Archiv der Kategorie: Wissenschaftliche Studien

Spenderkinder-Jahresrückblick 2024

1. Verein

Am 14. September 2024 fand unser offizielles Vereinstreffen in Berlin bzw. hybrid statt. Katharina unterstützt seitdem bei der Beantwortung von Elternanfragen.

Im Februar und November fanden Online-Spenderkindertreffen statt. Jan organisiert und moderiert die Treffen. Vorgesehen ist ein Treffen alle zwei bis drei Monate. Das nächste Online-Treffen findet am 18. Februar 2025 statt.

2. Verwandtentreffer

Für Spenderkinder, die noch keinen DNA-Test gemacht haben, empfehlen wir weiterhin Ancestry, weil man die Rohdaten dieses Tests auch bei FamilyTreeDNA und MyHeritageDNA kostenlos hochladen kann.

Dieses Jahr haben unsere Mitglieder mindestens 4 weitere genetische Väter identifiziert. Insgesamt haben wir 60 genetische Väter identifiziert. Außerdem haben wir 8 neue Halbgeschwistergruppen (insgesamt 82), die größte Gruppe umfasst 35 Kinder.

3. Veranstaltungen

  • Öffentlicher Abend von terre des femmes zum Thema Leihmutterschaft in Berlin im Mai
  • Workshop der ev. Kirche Deutschland (EKD) in Hannover im September
  • Online-Vortrag bei Fortbildungsveranstaltung für ErzieherInnen „Eltern-Kind-Beziehung ohne biologische Verwandtschaft“ des Fortbildungszentrums Köln/Kalk im Oktober

4. Öffentlichkeitsarbeit / Internetseite

Tobias Bauer und Anne Meier-Credner haben den zweiten Artikel über die Befragung von Spenderkindern in Deutschland veröffentlicht, die mit 59 Teilnehmenden zwischen 21 und 46 Jahren die Studie mit den bislang meisten Befragten in Deutschland darstellt: Bauer, T., & Meier-Credner, A. (2024). Intra-familial dynamics of knowledge and ignorance experienced by donor-conceived adults in Germany. SN Social Sciences, 4, 163. doi.org/10.1007/s43545-024-00967-w

Spenderkinder-Mitglied Roman Rübe hat mit einem kleinen Team aus seiner eigenen Geschichte ein Solo-Theaterstück entwickelt. Das Theaterstück „Kein Bild von dir“ hat den Schweizer Nachwuchspreis für Kleinkunst „Jungsegler“ beim Theaterfestival „nordart“ in Stein am Rhein gewonnen. Unseres Wissens ist es das erste Theaterstück eines Spenderkindes über diese Thematik.

Spenderkinder-Mitglied Julia Walerian hat für ihre Bachelorarbeit in Kommunikationsdesign an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin schon im letzten Jahr eine Videoinstallation mit dem Titel „Dein Papa ist nicht dein Papa“ gestaltet. Der Film der Videoinstallation ist jetzt auch auf Youtube zu sehen.

Donum vitae e.V., einer der großen Anbieter von Schwangerschafts(konflikt)beratung hat Ende 2024 sein Konzept zur psychosozialen Kinderwunschberatung veröffentlicht. Wir freuen uns besonders, dass donum vitae sich ausdrücklich dem Grundsatz einer „doppelten Anwaltschaft“ verpflichtet, bei der die Beratungsfachkraft an der Seite der ratsuchenden Person steht und gleichzeitig die Rechte anderer involvierter Personen aufzeigt, die in dem Moment nicht für sich selbst sprechen können. In den vergangenen Jahren brachten wir als Referentinnen bei Fortbildungsveranstaltungen von donum vitae mehrfach die Perspektive von Spenderkindern ein.

Das Projekt Kompetenzzentrum Kinderwunsch (KompKi) endete im Juli mit einem virtuellen Fachtag in Berlin. Der Abschlussbericht und das im Rahmen des Projektes entwickelte Konzept für ein Kompetenzzentrum Kinderwunsch sind bis März auf der Projekthomepage und anschließend auch auf dem Informationsportal Kinderwunsch des BMFSFJ unter Publikationen abrufbar. Spenderkinder hatte sich bei dem Projekt vielfältig als Gesprächspartner an Fachgesprächen und mit einem Workshop eingebracht. Wir freuen uns, die Perspektive der Spenderkinder auch im Konzept und im Abschlussbericht wiederzufinden.

Infos zu Beiträgen von, über und mit uns oder unser Thema posten wir gelegentlich auch auf unserer Internetseite, Twitter, Facebook und Instagram.

Sunny hat auf ihrem YouTube Kanal Reagenzglasbaby einige spannende Beiträge veröffentlicht, die über die Playlist für Spenderkinder zu finden sind:

Sehr präsent waren auch 2024 die Themen Eizellspende und Leihmutterschaft sowie Massenspender. Das spiegelt sich insbesondere in den Punkten Rechtliches, Medienbeiträge und Beratung wider.

5. Rechtliches

Die Beratung von Spenderkindern findet vor allem zum Thema Vaterschaftsanfechtung und Überprüfung der Vaterschaft statt, von Wunscheltern in Bezug auf Durchsetzung von Auskunft für ihre Kinder. Immer wieder geht es dabei um Keimzellvermittlung im Ausland.

Gerichtsverfahren

Es laufen weiterhin mehrere Gerichtsverfahren unserer Mitgieder gegen Novum sowie eins gegen einen Arzt aus Bad Nauheim.

Politik

Im Januar 2024 hat das Bundesministerium der Justiz Eckpunkte veröffentlicht zur Reform des Abstammungsrechts sowie des Kindschaftsrechts. Der Verein Spenderkinder hat dazu eine Stellungnahme abgegeben.

Die Reform des Abstammungsrechts sah eine Weiterentwicklung des Abstammungsrechts insofern vor, dass eine Elternstellung auch durch eine Vereinbarung vor Zeugung des Kindes geschaffen werden sollte. Wichtig für Spenderkinder ist insbesondere, dass ein Anspruch geschaffen werden sollte, die leibliche Abstammung auch gegenüber Dritten gerichtlich zu klären, ohne dass damit Rechtsfolgen wie eine Feststellung als Elternteil verbunden sind. Bislang gab es den Anspruch auf Klärung der Abstammung nur gegen die rechtlichen Eltern (§ 1598a BGB). Außerdem sollte der in der Rechtsprechug anerkannte Anspruch des Kindes gegen die Eltern auf Informationen über seine Abstammung ausdrücklich im Gesetz festgehalten werden.

Mit dem vorzeitigen Ende der Regierungskoalition Anfang November 2024 werden die Vorhaben nun erst einmal nicht weiterverfolgt. Das Bundesministerium der Justiz hat die Gesetzentwürfe jedoch als Diskussionsetwürfe veröffentlicht. Inwiefern diese weiterverfolgt werden, wird sich erst mit der Zusammensetzung einer neuen Regierung nach der voraussichtlichen Bundestagswahl Ende Februar 2025 klären.

7. Beratung

Beratung von Wunscheltern: Auch in diesem Jahr haben sich wieder einige Wunscheltern bei unserem Verein mit Beratungsgedarf gemeldet. Es gab insbesondere einige Anfragen von Müttern, die wissen oder vermuten, ein Kind des Massenspenders Jonathan Jacob Meijer zu haben sowie Anfragen von Frauen, die überlegen, als Single-Mother ein Kind zu bekommen. Seit September unterstützt Katharina bei der Elternberatung. Weiterhin bieten wir für Eltern (von Spenderkindern) einen Austausch über einen eigenen Mail-Verteiler an.

Kontakt zu ehemaligen „Samenspendern“/Beratung: Gelegentlich melden sich Männer bei uns, die in der Vergangenheit Samen „gespendet“ haben und mehr oder weniger offen für Kontakt sind. Wir informieren diese Männer über die Möglichkeiten der Suche über DNA-Datenbanken und unterstützen bei der Kontaktaufnahme zu genetischen Kindern. Frühere Spender haben angeboten, die Personen ebenfalls direkt zu beraten.

8. Internationales

Beim Europarat wurde ein „Committee of Experts on Access to Origins“ (CJ-OR) eingerichtet. Das Komitee wird in mehreren Sitzungen Leitlinien erarbeiten, wie die Mitgliedsstaaten des Europarates mit dem Thema unter Beachtung der Europäischen Menschenrechtskonvention umgehen sollen. Das wird vermutlich auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte prägen. Die Mitglieder des Kommittees stammen aus Deutschland, Frankreich, Belgien, Kroatien, Tschechien, Dänemark und England. Damit sind auch Länder vertreten, die nach wie vor anonyme Spenden vorsehen oder erlauben.

