Manuela

Als ich 18 Jahre alt war, beschäftigten wir uns im Biologieunterricht intensiv mit dem Thema Blut. Nur so zur „Auflockerung“ lernten wir einen einfachen Vaterschaftstest mittels Blutgruppe kennen. Nun kam es so, dass ich kurz darauf beim Arzt eine Blutentnahme machen lassen musste und da mich meine Blutgruppe interessierte, wünschte ich, dass er auch gleich meine Blutgruppe bestimmen sollte.

Beim nächsten Arztbesuch kam dann raus, dass meine Blutgruppe nicht zu der meiner Eltern passen konnte. Der Arzt riet mir, meine Eltern darauf anzusprechen. Was ich dann auch sogleich tat. Und an der abwehrenden Reaktion meiner Mutter merkte ich sofort, dass irgendetwas nicht stimmen konnte. Ich ließ nicht locker, aber erst als sich meine Mutter völlig in die Enge getrieben fühlte, rückte sie mit der Wahrheit raus – künstliche Befruchtung durch Fremdsamen. Und in einer Sekunde war der Boden unter meinen Füssen verschwunden. Zuerst diese Ohnmacht, dann stürzten 1000 Fragen auf mich ein: wer bin ich? bin ich echt? habe ich eine Berechtigung auf Leben? wer ist mein genetischer Vater? was ist das für ein Mensch? habe ich Halbgeschwister?…etc.

Die Enthüllung dieses Geheimnisses war gleichzeitig ein Schock und eine Erleichterung. Der Schock bestand darin, dass von einem Moment auf den anderen meine Grundfesten erschüttert wurden. Scheinbar unumstößliche Tatsachen entpuppten sich zu Lügen. Die Erleichterung war, dass ein starkes Gefühl, welches ich schon immer hatte, sich als richtig erwies. So lange ich denken konnte, hatte ich das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte in unserer Familie. Dieses Gefühl machte mich manchmal ganz wirr, da ich es einfach nicht einordnen konnte – bis zu jenem Tag.
Eines lernte ich aus dieser Erfahrung: auch wenn ich meinem Umfeld nicht trauen kann, auf meine Gefühle, meinen Instinkt ist Verlass!

In der ersten Zeit schien diese neue Tatsache wie ein Traum zu sein, mein Verstand konnte die neue Realität nicht so einfach akzeptieren. Mein ganzes Leben begann zu bröckeln: ich beendete meine damalige Liebesbeziehung, brach meine Schule ab und zog von zu Hause aus – musste mich in meinem Leben neu orientieren.

Mit 24 kam auf einmal der starke Wunsch, etwas über meinen genetischen Vater zu erfahren. Also vereinbarte ich mit einem Arzt der Frauenklinik in Bern einen Termin und schilderte schon am Telefon mein Anliegen. Doch diese hatten überhaupt keine Unterlagen mehr – rein gar nichts! Und sie erklärten mir, dass vor (damals) 25 Jahren sowieso alles noch anonym war und noch wenn sie etwas gefunden hätten, mir das nichts bringen würde, höchstens irgendeine Spendernummer. Meine Enttäuschung war enorm. Wollte ich doch nur einen Namen, einen kleinen Anhaltspunkt, irgendetwas Greifbares, einen Menschen…

Die Beziehung zu meinen Eltern hat sich vordergründig nicht wesentlich verändert. Aber tief in meinem Innern ist schon etwas zerbrochen. Ich mache meinen Eltern keinen Vorwurf, dass sie diesen Weg gewählt haben. Ich kenne ihre ganze Geschichte und verstehe, dass es für sie die richtige Entscheidung war. Ich verstehe auch, dass sie über diese ganze Geschichte geschwiegen haben. Und trotz meinem ganzen Verständnis für sie, fühle ich mich irgendwo ein bisschen betrogen. So viele Jahre wurde ich mit meinem „andersartigen Gefühl“ allein gelassen, so viele Jahre hat man mich in etwas so Grundlegendes nicht einbezogen – das tut weh.

Heute, mit 30 Jahren, holt mich die Geschichte erst so richtig ein. Erst jetzt hat so ein richtiger „Bewältigungsprozess“ begonnen. An diesem Punkt wäre es hilfreich, verschiedene Menschen zu kennen, welche eine ähnliche Geschichte haben, damit man sich nicht so unheimlich alleingelassen fühlt. Und mit dieser Web-Site hoffe ich, genau das zu erreichen.

Manuela kann man unter info(at)spenderkinder.ch erreichen. Sie hat auch eine eigene Internetseite