Stellungnahme des Vereins Spenderkinder zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung von Entscheidungen und die Annahme von Urkunden in Elternschaftssachen sowie zur Einführung eines europäischen Elternschaftszertifikats

Kommissionsdokument COM(2022) 695 final (Interinstitutionelles Dossier 2022/0402 (CNS))
vom 7. Dezember 2022

Stellungnahme am 22. Februar 2023 an das Bundesministerium der Justiz übermittelt

Der Verein Spenderkinder bedankt sich für die Möglichkeit zur Stellungnahme zu dem Vorschlag für die Verordnung des Rates.

I. Der Verein Spenderkinder

Der Verein Spenderkinder wurde im Jahr 2009 gegründet und arbeitet rein ehrenamtlich. Er vertritt die Interessen von durch Samen“spende“ gezeugten Menschen in Deutschland. Dabei repräsentiert er die Sicht der betroffenen Kinder auf Samenspende und andere Formen der Familiengründung mit den Geschlechtszellen einer dritten Person wie Eizellspende, Embryonenadoption und Leihmutterschaft. Zu den Zielen gehört insbesondere, andere Spenderkinder, Menschen mit Kinderwunsch und Spender über die rechtlichen Rahmenbedingungen und psychologischen Herausforderungen dieser Arten der Familiengründung sowie über den aus Sicht des Vereins bestehenden rechtlichen Handlungsbedarf zu informieren.

II. Verordnungsvorschlag

Der Verein Spenderkinder sieht die im Verordnungsvorschlag vorgesehene Anerkennung der in einem Mitgliedstaat wirksam anerkannten Elternschaft in anderen Mitgliedstaaten sowie die vorgesehenen Bestimmungen über das anzuwendende Recht bei der Begründung von Elternschaft in grenzüberschreitenden Fällen kritisch. Zwar wird das im Vorschlag geäußerte Anliegen begrüßt, eine Gleichstellung von LGBTIQ-Personen und insbesondere von Eltern gleichen Geschlechts (zum Beispiel durch eine innerstaatliche Adoption) zu erreichen. Dies sollte jedoch nicht dadurch erreicht werden, dass die Interessen und Rechte der Kinder übergegangen werden, indem alle Formen der Begründung von Elternschaft gleich behandelt werden. Aus Sicht des Vereins Spenderkinder dient die Anerkennung der Elternschaft zwischen den Mitgliedstaaten nicht den Interessen und Rechten des Kindes, sondern viel mehr den Interessen der Eltern. Das zeigt sich auch darin, dass die EU-weite Anerkennung der in einem Mitgliedstaat begründeten Elternschaft vor allem als Schlüsselmaßnahme für die Gleichstellung von LGBTIQ-Personen wahrgenommen wird.1 Zudem zeigt auch die Einführung eines als „Elternschaftszertifikat“ bezeichneten Dokuments, dass der Verordnungsvorschlag auf eine Absicherung der Rechte der Eltern abzielt. Die Bezeichnung zeigt, dass es nicht in erster Linie um die Rechte des Kindes geht, sondern um die der „Wunscheltern“.

Mit dem Vorschlag für eine Verordnung sollen Vorschriften des internationalen Privatrechts in Bezug auf die Anerkennung von Elternschaft in den Mitgliedstaaten harmonisiert werden. Als vorrangiges Ziel des Vorschlages wird der Schutz der Grundrechte und anderer Rechte von Kindern in grenzüberschreitenden Situationen genannt. Aus Sicht des Vereins Spenderkinder werden die Rechte des Kindes durch die Bestimmungen des Verordnungsvorschlags jedoch nicht ausreichend gewürdigt. Bei dem Vorschlag stehen nicht die Rechte des Kindes im Vordergrund, sondern die Rechte der Eltern, die eine Anerkennung ihrer Elternschaft ohne erheblichen Aufwand in den Mitgliedstaaten der EU unabhängig von divergierenden Regelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten erreichen können sollen. Dadurch besteht die Gefahr, dass innerstaatliche Verbote und Regulierungen umgangen werden können.