In Belgien, das bislang ausschließlich die anonyme Vermittlung von Samen- und Eizellen erlaubt hat, hat das Verfassungsgericht diese Regelungen Ende September für verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber aufgegeben, eine Regelung zu finden, die auch die Interessen der Kinder einbezieht und dafür eine Frist bis 2027 gesetzt (Pressemeldung des belgischen Verfassungsgerichts (auf französisch)) sowie ein Artikel auf Englisch.

9. Ausblick auf 2025

Am 18. Februar findet das nächste Online-Spenderkindertreffen statt.

Das jährliche Spenderkindertreffen 2025 wird am 13. September stattfinden (vermutlich wieder hybrid).

Euer Vorstandsteam Anne, Sunny, Christina, Britta, Jan, Janina und Sandra

Neue Fachpublikation zu innerfamiliären Herausforderungen erwachsener Spenderkinder

Der Bioethiker Tobias Bauer und die Psychologin Anne Meier-Credner haben einen weiteren Fachartikel über ihre Befragung von Spenderkindern in Deutschland veröffentlicht:

Bauer, T., & Meier-Credner, A. (2024). Intra-familial dynamics of knowledge and ignorance experienced by donor-conceived adults in Germany. SN Social Sciences, 4, 163. https://doi.org/10.1007/s43545-024-00967-w, frei verfügbar abrufbar auf der Journal-Website.

Der Artikel sensibilisiert dafür, welche Herausforderungen Spenderkinder neben ihrer Aufklärung erleben: Sie müssen das neue Wissen nicht nur in ihre eigene Identität integrieren, sondern sind auch damit konfrontiert, wie ihre Familienmitglieder mit dieser Tatsache umgehen. Dabei sind innerfamiliäre Dynamiken von Wissen und Nichtwissen zentral.

Grundlage für den Artikel sind Daten der Spenderkinderstudie2020, die mit 59 Teilnehmenden zwischen 21 und 46 Jahren die bislang größte Studie an Spenderkindern aus Deutschland ist. Die Teilnehmenden wurden zwischen 1974 und 1999 gezeugt und im Alter von 5 bis 46 Jahren aufgeklärt.

Eine thematische qualitative Textanalyse ergab vier Hauptthemen mit denen sich erwachsene Spenderkinder konfrontiert sehen:

1. Die Nicht-Absolutheit des Nichtwissens vor der Aufklärung: So hatten manche Spenderkinder z.B. bereits vor ihrer Aufklärung Vermutungen zu ihrer anderen Herkunft.

2. Neue Nichtwissensbereiche nach der Aufklärung: z.B. darüber, wer der genetische Vater ist und wie viele Halbgeschwister es gibt, aber auch darüber, wer sonst von ihrer Entstehungsweise weiß und wie sie mit den Geschwistern, mit denen sie aufgewachsen sind, verwandt sind.

3. Umgangsweisen mit dem neu erworbenen Wissen: Manche Spenderkinder streben die Weitergabe ihres Wissens an. Andere möchten, dass – zumindest bestimmte Personen – nichts von ihrer anderen Herkunft erfahren. Wissende Familienmitglieder vermeiden das Thema teilweise untereinander.

4. Konkurrierende Besitzansprüche auf Wissen und Nicht-Wissen: z.B. wenn Eltern das Recht ihrer Kinder auf Wissen nicht anerkennen oder wenn Eltern und Spenderkinder sich uneinig darüber sind, welche weiteren Personen informiert werden sollen. Dazu gehören auch Konstellationen wie die, dass ein Kind bereits um seine Entstehungsweise und die seiner noch unwissenden Geschwister weiß.

Der erste Artikel zur Spenderkinderkinderstudie2020 beschreibt die vielfältigen Umstände, unter denen die Teilnehmenden von ihrer Entstehungsweise erfahren haben und welche Einflüsse der Aufklärung auf die Beziehung zu verschiedenen Familienmitgliedern sie berichten.

Rezension Christine Müller: Der Schattenvater: Narrative Identitätskonstruktionen von »Kuckuckskindern« und »Spenderkindern«

Eine Gastrezension von Immo Lünzer aus Sicht eines Kuckuckskindes

»Nicht Fleisch und Blut, das Herz macht uns zu Vätern und Söhnen.« (Friedrich Schiller – Die Räuber)

In ihrer 2002 erschienen Dissertation „Der Schattenvater: Narrative Identitätskonstruktionen von „Kuckuckskindern“ und „Spenderkindern“ (Verlag Forschung psychosozial, 44,90 Euro, auch als eBook erhältlich) untersucht Christine Müller ein immer noch stark tabuisiertes und bislang wenig erforschtes Thema: Probleme der Identitätsfindung bei Kuckuckskindern und Spenderkindern (Kinder, die aus einer Samenspende gezeugt wurden).

Die Entdeckung dieser Kinder, dass ihr sozialer Vater nicht der biologische Papa ist, kann zu starken Erschütterungen führen. Kuckuckskinder sind oft sehr erschüttert, wenn sie endlich die Wahrheit über ihren ‚Erzeuger‘ erfahren – und zugleich werden viele wichtige Fragen beantwortet, weil es oftmals besonders schwierig mit dem sozialen Vater war, bei dem sie aufgewachsen sind.

Bei ihnen überwiegen negative Affekte, wie Hass, Eifersucht, Neid oder Schuld. Bei Spenderkindern ist durchaus auch Dankbarkeit und Liebe anzutreffen. Außerdem scheint das Niveau der Abwehrmechanismen bei diesen höher zu sein.

Insgesamt scheinen die Entwicklungsverläufe von Spenderkindern einen günstigeren Ausgang zu nehmen als die der Kuckuckskinder. Die Autorin dazu: Die größten Unterschiede zwischen Kuckuckskindern und Spenderkindern in dieser Untersuchung betreffen das belastete Familienklima sowie die ökonomischen und sozialen Gegebenheiten. Hierbei scheinen die Kuckuckskinder tendenziell zu den Verlierer*innen zu gehören: Die Ehequalität der Eltern eines Kuckuckskindes (Mutter und sozialer Vater) wurde in den meisten Fallen als schlecht bezeichnet;

bei den Eltern der Spenderkinder (Mutter und sozialer Vater) scheint die Ehe in den meisten Fällen stabil zu sein und im Modus gegenseitiger Unterstützung zu funktionieren.

Nach der Aufklärung erfuhren die Beziehungen der Spenderkinder zu den Eltern und die Beziehungen der Eltern zueinander keine größeren Unterschiede. Bei den Kuckuckskindern hingegen änderten sich die Beziehungen zum Kind und zwischen den Eltern zum Teil noch einmal mehr zum Negativen (vgl. Kap. 5.3.1). Die sozioökonomischen Bedingungen waren bei den Spenderkindern in aller Regel günstiger, was sich z. B. in den besseren Bildungschancen zeigt.‘

‚Die Teilnehmer*innen beider Gruppen erleben die Aufklärung nach anfänglichem Schock als insgesamt positiv. Sie geben an, etwas über sich und die elterliche Beziehung verstanden zu haben. Die Auswirkungen auf das weitere Leben waren bei den Kuckuckskindern meist negativer als bei den Spenderkindern; hier änderte sich im Prinzip nichts.‘ ‚Das Beziehungserleben unterscheidet sich: In der Gruppe der Kuckuckskinder existieren mehr negative frühe Beziehungserfahrungen, positive Erfahrungen in der Beziehung scheinen bei einem klaren »Ja« der Eltern zum Kind gegeben.

