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Gewünscht zu sein ist keine Garantie für eine glückliche Kindheit

Der in Wien lebende Pianist Albert Frantz wurde durch eine Samenspende gezeugt – und erzählt in einem Beitrag „Jetzt weiß ich, wer ich bin“ in der österrechischen Zeitung Der Sonntag, dass sein rechtlicher Vater ihn schwer misshandelt hat. Darüber zu sprechen fiel ihm schwer, und es ist ihm wichtig zu betonen, dass Eltern keine genetische Verbindung zu ihren Kindern benötigen, um sie lieben und unterstützen zu können. In seinem Fall ist er sich jedoch sicher, dass sein rechtlicher Vater ihn gerade deswegen misshandelt hat, weil sie nicht genetisch verwandt waren. 2018 fand er seinen genetischen Vater über einen DNA-Test – und erfuhr, dass seine Großmutter väterlicherseits Pianistin war.

Spenderkindern, die sich irgendwie kritisch über ihre Zeugungsart oder den Umgang damit äußern, wird oft entgegen gehalten, sie seien doch so gewollt gewesen. Damit verbunden ist die Annahme, dass Spenderkinder es wegen dieses Gewolltseins gut getroffen hätten im Leben und sie sich eigentlich nicht beschweren können. Schon wegen dieser pauschalen Annahme und der Aussage „Hör mal auf, Dich zu beschweren“, sind solche Äußerungen total ungebracht (siehe auch 12 Bemerkungen die Spenderkinder nerven und welche Reaktion sie sich stattdessen wünschen).

Geschichten wie die von Albert zeigen aber, dass alleine der Wunsch nach einem Kind nicht bedeutet, dass die Wünschenden auch gute Eltern sein werden. Mit dem tatsächlichen Kind konfrontiert zu werden, das sich teilweise nicht so verhält wie erwartet, und das vielleicht auch an die eigene Unfruchtbarkeit erinnert, kann sehr schwierig sein. Das muss nicht in Misshandlungen enden, aber kann auch zu Desinteresse und Distanzierung führen – was ebenfalls sehr schmerzhaft sein kann.

Wir haben vor einigen Tagen einen Tagen auf Instagram einen Artikel aus der Süddeutschen geteilt über eine 62jährige Frau aus Hildesheim, die wegen schwerer Misshandlung ihres siebenjährigen Sohnes verurteilt wurde, den sie mit einer Samen- und Eizellvermittlung aus Spanien bekommen hatten. Einige Kommentare haben das als Generalverdacht gegen Wunscheltern aufgefasst und kritisiert, es bestünde kein Zusammenhang zwischen der Misshandlung und der Zeugung mit fremden Ei- und Samenzellen.

Wir fanden sehr bedauerlich, dass unser eigentliches Anliegen – die Kritik an dem Argument „Ihr seid doch Wunschkinder“ dabei nicht mehr wahrgenommen wurde. Misshandlungen geschehen auch von leiblichen Eltern an ihren Kindern. Es ist wichtig, dass die Gesellschaft hier genauer hinsieht und die Kinder efektiv schützt.

Die fehlende genetische Verwandtschaft kann aber einen zusätzlichen Risikofaktor darstellen. Und Wunscheltern werden – anders als Adoptiveltern – nicht auf die zusätzlichen Herausforderungen vorbereitet, die eine Familiengründung mit fremden Samen- oder Eizellen beinhaltet. Die Forderung unseres Vereins nach einer unabhängigen psychosozialen Beratung vor einer Samenspende wurde bislang nicht aufgenommen. Kritisch sehen wir auch, dass manche Kliniken anscheinend die Wunscheltern nicht genauer überprüfen und die spanische Klinik anscheinend kein Problem damit hatte, bei einer 55jährigen Frau eine kombinierte Ei- und Samenvermittlung vorzunehmen. Solche Zeugungen sind eigentlich eher vergleichbar mit einer Adoption – für die ein Verfahren mit Kindeswohlüberprüfung erforderlich ist.

Stellungnahme des Vereins Spenderkinder zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung von Entscheidungen und die Annahme von Urkunden in Elternschaftssachen sowie zur Einführung eines europäischen Elternschaftszertifikats

Kommissionsdokument COM(2022) 695 final (Interinstitutionelles Dossier 2022/0402 (CNS))
vom 7. Dezember 2022

Stellungnahme am 22. Februar 2023 an das Bundesministerium der Justiz übermittelt

Der Verein Spenderkinder bedankt sich für die Möglichkeit zur Stellungnahme zu dem Vorschlag für die Verordnung des Rates.

I. Der Verein Spenderkinder

Der Verein Spenderkinder wurde im Jahr 2009 gegründet und arbeitet rein ehrenamtlich. Er vertritt die Interessen von durch Samen“spende“ gezeugten Menschen in Deutschland. Dabei repräsentiert er die Sicht der betroffenen Kinder auf Samenspende und andere Formen der Familiengründung mit den Geschlechtszellen einer dritten Person wie Eizellspende, Embryonenadoption und Leihmutterschaft. Zu den Zielen gehört insbesondere, andere Spenderkinder, Menschen mit Kinderwunsch und Spender über die rechtlichen Rahmenbedingungen und psychologischen Herausforderungen dieser Arten der Familiengründung sowie über den aus Sicht des Vereins bestehenden rechtlichen Handlungsbedarf zu informieren.

II. Verordnungsvorschlag

Der Verein Spenderkinder sieht die im Verordnungsvorschlag vorgesehene Anerkennung der in einem Mitgliedstaat wirksam anerkannten Elternschaft in anderen Mitgliedstaaten sowie die vorgesehenen Bestimmungen über das anzuwendende Recht bei der Begründung von Elternschaft in grenzüberschreitenden Fällen kritisch. Zwar wird das im Vorschlag geäußerte Anliegen begrüßt, eine Gleichstellung von LGBTIQ-Personen und insbesondere von Eltern gleichen Geschlechts (zum Beispiel durch eine innerstaatliche Adoption) zu erreichen. Dies sollte jedoch nicht dadurch erreicht werden, dass die Interessen und Rechte der Kinder übergegangen werden, indem alle Formen der Begründung von Elternschaft gleich behandelt werden. Aus Sicht des Vereins Spenderkinder dient die Anerkennung der Elternschaft zwischen den Mitgliedstaaten nicht den Interessen und Rechten des Kindes, sondern viel mehr den Interessen der Eltern. Das zeigt sich auch darin, dass die EU-weite Anerkennung der in einem Mitgliedstaat begründeten Elternschaft vor allem als Schlüsselmaßnahme für die Gleichstellung von LGBTIQ-Personen wahrgenommen wird.1 Zudem zeigt auch die Einführung eines als „Elternschaftszertifikat“ bezeichneten Dokuments, dass der Verordnungsvorschlag auf eine Absicherung der Rechte der Eltern abzielt. Die Bezeichnung zeigt, dass es nicht in erster Linie um die Rechte des Kindes geht, sondern um die der „Wunscheltern“.

Mit dem Vorschlag für eine Verordnung sollen Vorschriften des internationalen Privatrechts in Bezug auf die Anerkennung von Elternschaft in den Mitgliedstaaten harmonisiert werden. Als vorrangiges Ziel des Vorschlages wird der Schutz der Grundrechte und anderer Rechte von Kindern in grenzüberschreitenden Situationen genannt. Aus Sicht des Vereins Spenderkinder werden die Rechte des Kindes durch die Bestimmungen des Verordnungsvorschlags jedoch nicht ausreichend gewürdigt. Bei dem Vorschlag stehen nicht die Rechte des Kindes im Vordergrund, sondern die Rechte der Eltern, die eine Anerkennung ihrer Elternschaft ohne erheblichen Aufwand in den Mitgliedstaaten der EU unabhängig von divergierenden Regelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten erreichen können sollen. Dadurch besteht die Gefahr, dass innerstaatliche Verbote und Regulierungen umgangen werden können.

Der Vorschlag setzt sich aus Sicht des Vereins Spenderkinder nicht vertieft mit den Rechten der Kinder auseinander, die mithilfe von reproduktionstechnischen Maßnahmen entstanden sind und nimmt keine Unterscheidungen zwischen verschiedenen Konstellationen von Elternschaft vor. Er unterscheidet nicht zwischen genetischer Elternschaft, Eltern, die ein Kind innerstaatlich adoptiert haben und zwischen Eltern, die ein Kind mittels Eizellspende oder Leihmutterschaft erhalten haben. Insbesondere werden die Schwierigkeiten nicht adressiert, die sich aus einer solchen Zeugungsart und der Anerkennung der Elternschaft für die Kinder ergeben. Damit genügt die Kommission ihren eigenen Anforderungen an eine „gute Gesetzgebung“, die empirische Evidenz für Gesetzesvorhaben verlangt, nicht. Der Verein Spenderkinder steht insbesondere der Eizellspende und der Leihmutterschaft aufgrund der Verletzung des Kindeswohls und der Rechte der Person, die ihre Eizellen abgibt bzw. das Kind zur Welt bringt, äußerst kritisch gegenüber (siehe Position des Vereins Spenderkinder zur Leihmutterschaft).

Eine unterschiedslose Regulierung von allen Formen der Elternschaft, ist nach der Ansicht des Vereins Spenderkinder abzulehnen. Sie dient nicht dem Interesse des Kindes, sondern führt zur Anerkennung von Praktiken, die von einzelnen Mitgliedstaaten bewusst abgelehnt werden. Dies führt dazu, dass Elternschaften anerkannt werden müssen, die in einem anderen Mitgliedstaat gerade aufgrund der Verletzung des Kindeswohls sowie der Grundrechte von anderen in den Vorgang der Zeugung involvierten Personen verhindert werden sollen. Der vorgegebene Zweck des Verordnungsvorschlags würde damit in sein Gegenteil verkehrt. Die Europäische Union muss im Hinblick auf den Subsidiaritätsgrundsatz und der Verfassungsautonomie der Mitgliedstaaten, unterschiedliche Praktiken in den Mitgliedstaaten beachten.

III. Im Einzelnen

1. Die Vermeidung von zeit- und kostenaufwendigen Gerichtsverfahren zur Anerkennung von Elternschaft ist nicht im Interesse des Kindes

Der Vorschlag soll auch zu Rechtssicherheit und Berechenbarkeit bezüglich der Begründung von Elternschaft in grenzüberschreitenden Fällen und der Anerkennung der Elternschaft beitragen und die Gerichtskosten für die Mitgliedstaaten und Familien in Zusammenhang mit gerichtlichen Verfahren zur Anerkennung der Elternschaft in einem anderen Mitgliedstaat senken. Zeit- und kostenaufwendige Gerichtsverfahren zur Anerkennung der Elternschaft sollen verhindert werden. Diesbezüglich stellt sich aus Sicht des Vereins Spenderkinder wiederum die Problematik der mangelnden Unterscheidung zwischen den verschiedenen Formen der Begründung von Elternschaft. Insbesondere können Samen-, Eizell-, Embryonen“spende“ und Leihmutterschaft zu erheblichen Identitätskonflikten für das Kind führen. Das gilt insbesondere dann, wenn die „Spende“ primär finanziell motiviert ist und die Kinder kein Recht haben zu erfahren, von wem sie genetisch abstammen.