Der Vorschlag setzt sich aus Sicht des Vereins Spenderkinder nicht vertieft mit den Rechten der Kinder auseinander, die mithilfe von reproduktionstechnischen Maßnahmen entstanden sind und nimmt keine Unterscheidungen zwischen verschiedenen Konstellationen von Elternschaft vor. Er unterscheidet nicht zwischen genetischer Elternschaft, Eltern, die ein Kind innerstaatlich adoptiert haben und zwischen Eltern, die ein Kind mittels Eizellspende oder Leihmutterschaft erhalten haben. Insbesondere werden die Schwierigkeiten nicht adressiert, die sich aus einer solchen Zeugungsart und der Anerkennung der Elternschaft für die Kinder ergeben. Damit genügt die Kommission ihren eigenen Anforderungen an eine „gute Gesetzgebung“, die empirische Evidenz für Gesetzesvorhaben verlangt, nicht. Der Verein Spenderkinder steht insbesondere der Eizellspende und der Leihmutterschaft aufgrund der Verletzung des Kindeswohls und der Rechte der Person, die ihre Eizellen abgibt bzw. das Kind zur Welt bringt, äußerst kritisch gegenüber (siehe Position des Vereins Spenderkinder zur Leihmutterschaft).

Eine unterschiedslose Regulierung von allen Formen der Elternschaft, ist nach der Ansicht des Vereins Spenderkinder abzulehnen. Sie dient nicht dem Interesse des Kindes, sondern führt zur Anerkennung von Praktiken, die von einzelnen Mitgliedstaaten bewusst abgelehnt werden. Dies führt dazu, dass Elternschaften anerkannt werden müssen, die in einem anderen Mitgliedstaat gerade aufgrund der Verletzung des Kindeswohls sowie der Grundrechte von anderen in den Vorgang der Zeugung involvierten Personen verhindert werden sollen. Der vorgegebene Zweck des Verordnungsvorschlags würde damit in sein Gegenteil verkehrt. Die Europäische Union muss im Hinblick auf den Subsidiaritätsgrundsatz und der Verfassungsautonomie der Mitgliedstaaten, unterschiedliche Praktiken in den Mitgliedstaaten beachten.

III. Im Einzelnen

1. Die Vermeidung von zeit- und kostenaufwendigen Gerichtsverfahren zur Anerkennung von Elternschaft ist nicht im Interesse des Kindes

Der Vorschlag soll auch zu Rechtssicherheit und Berechenbarkeit bezüglich der Begründung von Elternschaft in grenzüberschreitenden Fällen und der Anerkennung der Elternschaft beitragen und die Gerichtskosten für die Mitgliedstaaten und Familien in Zusammenhang mit gerichtlichen Verfahren zur Anerkennung der Elternschaft in einem anderen Mitgliedstaat senken. Zeit- und kostenaufwendige Gerichtsverfahren zur Anerkennung der Elternschaft sollen verhindert werden. Diesbezüglich stellt sich aus Sicht des Vereins Spenderkinder wiederum die Problematik der mangelnden Unterscheidung zwischen den verschiedenen Formen der Begründung von Elternschaft. Insbesondere können Samen-, Eizell-, Embryonen“spende“ und Leihmutterschaft zu erheblichen Identitätskonflikten für das Kind führen. Das gilt insbesondere dann, wenn die „Spende“ primär finanziell motiviert ist und die Kinder kein Recht haben zu erfahren, von wem sie genetisch abstammen.

Im Fall der Inanspruchnahme von assistierter Reproduktion (insbesondere der Inanspruchnahme einer Keimzellen“spende“ oder einer Leihmutterschaft) kann gerade die Aussicht auf ein erforderliches Gerichtsverfahren zur Anerkennung der Elternschaft in anderen Mitgliedstaaten dazu führen, dass sich „Wunscheltern“ intensiv mit dieser Art der Familiengründung auseinandersetzen, sich über alternative Methoden der Kinderwunscherfüllung informieren und das Kindeswohl in den Mittelpunkt ihrer Entscheidung stellen. Eine Anerkennung jeglicher Form von Elternschaft in grenzüberschreitenden Fällen ohne erheblichen Aufwand für die „Wunscheltern“ kann dagegen dazu führen, dass diese die medizinischen, psychologischen und ethischen Bedenken hinsichtlich der einzelnen Reproduktionsmaßnahmen weniger in ihre Entscheidung miteinbeziehen und die Rechte des Kindes nicht ausreichend würdigen.