Die Teilnehmer*innen in der Gruppe der Spenderkinder beklagen sich über eine schwierige Beziehung in den Fällen, in denen die Familie von Scheidung betroffen war. Die Personen aus der untersuchten Gruppe der Kuckuckskinder beschreiben ein deutlich schwierigeres Erleben in aktuellen Beziehungen als die Gruppe der Spenderkinder (vgl. Kap 5.3.1): ‚Lebensbestimmende Konflikte, die bestehende Beziehungen und die Entwicklungsläufe der Teilnehmer*innen belasten, zeigen sich vermehrt in der Gruppe der Kuckuckskinder. Dort fehlte häufiger die Fähigkeit zu einer konstruktiven Konfliktbewältigung (vgl. Kap. 5.3.2).‘

‚Schwierige, die Beziehungen belastende Gefühle waren vermehrt in der Gruppe der Kuckuckskinder zu finden: Manche sprachen von tiefsitzenden Gefühlen der Unsicherheit und Verlustängsten, die sie ihr ganzes Leben begleitet hätten. Viele sprechen von einem Schamerleben oder berichten von Hassgefühlen, besonders gegenüber ihren Müttern und ihren sozialen Vätern. Die Kuckuckskinder leiden vermehrt unter mangelnder Anerkennung, was sich dann im Kontakt zu den biologischen Vätern, sofern dieser möglich war, erneut bestätigt.

Bei den Spenderkindern gibt es sehr vereinzelt das Gefühl einer ausgeprägten Erwartung zur Dankbarkeit vonseiten der Mütter aufgrund der Opfer, die diese erbracht hatten. Das positive Selbstbild der Spenderkinder ist maßgeblich über einen hohen Leistungsanspruch definiert.‘

Abschließend fordert Christine Müller: ‚Gerade die Auseinandersetzung mit den neuen Reproduktionstechniken sollte nicht auf einer abstrahierten »entindividualisierten« Ebene stattfinden. Und auch die Kuckuckskinder verdienen einen genauen Blick auf ihr individuelles Schicksal.

Die Studie hat bei mir mehr Fragen aufgeworfen, als Antworten gegeben. Die Begrenzung dieser Arbeit muss ich an dieser Stelle akzeptieren. Christine Müller sagt dazu: „Es war mir wichtig, für Kuckucks- und Spenderkinder zu schreiben. Dabei wollte ich ihre Gefühle und ihr Verhalten verstehbarer machen – genauso wie das Verhalten und die möglichen Gefühle der Eltern. Ein Ziel der Arbeit war es, aus den Ergebnissen dieser Einzelfallstudie Anregungen und weiterführende Fragestellungen für zukünftige Forschungen abzuleiten.‘ Dazu schlägt sie vor: ‚Ein mögliches Ziel wäre ggf. die Etablierung eines Beratungsangebots für diesen spezifischen Personenkreis, z. B. die Mütter und ggf. die sozialen Vater eines Kuckuckskindes sowie die Eltern von Spenderkindern, die Spender und selbstverständlich die Kinder selbst. Als Gruppentherapeutin halte ich einen gruppentherapeutischen Prozess zur Unterstützung von Betroffenen, die mit der Aufklärung in eine längerfristige Krise geraten sind, für äußerst hilfreich.‘

Hoffen wir, dass dies zunehmend gelingt. Frau Müllers Doktorvater Prof. Dr. Wolfgang Mertens hat das Vorwort – für diese Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Fakultät für Psychologie der Universität in München – geschrieben; ein Auszug daraus: „Aus der Therapie entsprechender Menschen ist bekannt, wie quälend die Frage nach dem biologischen Vater sein kann, vor allem in solchen Fällen, wenn Mütter sich konsequent weigern, ihren Kindern darüber Auskunft zu geben. Aus eigener Erfahrung und angereichert mit einem psychoanalytischen Verständnis von mannigfachen Abwehrvorgängen kann die Verfasserin eine lebendige Einschätzung dieser Problematik vorlegen. Neben einer ausführlichen theoretischen Auseinandersetzung mit den Themen Identität, Affektentwicklung und der Rolle der Eltern im Sozialisationsprozess besticht die Arbeit auch durch einen sorgfältig und differenziert durchgeführten empirischen Teil. Die Verfasserin hat sich intensiv mit den Methoden der Rekonstruktion narrativer Identität, der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) sowie der psychoanalytischen Hermeneutik auseinandergesetzt und damit einen zeitgemäßen Mixed-Methods-Ansatz verfolgt.

Forschungsleitende Fragestellungen sind die folgenden: Welchen spezifischen Einflüssen waren diese Menschen in ihrer Kindheit innerhalb ihrer Familien ausgesetzt und welche psychischen

Folgen haben sich daraus für sie ergeben? Lassen sich spezifische Vater- und Mutterbilder identifizieren? Was bedeuten diese für das Selbsterleben der betreffenden Personen? Lassen sich aus psychoanalytischer Sicht bestimmte Konfliktdimensionen und strukturelle Eigentümlichkeiten im Sinne der OPD erkennen? Gibt es Auffälligkeiten des Übertragungs- und Gegenübertragungs-

geschehens? Lassen sich die beiden Personengruppen hinsichtlich ihrer bevorzugten Coping- und Abwehrmechanismen unterscheiden?“

Leider lagen der Autorin keine Interviews mit Vätern und Müttern vor – das wäre sicher sehr aufschlussreich gewesen. Bleibt zu hoffen, dass dies in einer weiteren Arbeit dokumentiert wird.

Für mich als Kuckuckskind ist das Buch insgesamt ein sehr interessantes und aufschlussreiches Werk. Witzigerweise ist das Werk in Gießen erschienen, wo ich als Kuckuckskind geboren und 25 Jahre aufgewachsen bin – aber erst mir 42 Jahren bin ich dahinter gekommen, dass ich so ein besonderes Kind bin. Dank an Holly Hazelnut für den Hinweis auf dieses eindrucksvolle Werk.

Die Autorin:

Christine Müller, Dr. phil., Dipl.-Psych., ist analytische Psychotherapeutin und Gruppentherapeutin. Sie ist als Dozentin an der Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie in München tätig und promovierte im Bereich Familienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Erster Artikel über die größte Spenderkinder-Befragung in Deutschland veröffentlicht

Tobias Bauer und Anne Meier-Credner haben den ersten Artikel über die Befragung von Spenderkindern in Deutschland veröffentlicht, die mit 59 Teilnehmenden zwischen 21 und 46 Jahren die Studie mit den bislang meisten Befragten in Deutschland darstellt:

Bauer, T., & Meier-Credner, A. (2023). Circumstances Leading To Finding Out about Being Donor-Conceived and Its Perceived Impact on Family Relationships: A Survey of Adults Conceived via Anonymous Donor Insemination in Germany. Social Sciences, 12(3), 155.

Der Artikel ist frei verfügbar (open access) abrufbar auf der Journal-Website oder als PDF Version.

Der Artikel beschreibt die vielfältigen Umstände, unter denen die Teilnehmenden von ihrer Entstehungsweise erfahren haben und darüber hinaus, welche Einflüsse der Aufklärung auf die Beziehung zu verschiedenen Familienmitgliedern berichtet wurden. Die Aufklärung erfolgte teilweise bereits in der Kindheit, teilweise im mittleren Erwachsenenalter (5 bis 46 Jahre). Es wurden ganz verschiedene Aufklärungsumstände berichtet wie z.B. durch medizinische Unterlagen, bewusste Aufklärung durch ein oder zwei Elternteile und auch die Aufklärung durch DNA-Datenbanken.

Die stärkste Veränderung berichteten insbesondere spätaufgeklärte Spenderkinder nach der Aufklärung in der Beziehung zu ihrer Mutter, bei der tendenziell mehr Verantwortung für die Aufklärung als beim rechtlichen Vater wahrgenommen wurde. Die Beziehung zum rechtlichen Vater wurde tendenziell bereits vor der Aufklärung als weniger emotional und nah beschrieben. Das entspricht den Ergebnissen internationaler Erhebungen an Spenderkindern.

Wenig Veränderung wurde in der Beziehung zu Geschwistern berichtet, mit denen die Befragten aufgewachsen waren. Spannungen wurden berichtet in Bezug auf unterschiedliche Umgangsweisen der Geschwister mit der Entstehungsweise. Als wenig verändernd wurde die Aufklärung auf die Beziehung zu Partner*innen, eigenen Kindern sowie der erweiterten Familie (Onkel, Tanten, Großeltern etc.) berichtet. In der Diskussion wird insbesondere die Bedeutung psychosozialer Beratung zur Förderung von Aufklärung und der aufklärungsfördernde Einfluss von DNA-Datenbanken hervorgehoben.