Im Fall der Inanspruchnahme von assistierter Reproduktion (insbesondere der Inanspruchnahme einer Keimzellen“spende“ oder einer Leihmutterschaft) kann gerade die Aussicht auf ein erforderliches Gerichtsverfahren zur Anerkennung der Elternschaft in anderen Mitgliedstaaten dazu führen, dass sich „Wunscheltern“ intensiv mit dieser Art der Familiengründung auseinandersetzen, sich über alternative Methoden der Kinderwunscherfüllung informieren und das Kindeswohl in den Mittelpunkt ihrer Entscheidung stellen. Eine Anerkennung jeglicher Form von Elternschaft in grenzüberschreitenden Fällen ohne erheblichen Aufwand für die „Wunscheltern“ kann dagegen dazu führen, dass diese die medizinischen, psychologischen und ethischen Bedenken hinsichtlich der einzelnen Reproduktionsmaßnahmen weniger in ihre Entscheidung miteinbeziehen und die Rechte des Kindes nicht ausreichend würdigen.

2. Unionsweite Anerkennung der in einem Mitgliedstaat begründeten Elternschaft ist nicht im Interesse und zum Wohl des Kindes

Wie der Verordnungsvorschlag ausführt, sind die Mitgliedstaaten bereits verpflichtet, die in einem anderen Mitgliedstaat begründete Elternschaft für die Zwecke der Ausübung von aus dem Unionsrecht hergeleiteten Rechte anzuerkennen. So hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass jeder Mitgliedstaat das Eltern-Kind-Verhältnis anerkennen muss, damit das Kind mit jedem Elternteil das in Art. 21 Abs. 1 AEUV garantierte Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, uneingeschränkt ausüben kann und darüber hinaus auch alle Rechte ausüben kann, die das Kind aus dem Unionsrecht erlangt.2 Mit dem Vorschlag wird darüber hinaus eine Anerkennung der Elternschaft für alle Zwecke beabsichtigt. Hierbei soll die unionsweite Anerkennung der Elternschaft auch zur Durchsetzung der Rechte führen, die sich aus nationalem Recht herleiten. In seinen Erwägungsgründen beruft sich der Verordnungsvorschlag auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes.3 Demnach ziele der Verordnungsvorschlag darauf ab, das Recht des Kindes auf Identität (Art. 8 UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes), Nichtdiskriminierung (Art. 2 UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes) und auf Privat- und Familienleben (Art. 9 UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes) zu wahren.

Aus Sicht des Vereins Spenderkinder verkennt der Verordnungsvorschlag hierbei, dass es gerade im Interesse des Kindes ist, die Abstammung zu seinen genetischen Eltern zu kennen und zu diesen auch Kontakt pflegen zu können. Die genetische Abstammung macht einen wesentlichen Teil der Identität jedes Kindes aus und einer gezielten Spaltung von genetischer und sozialer Elternschaft durch die Inanspruchnahme von Reproduktionstechniken steht der Verein der Spenderkinder kritisch gegenüber. Diese Rechte der Kinder klammert der Verordnungsvorschlag jedoch vollständig aus. Aus Sicht des Vereins Spenderkinder ist eine unterschiedslose Behandlung von unterschiedlichen Formen der Begründung von Elternschaft (genetische Elternschaft, Elternschaft durch innerstaatliche Adoption, Elternschaft durch Verwendung von Keimzellen“spenden“ oder Leihmüttern) nicht gerechtfertigt.

Aus Sicht des Vereins Spenderkinder verspüren bei einer unterschiedlichen Anerkennung von Elternschaft in grenzüberschreitenden Fällen primär die Eltern Nachteile. Der Verordnungsvorschlag setzt sich nicht vertieft mit den möglichen negativen Auswirkungen für die Kinder auseinander. Vielmehr wird unterstellt, dass die Nachteile für die Eltern gleichzeitig Nachteile für die Kinder darstellen. Er geht nicht darauf ein, ob die mit dem Vorschlag verbundenen Vorteile die mit ihm verbundenen Nachteile überwiegen. Die Wahrung der Rechte des Kindes kann auch durch andere Regelungen sichergestellt werden. Eine unionsweite Anerkennung jeglicher Form von Elternschaft ist hierzu nicht im Interesse des Kindes und auch nicht erforderlich.

3. Eine unionsweite Anerkennung von Elternschaften führt auch zur Anerkennung von Elternschaften, die zum Schutz des Kindes und der Person, die das Kind zur Welt bringt, in anderen Mitgliedstaaten verboten sind

Besonders problematisch sind aus Sicht des Vereins Spenderkinder die Regelungen des Kapitel III über das anzuwendende Recht. Art. 17 Abs. 1 des VO-Vorschlags bestimmt, dass auf die Begründung der Elternschaft das Recht des Staates anzuwenden ist, in dem die gebärende Person zum Zeitpunkt der Niederkunft ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder subsidiär das Recht des Staates, in dem das Kind geboren wurde. Bei einer Leihmutter wäre dies der Staat, in dem Leihmutterschaft zulässig ist und die Regelung müsste in anderen Mitgliedsstaaten anerkannt werden. Diese Vorschrift kann bereits dazu führen, dass Formen der Begründung von Elternschaft, die durch den Verein Spenderkind deutlich abgelehnt werden4, unionsweit anerkannt werden müssen.

Die Regelungen im Bereich der Reproduktionsmedizin divergieren stark zwischen den Ländern. Insbesondere die Leihmutterschaft ist in vielen Mitgliedstaaten verboten, weil sie Kinder zu handelbaren Objekten macht und Schwangerschaft als Dienstleistung kommerzialisiert. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte feststellte, berühren reproduktionsmedizinische Techniken schwierige Fragen der Moral und Ethik und betreffen damit einen Bereich, in denen es keine gemeinsame Vorstellung der Konventionsstaaten gibt.5 Die Regelungen eines Mitgliedstaates zur Begründung von Elternschaft in den Fällen der Erzeugung eines Kindes mithilfe reproduktionsmedizinischer Techniken berühren das Grundverständnis jedes einzelnen Mitgliedstaates und aufgrund des engen Bezugs zur Menschenwürde gleichzeitig die Verfassungsautonomie und -identität. Sie spiegeln damit einen gesellschaftlichen Konsens über höchst komplexe und kulturell-, sozial- und politisch-verwurzelte Fragen der Bioethik wieder. Ein solcher Konsens über bestimmte Fragen der rechtlichen und ethischen Bewertung der Reproduktionsmedizin ist bereits innerhalb einzelner Mitgliedstaaten fraglich. Der Verordnungsvorschlag führt in seiner Begründung aus, dass das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten, dass alle Mitgliedstaaten die in Art. 2 EUV festgelegten Werte teilen, eine Anerkennung der in einem Mitgliedstaat begründeten Elternschaft in einem anderen Mitgliedstaat rechtfertige.6 Damit schreitet die Kommission in ihrem Weg voran, Art. 2 EUV als föderale Homogenitätsklausel umzudeuten.7 Ein solches Verständnis von Art. 2 EUV beraubt die Mitgliedstaaten ihre genuine, in ihrer Staatlichkeit angelegte Verfassungsautonomie.

In einigen Mitgliedstaaten werden entgegen des Interesses des zu zeugenden Kindes Ei- und Samenzellen kommerziell und anonym gehandelt, die betroffenen Kinder haben kein Recht, Informationen über ihre genetische Eltern zu erhalten. In anderen Mitgliedsstaaten wie z. B. Griechenland dürfen sind „altruistische“ Leihmutterschaften zulässig, die Voraussetzungen werden Berichten zufolge jedoch kaum kontrolliert, so dass sich de facto doch eine Kommerzialisierung entwickelt hat.8 Durch den Verordnungsvorschlag müssten auch diese Begründungen von Elternschaften, die in einem anderen Mitgliedstaat bewusst abgelehnt werden, dort anerkannt werden. Aus Sicht des Vereins Spenderkinder ergeben sich hieraus erhebliche Bedenken in Bezug auf den Subsidiaritätsgrundsatz und den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung sowie die Verfassungsautonomie und -identität der Mitgliedstaaten. Die Anerkennung der Souveränität der Mitgliedstaaten wird durch die Forderung einer Anerkennung von materiell-rechtlichen Regelungen über die Begründung von Elternschaft in Frage gestellt, wenn in grenzüberschreitenden Fällen eine fragwürdige – und nach Verständnis des Mitgliedstaates rechtswidrigen – Gesetzgebung im Bereich des Familienrechts den anderen Mitgliedstaaten aufgedrängt wird.

4. Universelle Anwendung des Rechts führt zu Anerkennung von Elternschaften, die mit den Grundsätzen des EU-Rechts nicht vereinbar sind

Verschärft wird das unter III. 2. dargelegte Problem dadurch, dass Art. 16 des VO-Vorschlags vorsieht, dass das nach dem Verordnungsvorschlag als anzuwendende Recht bezeichnete Recht auch dann anzuwenden ist, wenn es sich um das Recht eines Drittstaates handelt (Universelle Anwendung des Rechts). Demnach betrifft dies auch das Verfahren, nach dem Leihmutterschaften in Nicht-EU-Staaten anerkannt werden können. In der EU ist gemäß der Geweberichtline von 20049 ein Handel mit Gewebe und Organen nicht zulässig. Damit ist jede Form des kommerziellen Handels mit Ei- und Samenzellen untersagt. Die Regelungen eines Drittstaates über die Begründung von Elternschaft sind gemäß dem Verordnungsvorschlag jedoch anzuerkennen, selbst wenn ein Handel mit Ei- und Samenzellen stattgefunden hat. Da der gewöhnliche Aufenthaltsort der gebärenden Person für das anzuwendende Recht ausschlaggebend ist, muss auch eine Leihmutterschaft, die in einem Drittstaat durchgeführt worden ist, anerkannt werden. Dies steht in einem erheblichen Konflikt zu den Grundsätzen der EU und führt de facto dazu , dass Verfahren anerkannt werden, die die zMenschenwürde (Art. 1 GRCh, Art. 1 Abs. 1 GG) verletzen, weil Kinder als handelbare Objekte behandelt werden und Schwangerschaft als Dienstleistung. s

5. Unionsweite Anerkennung von Elternschaft führt zu einer Steigerung des globalen „Reproduktionstourismus“

Der Verordnungsvorschlag kann dazu führen, dass der sogenannte „Reproduktionstourismus“ in der EU noch weiter gesteigert wird und „Wunscheltern“ für die Verwirklichung ihres Kinderwunsches mittels reproduktionsmedizinischer Maßnahmen in EU-Mitgliedstaaten reisen, die schwächere Regulierungen zum Schutz des Kindes aufweisen, um eine unionsweite Anerkennung ihrer Elternschaft sicherzustellen – und damit auch in dem Staat, in dem sie eigentlich ansässig sind. Dies würde zu einem „race to the bottom“-Effekt auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin führen.

