Psychosoziale Informationen für Wunscheltern bei Familiengründung zu dritt, mit Hilfe einer „Samenspende“ oder eine „Eizellspende“ ((wir verwenden auf unserer Seite die geläufigen Bezeichnungen, setzen diese aber zur Distanzierung oft in Anführungszeichen – mehr dazu in unserem Artikel Was ist problematisch am Begriff der Spende.))
Kurz- und langfristige Auswirkungen dieser Form der Familiengründung sollten bei der Entscheidung für oder gegen diese Form der Familiengründung berücksichtigt werden, um das Wohl des möglicherweise entstehenden Kindes und der übrigen Beteiligten bestmöglich zu berücksichtigen.
Im Folgenden finden Sie deshalb eine Zusammenstellung psychosozialer Aspekte und Fakten, über die Wunscheltern vor einer Entscheidung für oder gegen eine Familiengründung mit Ei- oder Samenzellen dritter Personen informiert sein sollten, damit sie eine bewusste, verantwortliche Entscheidung für oder gegen diese Form der Familiengründung treffen können.
1. Familiengründung mit Samen- oder Eizellspende ist eine Form der Familiengründung zu dritt: Während ein Elternteil sowohl genetisch wie auch sozial mit dem Kind verbunden ist, ist die zweite Elternstelle auf zwei Personen verteilt, einen sozialen und einen genetischen Elternteil. Der genetische Elternteil gehört zum Familiensystem des Kindes dazu. Er hat existenziell zur Entstehung des Kindes beigetragen. Selbst wenn er für die Eltern keine weitere Bedeutung hat, kann er für das Kind auch eine emotionale Bedeutung haben, bzw. im Laufe des Lebens gewinnen. Das ist eine besondere, lebenslange Herausforderung für alle Beteiligten.
2. Das Kind sollte über seine Entstehungsweise aufgeklärt werden: Der genetische Elternteil spielt eine existenzielle Rolle für das Kind und damit für die Familie. Er ist im Kind genetisch präsent. Vielleicht bemerken Eltern Eigenheiten des Kindes, die sie von sich nicht kennen, die ihnen fremd sind und die sie dem genetisch fremden Einfluss zuschreiben. Das kann Eltern irritieren. Es kann aber auch das Kind irritieren, wenn es das Gefühl hat, sich in seinen Eltern nicht wiederzufinden. Einige spät-aufgeklärte erwachsene Spenderkinder berichten, dass sie schon früher das Gefühl hatten, nicht so recht in ihre Familie zu passen, so dass sie glaubten, mit ihnen stimme etwas nicht. Die Aufklärung erlebten sie daher auch als Erleichterung. Spät-aufgeklärte Spenderkinder oder solche, die selbst herausgefunden haben, wie sie entstanden sind, erlebten dies zumeist als massiven Vertrauensverlust gegenüber ihren Eltern. Sie fühlten sich betrogen und nicht ernst genommen. Forschungsergebnisse und Erfahrungen mittlerweile erwachsener Spenderkinder empfehlen eine möglichst frühe Aufklärung der Kinder über ihre Entstehungsweise1. Entwicklungspsychologisch scheint das Kindergartenalter hierfür geeignet, wenn die Kinder Schwangere wahrnehmen, erleben, dass Geschwisterkinder geboren werden und beginnen Fragen zu stellen.
3. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird das Kind im Laufe seines Lebens seinen genetischen Elternteil und vielleicht auch Halbgeschwister kennenlernen wollen: Die meisten aufgeklärten Kinder (über 80 Prozent) entwickeln im Laufe ihres Lebens ein Interesse daran, zu erfahren, wer ihr genetischer Elternteil ist2. Deshalb ist es wichtig, dass beide Wunscheltern offen mit dem Thema Samen- oder Eizellspende umgehen können, um dem Kind einen selbstbewussten Umgang mit der gewählten Familienform vorzuleben.