Die Daten wurden im Herbst 2020 mit einem Online-Fragebogen erhoben, die meisten Teilnehmenden sind Mitglieder unseres Vereins. Es ist nicht bekannt, inwieweit sich unsere Mitglieder möglicherweise von Spenderkindern unterscheiden, die sich nicht bei unserem Verein melden. Möglicherweise haben unsere Mitglieder ein stärkeres Interesse daran, mehr über ihre Herkunft zu erfahren – möglicherweise haben sie auch mehr Ressourcen, um sich emotional mit dem Thema auseinanderzusetzen. Letzteres legen Zuschriften von Spenderkindern an unseren Verein nahe, die sich erst nach Jahren reiflicher Überlegung bei uns melden sowie Berichte über Halbgeschwister, die eine Auseinandersetzung mit dem Thema ablehnen.

Die Autor*innen haben in diesem Artikel erst einen kleinen Teil der Daten ausgewertet, weitere Artikel sind in Vorbereitung.

Qualitative Forschung an 24 erwachsenen Spenderkindern aus Deutschland und Großbritannien

Als Abschluss der umfangreichen kulturanthropologischen Forschungsarbeit von Amelie Baumann ist das Buch Becoming Donor-Conceived im transcript-Verlag erschienen. Ganz im Sinne frei zugänglicher Forschungsergebnisse ist das Buch als PDF kostenfrei abrufbar.

Von September 2016 bis Dezember 2017 hatte die Forscherin Amelie Baumann insgesamt 24 erwachsene Spenderkinder aus Deutschland und Großbritannien interviewt (Altersspanne 18 Jahre bis Anfang 60). Die Interviews begannen meist mit der Frage danach, wie die Spenderkinder von ihrer Entstehungsweise erfahren hatten und gingen dann über zu weiteren Themen: wie die Personen über ihre unbekannte Herkunft dachten, wie offen sie mit dem Thema umgingen, wie sie über die Rechtslage dachten, welche Bedeutung Gene und soziale Verbindungen für sie haben sowie ob, warum und auf welche Weise sie nach dem genetischen Vater und/oder Halbgeschwistern suchen.

Für Spenderkinder ist es besonders spannend und erfreulich zu sehen, dass es in den fünf Jahren nach den Interviews bereits eine deutliche Weiterentwicklung der Suche über DNA-Datenbanken gab. Mittlerweile konnte über die Hälfte der in DNA-Datenbanken registrierten Spenderkinder aus unserem Verein auf diese Weise Halbgeschwister identifizieren.

Wie gut geht es Spenderkindern wirklich?

In vielen Artikeln über Samenspenden oder den Forderungen nach der Zulassung von Eizellspenden oder sogar Leihmutterschaft in Deutschland wird darauf verwiesen, dass Studien belegten, dass die Kinder sich gut entwickeln würden und keine psychologischen Auffälligkeiten zeigen würden. Meistens werden als Quelle die Studien um ein Team von Susan Golombok angegeben.1

Damit sollen eher schematisch Bedenken entkräftet werden, dass eine Zeugung mit Keimzellen Dritter zu Belastungen für die entstehenden Kinder führen könnte. Das scheint oft nicht zu der schönen Erzählung zu passen, dass es in modernen Familien ausreiche, dass ein Kind sehr gewollt wurde.

Die Aussagekraft dieser Studien ist jedoch begrenzt – was in dem Berichten hierüber (vielleicht auch ergebnisorientiert) leider untergeht. Was die Studien zeigen, ist lediglich, dass Familien, die mit den Geschlechtszellen einer dritten Person entstanden sind, „gut funktionieren“, die Kinder im Durchschnitt eine gute soziale Bindung zu ihren Wunscheltern aufweisen sowie sozial und emotional altersgemäß entwickelt („well adjusted“) sind. Das zeigt, dass eine gute Eltern-Kind-Beziehung auch ohne genetische Verbindung möglich ist und dass eine Zeugung mit den Geschlechtszellen einer dritten Person nicht zu einer Entwicklung des Kindes führt, die sich merklich von der anderer Kinder unterscheidet.

Kritisch an diesen Studien zum angeblichen Wohlbefinden von Spenderkindern ist einerseits, dass sie auf Stichproben beruhen, die ziemlich wahrscheinlich nicht repräsentativ sind für Familien, die mit Keimzellen Dritter gezeugt wurden z.B. nur Kinder teilnehmen, deren Eltern eingewilligt haben und ein bestimmtes Ergebnis erzielen wollen, das Untersuchungsinhalt der Studie ist.2 Es wurde nur das äußerlich wahrnehmbare Verhalten der Kinder beobachtet bzw. allgemeine Fragen gestellt. Nur in wenigen Fällen, in denen die Kinder aufgeklärt waren und die Eltern eingewilligt hatten, wurden den Kindern auch Fragen gestellt, wie sie ihre besondere familiäre Situation wahrnehmen und welche Rollen die Beteiligten einnehmen.

Studien können Loyalitätskonflikt und zunehmende emotionale Differenzierung kaum wiedergeben

Kinder, für die ihr genetischer Vater/ihre genetische Mutter eine Bedeutung hat, haben einen ernstzunehmenden Loyalitätskonflikt. Die Kinder wachsen in einem Umfeld auf, das ihnen durch Begriffe (z.B. „Vater“/“Mutter“/“Spender“/“Spenderin“) und Präsenz (wer ist sichtbar, wer nicht?) eine Realität und Erwartungen vermittelt. Es ist fraglich, ob ein Kind, das auch an seinen genetischen Vater/seine genetische Mutter denkt, sich traut, dies gegenüber Forschern darzustellen, wenn es davon ausgeht, dass seine rechtlichen Eltern, mit denen es täglich zu tun hat und die es mag und nicht traurig stimmen möchte, davon erfahren. Dieser Konflikt besteht im Übrigen auch für nicht-aufgeklärte Kinder, wenn sie für sich unerklärlicherweise weniger Nähe zu einem Elternteil empfinden, als sie meinen, dass dieser von ihnen wünscht. Dies kann besonders belastend für das Kind sein, wenn es keine äußere Erklärung hat, sondern die Gründe bei sich selbst sucht.

Die Studien liefern keine Erkenntnisse, wie es den „Kindern“ im Laufe ihres Lebens mit ihrer Entstehungsweise geht. Für das Kind stellen sich mit zunehmender emotionaler Ausdifferenzierung jedoch möglicherweise die Fragen „Wie lebt es sich damit, dass ich einen anderen genetischen Vater bzw. eine andere genetische Mutter und möglicherweise Halbgeschwister habe? Weswegen hat er bzw. sie mich abgegeben? Ist er bzw. sie an mir interessiert? Würde ich sie stören, wenn ich Kontakt aufnehme? Welchen Platz kann ich in ihrer/seiner sozialen Familie einnehmen?“ Hinzu kommen gesellschaftliche Erwartungen, die Spenderkindern mitgegeben werden. Jedes unserer Mitglieder hat schon mehrere Male den Hinweis gehört, dass es berücksichtigen müsse, dass es die Familie seines genetischen Vaters gefährde, wenn es Kontakt aufnähme und dass es verstehen müsse, dass es für seinen genetischen Vater ganz schrecklich wäre, wenn es sich meldet. So absurd diese Forderungen eigener Geringschätzung sind, sie sind allgegenwärtig.

Was bedeutet „gut entwickelt“ (well adjusted)? 

Was bedeutet es aber, gut entwickelt zu sein? Dass Spenderkinder keine offensichtlichen Normabweichungen aufweisen, wird häufig gleichgesetzt mit der Aussage, dass Spenderkinder ihre Entstehungsweise akzeptieren oder sogar begrüßen. Das würde aber bedeuten, unter „guter Anpassung“ eine unkritische Haltung zu verstehen, die elterliche und gesellschaftliche Erwartungen nicht hinterfragt.3

Neben der erwähnten methodischen Kritik stellen Wissenschaftler (und diejenigen, die sie zitieren) in qualitativer Forschung möglicherweise nicht die richtigen Fragen, um „Entwicklung“ beurteilen zu können. So können Kinder altersgemäß gut entwickelt sein und sich trotzdem durch ihre Entstehungsgeschichte belastet fühlen, zum Beispiel weil sie ihre Halbgeschwister nicht kennen oder wenig Kontakt zu ihnen haben.