Aufgrund der Anwendung des Rechts von Drittstaaten kann der Verordnungsvorschlag sogar dazu führen, dass der sogenannte „Reproduktionstourismus“ weltweit noch gesteigert wird und „Wunscheltern“ in Drittstaaten reisen, in denen Reproduktionsmedizin völlig unreguliert stattfindet und die Rechte der Kinder nicht geschützt werden und die Personen, die die Kinder zur Welt bringen, ausgebeutet werden. Auch auf globaler Ebene könnten die vorgeschlagenen Regelungen zu einem „race-to-the-bottom“-Effekt im Bereich der Regulierungen der Reproduktionsmedizin führen.

6. Ausschlussgründe vage und rechtsunsicher

Der Verordnungsvorschlag sieht eine Möglichkeit vor, die Anwendung einer Vorschrift des nach der Verordnung bestimmten Rechts zu versagen, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist (Art. 22 Abs. 1 des VO-Vorschlags). Diese Ausnahme von der Anwendung des Rechts eines anderen Mitgliedstaates ist aber äußerst vage und unbestimmt. Der Vorschlag sieht hingegen vor, dass Mitgliedstaaten eine Ausnahme nicht anwenden können, um das Recht eines anderen Staates unangewendet zu lassen, wenn dies gegen die Charta verstößt (Art. 22 Abs. 2 des VO-Vorschlags). In der Begründung heißt es, dass die Ausnahme nicht gilt, um eine Rechtsvorschrift eines anderen Staates abzulehnen, in dem eine Elternschaft von zwei gleichgeschlechtlichen Eltern möglich ist (Seite 18 der Begründung). Darüber hinaus schweigt der Vorschlag über die Möglichkeiten von Ausnahmen.

Aus Sicht des Vereins Spenderkinder ist die Regelung des Art. 22 VO-Vorschlags zur Ausnahme aufgrund eines offensichtlichen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung zu vage. Es bleibt unklar, wann eine Ausnahme eingreifen kann und wann sich ein Mitgliedstaat nicht auf einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung berufen kann. Daher sollte das Verbot von Leihmutterschaft hier zumindest ausdrücklich als ein Grund aufgenommen werden, auf den sich die Mitgliedsstaaten als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung berufen können.

7. Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen, öffentlicher Urkunden mit verbindlicher Rechtswirkung, die Annahme öffentlicher Urkunden ohne verbindliche Rechtswirkung und die Einführung eines Europäischen Elternschaftszertifikats bergen dieselben Problematiken

Aus Sicht des Vereins Spenderkinder sind die weiteren Regelungen zu einer unionsweiten Anerkennung von Elternschaft ebenfalls fragwürdig. Auch eine Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen und von öffentlichen Urkunden durch einen Mitgliedstaat, mit denen die Elternschaft in einem anderen Mitgliedstaat begründet wird, führt dazu, dass Formen von Elternschaften anerkannt werden müssen, die in einem anderen Mitgliedstaat bewusst zum Wohl des Kindes abgelehnt werden. Wiederum ist laut Verordnungsvorschlag eine Versagung der Anerkennung nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung (ordre public) möglich, die jedoch nur ausnahmsweise und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erfolgen darf und nicht unter abstrakten Gesichtspunkten (vgl. S. 19 der Begründung des Verordnungsvorschlages).

8. Allgemeine Bemerkungen

In einigen Mitgliedsstaaten wie z. B. Spanien, Dänemark und Tschechien sind anonyme Samen- und Eizellenspenden nach wie vor zulässig und werden recht offensichtlich kommerzialisiert. Daher verwundert es doch stark, dass die Kommission nur einen Vorschlag über eine unionsweite Anerkennung solcher Praktiken vorlegt und nicht wenigstens gleichzeitig sicherstellt, dass durch Samen- und Eizellspenden gezeugte Menschen ihr Recht auf Kenntnis der Abstammung, das auch durch die Europäische Menschenrechtskonvention geschützt wird, auch tatsächlich verwirklichen können. Diesen Aspekt sollte die Bundesregierung daher bei den Verhandlungen zu dem Verordnungsvorschlag einbringen.

Die Bundesregierung sollte sich außerdem bemühen, dass der Leihmutterschaftstourismus in Drittstaaten unterbunden wird, in denen Leihmutterschaft kommerzialisiert durchgeführt wird und die Rechte der Kinder und Leihmütter nicht ausreichend geschützt werden. Die derzeitige Haltung beschränkt sich leider allgemein auf den Hinweis, dass man Wunscheltern entsprechende Verträge im Ausland nicht verbieten könne – und wenn das Kind geboren wurde darauf, dass man das Kind schützen müsse und daher eine Anerkennung zumindest dann zulässig sein müsse, wenn es sich um eine mit einer Gerichtsentscheidung begründeten Elternschaft handelt. Damit wird jedoch eine Situation geschaffen, in der man einen Rechtsbruch für diejenigen Wunscheltern in Deutschland legalisiert, die genug Geld und Zeit investieren. Das wird dann wiederum als Begründung herangezogen, warum Leihmutterschaft (zumindest „altruistisch“) auch in Deutschland erlaubt werden sollte. Die Bundesregierung sollte daher von den Staaten fordern, die derzeit die Hotspots des Leihmutterschaftstourismus darstellen, dass sie ihre „Leistungen“ nur noch an im Inland ansässige Personen vermitteln. Kinder und Schwangerschaft sollten kein Exportgut sein.

1 Eine Union der Gleichheit: Strategie für die Gleichstellung von LGBTIQ-Personen 2020-2025 (COM(2020) 698 final), S. 21.

2VO-Vorschlag, Erwägungsgrund 2.

3Position des Vereins Spenderkinder zu Leihmutterschaft: https://www.spenderkinder.de/leihmutterschaft/

4 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 3. 11. 2011 – 57813/00 (S. H. u. a. / Österreich).

5 VO-Vorschlag, Erwägungsgründe Ziff. 21.

6 Nettesheim, EuR 2022, 525 (533 ff.).

7 EG-Richtlinie 2004/23/EG.

8Vgl. Zeit Online vom 24. Mai 2019: Das ist nicht ihr Baby, https://www.zeit.de/wirtschaft/2019-05/leihmuetter-griechenland-babys-kinderlose-paare-deutschland/komplettansicht

9Urteil des Gerichtshofs vom 14. Dezember 2021, V.M.S./Stolincha obshtina, C-490/20, ECLI:EU:C:2021:1008.

Dokumentation Our Father auf Netflix

Auf Netflix ist seit Mitte Mai die Dokumentation „Our Father“ abrufbar (Trailer und mehr Hintergrundinformationen).

Die Dokumentation erzählt – fast im Stil eines Thrillers – die fast unglaubliche Geschichte der US-Amerikanerin Jacoba Ballard und ihrer inzwischen fast 100 Halbgeschwister. Sie finden über DNA-Datenbanken heraus, dass ihr genetischer Vater der Reproduktionsmediziner ihrer Mütter ist, Dr. Donald Cline. Manche der Halbgeschwister wussten nicht, dass sie durch eine Samenspende gezeugt wurden, bei anderen wussten es noch nicht einmal die Eltern, weil eigentlich das Sperma des Ehemannes verwendet werden sollte.

Viele der Halbgeschwister wohnen in einem Umkreis von nur 40 km, manchen kannten sich vorher. Dr. Cline wurde schließlich zwar strafrechtlich verurteilt, aber nur wegen „Obstruction of Justice“ („Behinderung der Justiz“). Dass er sich ohne Wissen der Mütter als Spender eingesetzt hat, erfüllt keinen Straftatsbestand in den USA.1 Inzwischen haben Betroffene in einigen US-Bundesstaaten erreicht, dass dieses Verhalten in Zukunft unter Strafe gestellt wird.2

In teilweise sehr emotionalen Interviews erzählen die Halbgeschwister und ihre Mütter, welche Auswirkungen diese Enthüllungen auf sie hatten und wie sie versuchen, Antworten auf ihre Fragen von Dr. Cline zu bekommen – vor allem was ihn dazu motiviert hat, sich selbst als Spender einzusetzen und so viele Kinder zu zeugen. Hinzu kommt, dass Dr. Cline einige Vorerkrankungen hat, auf Grund derer er vermutlich nie offiziell seinen Samen hätte abgeben dürfen. Während das Ansehens muss man sich teilweise daran erinnern, dass es sich um einen echten Fall handelt.

Der „Fall“ zeigt, wie wichtig rechtliche Regelungen sind, um die entstandenen Menschen und auch „Wunscheltern“ zu schützen, und wie wichtig es ist, überhaupt über dieses Thema der „Spende“ in der Öffentlichkeit zu reden und hierüber aufzuklären, um Menschen wie Dr. Cline nicht freie Bahn zu lassen.

Der Verein Spenderkinder weiß von inzwischen vier Fällen in Deutschland, in denen der Arzt sein eigenes Sperma ohne Wissen der Empfänger verwendet hat. Der bekannteste Fall ist der von Prof. Dr. Thomas Katzorke, einem der bekanntesten Reproduktionsmediziner Deutschlands, Mitgründer der Klinik Novum in Essen und langjährigen Vorsitzenden des Arbeitskreises Donogene Insemination.3 Anders als in den USA handelt es sich aber (bislang) um Einzelfälle, weil die betroffenen Spenderkinder noch keine Halbgeschwister gefunden haben.

Viele Reproduktionsmediziner haben sich in den 70er und 80er Jahren anscheinend als über den Gesetzen und anderen moralischen Regeln stehend betrachtet. Dass sie sich auch als hervorragenden genetischen Elternteil angesehen haben, liegt nahe. Daher ist es wahrscheinlich, dass mehr Fälle in den nächsten Jahren ans Licht kommen werden, weil sich erst langsam mehr Menschen in Deutschland bei DNA-Datenbanken eintragen.

Eine Parallele gibt es jedoch, denn auch im Verein Spenderkinder zeigt sich, dass es einige schon recht große Halbgeschwistergruppen gibt (siehe der Beitrag „100 Halbgeschwister und mehr?“). Wir setzen uns daher dafür ein, dass durch den Samen einer Person nur eine bestimmte Anzahl von Familien entstehen darf, und dass dies durch das Samenspenderregister kontrolliert wird.

  1. Das ist in Deutschland ebensowenig der Fall, es stellt vermutlich nur eine Körperverletzung dar, die jedoch schnell verjährt. []
  2. Sog. Fertility Fraud. []
  3. siehe Die Zeit vom 14.2.2019, Tief in den Genen, (paywall []

Treffen der Spenderkinder aus Bad Pyrmont

Anfang Mai fand haben sich mehrere Spenderkinder in Bad Pyrmont getroffen, die an der dortigen Klinik gezeugt wurden. Es war ein tolles und spannendes Treffen mit viel Austausch, interessanten Informationen und guten Gesprächen!