2. Unionsweite Anerkennung der in einem Mitgliedstaat begründeten Elternschaft ist nicht im Interesse und zum Wohl des Kindes

Wie der Verordnungsvorschlag ausführt, sind die Mitgliedstaaten bereits verpflichtet, die in einem anderen Mitgliedstaat begründete Elternschaft für die Zwecke der Ausübung von aus dem Unionsrecht hergeleiteten Rechte anzuerkennen. So hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass jeder Mitgliedstaat das Eltern-Kind-Verhältnis anerkennen muss, damit das Kind mit jedem Elternteil das in Art. 21 Abs. 1 AEUV garantierte Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, uneingeschränkt ausüben kann und darüber hinaus auch alle Rechte ausüben kann, die das Kind aus dem Unionsrecht erlangt.2 Mit dem Vorschlag wird darüber hinaus eine Anerkennung der Elternschaft für alle Zwecke beabsichtigt. Hierbei soll die unionsweite Anerkennung der Elternschaft auch zur Durchsetzung der Rechte führen, die sich aus nationalem Recht herleiten. In seinen Erwägungsgründen beruft sich der Verordnungsvorschlag auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes.3 Demnach ziele der Verordnungsvorschlag darauf ab, das Recht des Kindes auf Identität (Art. 8 UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes), Nichtdiskriminierung (Art. 2 UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes) und auf Privat- und Familienleben (Art. 9 UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes) zu wahren.

Aus Sicht des Vereins Spenderkinder verkennt der Verordnungsvorschlag hierbei, dass es gerade im Interesse des Kindes ist, die Abstammung zu seinen genetischen Eltern zu kennen und zu diesen auch Kontakt pflegen zu können. Die genetische Abstammung macht einen wesentlichen Teil der Identität jedes Kindes aus und einer gezielten Spaltung von genetischer und sozialer Elternschaft durch die Inanspruchnahme von Reproduktionstechniken steht der Verein der Spenderkinder kritisch gegenüber. Diese Rechte der Kinder klammert der Verordnungsvorschlag jedoch vollständig aus. Aus Sicht des Vereins Spenderkinder ist eine unterschiedslose Behandlung von unterschiedlichen Formen der Begründung von Elternschaft (genetische Elternschaft, Elternschaft durch innerstaatliche Adoption, Elternschaft durch Verwendung von Keimzellen“spenden“ oder Leihmüttern) nicht gerechtfertigt.

Aus Sicht des Vereins Spenderkinder verspüren bei einer unterschiedlichen Anerkennung von Elternschaft in grenzüberschreitenden Fällen primär die Eltern Nachteile. Der Verordnungsvorschlag setzt sich nicht vertieft mit den möglichen negativen Auswirkungen für die Kinder auseinander. Vielmehr wird unterstellt, dass die Nachteile für die Eltern gleichzeitig Nachteile für die Kinder darstellen. Er geht nicht darauf ein, ob die mit dem Vorschlag verbundenen Vorteile die mit ihm verbundenen Nachteile überwiegen. Die Wahrung der Rechte des Kindes kann auch durch andere Regelungen sichergestellt werden. Eine unionsweite Anerkennung jeglicher Form von Elternschaft ist hierzu nicht im Interesse des Kindes und auch nicht erforderlich.

3. Eine unionsweite Anerkennung von Elternschaften führt auch zur Anerkennung von Elternschaften, die zum Schutz des Kindes und der Person, die das Kind zur Welt bringt, in anderen Mitgliedstaaten verboten sind

Besonders problematisch sind aus Sicht des Vereins Spenderkinder die Regelungen des Kapitel III über das anzuwendende Recht. Art. 17 Abs. 1 des VO-Vorschlags bestimmt, dass auf die Begründung der Elternschaft das Recht des Staates anzuwenden ist, in dem die gebärende Person zum Zeitpunkt der Niederkunft ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder subsidiär das Recht des Staates, in dem das Kind geboren wurde. Bei einer Leihmutter wäre dies der Staat, in dem Leihmutterschaft zulässig ist und die Regelung müsste in anderen Mitgliedsstaaten anerkannt werden. Diese Vorschrift kann bereits dazu führen, dass Formen der Begründung von Elternschaft, die durch den Verein Spenderkind deutlich abgelehnt werden4, unionsweit anerkannt werden müssen.