Wie würde man es einordnen, wenn Kinder ihre rechtlichen Eltern lieben, gute Ergebnisse in der Schule erzielen und Freundschaften pflegen – aber sich dennoch unwohl mit dem Gedanken fühlen, dass sie die Identität ihrer genetischen Eltern nicht kennen oder dass sie viele unbekannte Geschwister haben? Oder damit, dass sie damit rechnen müssen, dass ein genetischer Elternteil kein Interesse an ihnen hat? Sind diese Kinder immer noch gut entwickelt? Viele Spenderkinder sagen, dass sie in ihrer Kindheit den Test, ob sie gut angepasst sind, erfolgreich bestanden hätten – aber dass sie zutiefst beunruhigt von ihrer Entstehungsgeschichte oder dem Umgang ihrer Eltern damit waren. Und auch wenn ein Kind sozial gut angepasst ist, kann es trotzdem Zugang zur Identität der genetischen Eltern wollen oder ethische Bedenken gegenüber der Reproduktionsmedizin haben.4

Der Nebel (the fog)

Hinzu kommt, dass für Spenderkinder ihre Entstehungsweise häufig erst im Erwachsenenalter an Bedeutung gewinnt, wenn sie sich zunehmend emotional von ihrer Herkunftsfamilie lösen. Kinder sind oft noch stark geprägt von der Sichtweise ihrer Eltern, welche Gefühle und Gedanken sie haben sollen, und haben oft auch ein Bedürfnis, ihre Eltern vor negativen Gefühlen zu schützen. Insbesondere bei einer Zeugung mit den Geschlechtszellen Dritter ist die Sichtweise der Kinder für die rechtlichen Eltern besonders wichtig, da sie durch die Akzeptanz dieser Familienform durch die Kinder emotional als Eltern legitimiert werden.

Adoptierte sprechen von einem Anpassungsmechanismus, den sie als „Nebel“ bezeichnen: wenn Adoptierte (und zum Teil auch deren Geburtseltern) glauben und ausdrücken, dass Adoption wunderbar oder problemlos sei. Erst wenn sie sich aus diesem Nebel herausbewegen, können sie das Trauma und die besonderen Belastungen der Adoption adressieren und verarbeiten.5

Erwachsene Spenderkinder berichten Ähnliches:6

Ich wusste es schon immer, aber erst als ich als Erwachsene Erfahrungsberichte anderer Spenderkinder gelesen habe, erkannte ich, dass ich das Recht hatte, verletzt, wütend und traurig zu sein. (Courtney Tucker)

Ich wusste schon immer, dass meine Mutter mich bewusst alleine bekommen hat. Ich war immer neugierig, aber wusste nicht, dass es möglich war oder dass es andere gab, die genauso gezeugt wurden – bis ich 17 war und eine Fernsehshow über Spenderkinder und das Donor Siblings Registry sah. Das öffnete komplett meine Augen und ich erkannte, wie kaputt alles war. (Lindsay Boyce)

Ich habe es mit 22 Jahren erfahren. Zu dem Zeitpunkt gab es niemanden in meinem Leben, der mir helfen konnte meine Gefühle zu benennen. Ich fühlte mich hilflos, und das Gefühl mochte ich nicht, daher habe ich versucht es so viel wie möglich herunterzuschlucken und zu vergessen.  Rückblickend habe ich versucht, durch Verdrängung zu verarbeiten. Erst als über zehn Jahre später DNA Tests realistisch erschienen und ich anfing, über die erfolgreichen Suchen anderer Spenderkinder zu lesen, habe ich mir Gefühle erlaubt. Es fühlte sich auch an, als wäre es respektlos und disloyal gegenüber meinem Dad, zu suchen, neugierig oder aufgebracht zu sein oder überhaupt irgend etwas anderes als dankbar, and ich wollte von mir selbst nicht als schlechte Tochter oder undankbar denken, insbesondere angesichts der unidentifizierbaren Gefühle, die ich unter der Oberfläche befürchtete. (anonym)

Ich wusste seit ich 9 bin, dass ich ein Spenderkind bin. Meine Eltern sagten mir, dass mein Vater mein Vater sei und mich lieben würde, und dass ich mir keine Sorgen machen müsste. Sie waren nicht dagegen, dass ich etwas über meinen genetischen Vater herausfinde, aber ich äußerte nie Interesse. Erst als ich 25 war und in meiner ersten ernsthaften Beziehung, hörte ich einen Podcast, dass Menschen ein Recht auf Zugang zu ihrer DNA haben. Und auf einmal war es mir wichtig. Ich glaube es wurde immer wichtiger für mich, als ich mich auf die Suche machte und zunächst nicht die Antworten finden konnte, die ich haben wollte. (anonym)

Ich habe es schon mein ganzes Leben lang gewusst, aber es war erst im letzten Jahr, dass ich angefangen habe, zu entdecken, was es bedeutet ein Spenderkind zu sein. Seitdem jemand den „Nebel“ erwähnte und ich angefangen habe, darüber zu lesen, habe ich mich ernst genommen gefühlt, als hätte ich die Erlaubnis, mich auf diese Reise zu begeben. Ich bin bei einer lesbischen Mutter aufgewachsen und als Kind habe ich das Gefühl gehabt, dass es meine Verantwortung ist, jegliche Fragen oder Vorurteile zu vermeiden, dass meine Zeugungsart keine gute Sache sein könnte. Als müsste ich beweisen, dass ich nicht anders als alle anderen war, gut angepasst und dass mir nichts fehlt. Ich habe Leuten unzählige Male erzählt, dass ich keinen Vater habe und auch keinen brauche. (anonym)

Gut angepasst, aber kritisch

In Studien zu erfassen, wie es Spenderkindern wirklich geht, ist bereits methodisch äußerst komplex, insbesondere wenn junge Spenderkinder untersucht werden sollen. Abgesehen davon müssen aber sogar allgemeine Zufriedenheit und Wut über die eigene Entstehungsweise oder z.B. das Desinteresse des genetischen Vaters oder der genetischen Mutter keine Gegensätze darstellen, sondern können nebeneinander existieren. Fast alle unsere Mitglieder stehen mitten im Leben, sind beruflich erfolgreich, haben Freunde, sind in Beziehungen und haben zum Teil selbst Kinder. Selbst wenn Spenderkinder also gut funktionierende Mitglieder der Gesellschaft sind, kann das kein Argument sein, um diese Erzeugungsweise von Menschen zu legitimieren. Viele Spenderkinder hinterfragen diese Form der Familiengründung kritisch.

Es gibt keine Möglichkeit sicherzustellen, dass ein Kind die Zeugung mit den Keimzellen einer dritten Person okay finden wird, Reproduktionsmedizin befürworten oder glücklich über die Zeugungsart sein wird. Kritisch gegenüber der Zeugung durch „Spender“ zu sein ist nicht das Gegenteil davon, gut angepasst zu sein.7

Wir wünschen uns, dass in der Diskussion und medialen Berichterstattung die Gefühle von erwachsenen Spenderkindern ernst genommen werden – und nicht damit abgebügelt werden, dass wir nicht psychopathologisch auffällig sind. Wir wünschen uns auch, dass gesellschaftliche Erwartungen an Spenderkinder, wie z.B. dass sie besonders dankbar sein sollten oder verstehen sollten, dass ihre genetischen Väter kein Interesse an ihnen haben, hinterfragt werden. Eine ehrliche Berichterstattung beinhaltet, dass die Zeugung mit Geschlechtszellen Dritter das entstehende Kind in eine schwierige Familiensituation bringt, weil es die eigenen Gefühle und die der Eltern hinsichtlich sozialer und genetischer Elternschaft miteinander vereinbaren muss und dass sich dies belastend auf das entstehende Kind auswirken kann.

  1. z.B. Golombok, S., Blake, L., Casey, P., Roman, G., &Jadva, V. (2013). Children Born Through Reproductive Donation: A Longitudinal Study of Psychological Adjustment. Journal of Child Psychology and Psychiatry, and Allied Disciplines, 54(6), 653–660.; Blake, L., Casey, P., Jadva, V. &Golombok S. (2013). ‘I Was Quite Amazed’: Donor Conception and Parent–Child Relationships from the Child’s Perspective. Children & Society, 28(6), 425-437.; Murray, C.,MacCallum, F. &Golombok, S. (2006). Egg donation parents and their children: follow-up at age 12 years. Fertil Steril, 85(3), 610–618. []
  2. Familien mit erheblichen familiären Problemen werden vermutlich selten an solchen Untersuchungen teilnehmen. []
  3. Rzeka – Why No One Can Say, “The Kids Are Alright.” []
  4. Rzeka – Why No One Can Say, “The Kids Are Alright.” []
  5. Howtobeadopted – Six things I have learned since coming out of the adoption fog ; Diskussion im Adoptionsforum adoption.com; This Adoptee Life []
  6. Die Zitate stammen aus einer Diskussion auf der Facebook Gruppe „We are donor conceived“ und wurden mit Zustimmung der UrheberInnen veröffentlicht und auf Deutsch übersetzt. []
  7. Rzeka – Why No One Can Say, “The Kids Are Alright.” []

Aufklärungsquote von Spenderkindern in Deutschland – was ist bekannt?