Die Gruppe besuchte die ehemalige Klinik von Dr. Schaad und das Stadtarchiv . Außerdem trafen sie eine Redakteurin der Bad Pyrmonter Nachrichten, die schon länger zu der Geschichte der Klinik recherchierte und in den Bad Pyrmonter Nachrichten einen Artikel über die Geschichte der Klinik und das Spenderkinder-Treffen (Paywall) veröffentlicht hat.

Die Spenderkinder aus Bad Pyrmont – Foto von Annette Schrader Fotografie.

Treffen der Spenderkinder aus Bad Pyrmont am 7. Mai 2022

Die Spenderkinder, die aus der Praxis von Dr. Schaad in Bad Pyrmont stammen, treffen sich am 7. Mai 2022 in Bad Pyrmont. Bislang gibt es 10 bestätigte Teilnehmer:innen, die sich auf einen gemeinsamen Tag des Kennenlernens und des Austauschs freuen.

Weitere Spenderkinder aus der Praxis von Dr. Schaad können gerne teilnehmen. Den genauen Ort und die Uhrzeit erfahrt ihr per E-Mail an info@spenderkinder.de

100 Halbgeschwister und mehr?

Aus den USA ist es schon bekannt: Gruppen mit mehr als 100 Halbgeschwistern, die denselben genetischen Elternteil haben. Auch im Verein Spenderkinder haben DNA-Tests bewiesen, dass esmehrere große Halbgeschwistergruppen gibt. Wir haben fünf Halbgeschwistergruppen, die aus 7 bis 9 Familien bestehen1. Da sehr viele Spenderkinder in Deutschland nichts von ihrer Zeugungsart wissen, dürften viele Halbgeschwistergruppen tatsächlich noch erheblich größer sein. Von einem Reproduktionsmediziner wissen wir aus Praxisaufzeichnungen, dass er teilweise über 100 durch einen Mann erzeugte Schwangerschaften dokumentierte. Bei zwei Reproduktionsmedizinern vermuten wir, dass sie jeweils nur einen Spender hatte, da bislang alle Spenderkinder aus diesen Praxen sich als Halbgeschwister herausgestellt haben. Durch die zunehmende Verbreitung von DNA-Datenbanken und die Durchsetzung des Rechts von Spenderkindern auf Kenntnis ihrer Abstammung werden solche Vorgänge zunehmend nachvollziehbar und aufgedeckt.

Keine gesetzliche Obergrenze in Deutschland

Eine gesetzliche Grenze für die Anzahl der Kinder, die durch den Samen einer Person durch Samenvermittlung entstehen, gibt es in Deutschland nicht. In der „(Muster-)Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion“ fand sich von 2006 bis 2018 die Vorgabe, dass durch einen Spender nicht mehr als zehn Schwangerschaften erzeugt werden sollten.2 Ob diese standesrechtlichen Regelungen jedoch tatsächlich verbindlich waren, ist umstritten, weil die Ärzte bis zum Inkrafttreten des Samenspenderregistergesetzes im Jahr 2018 nicht verpflichtet waren, die durch eine Person gezeugten Kinder nachzuverfolgen und zu dokumentieren. Die Ärztekammer Nordrhein wies im Jahr 2015 auf eine Beschwerde des Vereins Spenderkinder darauf hin, dass diese Richtlinie nur nachrangig anwendbar sei und die Forderung nach einer Obergrenze in den politischen Raum gebracht werden sollte. Außerdem könne daraus, dass ein Mann über eine sehr lange Zeit Samen abgegeben habe, nicht darauf geschlossen werden, dass hierdurch eine erhebliche Zahl von Kindern gezeugt würde. In der aktuellen Version der „Richtlinie zur Entnahme und Übertragung von menschlichen Keimzellen im Rahmen der assistiertenReproduktion“ aus dem Jahr 2018 findet sich keine Aussage mehr zu einer Obergrenze. Grund hierfür ist, dass der Vorstand der Bundesärztekammer m Februar 2015 beschlossen hatte, die medizinisch- wissenschaftlichen Fragestellungen klar von den gesellschaftspolitischen Aspekten zu trennen.

Dem Verein Spenderkinder ist bekannt, dass manche Menschen bei deutschen Samenbanken oder an deutsche Reproduktionsmediziner bis über 20 Jahre regelmäßig Samen abgegeben haben. Bei einer Abgabe über einen solch langen Zeitraum liegt es nahe, dass wesentlich mehr als zehn Kinder entstanden sind, wie z.B. die Dokumentation des Münchner Arztes zeigt, der bis über 100 erzeugte Schwangerschaften durch einen einzelnen Spender festgehalten hat. Einige Menschen haben zudem an mehreren Kliniken oder Samenbanken Samen abgegeben. Ein Arzt, bei dem eine sehr große Halbgeschwistergruppe entstand, äußerte sich hierzu, dass es zu teuer wäre, wenn man den Samen einer Person nur für wenige Paare verwenden würde, außerdem gäbe es nicht so viele abgabebereite Personen.

Einige Samenbanken äußern zumindest öffentlich, dass sie sich bemühen, eine gewisse Anzahl an Kindern nicht zu überschreiten. Wie genau sie das sicherstellen, ist jedoch nicht nachvollziehbar und auch nicht überprüfbar. Insbesondere ist momentan aber auch keine rechtliche Verpflichtung dazu erkennbar. Bei einer deutschen Samenbank, die derzeit einen öffentlich einsehbaren Spenderkatalog anbietet, werden 5 Personen aufgeführt, bei denen über 30 Einheiten Samen verfügbar sind. In einem Fall waren sogar 74 Einheiten verfügbar. Auch wenn sicherlich nicht jede künstliche Befruchtung mit dem Samen dieser Personen erfolgreich sein wird, ist doch davon auszugehen, dass bei so vielen verfügbaren Einheiten mehr als 10 Kinder gezeugt werden – zusätzlich zu vermutlich bereits gezeugten Kindern.

Andere Länder sind hier weiter: In Großbritannien dürfen die Keimzellen einer Person nur für 10 Familien verwendet werden. Diese Obergrenze wird durch die Regulierungsbehörde HFEA kontrolliert. In Belgien dürfen nur 6 Frauen durch den ärztlich vermittelten Samen einer Person schwanger werden, allerdings sind mehrere Kinder pro Frau erlaubt (Art. 55 Loi relative à la procréation médicalement assistée). Die Schweiz hat eine Obergrenze von acht Kindern (Art. 22 Abs. 4 FMedG).

Zu viele Halbgeschwister sind für viele Spenderkinder belastend

Aus Sicht der Vereins Spenderkinder ist eine Begrenzung der Anzahl der durch eine Person über eine ärztliche Samenvermittlung gezeugten Kinder unbedingt notwendig. Zu diesem Thema haben wir unsere Mitglieder befragt, die schon relativ viele Halbgeschwister gefunden haben, ihre Aussagen geben wir in kursiver Schrift wieder.

Bezüglich der Anzahl der Halbgeschwister: also ich denke ab 20-30 wird es schon schräg. Vorausgesetzt alle suchen den Kontakt. Spätestens ab 50 wird es vermutlich unangenehm. Eine gesetzliche Grenze? Ja, definitiv. Ich finde die Größenordnung 10 erfolgreiche Spenden sollten nicht überschritten werden.

Ich fände es auf jeden Fall gut, wenn es dazu feste Grenzen gäbe. Das würde dann auch die Ungewissheit beseitigen, wie viele mögliche Halbgeschwister dort wohl sein mögen. 100 oder 200 finde ich deutlich zu viel. Ich hätte nichts dagegen, wenn es bei meinen 14 Geschwistern bleibt, denke aber es sollten nicht mehr als 20 werden.

Zwar freuen sich die meisten Spenderkinder über Halbgeschwister.

Ich war in der komfortablen Situation, dass mir nach und nach mehr Geschwister angezeigt wurden und ich sie nach und nach kennenlernen konnte und nicht mit einer großen Menge zu Beginn abgeschreckt war. So könnte es aus meiner Sicht auch eine Weile weitergehen, ruhig auch bis 20 oder mehr, da ja auch nicht alle den Kontakt wünschen oder man sicher nicht zu allen hingezogen sein wird, was ja bei uns in der Gruppe auch teilweise der Fall ist. Momentan finde ich jeden Treffer noch sehr aufregend und freue mich sehr, Kontakt mit den neuen Geschwistern zu haben.

Ich habe die Tatsache, viele Halbgeschwister zu haben, nicht als „Belastung“ wahrgenommen. Es war am Anfang eher eine Überraschung und sehr unerwartet von Null Treffern auf so viele Halbgeschwister zu treffen. Das Gefühl bei den Treffern hat sich dementsprechend auch verändert: Anfangs war es super aufregend und man konnte es kaum fassen. Jetzt hat man sich daran gewöhnt, die Neugier auf die neue Person bleibt aber natürlich.

Je mehr Halbgeschwister es gibt, desto eher kann jedoch das Gefühl entstehen, aus einer „Massenproduktion“ zu stammen.

Mein Erzeuger war bei der Zeugung von bis zu 400 Kinder beteiligt. Als ich davon im ersten Gespräch mit einem Halbbruder erfahren habe, war ich erstmal überrascht. Es ging mir nie darum, dass ich eine von vielen und so weniger wert bin. Der Erzeuger hat ja vermutlich eh keine Bindung zu uns gehabt. Doch ich musste mich mehrere Tage erstmal fragen was für eine Person er sein muss, wenn er so viele Male seine Gene verantwortet hat. Dementsprechend fand ich es schon sehr schockierend.

Ich weiß, dass vor allem bei unseren ehelichen Geschwistern der Gedanke der Entwertung eine Rolle spielt. Meinem Gefühl nach gehen sie mit jedem neuen Geschwister mehr auf Abstand. Wären wir nur ein oder zwei Spenderkinder, schätzte ich die Wahrscheinlichkeit für eine enge Beziehung höher ein.

Jedes neue Geschwisterkind bedeutet außerdem eine mentale Anpassung, eine Erweiterung der Familie und der bestehenden Beziehungen.

Würden mir 20 oder mehr Halbgeschwister angezeigt, wäre das ein zusätzlicher Schock mit dem ich eine ganze Weile bräuchte um einen Umgang damit zu finden. Je mehr Halbgeschwister, desto schwieriger.

Ich fühle mich verpflichtet, künftige Halbgeschwister mit offenen Armen zu begrüßen, aber ich habe es mir auch nicht ausgesucht, dies eventuell 50 mal tun zu müssen.

Aktuell kann ich mir nicht vorstellen, zu weiteren, neu dazu kommenden Menschen eine enge Beziehung aufzubauen, einfach aus Kapazitätsgründen. Und irgendwie wären dann auch erstmal diejenigen dran, zu denen ich jetzt aktuell schon keine enge Beziehung habe.

