In vielen Artikeln über Samenspenden oder den Forderungen nach der Zulassung von Eizellspenden oder sogar Leihmutterschaft in Deutschland wird darauf verwiesen, dass Studien belegten, dass die Kinder sich gut entwickeln würden und keine psychologischen Auffälligkeiten zeigen würden. Meistens werden als Quelle die Studien um ein Team von Susan Golombok angegeben.
Damit sollen eher schematisch Bedenken entkräftet werden, dass eine Zeugung mit Keimzellen Dritter zu Belastungen für die entstehenden Kinder führen könnte. Das scheint oft nicht zu der schönen Erzählung zu passen, dass es in modernen Familien ausreiche, dass ein Kind sehr gewollt wurde.
Die Aussagekraft dieser Studien ist jedoch begrenzt – was in dem Berichten hierüber (vielleicht auch ergebnisorientiert) leider untergeht. Was die Studien zeigen, ist lediglich, dass Familien, die mit den Geschlechtszellen einer dritten Person entstanden sind, „gut funktionieren“, die Kinder im Durchschnitt eine gute soziale Bindung zu ihren Wunscheltern aufweisen sowie sozial und emotional altersgemäß entwickelt („well adjusted“) sind. Das zeigt, dass eine gute Eltern-Kind-Beziehung auch ohne genetische Verbindung möglich ist und dass eine Zeugung mit den Geschlechtszellen einer dritten Person nicht zu einer Entwicklung des Kindes führt, die sich merklich von der anderer Kinder unterscheidet.
Kritisch an diesen Studien zum angeblichen Wohlbefinden von Spenderkindern ist einerseits, dass sie auf Stichproben beruhen, die ziemlich wahrscheinlich nicht repräsentativ sind für Familien, die mit Keimzellen Dritter gezeugt wurden z.B. nur Kinder teilnehmen, deren Eltern eingewilligt haben und ein bestimmtes Ergebnis erzielen wollen, das Untersuchungsinhalt der Studie ist. Es wurde nur das äußerlich wahrnehmbare Verhalten der Kinder beobachtet bzw. allgemeine Fragen gestellt. Nur in wenigen Fällen, in denen die Kinder aufgeklärt waren und die Eltern eingewilligt hatten, wurden den Kindern auch Fragen gestellt, wie sie ihre besondere familiäre Situation wahrnehmen und welche Rollen die Beteiligten einnehmen.
Studien können Loyalitätskonflikt und zunehmende emotionale Differenzierung kaum wiedergeben
Kinder, für die ihr genetischer Vater/ihre genetische Mutter eine Bedeutung hat, haben einen ernstzunehmenden Loyalitätskonflikt. Die Kinder wachsen in einem Umfeld auf, das ihnen durch Begriffe (z.B. „Vater“/“Mutter“/“Spender“/“Spenderin“) und Präsenz (wer ist sichtbar, wer nicht?) eine Realität und Erwartungen vermittelt. Es ist fraglich, ob ein Kind, das auch an seinen genetischen Vater/seine genetische Mutter denkt, sich traut, dies gegenüber Forschern darzustellen, wenn es davon ausgeht, dass seine rechtlichen Eltern, mit denen es täglich zu tun hat und die es mag und nicht traurig stimmen möchte, davon erfahren. Dieser Konflikt besteht im Übrigen auch für nicht-aufgeklärte Kinder, wenn sie für sich unerklärlicherweise weniger Nähe zu einem Elternteil empfinden, als sie meinen, dass dieser von ihnen wünscht. Dies kann besonders belastend für das Kind sein, wenn es keine äußere Erklärung hat, sondern die Gründe bei sich selbst sucht.
Die Studien liefern keine Erkenntnisse, wie es den „Kindern“ im Laufe ihres Lebens mit ihrer Entstehungsweise geht. Für das Kind stellen sich mit zunehmender emotionaler Ausdifferenzierung jedoch möglicherweise die Fragen „Wie lebt es sich damit, dass ich einen anderen genetischen Vater bzw. eine andere genetische Mutter und möglicherweise Halbgeschwister habe? Weswegen hat er bzw. sie mich abgegeben? Ist er bzw. sie an mir interessiert? Würde ich sie stören, wenn ich Kontakt aufnehme? Welchen Platz kann ich in ihrer/seiner sozialen Familie einnehmen?“ Hinzu kommen gesellschaftliche Erwartungen, die Spenderkindern mitgegeben werden. Jedes unserer Mitglieder hat schon mehrere Male den Hinweis gehört, dass es berücksichtigen müsse, dass es die Familie seines genetischen Vaters gefährde, wenn es Kontakt aufnähme und dass es verstehen müsse, dass es für seinen genetischen Vater ganz schrecklich wäre, wenn es sich meldet. So absurd diese Forderungen eigener Geringschätzung sind, sie sind allgegenwärtig.