Der Verein Spenderkinder setzt sich für eine möglichst frühe Aufklärung von Spenderkindern über ihre Entstehungsweise ein. Eine möglichst frühe Aufklärung eines Menschen über seine Herkunft wird auch von psychologischer Seite empfohlen um eine kontinuierliche Identitätsentwicklung zu gewährleisten.1 Erfährt ein Mensch erst als Erwachsener, dass er andere als die bisher als solche geglaubten genetischen Elternteile hat, muss er wesentliche Grundlagen seiner Identität neu aufbauen. Das kann psychisch eine große Herausforderung sein. Zudem erleben es viele erwachsene Menschen als Vertrauensbruch, wenn die Personen, denen sie am meisten vertrauten, sie jahrelang falsche Tatsachen glauben ließen. Auch wenn in den letzten Jahren die Anzahl der aufklärenden Eltern zugenommen zu haben scheint,2 klären immer noch viele Eltern ihr Kind nicht oder zu spät auf. In einer aktuellen Metaanalyse von Tallandini und anderen (2016) konnte zwischen 1996 und 2015 eine steigende Tendenz zur Aufklärung von Spenderkindern nicht bestätigt werden: Die Aufklärungsrate korrelierte nicht mit dem Publikationsjahr der jeweiligen Studie.3

Bagatellisierung von Seiten der Eltern, Berater und Ärzte

Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat im Januar einen Antrag in den Bundestag eingebracht, in dem unter anderem gefordert wird, dass die Tatsache der Zeugung durch eine reproduktionsmedizinische Maßnahme im Geburtenregister vermerkt wird. In einer gemeinsamen Stellungnahme zu dem Antrag lehnen die Elternorganisation DI-Netz, das Beratungsnetz Kinderwunsch in Deutschland (BKiD) und der Arbeitskreis Donogene Insemination (AK-DI) diese Forderung vehement ab.4 Gleichzeitig werfen sie unserem Verein vor, in der Öffentlichkeit bewusst mit einer niedrigen Aufklärungsrate von 10 Prozent aus einer alten Studie aus den 80er Jahren zu argumentieren.5

Dieser Vorwurf gegenüber unserem Verein ist nicht richtig. Zwar verweisen wir in dem Text zu Aufklärung auf unserer Internetseite auf eine niedrige Aufklärungsquote von etwa 5-10 Prozent. Diese Zahl bezieht sich jedoch auf die Zahl der aufgeklärten Spenderkinder insgesamt – was auch die Spenderkinder beinhaltet, die in den 70er und 80er Jahren gezeugt wurden, als Ärzte ausdrücklich die Geheimhaltung gegenüber den Kindern empfohlen haben. Unmittelbar im nächsten Satz weisen wir mit einem expliziten Verweis auf einige aktuelle Studien darauf hin, dass bei jüngeren Familien mit einer höheren Aufklärungsbereitschaft von bis zu 30 Prozent gerechnet wird. Uns die gezielte Verbreitung falscher Daten vorzuwerfen, ist daher ein ziemlich unfaires Mittel der Auseinandersetzung – das umso fragwürdiger ist, als mit Herrn Prof. Katzorke einer der Unterzeichner der Stellungnahme selbst in einigen Publikationen auf diese niedrige Aufklärungsrate verwiesen hat.6 Trotzdem stellt sich natürlich die Frage, wie die Datenlage zur Aufklärungsrate tatsächlich aussieht.

Welche Erkenntnisse zur Aufklärungsrate liegen bislang vor?

Nach einer aktuellen Meta-Studie von Tallandini aus dem Jahr 2016, die 26 Studien aus den Jahren 1996 bis 2015 umfasst, haben 21 Prozent der Samenspende-Eltern und 23 Prozent der Eizellspende-Eltern ihre Kinder aufgeklärt.7 Bei der Betrachtung einzelner ausländischer Studien zeigen sich darin Aufklärungsraten zwischen 8 und 35 Prozent.8

Aufklärungswille vermutlich höher als tatsächliche Aufklärungsrate

Die Rate der aufklärungswilligen Eltern ist in einigen Studien deutlich höher. Insbesondere eine schwedische Studie von 2011 fällt positiv auf: Darin äußern 90 Prozent der Eltern die Absicht, ihre Kinder aufzuklären.9 Allerdings bedeutet dieses Vorhaben nicht unbedingt, dass dies auch tatsächlich umgesetzt wird. Tallandini et al. (2016) beobachteten diesbezüglich, dass zwar 52 Prozent der Eltern von Kindern im Alter unter 10 Jahren angaben, diese aufklären zu wollen, dass aber nur 9 Prozent ihre Kinder zwischen 10 und 22 Jahren auch tatsächlich aufgeklärt hatten.10 Auffällig ist die Heterogenität der Studien: Neben der optimistisch stimmenden Isaksson-Studie gibt es andere – darunter auch einige recht aktuelle – in denen ein Großteil der Eltern die Kinder (die alle im Kindergartenalter oder älter sind) nicht aufgeklärt hat und ein Teil davon auch in Zukunft nicht aufklären möchte.11

Stichprobenzusammensetzung legt eher Über- als Unterschätzung der Aufklärungsrate nahe

Bei allen Studien lässt sich die Frage aufwerfen, inwieweit die Ergebnisse verallgemeinert werden können bzw. welche zusätzlichen Faktoren das Studienergebnis möglicherweise beeinflusst haben. Bei den Studien zur Aufklärungsrate ist diesbezüglich zu berücksichtigen, dass keine Zufallsstichproben aus allen Eltern gezogen wurden, sondern die Teilnahme freiwillig erfolgte. Daher kann man eine Stichprobenselektion derart vermuten, dass eher aufklärungsbereite Familien sich bereiterklären, an Studien, insbesondere an Langzeitstudien, teilzunehmen weil dies eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema beinhaltet.12 Möglicherweise hat auch allein die Fragestellung nach der Aufklärungsabsicht einige Eltern dazu angeregt, über das Thema Aufklärung weiter nachzudenken und sich schließlich dafür zu entscheiden.13 Eine weitere Schwäche sind die insgesamt eher kleinen Stichprobengrößen. Trotz der sicherlich bestehenden methodischen Schwächen bilden die vorliegenden Untersuchungen aber Tendenzen ab. Insbesondere aufgrund der freiwilligen Teilnahme vermutlich eher offener Eltern und durch die Thematisierung der Aufklärung ist eher von einer Über- als von einer Unterschätzung der tatsächlichen Aufklärungsrate auszugehen.

Geringe Aufklärungsquote für Deutschland naheliegend

Ohne eine Würdigung der ausländischen Studienlage vorzunehmen, verweisen BKiD, DI-Netz und der AK-DI in ihrer Stellungnahme lediglich darauf, es lägen keine belastbaren Daten vor und insbesondere keine Daten aus Deutschland. Auf dieser Grundlage stellen sie eine geringe Aufklärungsrate für Deutschland in Frage. Diese Vorgehensweise ist wissenschaftlich fragwürdig. Vielmehr mangelt es an Argumenten, weshalb die internationalen Ergebnisse ausgerechnet auf Deutschland – zumindest der Tendenz nach – nicht übertragbar sein sollten.

