn es dazu feste Grenzen gäbe. Das würde dann auch die Ungewissheit beseitigen, wie viele mögliche Halbgeschwister dort wohl sein mögen. 100 oder 200 finde ich deutlich zu viel. Ich hätte nichts dagegen, wenn es bei meinen 14 Geschwistern bleibt, denke aber es sollten nicht mehr als 20 werden.
Zwar freuen sich die meisten Spenderkinder über Halbgeschwister.
Ich war in der komfortablen
Situation, dass mir nach und nach mehr Geschwister angezeigt wurden
und ich sie nach und nach kennenlernen konnte und nicht mit einer
großen Menge zu Beginn abgeschreckt war. So könnte es aus meiner
Sicht auch eine Weile weitergehen, ruhig auch bis 20 oder mehr, da ja
auch nicht alle den Kontakt wünschen oder man sicher nicht zu allen
hingezogen sein wird, was ja bei uns in der Gruppe auch teilweise der
Fall ist. Momentan finde ich jeden Treffer noch sehr aufregend und
freue mich sehr, Kontakt mit den neuen Geschwistern zu haben.
Ich habe die Tatsache, viele
Halbgeschwister zu haben, nicht als „Belastung“
wahrgenommen. Es war am Anfang eher eine Überraschung und sehr
unerwartet von Null Treffern auf so viele Halbgeschwister zu treffen.
Das Gefühl bei den Treffern hat sich dementsprechend auch verändert:
Anfangs war es super aufregend und man konnte es kaum fassen. Jetzt
hat man sich daran gewöhnt, die Neugier auf die neue Person bleibt
aber natürlich.
Je mehr Halbgeschwister es gibt, desto eher kann jedoch das Gefühl entstehen, aus einer „Massenproduktion“ zu stammen.
Mein Erzeuger war bei der
Zeugung von bis zu 400 Kinder beteiligt. Als ich davon im ersten
Gespräch mit einem Halbbruder erfahren habe, war ich erstmal
überrascht. Es ging mir nie darum, dass ich eine von vielen und so
weniger wert bin. Der Erzeuger hat ja vermutlich eh keine Bindung zu
uns gehabt. Doch ich musste mich mehrere Tage erstmal fragen was für
eine Person er sein muss, wenn er so viele Male seine Gene
verantwortet hat. Dementsprechend fand ich es schon sehr
schockierend.
Ich weiß, dass vor allem bei
unseren ehelichen Geschwistern der Gedanke der Entwertung eine Rolle
spielt. Meinem Gefühl nach gehen sie mit jedem neuen Geschwister
mehr auf Abstand. Wären wir nur ein oder zwei Spenderkinder,
schätzte ich die Wahrscheinlichkeit für eine enge Beziehung höher
ein.
Jedes neue Geschwisterkind bedeutet außerdem eine mentale Anpassung, eine Erweiterung der Familie und der bestehenden Beziehungen.
Würden mir 20 oder mehr
Halbgeschwister angezeigt, wäre das ein zusätzlicher Schock mit dem
ich eine ganze Weile bräuchte um einen Umgang damit zu finden. Je
mehr Halbgeschwister, desto schwieriger.
Ich fühle mich verpflichtet,
künftige Halbgeschwister mit offenen Armen zu begrüßen, aber ich
habe es mir auch nicht ausgesucht, dies eventuell 50 mal tun zu
müssen.
Aktuell kann ich mir nicht
vorstellen, zu weiteren, neu dazu kommenden Menschen eine enge
Beziehung aufzubauen, einfach aus Kapazitätsgründen. Und irgendwie
wären dann auch erstmal diejenigen dran, zu denen ich jetzt aktuell
schon keine enge Beziehung habe.
Je größer die Gruppe ist,
desto unpersönlicher wird es.
Es war etwas merkwürdig,
dazu zu kommen. Alle kannten sich schon, teilweise sehr gut. Man kann
sich so auch schnell etwas abgehängt fühlen. Ich glaube das wird
neuen Generationen sogar eher mal passieren.
Bei sehr vielen Halbgeschwistern ist es auch für den genetischen Elternteil kaum möglich, alle als Individuen wahrzunehmen, wenn die Spenderkinder – was wahrscheinlich ist – früher oder später Kontakt zu ihm aufnehmen.
Viele Mitglieder unseres Vereins schildern es als besonders belastend, dass sie nicht wissen, wie viele andere Geschwister sie in der Zukunft noch entdecken werden – 5 oder 100.
Es bleibt die Ungewissheit,
wie viele Treffer noch kommen werden und wie viele Halbgeschwister es
insgesamt gibt, von denen man nie erfahren wird.
Wenn ich lese und mir
vorstelle, dass ich hundert (oder lass es auch nur 20)
Halbgeschwister habe, dass fühle ich gleichzeitig auch ein
Bedürfnis, alle kennenzulernen. Irgendwie der Vollständigkeit
halber. In gewisser Weise gehören sie zu mir. Ein Halbgeschwister
nicht zu kennen, fühlt sich in meiner Vorstellung unvollständig an.
So geht es mir auch mit dem Gedanken, dass da draußen
höchstwahrscheinlich noch weitere von unserer Halbgeschwistergruppe
rumlaufen. Sie sind mir zu viel. Und gleichzeitig will, muss! ich sie
kennenlernen.
Dazu kommt, dass die Gefahr einer unwissentlichen sexuellen Beziehung zwischen Halbgeschwistern rein statistisch steigt, je mehr Kinder durch eine Samen abgebende Person gezeugt werden, insbesondere weil viele Eltern ihre Kinder nicht über ihre Zeugungsart aufklären. Diese Befürchtung empfinden viele Mitglieder unseres Vereins als belastend. Einige Halbgeschwister ähnlichen Alters aus unserem Verein sind in Nachbarorten aufgewachsen, so dass die Gefahr einer Beziehung relativ hoch war.
Ich bin absolut für eine Maximalanzahl, und auch für eine Streuung. Es kann nicht sein, dass ich jahrelang jeden Freitag und Samstag im gleichen Club in Reutlingen tanzen war wie einer meiner vielen Halbbrüder – ohne es zu wissen.
Obergrenze durch Ergänzung des Samenspenderregistergesetzes einfach umzusetzen
Mit dem Samenspenderregister existiert
seit Mitte 2018 ein zentrales Register, mit dem die Einhaltung einer
Obergrenze tatsächlich kontrolliert werden könnte. In diesem wird
bereits festgehalten, an welche Empfänger:innen der Samen welcher
Person vermittelt wird. Es wäre leicht umsetzbar, bei eine
bestimmten Anzahl von Empfänger:innen die jeweilige Samen abgebende
Person für weitere Vermittlungen zu sperren.
Der Verein Spenderkinder wird sich in dieser Legislaturperiode dafür einsetzen, dass im Zuge der anstehenden Überarbeitung des Samenspenderregistergesetzes auch eine entsprechende Obergrenze eingeführt wird. Dabei halten wir es für sinnvoll, dass sich die Obergrenze an den Empfänger:innen orientiert (also an Familien) und nicht an der Zahl der insgesamt gezeugten Kinder. Das Erreichen der Obergrenze würde dann nicht verhindern, dass eine Familie ein weiteres Kind von demselben genetischen Elternteil bekommt.
Auch die Bundesärztekammer hatte sich im Jahr 2016 in einer Stellungnahme zum „Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen“ vom 21.12.2016 für eine gesetzliche Beschränkung der durch einen Samenspender gezeugten Kinder ausgesprochen.