Je größer die Gruppe ist, desto unpersönlicher wird es.

Es war etwas merkwürdig, dazu zu kommen. Alle kannten sich schon, teilweise sehr gut. Man kann sich so auch schnell etwas abgehängt fühlen. Ich glaube das wird neuen Generationen sogar eher mal passieren.

Bei sehr vielen Halbgeschwistern ist es auch für den genetischen Elternteil kaum möglich, alle als Individuen wahrzunehmen, wenn die Spenderkinder – was wahrscheinlich ist – früher oder später Kontakt zu ihm aufnehmen.

Viele Mitglieder unseres Vereins schildern es als besonders belastend, dass sie nicht wissen, wie viele andere Geschwister sie in der Zukunft noch entdecken werden – 5 oder 100.

Es bleibt die Ungewissheit, wie viele Treffer noch kommen werden und wie viele Halbgeschwister es insgesamt gibt, von denen man nie erfahren wird.

Wenn ich lese und mir vorstelle, dass ich hundert (oder lass es auch nur 20) Halbgeschwister habe, dass fühle ich gleichzeitig auch ein Bedürfnis, alle kennenzulernen. Irgendwie der Vollständigkeit halber. In gewisser Weise gehören sie zu mir. Ein Halbgeschwister nicht zu kennen, fühlt sich in meiner Vorstellung unvollständig an. So geht es mir auch mit dem Gedanken, dass da draußen höchstwahrscheinlich noch weitere von unserer Halbgeschwistergruppe rumlaufen. Sie sind mir zu viel. Und gleichzeitig will, muss! ich sie kennenlernen.

Dazu kommt, dass die Gefahr einer unwissentlichen sexuellen Beziehung zwischen Halbgeschwistern rein statistisch steigt, je mehr Kinder durch eine Samen abgebende Person gezeugt werden, insbesondere weil viele Eltern ihre Kinder nicht über ihre Zeugungsart aufklären. Diese Befürchtung empfinden viele Mitglieder unseres Vereins als belastend. Einige Halbgeschwister ähnlichen Alters aus unserem Verein sind in Nachbarorten aufgewachsen, so dass die Gefahr einer Beziehung relativ hoch war.

Ich bin absolut für eine Maximalanzahl, und auch für eine Streuung. Es kann nicht sein, dass ich jahrelang jeden Freitag und Samstag im gleichen Club in Reutlingen tanzen war wie einer meiner vielen Halbbrüder – ohne es zu wissen.

Obergrenze durch Ergänzung des Samenspenderregistergesetzes einfach umzusetzen

Mit dem Samenspenderregister existiert seit Mitte 2018 ein zentrales Register, mit dem die Einhaltung einer Obergrenze tatsächlich kontrolliert werden könnte. In diesem wird bereits festgehalten, an welche Empfänger:innen der Samen welcher Person vermittelt wird. Es wäre leicht umsetzbar, bei eine bestimmten Anzahl von Empfänger:innen die jeweilige Samen abgebende Person für weitere Vermittlungen zu sperren.

Der Verein Spenderkinder wird sich in dieser Legislaturperiode dafür einsetzen, dass im Zuge der anstehenden Überarbeitung des Samenspenderregistergesetzes auch eine entsprechende Obergrenze eingeführt wird. Dabei halten wir es für sinnvoll, dass sich die Obergrenze an den Empfänger:innen orientiert (also an Familien) und nicht an der Zahl der insgesamt gezeugten Kinder. Das Erreichen der Obergrenze würde dann nicht verhindern, dass eine Familie ein weiteres Kind von demselben genetischen Elternteil bekommt.

Auch die Bundesärztekammer hatte sich im Jahr 2016 in einer Stellungnahme zum „Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen“ vom 21.12.2016 für eine gesetzliche Beschränkung der durch einen Samenspender gezeugten Kinder ausgesprochen.

  1. wir zählen nach Familien, nicht nach Kindern []
  2. (Muster-)Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion, Deutsches Ärzteblatt, Jg. 103, Heft 20 vom 19. Mai 2006, S. A1392 ff., S. A1397. []

Samen und Eizellen im Shopping Portal?

Der Verein Spenderkinder hat eine Beschwerde gegen zwei Samenbanken eingereicht, die einen öffentlich im Internet einsehbaren Katalog von Männern anbieten, die ihren Samen abgeben.

In den USA üblich, in Deutschland aber nicht: Datenbanken von Samen- und Eizellbanken, in denen sich Wunscheltern Menschen aussuchen können, deren Samen oder Eizellen sie kaufen möchten. Die Menschen werden mit Fotos, ethnischem Hintergrund, Größe, Gewicht, Aussehen und Hobbys beworben, meistens sind Fotos beigefügt. Für Sperma und Eizellen von attraktiven und hoch gebildeten Menschen werden dabei üblicherweise höhere Preise gefordert.

In Europa haben sich die Mitgliedsstaaten der EU jedoch entschieden, dass Organe und Gewebe, wozu auch Ei- und Samenzellen zählen, keine Handelsware sein dürfen. Die „Richtlinie 2004/23/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Konservierung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen“ (auch bezeichnet als Gewebe-Richtlinie) sieht vor, dass Organe und Gewebe nicht mit Gewinnerzielungsabsicht vertrieben werden.1 Umgesetzt worden ist dies in Deutschland in § 17 Absatz 1 Satz 1 des Transplantationsgesetzes (TPG): „Es ist verboten, mit Organen oder Geweben, die einer Heilbehandlung eines anderen zu dienen bestimmt sind, Handel zu treiben.“ Ausgenommen ist lediglich die „Gewährung oder Annahme eines angemessenen Entgelts für die zur Erreichung des Ziels der Heilbehandlung gebotenen Maßnahmen“. Entsprechend dürfen Spermien nicht gekauft und auch nicht zum Kauf angeboten werden, erlaubt ist lediglich eine Aufwandsentschädigung.2 Hieran erinnern wir regelmäßig Samenbanken in Deutschland, die versuchen, für die Abgabe von Samen vor allem mit der dafür gezahlten Aufwandsentschädigung zu werben.

Inzwischen gibt es auch zwei Samenbanken in Deutschland, die einen öffentlich einsehbaren Katalog von Menschen anbieten, die Samen abgeben.3 In dem Katalog werden ethnischer Hintergrund, Augenfarbe, Größe, Gewicht, Ausbildung, Hobbys und Motivation angegeben. Bei der einen Samenbank können nach Erstellung eines Accounts sogar Fotos betrachtet und Favoritenlisten angelegt werden. Bei der anderen Samenbank ist das bei Internetshops übliche Symbol für den Einkaufswagen durch einen Kinderwagen ersetzt worden. Letztere ist mit Novum verbunden – eine reproduktionsmedizinische Praxis, mit der viele unserer Mitglieder rechtliche Auseinandersetzungen führen. Die andere Samenbank scheint eine deutsche Niederlassung einer dänischen Samenbank zu sein – die sich aber dennoch an deutsches Recht halten muss.

Solche Kataloge sind aus Sicht des Vereins Spenderkinder in Deutschland wegen eines Verstoßes gegen § 17 TPG rechtswidrig, weil sie Samen wie ein kommerzielles Produkt darstellen, das wie bei einem Shopping-Portal mit wenigen Klicks gekauft werden kann. Es handelt sich hierbei jedoch um einen Vorgang, der zur Zeugung eines Menschen führen wird – die Person, deren Sperma gewählt wird, ist der genetische Elternteil des entstehenden Kindes. Ein solcher Vorgang muss aus unserer Sicht mit dem entsprechenden Respekt behandelt werden. Eine anpreisende Werbung erfüllt nicht diesen Respekt. Außerdem dürfte es die Auswahl von genetischen Elternteilen nach als wünschenswert beurteilten Merkmalen wie Studium und Aussehen fördern – teilweise vielleicht in der Hoffnung, dass das entstehende Kind diese Merkmale ebenfalls aufweisen wird. Das kann dazu beitragen, dass das durch den Samen dieser Person entstehende Kind sich wie ein gekauftes Profukt fühlen. Einige Mitglieder unseres Vereins schildern dieses Gefühl bereits jetzt.

Zwar ist nach § 17 Absatz 1 Satz 2 TPG die „Gewährung oder Annahme eines angemessenen Entgelts für die zur Erreichung des Ziels der Heilbehandlung gebotenen Maßnahmen“ zulässig sei. Das beinhaltet unserer Ansicht nach jedoch nicht, die Samen abgebenden Menschen mit anpreisenden Angaben zu bewerben. Wenn Ärzte beteiligt sind, dürfte es sich außerdem um einen Verstoß gegen § 27 Absatz 3 der der (Muster-)Berufsordnung für Ärzte handeln.

Auffallend ist, dass andere Samenbanken in Deutschland einen vergleichbaren Online-Katalog nicht anbieten, sondern den Wunscheltern Spender lediglich aufgrund einer Typangleichung in Beratungsgesprächen vorschlagen. Damit können Wunscheltern immer noch in einem gewissen Umfang den genetischen Elternteil auswählen, aber nicht nach völlig frei gewählten Merkmalen. Wir hoffen, dass dies so bleibt. Eine Samenbank aus München lehnt eine solche Katalogbestellung sogar ausdrücklich ab: „Eine Kommerzialisierung der Samenspende durch optimierende Auswahlverfahren (z.B. nur Universitätsprofessoren und Leistungssportler) fördert die Cryobank-München deshalb ebenso wenig, wie anonymen Versandhandel übers Internet. Auch können Sie bei uns nicht aus Katalogen auswählen und bestellen.“

Noch handelt es sich bei den Katalogen um einen ungewöhnlichen Vorgang in Deutschland. Wir befürchten jedoch, dass in der Zukunft viele andere Samenbanken nachziehen könnten, um nicht in einen Wettbewerbsnachteil zu gelangen. Insbesondere müssen denkbare Steigerungen der Kommerzialisierung verhindert werden, zum Beispiel indem Rabatte für die Proben von wenig beliebten Spendern gewährt werden oder Samenbanken an Verkaufsaktionen wie dem „Black Friday“ mitwirken (beides ist in den USA bereits vorgekommen).

Der Verein Spenderkinder hat daher gegen die beiden Samenbanken mit Internet-Katalog eine Beschwerde bei den jeweiligen Aufsichtsbehörden eingereicht und hofft, dass diese entsprechende Maßnahmen ergreifen wird. Ganz allgemein halten wir es jedoch für erforderlich, dass sich Berufsverbände wie die Bundesärztekammer und der Arbeitskreis Donogene Insemination auch verstärkt damit beschäftigen, welche Art von Information zu Samenvermittlung zulässig ist bzw. wo die Grenze zwischen Werbung und Informationsvermittlung verläuft. In den derzeitigen Richtlinie finden sich hierzu keine Hinweise.