Was bedeutet „gut entwickelt“ (well adjusted)?
Was bedeutet es aber, gut entwickelt zu sein? Dass Spenderkinder keine offensichtlichen Normabweichungen aufweisen, wird häufig gleichgesetzt mit der Aussage, dass Spenderkinder ihre Entstehungsweise akzeptieren oder sogar begrüßen. Das würde aber bedeuten, unter „guter Anpassung“ eine unkritische Haltung zu verstehen, die elterliche und gesellschaftliche Erwartungen nicht hinterfragt.
Neben der erwähnten methodischen Kritik stellen Wissenschaftler (und diejenigen, die sie zitieren) in qualitativer Forschung möglicherweise nicht die richtigen Fragen, um „Entwicklung“ beurteilen zu können. So können Kinder altersgemäß gut entwickelt sein und sich trotzdem durch ihre Entstehungsgeschichte belastet fühlen, zum Beispiel weil sie ihre Halbgeschwister nicht kennen oder wenig Kontakt zu ihnen haben.
Wie würde man es einordnen, wenn Kinder ihre rechtlichen Eltern lieben, gute Ergebnisse in der Schule erzielen und Freundschaften pflegen – aber sich dennoch unwohl mit dem Gedanken fühlen, dass sie die Identität ihrer genetischen Eltern nicht kennen oder dass sie viele unbekannte Geschwister haben? Oder damit, dass sie damit rechnen müssen, dass ein genetischer Elternteil kein Interesse an ihnen hat? Sind diese Kinder immer noch gut entwickelt? Viele Spenderkinder sagen, dass sie in ihrer Kindheit den Test, ob sie gut angepasst sind, erfolgreich bestanden hätten – aber dass sie zutiefst beunruhigt von ihrer Entstehungsgeschichte oder dem Umgang ihrer Eltern damit waren. Und auch wenn ein Kind sozial gut angepasst ist, kann es trotzdem Zugang zur Identität der genetischen Eltern wollen oder ethische Bedenken gegenüber der Reproduktionsmedizin haben.
Der Nebel (the fog)
Hinzu kommt, dass für Spenderkinder ihre Entstehungsweise häufig erst im Erwachsenenalter an Bedeutung gewinnt, wenn sie sich zunehmend emotional von ihrer Herkunftsfamilie lösen. Kinder sind oft noch stark geprägt von der Sichtweise ihrer Eltern, welche Gefühle und Gedanken sie haben sollen, und haben oft auch ein Bedürfnis, ihre Eltern vor negativen Gefühlen zu schützen. Insbesondere bei einer Zeugung mit den Geschlechtszellen Dritter ist die Sichtweise der Kinder für die rechtlichen Eltern besonders wichtig, da sie durch die Akzeptanz dieser Familienform durch die Kinder emotional als Eltern legitimiert werden.
Adoptierte sprechen von einem Anpassungsmechanismus, den sie als „Nebel“ bezeichnen: wenn Adoptierte (und zum Teil auch deren Geburtseltern) glauben und ausdrücken, dass Adoption wunderbar oder problemlos sei. Erst wenn sie sich aus diesem Nebel herausbewegen, können sie das Trauma und die besonderen Belastungen der Adoption adressieren und verarbeiten.
