Im Frühsommer 2025 wurde bekannt, dass die in Dänemark sitzende European Sperm Bank den Samen eines Mannes vermittelt hat, der eine Genmutation hatte, die zu einer stark erhöhten Krebswahrscheinlichkeit führt. Jetzt wurde bekannt: das Ausmaß ist noch viel größer als zunächst angenommen1.
Während zunächst angenommen wurde, dass 67 Kinder mit dem Samen des „Spenders 7069“ mit den Alias „Kjeld“ gezeugt wurden, stellte sich nun heraus, dass die Zahl mit mindestens 197 Kinder deutlich höher ist. Dies ergab eine Recherche eines investigativen Reporternetzwerks der Europäischen Rundfunkunion (EBU), einem Zusammenschluss öffentlich-rechtlicher Sender. Das Recherche Netzwerk fragte bei den Behörden in den betroffenen Ländern nach der Anzahl der Kinder, deren biologischer Vater Kjeld ist. Allerdings führen nicht alle Länder ein Register für Spenderkinder, sodass das Netzwerk davon ausgeht, dass die Informationen möglicherweise unvollständig sind.
Es ist nicht bekannt, wie viele dieser Kinder von dem Gendefekt betroffen sind.
Spenderkinder mit ungeklärten genetischen Auffälligkeiten werden gebeten, sich vertraulich beim internationalen Rechercheteam zu melden, gerne auch über unsere Infoadresse: info(at)spenderkinder.de.
Aktuell unzuverlässiger Informationsweg stellt gesundheitliches Risiko für Spenderkinder dar
Das Bundesministerium für Gesundheit hat auf die Anfrage des Vereins Spenderkinder die Funktionsweise des Warnsystems am 19. August 2025 folgendermaßen erläutert: Bei schwerwiegenden Zwischenfällen im Rahmen der Gewebespende (wozu Samenvermittlung gehört) erfolgen auf der Ebene der Europäischen Union Schnellwarnungen (Rapid Alerts) unter den Mitgliedstaaten auf Grundlage der Richtlinien 2004/23/EG und 2006/86/EG. Gehe eine Schnellwarnung bei der zuständigen Bundesoberbehörde ein, werde diese an die obersten Landesgesundheitsbehörden weitergeleitet, die für die Überwachung der Einrichtungen, in dem Fall der Samenbanken, zuständig seien. Zudem würden die betroffenen Einrichtungen kontaktiert, sobald die dafür erforderlichen Informationen vorliegen. Für die weitere Kommunikation mit den Familien seien die Einrichtungen verantwortlich. Ab dem 7. August 2027 würden die Schnellwarnungen und die Kommunikationswege in Art. 34 der Verordnung (EU) 2024/1938 über Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur Verwendung beim Menschen bestimmte Substanzen menschlichen Ursprungs (SoHO-Verordnung) geregelt, die in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar sei. In dem Fall von Kjeld sei das Paul Ehrlich Institut unverzüglich nach Schnellwarnung aktiv geworden.
Obwohl das Problem mit dem Samen von Kjeld seit 2023 bekannt ist, sind dem Bericht zufolge noch immer nicht alle potenziell betroffenen Familien kontaktiert worden2. Andere erfuhren erst mit einer Verspätung von über einem Jahr, dass sie ihre Kinder auf den Gendefekt testen lassen sollten. Manche Kliniken haben laut dem Bericht Schwierigkeiten, die betroffenen Frauen zu kontaktieren, weil die Komtaktdaten der Patientinnen sich geändert haben. Der Bericht weistjedoch auch darauf hin, dass Daten zum Teil nicht ordnungsgemäß aufbewahrt wurden, insbesondere wenn der Eigentümer der Kinderwunschklinik wechselte.
Nationale Obergrenzen werden häufig überschritten
Der Fall zeigt, dass die national bestehenden Obergrenzen für die Anzahl von Kindern, die durch den Samen eines Mannes gezeugt werden, oft nicht eingehalten werden. In Belgien wurden 53 Kinder von 38 verschiedenen Müttern mit dem Sperma von Kjeld gezeugt, obwohl es in dem Land ein Limit von maximal sechs Familien gibt, die Sperma eines einzigen Spenders erhalten dürfen. Auch in Dänemark ist Kjeld der biologische Vater von 49 Kindern, obwohl die damaligen Richtlinien in der Region maximal 25 Kinder pro Spender vorsahen. In Spanien wurden 35 Kinder gezeugt.