Wünschenswert wäre aus unserer Sicht eine Darstellung von Samenvermittlung, die einerseits Informationen über das Angebot der Familiengründung mit dem Samen eines Fremden bietet, gleichzeitig aber auch die daraus entstehende Verantwortung und Herausforderungen betont. Dazu gehört bei der Suche nach Samen abgebenden Personen unbedingt, dass diese durch die Samenabgabe der genetische Elternteil eines Kindes wird und dies Auswirkungen auf seine oder ihre weiteren Kinder haben kann. Gleichzeitig sollten die Wunscheltern informiert werden, dass das Kind im Wissen um seine Abstammung aufwachsen sollte und es möglicherweise später Kontakt zum genetischen Elternteil und Geschwistern haben möchte. Auf keinen Fall sollte eine Darstellung von Samenvermittlung erlaubt sein, die die vermeintlichen körperlichen und intellektuellen Vorzüge der Samen abgebenden Personen hervorhebt oder die vor allem den finanziellen Aspekt als Motivation anspricht.

  1. Artikel 12 Absatz 2: „Die Mitgliedstaaten treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass jede Werbung und sonstige Maßnahmen zur Förderung von Spenden menschlicher Gewebe und Zellen im Einklang mit den von den Mitgliedstaaten festgelegten Leitlinien oder Rechtsvorschriften stehen. Diese Leitlinien oder Rechtsvorschriften enthalten geeignete Beschränkungen oder Verbote, damit der Bedarf an menschlichen Geweben und Zellen oder deren Verfügbarkeit nicht in der Absicht bekannt gegeben werden, finanziellen Gewinn oder vergleichbare Vorteile in Aussicht zu stellen oder zu erzielen. Die Mitgliedstaaten streben danach, sicherzustellen, dass die Beschaffung von Geweben und Zellen als solche auf nichtkommerzieller Grundlage erfolgt.“ []
  2. Makoski, in: Clausen/Schroeder-Printzen, Münchener Anwaltshandbuch Medizinrecht, 3. Aufl. 2020, § 19 Recht der Reproduktionsmedizin, Rn. 99. []
  3. In Deutschland ist die Abgabe oder Vermittlung von Eizellen nicht erlaubt. []

Jahresbericht 2021

1. Verein

Am 18. September fand unser offizielles Vereinstreffen in Berlin statt. Im Anschluss wurde das Vorstandsteam neu gewählt und besteht jetzt aus folgenden Personen:

  • Christina Motejl (Vorsitzende und Rechtliches)
  • Anne Meier-Credner (stellvertretende Vorsitzende und Öffentlichkeitsarbeit)
  • Sunny Müller (Mitgliedschaft)
  • Julia J. (Kassenwartin)
  • Sandra Koch (Social Media Arbeit)
  • Martina T. (Elternanfragen)
  • Janina W. (Beratendes Vorstandsmitglied)

Nach der Mitgliederversammlung haben wir online über drei mögliche politische Forderungen zur Aufwandsentschädigung für „Spender“ abgestimmt. Durchgesetzt hat sich die Option „Spender sollen nur eine Aufwandsentschädigung in Höhe des tatsächlich entstehenden Aufwands für Fahrtkosten und Arbeitsausfall in Höhe von ca. 30 Euro erhalten.“

Nach der Mitgliederversammlung wurde außerdem eine Arbeitsgruppe „Inklusive Sprache“ gegründet. Diese soll Vorschläge für die Überarbeitung der Internetseite mit inklusiver Sprache erarbeiten und dem Verein zur Abstimmung vorschlagen. Um das allgemeine Verständnisses für die Idee inklusiver Sprache zu verbessern, hat Sunny auf ihrem YouTube Kanal Reagenzglasbaby ein Video mit Spenderkinder-Mitglied Sam veröffentlicht.

Für die zehn größeren Kliniken haben wir erfolgreich einzelne Mitglieder angesprochen, ob wir ihre Kontaktdaten als Ansprechpartner für neue Spenderkinder weiterleiten können.

Wir haben inzwischen unser erstes Mitglied, das aus einer Eizellvermittlung und Leihmutterschaft entstanden ist. Auf Sunnys YouTube Kanal Reagenzglasbaby erzählt sie ihre Geschichte.

Anne hatte bereits letztes Jahr zusammen mit Tobias Bauer von der Universität Kumamoto (Japan) eine Spenderkinder-Studie begonnen. Die Auswertung der Online-Fragebögen läuft noch, in den letzten Monaten wurden zusätzlich einige Interviews durchgefühhrt. Beim DGPPN-Kongress in diesem Jahr hat Anne mit einem Poster einen ersten kleinen Einblick in die Daten gegeben, Tobias Bauer hat dazu einen Vortrag auf einem Bioethiksymposium in Japan gehalten.

2. Verwandtentreffer

Für Spenderkinder, die noch keinen DNA-Test gemacht haben, empfehlen wir weiterhin Ancestry, weil man die Rohdaten dieses Tests auch bei Family Finder und MyHeritageDNA kostenlos hochladen kann. Das geht zwar mit 23andMe auch, aber Ancestry hat die größere Datenbasis.

Dieses Jahr haben mindestens 14 Spenderkinder herausgefunden, wer ihr genetischer Vater ist. Außerdem hatten wir 6 neue Halbgeschwistertreffer.

Wir haben insgesamt 42 identifizierte genetische Väter (teilweise von größeren Halbgeschwistergruppen) und insgesamt 56 Halbgeschwistergruppen (die größten zwischen 7 und 9 Familien).

3. Internetseite

Folgende Beiträge auf unserer Internetseite aus diesem Jahr möchten wir besonders ans Herz legen:

Sunny hat auf ihrem YouTube Kanal Reagenzglasbaby einige spannende Beiträge veröffentlicht, die über die Playlist für Spenderkinder zu finden sind:

  • Mein Mann hatte plötzlich eine erwachsene Tochter
  • Meine Tochter hat noch einen Bauch-Papa
  • Sarah P. Acht Jahre später…
  • DNA-Test positiv, Geschwister-Test negativ: Ein Wechselbad der Gefühle
  • Tipps für die Kontaktaufnahme zur Kinderwunschklinik
  • Sandra sucht nach Samenspender (1982) aus Tübingen
  • Das Fremde im eigenen Spiegelbild

4. Öffentlichkeitsarbeit

Coronabedingt gab es dieses Jahr weiterhin wenige Veranstaltungen.

  • Im Januar hat Anne uns als Sachverständige bei einer Anhörung des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages zum Thema Legalisierung der Eizellvermittlung in Deutschland vertreten.
  • Im Februar haben Christina und Anne an einer Zoom Konferenz mit Kuckuckskindern teilgenommen, die auch einen Verein gründen möchten.
  • Im April hat Anne als Interviewpartnerin an einer Veranstaltung der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) zum 30. Geburtstages des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) teilgenommen.
  • Im Mai erschien der Film „MENSCHENSKIND!“ zu Solo-Müttern, bei dem Sven und Anne mitgemacht hatten. Ein Interview mit der Regisseurin Marina findet ihr ebenfalls auf Sunnys YouTube Kanal „Reagenzglasbaby“.
  • Zum Tag der genetischen Identität am 30. Mai haben wir in Kooperation mit donorkind aus den Niederlanden die dort entworfenen Bilder für Posts mit deutschem Text verwendet.
  • Die zentrale Adoptionsstelle des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport führte am 15. November eine Fortbildungsveranstaltung für Adoptionsfachkräfte zum Thema „Adoption nach Leihmutterschaft und Samenspende“ durch. Anne war eine der drei Referent*innen.
  • Wir posten Infos zu Beiträgen von, über und mit uns oder unser Thema auf unserer Internetseite, Twitter, Facebook und Instagram.

5. Rechtliches

  • es laufen weiterhin mehrere Gerichtsverfahren unserer Mitglieder gegen Novum.
  • Die rechtliche Beratung betraf insbesondere Vaterschaftsanfechtung sowie die Möglichkeiten, sich gegen die Darstellung in Medienberichten zu wehren.
  • Regelmäßig schreiben wir auch Reproduktionskliniken und Samenbanken bei irreführenden Aussagen auf der jeweiligen Internetseite an.

6. Medienbeiträge

7. Internationales

  • Austausch mit Spenderkindern aus den USA zu Möglichkeiten von strategischer Prozessführung. Die Situation in den USA ist allerdings sehr anders als in Deutschland, da dort Reproduktionsmedizin überhaupt nicht reguliert wird.

8. Ausblick auf 2022

Die neue Bundesregierung aus SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und FDP hat sich in den Bereichen Familienpolitik, Abstammungsrecht und Reproduktionsmedizin viel vorgenommen. Die Pläne im Koalitionsvertrag weisen dahin, dass genetische Abstammung und Elternschaft weiter voneinander gelöst werden sollen. Positiv für Spenderkinder sind insbesondere zwei Vorhaben: es soll ein statusunabhängiges Feststellungsverfahren eingeführt werden, in dem ein Kind seine Abstammung gerichtlich klären lassen kann ohne zugleich die rechtliche Elternschaft anfechten zu müssen, und das Samenspenderregister soll auch für bisherige Fälle, private Samenspenden und Embryonenspenden geöffnet werden. Vermutlich werden wir schon im nächsten Jahr konkreter zu den Plänen Stellung nehmen können.

Solo Mütter durch Samenvermittlung aus Sicht des Kindes

Medienberichten zufolge entscheiden sich zunehmend Frauen ohne Partner*in, mit einer Samen“spende“1 (im Folgendem Samenvermittlung genannt) „alleine“ Mutter zu werden. Angeblich werden knapp 30% der Vorräte aus Samenbanken heutzutage an alleinstehende Frauen mit Kinderwunsch verkauft, so genannte Solo-Mütter (oder auf Englisch „Single Mothers By Choice“ (SMBC)). Auch die Elternorganisation DI-Netz bietet hierzu bereits Informationsveranstaltungen an.

In Diskussionen wird diese Form der Kinderwunscherfüllung oft eher oberflächlich behandelt und entweder als egoistisch verdammt oder als Emanzipation der Frau gefeiert. Beides trifft aus unserer Sicht das Problem nicht: jeder Kinderwunsch ist auf gewisse Weise egoistisch. Auch bei Samenvermittlung an Paare geht es darum, Menschen ihren Wunsch nach einem Kind zu erfüllen. Dabei wird dem Kind der genetische Vater (zumindest zunächst) vorenthalten. Grundsätzlich sind alle ethischen Bedenken in Bezug auf Samenvermittlung auch auf alleinstehende Frauen anwendbar (siehe hierzu unser Text Ethische Aspekte). Bei Solo-Müttern kommen aus Sicht des gezeugten Kinder jedoch noch einige weitere Aspekte hinzu, die wir in diesem Artikel darstellen – und am Ende auch einige inzwischen erwachsene Kinder von Solo-Müttern selbst erzählen lassen.