Die Regelungen im Bereich der Reproduktionsmedizin divergieren stark zwischen den Ländern. Insbesondere die Leihmutterschaft ist in vielen Mitgliedstaaten verboten, weil sie Kinder zu handelbaren Objekten macht und Schwangerschaft als Dienstleistung kommerzialisiert. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte feststellte, berühren reproduktionsmedizinische Techniken schwierige Fragen der Moral und Ethik und betreffen damit einen Bereich, in denen es keine gemeinsame Vorstellung der Konventionsstaaten gibt.5 Die Regelungen eines Mitgliedstaates zur Begründung von Elternschaft in den Fällen der Erzeugung eines Kindes mithilfe reproduktionsmedizinischer Techniken berühren das Grundverständnis jedes einzelnen Mitgliedstaates und aufgrund des engen Bezugs zur Menschenwürde gleichzeitig die Verfassungsautonomie und -identität. Sie spiegeln damit einen gesellschaftlichen Konsens über höchst komplexe und kulturell-, sozial- und politisch-verwurzelte Fragen der Bioethik wieder. Ein solcher Konsens über bestimmte Fragen der rechtlichen und ethischen Bewertung der Reproduktionsmedizin ist bereits innerhalb einzelner Mitgliedstaaten fraglich. Der Verordnungsvorschlag führt in seiner Begründung aus, dass das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten, dass alle Mitgliedstaaten die in Art. 2 EUV festgelegten Werte teilen, eine Anerkennung der in einem Mitgliedstaat begründeten Elternschaft in einem anderen Mitgliedstaat rechtfertige.6 Damit schreitet die Kommission in ihrem Weg voran, Art. 2 EUV als föderale Homogenitätsklausel umzudeuten.7 Ein solches Verständnis von Art. 2 EUV beraubt die Mitgliedstaaten ihre genuine, in ihrer Staatlichkeit angelegte Verfassungsautonomie.

In einigen Mitgliedstaaten werden entgegen des Interesses des zu zeugenden Kindes Ei- und Samenzellen kommerziell und anonym gehandelt, die betroffenen Kinder haben kein Recht, Informationen über ihre genetische Eltern zu erhalten. In anderen Mitgliedsstaaten wie z. B. Griechenland dürfen sind „altruistische“ Leihmutterschaften zulässig, die Voraussetzungen werden Berichten zufolge jedoch kaum kontrolliert, so dass sich de facto doch eine Kommerzialisierung entwickelt hat.8 Durch den Verordnungsvorschlag müssten auch diese Begründungen von Elternschaften, die in einem anderen Mitgliedstaat bewusst abgelehnt werden, dort anerkannt werden. Aus Sicht des Vereins Spenderkinder ergeben sich hieraus erhebliche Bedenken in Bezug auf den Subsidiaritätsgrundsatz und den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung sowie die Verfassungsautonomie und -identität der Mitgliedstaaten. Die Anerkennung der Souveränität der Mitgliedstaaten wird durch die Forderung einer Anerkennung von materiell-rechtlichen Regelungen über die Begründung von Elternschaft in Frage gestellt, wenn in grenzüberschreitenden Fällen eine fragwürdige – und nach Verständnis des Mitgliedstaates rechtswidrigen – Gesetzgebung im Bereich des Familienrechts den anderen Mitgliedstaaten aufgedrängt wird.