Erwachsene Spenderkinder berichten Ähnliches:
Ich wusste es schon immer, aber erst als ich als Erwachsene Erfahrungsberichte anderer Spenderkinder gelesen habe, erkannte ich, dass ich das Recht hatte, verletzt, wütend und traurig zu sein. (Courtney Tucker)
Ich wusste schon immer, dass meine Mutter mich bewusst alleine bekommen hat. Ich war immer neugierig, aber wusste nicht, dass es möglich war oder dass es andere gab, die genauso gezeugt wurden – bis ich 17 war und eine Fernsehshow über Spenderkinder und das Donor Siblings Registry sah. Das öffnete komplett meine Augen und ich erkannte, wie kaputt alles war. (Lindsay Boyce)
Ich habe es mit 22 Jahren erfahren. Zu dem Zeitpunkt gab es niemanden in meinem Leben, der mir helfen konnte meine Gefühle zu benennen. Ich fühlte mich hilflos, und das Gefühl mochte ich nicht, daher habe ich versucht es so viel wie möglich herunterzuschlucken und zu vergessen. Rückblickend habe ich versucht, durch Verdrängung zu verarbeiten. Erst als über zehn Jahre später DNA Tests realistisch erschienen und ich anfing, über die erfolgreichen Suchen anderer Spenderkinder zu lesen, habe ich mir Gefühle erlaubt. Es fühlte sich auch an, als wäre es respektlos und disloyal gegenüber meinem Dad, zu suchen, neugierig oder aufgebracht zu sein oder überhaupt irgend etwas anderes als dankbar, and ich wollte von mir selbst nicht als schlechte Tochter oder undankbar denken, insbesondere angesichts der unidentifizierbaren Gefühle, die ich unter der Oberfläche befürchtete. (anonym)
Ich wusste seit ich 9 bin, dass ich ein Spenderkind bin. Meine Eltern sagten mir, dass mein Vater mein Vater sei und mich lieben würde, und dass ich mir keine Sorgen machen müsste. Sie waren nicht dagegen, dass ich etwas über meinen genetischen Vater herausfinde, aber ich äußerte nie Interesse. Erst als ich 25 war und in meiner ersten ernsthaften Beziehung, hörte ich einen Podcast, dass Menschen ein Recht auf Zugang zu ihrer DNA haben. Und auf einmal war es mir wichtig. Ich glaube es wurde immer wichtiger für mich, als ich mich auf die Suche machte und zunächst nicht die Antworten finden konnte, die ich haben wollte. (anonym)
Ich habe es schon mein ganzes Leben lang gewusst, aber es war erst im letzten Jahr, dass ich angefangen habe, zu entdecken, was es bedeutet ein Spenderkind zu sein. Seitdem jemand den „Nebel“ erwähnte und ich angefangen habe, darüber zu lesen, habe ich mich ernst genommen gefühlt, als hätte ich die Erlaubnis, mich auf diese Reise zu begeben. Ich bin bei einer lesbischen Mutter aufgewachsen und als Kind habe ich das Gefühl gehabt, dass es meine Verantwortung ist, jegliche Fragen oder Vorurteile zu vermeiden, dass meine Zeugungsart keine gute Sache sein könnte. Als müsste ich beweisen, dass ich nicht anders als alle anderen war, gut angepasst und dass mir nichts fehlt. Ich habe Leuten unzählige Male erzählt, dass ich keinen Vater habe und auch keinen brauche. (anonym)
Gut angepasst, aber kritisch
In Studien zu erfassen, wie es Spenderkindern wirklich geht, ist bereits methodisch äußerst komplex, insbesondere wenn junge Spenderkinder untersucht werden sollen. Abgesehen davon müssen aber sogar allgemeine Zufriedenheit und Wut über die eigene Entstehungsweise oder z.B. das Desinteresse des genetischen Vaters oder der genetischen Mutter keine Gegensätze darstellen, sondern können nebeneinander existieren. Fast alle unsere Mitglieder stehen mitten im Leben, sind beruflich erfolgreich, haben Freunde, sind in Beziehungen und haben zum Teil selbst Kinder. Selbst wenn Spenderkinder also gut funktionierende Mitglieder der Gesellschaft sind, kann das kein Argument sein, um diese Erzeugungsweise von Menschen zu legitimieren. Viele Spenderkinder hinterfragen diese Form der Familiengründung kritisch.
Es gibt keine Möglichkeit sicherzustellen, dass ein Kind die Zeugung mit den Keimzellen einer dritten Person okay finden wird, Reproduktionsmedizin befürworten oder glücklich über die Zeugungsart sein wird. Kritisch gegenüber der Zeugung durch „Spender“ zu sein ist nicht das Gegenteil davon, gut angepasst zu sein.
Wir wünschen uns, dass in der Diskussion und medialen Berichterstattung die Gefühle von erwachsenen Spenderkindern ernst genommen werden – und nicht damit abgebügelt werden, dass wir nicht psychopathologisch auffällig sind. Wir wünschen uns auch, dass gesellschaftliche Erwartungen an Spenderkinder, wie z.B. dass sie besonders dankbar sein sollten oder verstehen sollten, dass ihre genetischen Väter kein Interesse an ihnen haben, hinterfragt werden. Eine ehrliche Berichterstattung beinhaltet, dass die Zeugung mit Geschlechtszellen Dritter das entstehende Kind in eine schwierige Familiensituation bringt, weil es die eigenen Gefühle und die der Eltern hinsichtlich sozialer und genetischer Elternschaft miteinander vereinbaren muss und dass sich dies belastend auf das entstehende Kind auswirken kann.