Die Dänische Patientensicherheitsbehörde hat die European Sperm Bank bei der dänischen Polizei angezeigt3. Die 2004 gegründete und in Kopenhagen ansässige Eurpean Sperm Bank ist heute eine der größten Samenbanken der Welt. Seit 2022 besitzt der europäische Private-Equity-Fonds Perwyn die Samenbank.
Der Fall führte auch in Dänemark dazu, dass mehrere Politiker strengere Gesetze fordern, insbesondere eine europäische Obergrenze und ein Register4.
Liste gesperrter Samenspender offenbart Weitergabe von Erbkrankheiten durch Samenspender als strukturelles Problem
Im Zusammenhang mit der öffentlichen Diskussion über den Fall „Kjeld“ hat die belgische Spenderkinderorganisation donorkinderen eine Liste mit 29 weiteren dänischen „Samenspendern“ veröffentlicht, die gesperrt wurden, weil sie nachweislich Erbkrankheiten weitergegeben haben5. Allein in Belgien wurde in diesen Fällen jeweils die nationale Obergrenze von sechs Familien pro „Samenspender“ überschritten. Das zeigt, dass es sich nicht nur um einen Einzelfall handelt, sondern um ein strukturelles Problem von Samenbanken.
Grenzen genetischer Screenings und Risiken großer Halbgeschwistergruppen
Diese Fälle zeigen sehr deutlich, dass genetische Screenings Risiken reduzieren, aber niemals ausschließen können. Weder bei „Samenspendern“ noch bei natürlicher Fortpflanzung ist es möglich, alle existierenden oder zukünftigen genetischen Risiken zu testen; viele Mutationen sind noch unzureichend erforscht oder werden bei den üblichen Screenings nicht erfasst.
Bei natürlicher Fortpflanzung betreffen unbekannte genetische Risiken in der Regel nur die Kinder einer einzelnen Familie. Bei „Samenspendern“ dagegen sind hunderte Kinder in vielen Familien betroffen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Betroffenen sich oft nicht kennen und oft nicht wissen, dass sie mit Samenvermittlung entstanden sind. Die Koordination von Information, genetischer Beratung und medizinischer Vorsorge wird dadurch stark erschwert. Je größer und international verteilter die Halbgeschwistergruppe ist, desto unwahrscheinlicher wird es, dass tatsächlich alle informiert werden und frühzeitig Zugang zu notwendigen Vorsorgeuntersuchungen und Behandlungen erhalten.
Internationale Obergrenze und Register notwendig zur Sicherheit von Spenderkindern
Die aufgedeckten Fälle machen deutlich: Wenn Samenbanken ihren Samen weltweit vertreiben, werden nationale Obergrenzen unterlaufen, weil derselbe „Samenspender“ in mehreren Ländern parallel eingesetzt wird. Die Auf diese Weise entstehen große, grenzüberschreitende Halbgeschwistergruppen mit gemeinsamen genetischen Risiken. Samenbanken überblicken nicht, wie viele Kinder bereits entstanden sind.
Deshalb ist die Einrichtung einer internationalen Obergrenze für die Anzahl der Familien pro „Samenspender“ ist notwendig. Zentrale bzw. verknüpfte Register, die die Identität von Samenspendern und der Frauen, an die der Samen vermittelt wird, erfassen, sind notwendig, damit die Einhaltung der Obergrenze überprüft werden kann und Spenderkinder bei unverzüglich informiert werden können, wenn Erbkrankheiten bekannt werden.
- https://www.dw.com/de/krebsrisiko-durch-samenspender-europas-samenbank-in-kritik/video-75082905 [↩]
- https://www.dr.dk/nyheder/indland/ikke-alle-moedre-har-faaet-vide-deres-donorbarn-kan-udvikle-kraeft [↩]
- https://www.dr.dk/nyheder/indland/den-danske-saedbank-european-sperm-bank-er-blevet-politianmeldt [↩]
- https://www.dr.dk/nyheder/indland/dansk-donor-leverede-saed-med-risiko-kraeft-nu-raabes-der-efter-nye-regler [↩]
- https://www.donorkinderen.com/lijst29spermadonoren [↩]