4. Familiengründung mit Hilfe einer Samen- oder Eizellspende ist keine Behandlung von Unfruchtbarkeit: Vor der Entscheidung für eine Familiengründung durch fremde Samen- oder Eizellen sollte sich der soziale Elternteil hinreichend mit den Gefühlen zur Unfruchtbarkeit beschäftigt haben – bzw. damit, dass er nicht der genetische Elternteil des Kindes sein wird. Unfruchtbarkeit wird nicht dadurch behoben, dass ein Kind in die Familie kommt. Insbesondere, wenn das Kind Interesse an seinem genetischen Elternteil zeigt, wird der soziale Elternteil wieder damit konfrontiert, dass das Kind nicht sein genetisch eigenes ist. Die Belastung des nicht zeugungsfähigen Elternteils wird häufig auch von diesen selbst übersehen und macht sich unter Umständen erst Jahre später bemerkbar3. Die sozialen Elternteile von Spenderkindern setzen sich oft wenig mit ihren Gefühlen auseinander und haben deshalb häufig große Probleme mit dem notwendigen offenen Umgang4. Das Gefühl des Verlusts durch die Diagnose der Unfruchtbarkeit kann so überwältigend sein, dass manche (nicht alle) Wunscheltern die Familiengründung zu dritt zunächst lediglich als pragmatischen Weg sehen, Eltern zu werden – bevor sie die genetische Verbindung aus Sicht ihrer Kinder neu bewerten5.
5. Der soziale Elternteil muss aktiv eine Beziehung zum Kind aufnehmen, damit eine Verbindung entsteht: Anders als zum genetisch-sozialen Elternteil besteht zu ihm keine „automatische“ genetische Verbindung. Das kann insbesondere bei der Samen“spende“ schwierig sein, da gerade in der Anfangsphase durch Schwangerschaft und Stillen die Beziehung zwischen Mutter und Kind sehr eng ist und sich allgemein der andere Elternteil dann zuweilen etwas „außen vor“ fühlen kann. Das kann vom „nur“-sozialen Elternteil als besonders verunsichernd erlebt werden. Entgegen etwaiger Rückzugsimpulse sollte er sich in dieser Phase bewusst einbringen und Kontakt mit dem Kind aufnehmen.
6. Eine stabile, soziale Beziehung zum Kind kann nicht garantiert werden: Der genetische Elternteil und der Elternteil, der genetisch mit dem Kind verwandt ist und eine soziale Elternrolle einnimmt, haben eine unauflösbare genetische Verbindung zum Kind, während die Beziehung zum sozialen Elternteil nicht unauflösbar ist. Es kann nicht garantiert werden, dass eine stabile soziale Beziehung entsteht. Dessen sollten sich die Eltern bewusst sein. Es kann für das Kind eine Belastung sein und Schuldgefühle wecken, wenn es erlebt, dass sich ein sozialer Elternteil sehr um eine gute Beziehung bemüht, diese jedoch nicht wie gewünscht gelingen will. Der Elternteil kann dann vom Kind als bedürftig erlebt werden und das Kind eine Verantwortung für das Gelingen der Beziehung spüren lassen, der es nicht gerecht werden kann.
7. Die asymmetrische Beziehung der Eltern zum Kind kann auch zu Spannungen zwischen den Eltern führen: Aufgrund ihrer unterschiedlich starken Positionen im Familiensystem können die Eltern völlig unterschiedliche Gefühle einander gegenüber, dem Kind oder dem genetischen Elternteil des Kindes gegenüber haben. Um sich zu verstehen ist es wichtig, darüber im Austausch zu bleiben.
8. Wunscheltern sollten sich deshalb nur dann für eine Familiengründung mit weiteren Personen entscheiden, wenn sie offen vor sich selbst und aller Welt zu ihrer Entscheidung stehen können: Spenderkinder brauchen starke Eltern, die sie unterstützen, mit denen sie offen über die Familiengründung reden können und denen ihre Unfruchtbarkeit oder die Form der Familiengründung nicht peinlich ist. Kinder sollten nicht als Geheimnisträger verpflichtet werden, auch nicht gegenüber möglicherweise wenig verständnisvollen Großeltern, Nachbarn, etc. Sie brauchen Eltern, die sie begleiten, wenn sie ein Interesse an dem genetischen Anteil entwickeln. Es besteht die Gefahr der Parentifizierung, wenn die Kinder das Gefühl entwickeln, ihre Eltern schonen zu müssen und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihren Eltern vermeiden, weil diese mit den Herausforderungen der Familienkonstellation überfordert wirken.