Fehlende Regelungen und jahrzehntelanges Klima der Geheimhaltung deuten auf geringe Aufklärungsquote hin

Es fällt auf, dass die Aufklärungsrate zwischen den Ländern erheblich variiert, zwischen 90 Prozent aufklärungswilliger Eltern in einer schwedischen Studie14 und überhaupt keinen aufklärungswilligen Eltern in Italien15. Selbst wenn sich daraus keine konkreten Zahlen für Deutschland ableiten lassen, so können die ausländischen Studien zumindest als Anhaltspunkte dienen, in welchem Bereich sich die tatsächliche Aufklärungsquote vermutlich bewegt. Schweden war eines der ersten Länder, in denen die anonyme Samenspende verboten wurde (1985) und in dem gesellschaftlich ein Klima der Offenheit herrscht, während in Italien ein konservativeres Familienbild vorherrscht und die Samenspende für viele Jahre komplett verboten war. Auch in Deutschland hüllte sich die Praxis der Samenspende jahrzehntelang in Schweigen und bis vor Kurzem wurde Spendern noch Anonymität zugesichert.16
Das stimmt mit den Beobachtungen der Ethnologin Maren Klotz überein, dass deutsche Eltern größere Angst vor der Aufklärung ihrer Kinder äußerten als britische Eltern, was sie der größeren Verunsicherung der Eltern durch fehlende Regelungen und der Spannung zwischen Geheimhaltungsdruck durch die Kliniken und moralischem Aufklärungsdruck zuschreibt.17 In Großbritannien werden die Spenderdaten in einem Register festgehalten und die Klinik muss den Eltern die Aufklärung der Kinder empfehlen. Vergleichbare Regelungen gibt es in Deutschland nicht.

Auf Grund dieser Überlegungen ist es wahrscheinlich, dass die Aufklärungsrate in Deutschland eher niedriger ist als in den dargestellten Studien. Es gibt jedenfalls keine Hinweise dafür, weswegen sie höher sein könnte.

Praktische Erfahrungen deuten eher auf Angst vor und Vermeidung von Aufklärung hin

Hält man unbeirrbar an den methodischen Mängeln der ausländischen Studien fest und lehnt deshalb eine Auswertung und deren Übertragbarkeit auf die Situation in Deutschland komplett ab, so bleiben empirisch überhaupt keine Anhaltspunkte – weder für eine niedrige, noch für eine hohe Aufklärungsquote. Was bleibt, sind jedoch die praktischen Erlebnisse, Begegnungen mit Eltern auch junger Spenderkinder, die ihre Kinder nicht aufklären möchten, was in direkten E-Mails und Kommentaren an unseren Verein oder aber in einschlägigen Foren deutlich wird. Wie hoch deren Prozentsatz gemessen an der Gesamtanzahl der Eltern auch sein mag – so lange die Aufklärung von Spenderkindern nicht für alle Eltern selbstverständlich ist, kann man nicht ernsthaft behaupten, dass Samenspende-Eltern keiner Motivation zur Aufklärung ihrer Kinder bedürften.

Fazit

Es spricht viel dafür, dass nach wie vor auch in Deutschland zu wenige Kinder über ihre Zeugung durch eine Samenspende aufgeklärt werden und daher ein Bedarf besteht, Eltern stärker zur Aufklärung zu motivieren.

Das Vorgehen, die mangelnde Aufklärungsbereitschaft der Eltern trotz mehrerer Studien mit gegenteiligen Ergebnissen in Frage zu stellen, wirkt dabei vielmehr wie ein mehr oder weniger starkes Bedürfnis, Hinweise zu leugnen, die ein schlechtes Bild auf Samenspende-Eltern werfen könnten. Wir würden uns stattdessen wünschen, dass insbesondere Eltern und Beratungsfachkräfte konsequent für das Thema frühe Aufklärung eintreten: Elterliche Verantwortung zu übernehmen, bedeutet aufzuklären und nicht, dass man es den Eltern überlässt, ob sie aufklären.

Dabei ist es Aufgabe des Staates, das Recht von Spenderkindern auf Kenntnis ihrer Abstammung zu schützen und Vorkehrungen zu treffen, dass Kinder auch unabhängig von ihren Eltern die Wahrheit über ihre Herkunft erfahren können und auch um Inzest nach Möglichkeit ausschließen zu können.

  1. vgl. z.B. Blyth E, Langridge D, Harris R (2010), Family building in donor conception: parents’ experiences of sharing information, Journal of Reproductive and Infant Psychology (2) 28, S. 116–127, S. 124-125; Oelsner W, Lehmkuhl G (2016), Spenderkinder. Was Kinder fragen werden und was Eltern wissen sollten, Munderfing: Fischer & Gann. []
  2. Greenfeld DA. (2008), The impact of disclosure on donor gamete participants: donors, intended parents and offspring. CurrOpinObstetGyn;20, S. 265–268.:Söderström-Anttila V, Sälevaara M, Suikkari AM. (2010), Increasing openness in oocyte donation families regarding disclosure over 15 years. Hum Reprod25, S. 2535–2542.; MacCallum F, Keeley S. (2012), Disclosure patterns of embryo donation mothers compared with adoption and IVF. Reprod Biomed Online 24,S. 745–748. []
  3. Tallandini et. al. (2016), Parental disclosure of assisted reproductive technology (ART) conception to their children: a systematic and meta-analytic review, Human Reproduction Advance Access published April 10, 2016, S.9. []
  4. DI-Netz, BKiD und AK DI, Gemeinsame Stellungnahme zum Gesetzesantrag der Bundestagsfraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN „Elternschaftsvereinbarung bei Samenspende und das Recht auf Kenntnis eigener Abstammung“ vom 24. März 2016 – siehe auch gesonderter Beitrag „Eintragung des Spenders in das Geburtenregister – das Recht von Spenderkindern auf Wahrheit“.) Sie stellen in diesem Zusammenhang in Frage, ob es überhaupt notwendig sei, die Motivation der Eltern zur Aufklärung ihrer Kinder zu stärken und ob dies Aufgabe des Staates sei. ((S. 2 []
  5. Fußnote 2: „Die medial kursierende Zahl von 10% Aufklärungsrate bei Samenspende stammt aus einer kleinen Studie einer Forschergruppe um Susan Golombok aus den späten 1980er Jahre mit 111 Patienten aus den Ländern Spanien, Italien, den Niederlanden und Großbritannien (Deutschland wurde nicht erfasst). Die geschätzte Zahl von 10% Aufklärungsquote wird in Deutschland derzeit durch den Verein „Spenderkinder“ lanciert.“ []
  6. siehe z.B. Katzorke T (2008) Entstehung und Entwicklung der Spendersamenbehandlung in Deutschland. Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie 5(1), S.14-20, 20; Katzorke T (2003), Donogene Insemination –  Gegenwärtiger Stand der Behandlung in der BRD, Gynäkologische Endokrinologie, S. 85-94, 88. []
  7. Tallandini et. al. (2016), Parental disclosure of assisted reproductive technology (ART) conception to their children: a systematic and meta-analytic review, Human Reproduction Advance Access published April 10, 2016, S. 9. []
  8. 8% bei Owen L, Golombok S (2009), Families created by assisted reproduction: Parent-child relationships in late adolescence, Journal of Adolescence 32, 835-848; 8,6% bei Golombok S et al. (2002), The European study of assisted reproduction families: the transition to adolescence. Human Reproduction Vol. 17 No. 3, S. 830-840; 17% bei Sälevaara M, Suikkari A-M, Söderström-Anttila V (2013), Attitudes and disclosure decisions of Finnish parents with children conceived using donor sperm. Human Reproduction, Vol. 28, No. 10, S. 2746–2754; 28% bei Readings J, Blake L, Casey P, Jadva V, Golombok S (2011), Secrecy, disclosure and everything in-between: decisions of parents of children conceived by donor insemination, egg donation and surrogacy. Reprod Biomed Online; 22: 485 – 495; 35% bei Daniels K, Gillett W, Grace V (2009), Parental information sharing with donor insemination conceived offspring: a follow-up study. Human Reproduction, Vol.24, No.5 S. 1099–1105; 35% bei Kovacs G T, Wise S, Finch S (2013), Functioning of families with primary school-age children conceived using anonymous donor sperm. Human Reproduction, Vol.28, No. 2, S. 375–384. []
  9. Isaksson S et al. (2011), Two decades after legislation on identifiable donors in Sweden: are recipient couples ready to be open about using gamete donation? Human Reproduction, Vol.26, No.4 pp. 853–860. []
  10. Tallandini et. al. (2016), Parental disclosure of assisted reproductive technology (ART) conception to their children: a systematic and meta-analytic review, Human Reproduction Advance Access published April 10, 2016, S.10. []
  11. z.B. haben 61% zum Zeitpunkt der Studie noch nicht aufgeklärt, insgesamt 43% haben sich ausdrücklich gegen Aufklärung entschieden bei Lycett E, Daniels K, Curson R, Golombok S (2005), School-aged children of donor insemination: a study of parents‘ disclosure patterns. Human Reproduction Vol. 20, No. 3 S.810-819; 92% haben noch nicht aufgeklärt, 81% haben sich explizit dagegen entschieden bei Owen L, Golombok S (2009), Families created by assisted reproduction: Parent-child relationships in late adolescence, Journal of Adolescence 32, 835-848; 53% haben nicht aufgeklärt und haben es auch nicht vor bei Daniels/Gillet/Grace (2009), Human Reproduction Vol. 24, S. 1099–1105, 1102; 72% haben noch nicht aufgeklärt, 39% der Eltern wollen ausdrücklich nicht aufklären bei Readings J, Blake L, Casey P, Jadva V, Golombok S. (2011), Secrecy, disclosure and everything in-between: decisions of parents of children conceived by donor insemination, egg donation and surrogacy. ReprodBiomed Online; 22: 485 – 495. []
  12. Tallandini et. al. (2016), Parental disclosure of assisted reproductive technology (ART) conception to their children: a systematic and meta-analytic review, Human Reproduction Advance Access published April 10, 2016, S. 11. []
  13. Daniels et al. (2009) untersuchten 43 Familien, von denen 15 (35%) ihre 17-21jährigen Kinder aufgeklärt hatten. Zu einem Folgezeitpunkt hatten sich weitere 5 Familien für eine Aufklärung entschieden – Daniels K, Gillett W, Grace V (2009), Parental information sharing with donor insemination conceived offspring: a follow-up study. Human Reproduction, Vol.24, No.5 pp. 1099–1105. []
  14. Isaksson S et al. (2011), Two decades after legislation on identifiable donors in Sweden: are recipient couples ready to be open about using gamete donation? Human Reproduction, Vol.26, No.4 pp. 853–860. []
  15. Golombok S et al. (2002), The European study of assisted reproduction families: the transition to adolescence. HumanReproduction Vol. 17 No. 3 830-840 []
  16. Thorn P, Katzorke T, Daniels K (2008), Semen donors in Germany: A study exploring motivations and attitudes. Human Reproduction Vol. 23(11) pp. 2415–2420. []
  17. Klotz M (2013), Genetic Knowledge and Family Identity: Managing Gamete Donation in Britain and Germany. Sociology 47: 939-956. []