4. Universelle Anwendung des Rechts führt zu Anerkennung von Elternschaften, die mit den Grundsätzen des EU-Rechts nicht vereinbar sind

Verschärft wird das unter III. 2. dargelegte Problem dadurch, dass Art. 16 des VO-Vorschlags vorsieht, dass das nach dem Verordnungsvorschlag als anzuwendende Recht bezeichnete Recht auch dann anzuwenden ist, wenn es sich um das Recht eines Drittstaates handelt (Universelle Anwendung des Rechts). Demnach betrifft dies auch das Verfahren, nach dem Leihmutterschaften in Nicht-EU-Staaten anerkannt werden können. In der EU ist gemäß der Geweberichtline von 20049 ein Handel mit Gewebe und Organen nicht zulässig. Damit ist jede Form des kommerziellen Handels mit Ei- und Samenzellen untersagt. Die Regelungen eines Drittstaates über die Begründung von Elternschaft sind gemäß dem Verordnungsvorschlag jedoch anzuerkennen, selbst wenn ein Handel mit Ei- und Samenzellen stattgefunden hat. Da der gewöhnliche Aufenthaltsort der gebärenden Person für das anzuwendende Recht ausschlaggebend ist, muss auch eine Leihmutterschaft, die in einem Drittstaat durchgeführt worden ist, anerkannt werden. Dies steht in einem erheblichen Konflikt zu den Grundsätzen der EU und führt de facto dazu , dass Verfahren anerkannt werden, die die zMenschenwürde (Art. 1 GRCh, Art. 1 Abs. 1 GG) verletzen, weil Kinder als handelbare Objekte behandelt werden und Schwangerschaft als Dienstleistung. s

5. Unionsweite Anerkennung von Elternschaft führt zu einer Steigerung des globalen „Reproduktionstourismus“

Der Verordnungsvorschlag kann dazu führen, dass der sogenannte „Reproduktionstourismus“ in der EU noch weiter gesteigert wird und „Wunscheltern“ für die Verwirklichung ihres Kinderwunsches mittels reproduktionsmedizinischer Maßnahmen in EU-Mitgliedstaaten reisen, die schwächere Regulierungen zum Schutz des Kindes aufweisen, um eine unionsweite Anerkennung ihrer Elternschaft sicherzustellen – und damit auch in dem Staat, in dem sie eigentlich ansässig sind. Dies würde zu einem „race to the bottom“-Effekt auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin führen.

Aufgrund der Anwendung des Rechts von Drittstaaten kann der Verordnungsvorschlag sogar dazu führen, dass der sogenannte „Reproduktionstourismus“ weltweit noch gesteigert wird und „Wunscheltern“ in Drittstaaten reisen, in denen Reproduktionsmedizin völlig unreguliert stattfindet und die Rechte der Kinder nicht geschützt werden und die Personen, die die Kinder zur Welt bringen, ausgebeutet werden. Auch auf globaler Ebene könnten die vorgeschlagenen Regelungen zu einem „race-to-the-bottom“-Effekt im Bereich der Regulierungen der Reproduktionsmedizin führen.

6. Ausschlussgründe vage und rechtsunsicher

Der Verordnungsvorschlag sieht eine Möglichkeit vor, die Anwendung einer Vorschrift des nach der Verordnung bestimmten Rechts zu versagen, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist (Art. 22 Abs. 1 des VO-Vorschlags). Diese Ausnahme von der Anwendung des Rechts eines anderen Mitgliedstaates ist aber äußerst vage und unbestimmt. Der Vorschlag sieht hingegen vor, dass Mitgliedstaaten eine Ausnahme nicht anwenden können, um das Recht eines anderen Staates unangewendet zu lassen, wenn dies gegen die Charta verstößt (Art. 22 Abs. 2 des VO-Vorschlags). In der Begründung heißt es, dass die Ausnahme nicht gilt, um eine Rechtsvorschrift eines anderen Staates abzulehnen, in dem eine Elternschaft von zwei gleichgeschlechtlichen Eltern möglich ist (Seite 18 der Begründung). Darüber hinaus schweigt der Vorschlag über die Möglichkeiten von Ausnahmen.

Aus Sicht des Vereins Spenderkinder ist die Regelung des Art. 22 VO-Vorschlags zur Ausnahme aufgrund eines offensichtlichen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung zu vage. Es bleibt unklar, wann eine Ausnahme eingreifen kann und wann sich ein Mitgliedstaat nicht auf einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung berufen kann. Daher sollte das Verbot von Leihmutterschaft hier zumindest ausdrücklich als ein Grund aufgenommen werden, auf den sich die Mitgliedsstaaten als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung berufen können.

7. Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen, öffentlicher Urkunden mit verbindlicher Rechtswirkung, die Annahme öffentlicher Urkunden ohne verbindliche Rechtswirkung und die Einführung eines Europäischen Elternschaftszertifikats bergen dieselben Problematiken

Aus Sicht des Vereins Spenderkinder sind die weiteren Regelungen zu einer unionsweiten Anerkennung von Elternschaft ebenfalls fragwürdig. Auch eine Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen und von öffentlichen Urkunden durch einen Mitgliedstaat, mit denen die Elternschaft in einem anderen Mitgliedstaat begründet wird, führt dazu, dass Formen von Elternschaften anerkannt werden müssen, die in einem anderen Mitgliedstaat bewusst zum Wohl des Kindes abgelehnt werden. Wiederum ist laut Verordnungsvorschlag eine Versagung der Anerkennung nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung (ordre public) möglich, die jedoch nur ausnahmsweise und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erfolgen darf und nicht unter abstrakten Gesichtspunkten (vgl. S. 19 der Begründung des Verordnungsvorschlages).

8. Allgemeine Bemerkungen

In einigen Mitgliedsstaaten wie z. B. Spanien, Dänemark und Tschechien sind anonyme Samen- und Eizellenspenden nach wie vor zulässig und werden recht offensichtlich kommerzialisiert. Daher verwundert es doch stark, dass die Kommission nur einen Vorschlag über eine unionsweite Anerkennung solcher Praktiken vorlegt und nicht wenigstens gleichzeitig sicherstellt, dass durch Samen- und Eizellspenden gezeugte Menschen ihr Recht auf Kenntnis der Abstammung, das auch durch die Europäische Menschenrechtskonvention geschützt wird, auch tatsächlich verwirklichen können. Diesen Aspekt sollte die Bundesregierung daher bei den Verhandlungen zu dem Verordnungsvorschlag einbringen.

Die Bundesregierung sollte sich außerdem bemühen, dass der Leihmutterschaftstourismus in Drittstaaten unterbunden wird, in denen Leihmutterschaft kommerzialisiert durchgeführt wird und die Rechte der Kinder und Leihmütter nicht ausreichend geschützt werden. Die derzeitige Haltung beschränkt sich leider allgemein auf den Hinweis, dass man Wunscheltern entsprechende Verträge im Ausland nicht verbieten könne – und wenn das Kind geboren wurde darauf, dass man das Kind schützen müsse und daher eine Anerkennung zumindest dann zulässig sein müsse, wenn es sich um eine mit einer Gerichtsentscheidung begründeten Elternschaft handelt. Damit wird jedoch eine Situation geschaffen, in der man einen Rechtsbruch für diejenigen Wunscheltern in Deutschland legalisiert, die genug Geld und Zeit investieren. Das wird dann wiederum als Begründung herangezogen, warum Leihmutterschaft (zumindest „altruistisch“) auch in Deutschland erlaubt werden sollte. Die Bundesregierung sollte daher von den Staaten fordern, die derzeit die Hotspots des Leihmutterschaftstourismus darstellen, dass sie ihre „Leistungen“ nur noch an im Inland ansässige Personen vermitteln. Kinder und Schwangerschaft sollten kein Exportgut sein.

1 Eine Union der Gleichheit: Strategie für die Gleichstellung von LGBTIQ-Personen 2020-2025 (COM(2020) 698 final), S. 21.

2VO-Vorschlag, Erwägungsgrund 2.

3Position des Vereins Spenderkinder zu Leihmutterschaft: https://www.spenderkinder.de/leihmutterschaft/

4 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 3. 11. 2011 – 57813/00 (S. H. u. a. / Österreich).

5 VO-Vorschlag, Erwägungsgründe Ziff. 21.

6 Nettesheim, EuR 2022, 525 (533 ff.).

7 EG-Richtlinie 2004/23/EG.

8Vgl. Zeit Online vom 24. Mai 2019: Das ist nicht ihr Baby, https://www.zeit.de/wirtschaft/2019-05/leihmuetter-griechenland-babys-kinderlose-paare-deutschland/komplettansicht

9Urteil des Gerichtshofs vom 14. Dezember 2021, V.M.S./Stolincha obshtina, C-490/20, ECLI:EU:C:2021:1008.