Motivation von Solo-Müttern

Solo-Mütter entscheiden sich überwiegend, ohne Partner ein Kind mit einer Samenvermittlung zu bekommen, weil sie einen starken Kinderwunsch haben, ihnen aber der passende Partner fehlt, um ein Kind bekommen.2 Für manche dieser Mütter kommt auf Grund zunehmenden Alters hinzu, dass sie das Gefühl haben, nicht mehr lange warten zu können, um ein Kind zu bekommen. Eine Samenvermittlung erscheint daher vielen als schnell zu realisierende Lösung. Dagegen scheint eher nur eine Minderheit gar keine Beziehung eingehen zu wollen.

Samenvermittlung ist jedoch nicht die einzige Möglichkeit, ohne Liebesbeziehung ein Kind zu bekommen: so wird beim Co-Parenting bewusst ein Vater für das Kind gesucht, mit dem die Mutter keine Liebesbeziehung führt, der aber die Vaterrolle einnimmt. Dies entspricht aus Sicht des Vereins Spenderkinder wesentlich mehr den Interessen des Kindes (siehe unser Beitrag Private Samen“spende“ und Co-Parenting). Einige Solo-Mütter scheinen hier aber Vorbehalte wegen der hierfür erforderlichen Abstimmungen und Kompromisse zu haben. So schreibt eine Solo-Mutter hierzu: „Die Möglichkeit eines Co-Parenting-Modells habe ich kurz überlegt, war dann aber nicht davon überzeugt, dass ein “fremder” Mann und ich einen gemeinsamen Weg finden können, unser Kind aufzuziehen.“

Rechtliche Aspekte bei Solo-Müttern

In Deutschland ist nicht gesetzlich geregelt, welche Personengruppen das Recht haben, ein Kind mit einer Samenvermittlung zu bekommen. Bis 2018 sprachen sich die Richtlinien der Bundesärztekammer gegen eine Vermittlung an alleinstehende Frauen aus. Die aktuelle Richtlinie der Bundesärztekammer zur Entnahme und Übertragung von menschlichen Keimzellen im Rahmen der assistierten Reproduktion aus dem Jahr 2018 enthält hierzu jedoch keine Aussage mehr.

Bis zum Jahr 2018 vermittelten die meisten Ärzte keinen Samen an alleinstehende Frauen, weil das so gezeugte Kind keinen rechtlichen Vater hatte und man den Samengeber somit als Vater hätte feststellen können. Am 1. Juli 2018 trat das Gesetz zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen in Kraft. Das Gesetz sah insbesondere die Schaffung des Samenspenderregisters vor, gegen das Spenderkinder ein Recht auf Auskunft über ihren genetischen Vater ausüben können. Es sah aber auch eine Regelung vor, nach der ein Mann, der seinen Samen über eine medizinische Einrichtung zur Zeugung eines Kindes abgegeben hat, nicht als Vater des Kindes festgestellt werden kann (§ 1600 Absatz 4 BGB). Das gilt unabhängig davon, ob die Mutter des Kindes mit einem Mann oder eine Frau verheiratet ist.

Seitdem diese Regelung in Kraft getreten ist, nimmt der überwiegende Teil der juristischen Literatur an, dass die rechtlichen Risiken für Ärzte bei der Samenvermittlung an alleinstehende Frauen entfallen sind. Entsprechend wird zumindest berichtet, dass mehr deutsche Samenbanken Solo-Mütter als Kundinnen akzeptieren. Es gibt allerdings auch kritische Stimmen, die weiterhin ein rechtliches Risiko für Ärzte und Kliniken bei der Vermittlung an alleinstehende Frauen annehmen, weil der Gesetzgeber bei dem Ausschluss der Feststellung des Samengebers als Vater davon ausgegangen wäre, dass dem Kind einen anderen Mann als Vater zugeordnet werde.3

Wir haben auf Grund von Anfragen an unseren Verein den Eindruck gewonnen, dass viele Solo-Wunschmütter weiterhin für eine Samenvermittlung in europäische Nachbarländer wie die Niederlande oder nach Dänemark gehen. Zum Teil ist die seit 2018 veränderte Rechtslage in Deutschland möglicherweise nicht bekannt. Oft erwarten die Frauen aber auch, dass ihre Entscheidung bei ausländischen Kliniken besser angenommen wird und dass sie mehr Einfluss auf die Auswahl des Samengebers nehmen können. In diesen Fällen ist allerdings das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung vom betreffenden Recht des Landes abhängig. Dieses kann sehr anders aussehen als in Deutschland, wo das Recht auf Kenntnis der Abstammung verfassungsmäßig geschützt ist und Kinder seit 2018 vom Samenspenderregister Auskunft über den genetischen Vater erhalten können. So ist in Dänemark eine anonyme Samenvermittlung der Normalfall, offene Samen“spenden“ müssen ausdrücklich vereinbart werden und sind teurer. Beim Verein Spenderkinder haben sich einige Solo-Mütter gemeldet, denen erst im Nachhinein bewusst wurde, dass ihr Kind bei einer Samenvermittlung in Dänemark – anders als in Deutschland – nicht den Namen des genetischen Vaters erfahren kann. Daher sollte eine Samenvermittlung im Ausland nur in Ländern in Anspruch genommen werden, in denen das Recht des Kindes auf Kenntnis der Abstammung geschützt ist.

Kinder von Solo-Müttern sind finanziell und emotional schlechter abgesichert

Ein Kind ist finanziell und emotional besser abgesichert, wenn es zwei Elternteile hat. Zum Teil wird hiergegen eingewandt, dass die Situation bei Solo-Müttern nicht anders sei als bei allen anderen Alleinerziehenden. Das ist aus unserer Sicht nicht zutreffend. „Normale“ Alleinerziehende sind meistens nicht geplant alleinerziehend. Das Kind weiß, wer Vater und Mutter sind. Oft ist der andere Elternteil weiterhin im Leben des Kindes präsent, zahlt Unterhalt und übernimmt einen Teil der Betreuung des Kindes.

Schlechtere finanzielle Absicherung

Das gilt erst einmal finanziell: Kinder verursachen viele Kosten, brauchen aber insbesondere auch Betreuung – das ist Zeit, in der man nicht erwerbstätig sein kann. Wer weiterhin erwerbstätig ist, ist darauf angewiesen, anderweitige Betreuung zu organisieren und in der Regel auch zu bezahlen. Da ist es gut, wenn es zwei Gehälter in der Familie gibt. Das gilt insbesondere, wenn man selbst oder das Kind erkrankt. Auch für den schlimmsten denkbaren Fall ist das wichtig: Wenn die Mutter stirbt oder erkrankt, ist noch ein anderer Elternteil vorhanden, der für das Kind sorgen kann.

Solo-Mütter erhalten keinen Unterhaltsvorschuss, weil ein Samen“spender“ nicht als Vater festgestellt werden kann und daher auch nicht unterhaltsverpflichtet ist.4 Nicht wenige Solo-Mütter lügen Berichten zufolge und geben nicht an, dass sie eine Samenvermittlung in Anspruch genommen haben, sondern behaupten, sie könnten die Identität des Vaters lediglich nicht ermitteln. Das dürfte jedoch eine Straftat darstellen. Viele Gerichte verlangen außerdem zumindest Bemühungen, den genetischen Vater zu ermitteln.5

Wenn die Mutter nicht erwerbstätig ist oder nur ein geringes Gehalt verdient, bleibt nur der Anspruch auf andere Sozialleistungen wie das ALG II, Sozialhilfe oder Wohngeld.

Herausforderungen für die emotionale Entwicklung

Ein zweiter Elternteil ist aber auch wichtig für die emotionale Entwicklung des Kindes: Auch sehr gewünschte Kinder können für Eltern sehr anstrengend sein. Zwei Partner können sich gegenseitig entlasten: bei anstehenden Besorgungen, aber auch wenn ein Elternteil oder das Kind gerade eine schwierige Phase durchmacht. Von einer Entlastung durch den zweiten Elternteil profitiert das Kind, weil es gelassenere und geduldigere Eltern hat, die sich ausgleichen können. Außerdem lernt ein Kind durch das Vorleben einer Partnerschaft, wie Menschen zusammenleben und Konflikte konstruktiv lösen können. Das gilt selbst dann, wenn die Eltern aktuell kein Paar mehr sind.

Obwohl die meisten Studien sagen, dass es Kinder von Alleinerziehenden grundsätzlich gut geht, sind sie doch besonderen Belastungen ausgesetzt. So haben sie haben ein deutlich höheres Risiko, depressiv zu werden. Das wirkt sich auch auf das Kind aus. Einige Kinder von Solo-Müttern berichten, dass sie sich als Mittel gefühlt hätten, die Einsamkeit ihrer Mutter zu lindern. Solo-Mütter sollten daher sicherstellen, dass ihr Kind weitere Bezugspersonen hat, insbesondere auch männliche, und Personen, die sie verlässlich unterstützen werden.

Kinder von Solo-Müttern wachsen – anders als viele Spenderkinder von heterosexuellen Wunschelternpaaren – meistens in dem Bewusstsein auf, dass ihr Vater ein Samen“spender“ ist. Wird das Kind einer Solo-Mutter älter, wird es wahrnehmen, dass sein Vater nicht präsent in seinem Leben ist und auch kein anderer zweiter Elternteil dessen Rolle teilweise übernimmt.6 Die Wahrnehmung des genetischen Vaters durch das Kind kann sich über die Zeit verändern und von der von der Mutter gewünschten Rolle oder ihrer Wahrnehmung des genetischen Vaters abweichen. Viele Spenderkinder möchten wissen, wer ihr genetischer Vater ist und zum Teil auch eine Beziehung zu ihm aufbauen. Grundvoraussetzung einer Samenvermittlung ist jedoch meistens, dass der Vater kein wirkliches Interesse am Kind hat. Das kann potentiell kränkend für das Kind sein. Auch wenn ein Kind eine sehr gute Beziehung zu seiner Mutter hat, so bleibt am Ende doch diese Kränkung, dass der andere Elternteil, von dem das Kind 50 % hat, nicht wirklich an ihm interessiert ist, es ignoriert oder sogar ablehnt. Vereinbarungen im Bereich der privaten Samen“spende“, bei denen das Kind zumindest einen gewissen Kontakt zum Vater haben kann, liegen eher im Interesse des Kindes. Noch wünschenswerter wäre Co-Parenting, das, anders als Solo-Mutterschaft, den zweiten Elternteil des Kindes integriert (siehe hierzu auch unser Beitrag zu Co-Parenting).