Was ist Vererbung, was Umwelt?

Über die Frage, ob ein Mensch eher durch Vererbung oder durch Erziehung geprägt ist, wird seit Jahrzehnten unter dem Schlagwort „nature versus nurture“ (also Natur gegen Umwelt) gestritten.

Spenderkinder, die sich für ihre Abstammung interessieren, wird vor allem von der Seite der Ärzte und Eltern oft gesagt, dass nur die sozialen Eltern wichtig seien. Nur am Rande sei bemerkt, dass dies im Widerspruch dazu steht, dass die Anlagen des Spenders für Ärzte und Eltern aber oft doch sehr wichtig sind und darauf geachtet wird, dass nur Männer mit guten Anlagen als Spender ausgesucht werden. Jedenfalls müssen Spenderkinder oft umfangreich begründen, weswegen wir wissen wollen, wer unsere genetischen Eltern sind. Manchmal wird uns deswegen sogar eine biologistische Sichtweise unterstellt.

Eine gerade veröffentlichte gemeinsame Studie der Universitäten Queensland (Australien) und Amsterdam (Niederlande), für die über 50 Jahre Zwillingsforschung ausgewertet wurde, kommt zu dem Schluss, dass Vererbung mit 49 % und Umwelt mit 51 % ungefähr gleich wichtig sind.

Allerdings variiert die Bedeutung je nach Charakterzügen oder Krankheiten. Für soziale Werte und Einstellungen sind Umweltfaktoren wesentlich wichtiger. Das Risiko für eine bipolare Störung oder Übergewicht hängt dagegen deutlich mehr von genetischen Anlagen ab, während Essstörungen und Alkoholismus eher vom Umfeld abhängen. Es gibt aber kein einziges Merkmal, auf das genetische Anlagen keinen Einfluss haben.

Die Studie bestätigt, dass unser Wunsch nach Kenntnis unserer Abstammung auch einen naturwissenschaftlich begründeten Hintergrund hat und nicht nur dadurch gerechtfertigt ist, dass Abstammung allgemein einen Teil der Identität darstellt.

Unsere Position zur „nature versus nurture“ ist, dass jedes Spenderkind selbst entscheiden sollte, was ihr oder ihm persönlich wichtig (oder wichtiger) ist. Alles andere ist Bevormundung. Eine wirklich informierte Entscheidung kann man überhaupt nur treffen, wenn man den Spender kennt und weiß, wie viel oder wenig die biologische Seite ausmacht.

Teilnehmer für Online-Studie des DSR und Wellesley College and Middlebury College gesucht

Das Donor Siblings Registry in Zusammenarbeit mit dem Wellesley College and Middlebury College suchen Teilnehmer (Spenderkinder, Eltern, Spender) für ihre Studie “Donor Gametes, Donor Siblings, and the Making of New Families.” Die Studie soll Einstellungen zu Eizell-, Samen und Embryonenspende untersuchen und die Beziehungen zwischen Familien mit dem selben Spender, die Kontakt zueinander geknüpft haben. Die Teilnahme am englischsprachigen Online-Formular dauert etwa 15 Minuten.

Die Studie zielt von den Fragen her zwar eher auf die USA und Nutzer des Donor Siblings Registry, aber ist offen für alle Nationalitäten. Das Donor Siblings Registry hat schon an einigen sehr interessanten Studien mitgewirkt, daher empfehlen wir eine Teilnahme, auch damit die Forscher ihre Ergebnisse auf mehr Fallzahlen basierend erhalten können.

Es gibt getrennte Fragebögen für Spenderkinder ab 13 Jahren, Spenderkinder-Eltern und Spender.

 

Überarbeitung von Psychologisches online

Bestimmte Annahmen wie „Die Spender wollen doch eh nur Geld“ oder „eine frühe Aufklärung verstört Spenderkinder“ sind leider weit verbreitet. Sieht man sich jedoch die dazu vorhandenen Studien an, stellt man fest: das stimmt gar nicht. Die am häufigsten geäußerte Motivation von Samen- und Eizellspendern ist, anderen helfen zu wollen, und früh aufgeklärte Spenderkinder wie auch deren Eltern berichten ausschließlich positive Erfahrungen mit früher Aufklärung.

Seit ein paar Tagen ist nun das lang gehegte Projekt von uns fertig gestellt, die Seite Psychologisches zu überarbeiten. Neu ist, dass zu den einzelnen, mit Familienbildung durch Reproduktionsmedizin verbundenen Themen die Ergebnisse der dazu vorhandenen Studien vorgestellt werden. Alle Quellen sind mit Fußnoten mit der genauen Fundstelle belegt. Viele der Studien sind online kostenlos zugänglich, so dass alle, die noch mehr dazu wissen möchten, auch das Original nachlesen können. Das lohnt sich durchaus, da eine kurze Darstellung der Ergebnisse natürlich nicht einen ganzen Aufsatz zu dem Thema mit O-Tönen der Befragten ersetzen kann. Manche Studien betreffen Samen- und Eizellspende, Studien die ausschließlich Eizellspenden betreffen, haben wir wegen des Verbots in Deutschland jedoch nicht aufgenommen.

Über die Repräsentativität der Studien kann man natürlich geteilter Auffassung sein. Da es teilweise schwierig ist, an die Beteiligten heranzukommen, nehmen natürlich eher Personen teil, für die dieses Thema einen nicht unwichtigen Teil ihres Lebens darstellt. Wahrscheinlich nehmen daher eher aufklärende Eltern, Eltern mit einer positiven Familiensituation, offene Spender und an ihrer Abstammung interessierte Spenderkinder an den Studien teil. Fast unmöglich ist es, die Situation von nicht über die Zeugung durch Samenspende aufgeklärten Spenderkinder zu untersuchen. Oft sind die Teilnehmerzahlen gering, oder die Rekrutierung der Teilnehmer erfolgt über einschlägige Netzwerke wie das Donor Siblings Registry. Trotzdem sind die Studien wichtig, denn sie basieren immerhin auf einer Untersuchung und den Erfahrungen der Betroffenen – alles andere ist nur Spekulation.

Wir hoffen, dass die Zusammenstellung eine Hilfe für alle sein wird, die sich mehr mit Fragen der Motivation der von einer Familienbildung durch Samen- und Eizellspende betroffenen Personen auseinandersetzen möchten. Wir freuen uns außerdem über Nachrichten zu neuen oder noch nicht aufgeführten Studien.