Mein Vater Stefan
Mein Vater, nennen wir in Stefan, verließ meine Mutter und mich im Januar 1994 getreu dem Motto „Ich gehe Zigaretten holen und komme nie wieder“. Er gab vor, seinen Bruder zu besuchen, nutzte die Zeit aber dafür, die Konten zu plündern, seinen Job zu kündigen und sich ein neues Leben in einem anderen Land aufzubauen. Das habe ich, alles später herausgefunden. Damals war ich vier Jahre alt. Er kam bis heute nicht mehr zurück.
Auf einmal nur noch zu zweit
Ab diesem Zeitpunkt zog mich meine Mutter alleine groß und wir hatten nur uns beide.
Unser Verhältnis ist bis heute ein sehr inniges, denn es gab nur uns. Als ich noch ein kleines Mädchen war, fragte ich sie, ob sie mir helfen könnte, meinen Vater Stefan zu kontaktieren. Aber sie wusste seinen Aufenthaltsort nicht. Stefans Familie wusste ihn, sagte ihn mir aber nicht, obwohl sie dachten, ich wäre seine leibliche Tochter.
Komische Gefühle
Damals konnte ich das alles überhaupt nicht verstehen. Die Frage nach dem Warum ließ mich nie ganz los. So suchte ich immer wieder nach Stefan. Damals war das Internet erst im Kommen und so landete ich immer wieder in Sackgassen. Daher ließ ich das Thema Stefan wieder ruhen. Aber ich wusste und spürte immer, dass irgendwas nicht stimmt, intuitiv und unterbewusst. Ich hatte oft seltsame Träume, in denen es um ihn ging. Daraus wachte ich immer ganz nachdenklich auf. Trotzdem ließ ich es dann immer wieder sein.
Da ich bei vielen Themen sehr offen bin und auch ein wenig mit dem Thema Esoterik aufgewachsen bin, hat mir eine gute Bekannte im Jahre 2007 die Karten gelegt und meinte zu mir „Du wirst ein Geheimnis über dich erfahren“.
Die einen glauben da mehr dran und die anderen weniger und das ist auch gut so.
Ich gehöre zu der Sorte Menschen, die sich das anhören und wieder daran erinnern, wenn etwas eintritt. Von dieser Kartenleseaktion erzählte ich meiner Mutter und hatte dann aber nicht mehr daran gedacht.
Die Wahrheit über mich
Am 13.06.2008, ich war 19 Jahre jung, war ein schöner sommerlicher Tag. Ich kam nach der Arbeit nach Hause. Meine Mutter war ganz aufgewühlt und sie nahm mich an der Hand, sagte ich solle mich setzen und fragte mich, ob ich mich noch an die Aussage der Kartenlegerin erinnere, mit dem Geheimnis welches ich über mich erfahren würde. Ich bejahte. Dann verkündete meine Mutter mir, dass ich aus einer Samenspende entstanden sei.
Wer bin ich?
Erstmal Boden unter den Füssen weg, dieses seltsame Gefühl, welches ich bis zu dem Zeitpunkt gehabt hatte war weg. Die komischen Träume auf Bezug zu Stefan hörten ab dem Zeitpunkt schlagartig auf. – Und meine Identität war verloren.
Aufarbeitung
Bis ich zu mir fand, vergingen einige Tage. Ich bat meinen damaligen Freund für mich zu forschen, ob es die Möglichkeit gibt, meinen Vater zu finden. Er forschte und kam mit dem Ergebnis zu mir, dass er nicht ausfindig zu machen wäre, es habe alles anonym stattgefunden und es gäbe keinerlei Möglichkeiten. Meine Mutter konnte mir auch keine weiteren Antworten geben. So ließ ich das Thema ruhen und nahm hin, dass ich nie heraus finden würde, woher die anderen 50% Britta kommen.
11 Jahre später
Doch dann kam der April 2019. Ganz zufällig stieß ich auf den Verein Spenderkinder und stellte zum ersten Mal in meinem Leben fest, dass ich nicht alleine mit meiner Situation bin.
Ich las mich in das Thema ein und bestellte mir sofort das DNA-Kit. Davon wusste ich vorher nichts. Ab dem Zeitpunkt war ich motiviert, meine Halbgeschwister ausfindig zu machen.