Von alleinerziehenden Elternteilen ist bekannt, dass für die Kinder das Risiko einer so genannten „Parentifizierung“ besteht. Dabei fühlen sich Kinder aufgefordert, nicht kindgerechte Rollen einzunehmen und sich um die Eltern oder einen Elternteil zu kümmern. So übernehmen manche Kinder Aufgaben des fehlenden Partners, weil sie merken, dass dieser Part dem Elternteil fehlt und sie meinen, ihn unterstützen zu müssen. Von dieser Gefahr sind Spenderkinder allgemein betroffen – unabhängig davon, ob sie nur eine Mutter haben oder zwei Elternteile. Es gehört zum Konzept der Samenvermittlung, dass der genetische Vater gerade nicht in der Familie präsent sein soll. Die Elternschaft durch Samenvermittlung ist also mit der unausgesprochenen Bitte an das Kind verbunden, von ihm als gleichwertige Eltern anerkannt zu werden. Spenderkinder möchten z.B. oft ihr Interesse an ihrer Abstammung aus Rücksicht auf die Wunscheltern nicht zeigen. Zum Teil spüren sie eine starke Erwartung der Eltern, dass diese ihnen genug sein sollen. Damit die Eltern sich selbst als gute Eltern wahrnehmen können, darf es dem Kind nicht schaden, dass sie ihm den genetischen Vater vorenthalten. Es ist möglich, dass Kinder von Solo-Müttern diesen Druck noch stärker empfinden. Genauso gut möglich ist allerdings, dass Solo-Mütter eine Kontaktaufnahme des Kindes zum genetischen Vater offener gegenüberstehen, weil er nicht als Konkurrenz empfunden wird.

Besonders ungünstig kann eine Solo-Mutterschaft mit Samenvermittlung sein, wenn bereits Geschwisterkinder existieren, die in einer normalen Partnerschaft entstanden sind. Unter Geschwistern kann es zu Enttäuschungen, Neid und vielen anderen negativen Gefühlen kommen, wenn ein Kind einen verantwortlichen Vater hat und der Vater des Geschwisterkindes ein Samen“spender“ ist, der keine Rolle im Leben des Kindes einnehmen möchte.

Zwar gibt es Studien, nach denen Kinder und Jugendlichevon Solo-Müttern ihre Entstehungsweise grundsätzlich positiv sehen, psychopathologisch unauffällig sind und sozial funktionieren. Vom Funktionieren kann jedoch nicht auf das subjektive Erleben der Spenderkinder geschlossen werden (siehe auch unser Beitrag „Wie gut geht es Spenderkindern wirklich“). Für viele durch Samenvermittlung gezeugte gewinnt die Entstehungsweise – wie auch bei adoptierten Menschen – häufig erst im Erwachsenenalter an Bedeutung, wenn sie sich zunehmend von ihrer Herkunftsfamilie emotional emanzipieren. Es gibt Hinweise darauf, dass – nicht nur in Deutschland – erwachsene Spenderkinder Keimzellvermittlung kritischer sehen, als dies von der Reproduktionsmedizin und Wunscheltern gewünscht ist.

Was sagen Kinder von Solo-Müttern?

Die folgenden Zitate stammen aus Diskussionen in der Facebook Gruppe „We are donor conceived“ und wurden mit Zustimmung der UrheberInnen veröffentlicht und auf Deutsch übersetzt.

Maria
Meine Mutter hatte viele Zweifel, ob es überhaupt ethisch für sie vertretbar ist, als alleinstehende Frau schwanger zu werden und ein Kind zu haben. Sie war immer ehrlich zu mir, woher ich komme und was meine Rechte sind, und hat mir mehrere Male gesagt dass ich das Recht habe wütend auf sie zu sein, dass sie mich unter diesen Umständen auf diese Welt gebracht hat, obwohl ich ihr gegenüber niemals Wut oder Groll deswegen empfunden habe. Ich verurteile Solo-Mütter nicht, aber ich denke, dass jede Situation suboptimal ist in der man seine biologischen Eltern nicht kennt oder nicht bei ihnen aufwächst und wenn möglich vermieden werden sollte. Ich persönlich habe nichts bestimmtes in meiner Kindheit vermisst, und ich glaube das hat auch damit zu tun, dass meine Großmutter praktisch wie ein zweiter Elternteil für mich war. Ich habe es nie als Problem gesehen, eine alleinstehende Mutter zu haben, aber ich glaube, dass ein Kind immer mehrere Erwachsene (idealerweise unterschiedlichen Geschlechts) um sich herum haben sollte, die wie eine Art Eltern sein können oder mit denen man sprechen kann, wenn man Streit mit dem offiziellen Elternteil hat. Obwohl ich nichts Bestimmtes vermisste, habe ich mich immer gefragt wer mein Vater sein könnte, und es hat mich manchmal traurig gemacht, nicht zu wissen wer er ist.7

H.
Meine Mutter war eine Solo-Mutter und sie hat ihr ganzes Leben lang deutliche psychische Probleme gehabt. Erst als ich deutlich älter war, sah ich, wie ungewöhnlich und isoliert meine Kindheit war. Ich bin auf die Welt gekommen, um eine Rolle zu erfüllen, die man nicht erfüllen kann.8

Karla
Meine Mutter hat eine nicht diagnostizierte Borderline-Persönlichkeitsstörung. Sie hat absolut ein Kind bekommen, um jemanden nur für sich alleine zu haben.9

J.
Ich wurde gezeugt, um eine unmögliche Rolle für meine Mutter zu erfüllen. Meine Mutter wollte ein Kind haben, um nicht alleine zu sein und Kontrolle ausüben zu können. Ich hatte eine furchtbare Kindheit und habe nie ganz verstanden, was falsch mit meiner Mutter ist, bis ich älter wurde und das größere Bild sehen konnte. (…). Manchmal frage ich mich, was mein Samenspendervater darüber denken würde, dass seine Spende an eine Frau ging, die unethische Gründe hatte ein Kind zu bekommen.10

B.
Ich bin bei einer alleinstehenden Mutter aufgewachsen. Ich habe mich gefühlt, als wäre ich mit der Aufgabe gezeugt wurden, ihr Gesellschaft zu leisten. Sie wollte keinen Partner. Sie wollte eine Mutter sein und Kinder haben, dass sie nicht verlassen würden. Ich war immer neugierig, wer mein Vater ist, sogar als ich sehr jung war.11

J.
Meine Mutter wollte bewusst eine alleinstehende Mutter sein. Sie hatte mehrere Jahre versucht, auf traditionelle Weise eine Famiilie zu gründen und hat nie den Richtigen getroffen. Bis ich 28 Jahre alt wurde habe ich nicht gewusst, wer mein Spender ist und mich auch nicht dafür interessiert. Er hat mich nicht aufgezogen, und ich habe ganz sicher nicht meine Identität von ihm abgeleitet. Ich habe mich als Resultat von meiner Mutter, Spendersamen und anderen Einflüssen um mich herum gesehen. Nachdem ich mich mit den Umständen von Samenspenden beschäftigt habe, fing ich an mich zu wundern, woher meine Gewohnheiten und Neigungen herkommen. Ich bin mir bewusst dass ich andere Gefühle als andere habe, aber ich würde die Umstände ehrlich gesagt nicht anders haben wollen. Ich bin nie mit einer Vaterfigur aufgewachsen, aber hatte viele männliche Rollenmodelle, zu denen ich aufblicken und von denen ich lernen konnte.12

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Blog von Hanna

Golombok, S., Zadeh, S., Imrie, S., Smith, V., & Freeman, T. (2016). Single mothers by choice: Mother–child relationships and children’s psychological adjustment. Journal of Family Psychology, 30(4), 409-418. http://dx.doi.org/10.1037/fam0000188


Mayer-Lewis, Birgit: Familiengründung von Frauen außerhalb einer Partnerschaft. Was Solo- Mütter in Deutschland bewegt – eine qualitativ- empirische Untersuchung, in: K. Beyer/C. Brügge/P. Thorn/C. Wiesemann (Hrsg.) , Assistierte Reproduktion mit Hilfe Dritter, Springer 2020, S. 213-227, S. 218.

Rüchel, Yvonne: Solomama – Mit Samenspende Schwanger werden
Produktion von Tellux Film GmbH / ARD im Auftrag des SWR / 45 Minuten / 2020

  1. Weswegen wir den Begriff kritisieren, erklären wir in unserem Beitrag: Was ist problematisch am Begriff der Spende []
  2. Birgit Mayer-Lewis, Familiengründung von Frauen außerhalb einer Partnerschaft. Was Solo- Mütter in Deutschland bewegt – eine qualitativ- empirische Untersuchung, in: K. Beyer/C. Brügge/P. Thorn/C. Wiesemann (Hrsg.) Assistierte Reproduktion mit Hilfe Dritter, Springer 2020, S. 213-227, S. 218. []
  3. Wehrstedt, Das neue Samenspenderregister und die Auswirkungen auf notarielle Beurkundungen anlässlich einer heterologen Insemination, MittBayNot 2019, 122, 127. []
  4. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 03.05.2012, Az. 12 S 2935/11, besprochen in der Legal Tribune Online. []
  5. siehe Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 24.09.2018, Az. 7 A 103000/18.OVG, besprochen in der Legal Tribune Online. []
  6. Die Rolle des genetischen Vaters kann nicht vollständig von einem anderen Menschen übernommen werden. []
  7. My mother had a lot of doubts whether it would even be ethical for her to become pregnant and have a child as a single woman. She was always honest to me about everything, where I came from and what my rights were, and has told me many times that I am allowed to be angry at her for bringing me into this world in these circumstances, though I’ve never felt anger or resentment towards her for this. I do not condemn smbc, but I do think that every situation in which you do not know and/or are not raised by your biological parent(s) is suboptimal and should be avoided if possible. I personally did not miss anything specific while growing up, and I think that also has to do with the fact that my grandmother was basically a second parent to me. I never considered having a single mother as a problem, but I do think that as a child you should always have multiple adults (of different genders, ideally) around who function as some sort of parent or who you can always talk to if you’re having an argument with your one official parent. Though I didn’t miss anything specific, I always did wonder about who my father would be, and not knowing him made me sad sometimes. []
  8. My mother was a SMBC and she has significant lifelong mental health issues. I never realized how unusual and isolating my childhood was until I was much older. I hear you about being born to fulfill an impossible role []
  9. My mother has undiagnosed borderline personality disorder. She absolutely had a child to have someone “all to herself.” []
  10. I was conceived to fulfill an impossible role for my mother. My mother wanted a child to never be alone and exact control. I had a horrible childhood and never quite understood what was wrong with my mom until I got older and could see the bigger picture. (…) I sometimes wonder what my donor sperm father would think about donating to a woman who had unethical reasons to conceive. []
  11. I was raised by a single mom. I felt like I was created with a job to keep her company. She didn’t want a partner. She wanted to be a mom and have kids who wouldn’t leave her. I was always curious about whom my father was, even when I was very young. []
  12. My mother wanted to be a single mother by choice. This happened after trying to have a family the traditional way for many years and just never meeting Mr. Right. From the time I was born until around 28, I never knew or cared about who my donor was. He didn’t raise me, and I certainly didn’t form my identify off of him. As far as I was concerned, I was the product of my mother, donor sperm, and other influences around me. After diving into the donor-conceived vortex, I have started to wonder where I get all of my habits and tendencies from. I know I feel differently than some, but I honestly wouldn’t have had it any other way. I never had a „dad figure“ growing up but I had plenty of male role models to look up to and learn from. []