Ich meldete mich parallel auch noch im Verein an und bekam einige Wochen später eine Willkommens E-Mail mit allen weiteren wichtigen FAQs und den Hinweis auf eine aktuelle WDR-Dokumentation mit einem anderen Spenderkind und einem Spender. Ich fand diese Dokumentation sehr berührend und auch den Spender sehr authentisch, echt und auch mutig, mit dem Thema in die Öffentlichkeit zu gehen. In der Doku gab es eine Szene, die mich kurz überlegen ließ, ob dieser Mann mein Vater sein könnte. Allerdings hatte ich diesen Gedanken schnell wieder verworfen und keinem meine „Ahnung“ erzählt, schließlich wollte ich nicht für verrückt gehalten werden.
Als ich mein DNA-Test-Kit zurückgeschickt hatte, ging es mir überhaupt nicht gut. Ich wusste, es kann nun alles kommen oder auch gar nichts.
Die E-Mail die alles veränderte
Ich war zwar überzeugt, etwas zu finden. Aber mit dem Ergebnis, welches am 18.05.2019 kam, habe ich absolut nicht gerechnet.
Gegen 17:45 Uhr bekam ich eine E-Mail von einem Mann, der mir schrieb, ich solle doch die Ergebnisse bei der Datenbank ansehen, er wäre sehr berührt und bereit für eine Kontaktaufnahme. Völlig aufgeregt habe ich mich eingeloggt und bin fast vom Stuhl gefallen, als ich gesehen habe, dass der Mann, der mir schrieb, der Mann aus der Dokumentation war, die ich mir einige Wochen vorher angesehen hatte und dass dieser Mann mein biologischer Vater ist.
Ein unsichtbarer Knoten platzt endlich
In diesem Moment ist ein Knoten geplatzt, von dem ich nicht mal wusste, dass er existierte. Ich wusste nun endlich, wer ich bin, und mein Bauchgefühl hatte mich nicht getäuscht.
Einige Stunden später schrieb ich ihm zurück, und wir trafen uns am nächsten Tag in seinem Garten. Welch glückliche Fügung, dass wir beide in München leben!
Es war ein sehr schönes erstes Treffen. Ich lernte seine Frau kennen, die ganz wunderbar und offen mit dem Thema umgeht, wofür ich ihr sehr dankbar bin Ich lernte auch gleich meine drei kleinen Halbbrüder, die aus der Ehe meines Vaters stammen, kennen. Aktuell befinden wir uns noch im Kennenlernprozess. Doch der Austausch ist eng und wir treffen uns, so oft es uns möglich ist.
Ich bin die erste
Es ist für uns alle etwas ganz Neues. Ich bin das erste Spenderkind, welches sich bei ihm gemeldet hat. Ich selbst hatte nur mit Geschwistern gerechnet – nicht mit einer ganzen Familie, die mich so offen willkommen heißt.
Ich weiß, dass dieses Glück, welches ich erleben darf, nicht selbstverständlich ist. Ich bin zutiefst dankbar und nehme dieses Geschenk an und gehe neugierig an die neue Familienkonstellation heran. Es ist für mich eine absolute Bereicherung und so wichtig und schön, zu wissen, woher ich komme.
Genetik ist nicht egal
Es ist so spannend für mich, Ähnlichkeiten zu sehen. Genetik ist nicht zu unterschätzen. Heute weiß ich endlich woher meine blonden Haare und meine Haarstruktur kommt, die Mischung meiner Augenfarbe und auch meine Hände. Das war bis zum 18.05.2019 einfach ein Rätsel. Auch einige Interessen und Charakterzüge konnte ich in der bisher kurzen Zeit wiederfinden. Wer weiß, was sich in den nächsten Monaten und Jahren noch alles entdecken lässt.
Niemals aufgeben
Ich bin immer wieder in Sackgassen gelandet und das Thema ruhte viele, viele Jahre. Aufgeben war dennoch nie eine Option. Ich vertraute auf das Leben, dass alles kommt wie es kommen soll und zur richtigen Zeit und zum richtigen Zeitpunkt, wenn meine Seele und ich dafür bereit sind. Und als es dann soweit war, wurde ich reich beschenkt.
Somit kann ich jedem Spenderkind, das sich noch nicht auf den Weg gemacht hat, heute nur nochmal sagen:
Hab Mut, dich auf die Suche zu machen! Mach zum Beispiel einen DNA-Test – oder mehrere! Auch wenn du nicht sofort einen Treffer hast, kann täglich einer kommen.