Probleme mit dem Thema Unfruchtbarkeit und Familiengründung mit weiteren Personen schlagen sich nicht notwendigerweise als klinisch relevante Angststörung oder Depression nieder. Die familiendynamischen Zusammenhänge sind komplexer und zeigen sich bei manchen genetischen Elternteilen z.B. in Unsicherheit gegenüber dem Kind, indifferenten Gefühlen, die sie selbst nicht einordnen können, in Spannungen mit dem genetisch-sozialen Elternteil, obwohl sie doch eigentlich glücklich sein müssten, ein Kind bekommen zu haben.
Abgesehen von diesen Besonderheiten, gibt es auch in Familien nach Samen- oder Eizellsspende ganz normale Konflikte und Krisen, die unabhängig von der Form der Familiengründung sind. Trotzdem ist es wichtig, sich aus der besonderen Ausgangssituation heraus darauf einzustellen. Möglicherweise wirft ein pubertierendes Kind in der völlig gesunden Ablösungsphase seinem sozialen Vater zum Beispiel an den Kopf „Du bist doch gar nicht mein richtiger Vater“. Dann ist es wichtig, dass die Eltern für sich souverän damit umgehen können.
Weil Familiengründung durch Samen- oder Eizellspende ein lebenslanger Prozess ist, können auch immer wieder Situationen oder Herausforderungen auftreten, bei denen psychosoziale Unterstützung hilfreich ist. Diese finden Sie zum Beispiel kostenfrei vor und während einer Schwangerschaft bei den öffentlichen Schwangerschafts-(Konflikt)Beratungsstellen und bei der Familienberatung des Jugendamts. Sie können sich auch an niedergelassene Psychotherapeut*innen wenden. Je nach Einzelfall ist eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse möglich oder die Kosten müssen privat getragen werden.
Die folgenden Fragen können Paaren als Anregung dienen, sich mit wichtigen Aspekten der Familiengründung mit weiteren Personen auseinanderzusetzen. Es kann hilfreich sein, sie zunächst getrennt voneinander für sich zu beantworten und dann miteinander zu besprechen.
- Was bedeutet für mich Elternschaft? Was bedeutet für mich soziale Elternschaft? Was bedeutet für mich genetische Elternschaft?
- Welche Konsequenzen hat ein offener Umgang mit der Form der Familiengründung für mich? Wie kann ich damit leben? (Wie kann ich z.B. damit umgehen, wenn das Kind im Kindergarten über seine Entstehungsweise spricht?)
- Wie kann ich selbst Bekannten und Verwandten gegenüber zu einer Entscheidung für eine Familiengründung mit weteren Personen stehen? Wem gegenüber würde es mir am schwersten fallen?
- Wie kann ich mir vorstellen, ein Kind zu begleiten, wenn es seine genetischen Wurzeln suchen möchte?
Zusätzliche Fragen an den sozialen Elternteil:
- Wie möchte ich eine soziale Elternrolle ausfüllen? Welche Ängste und Befürchtungen habe ich vielleicht?
- Welche Gefühle löst der Gedanke an den genetischen Elternteil bei mir aus? Wie geht es mir mit dem Gedanken, dass mein*e Partner*in ein Kind mit einer anderen Person zeugt und (wie) kann ich damit umgehen?
- Wie gehe ich mit meiner Unfruchtbarkeit um?
- Welche – möglicherweise widersprüchlichen – Gefühle stellen sich bei mir ein, wenn ich an ein Kind denke, das wir mit einer Samen- oder Eizell“spende“ bekommen könnten?
- Welche Gefühle stellen sich bei mir gegenüber meine Partner*in ein, wenn diese zusätzlich über eine genetische Verbindung zu einem Kind verfügen würde?
Zusätzliche Fragen an den genetischen und sozialen Elternteil:
- Wie geht es mir mit der Vorstellung, ein Kind von einem Unbekannten zu erwarten? Welche Ängste und Befürchtungen habe ich vielleicht?
- Welche Gefühle stellen sich bei mir ein, wenn ich an den genetischen Elternteil des (möglichen) Kindes denke?
- Welche Gefühle stellen sich bei mir ein, wenn ich an meine*n Partner*in denke?
- Blyth E, Langridge D, Harris R: Family building in donor conception: parents’ experiences of sharing information, in: Journal of Reproductive and Infant Psychology Vol. 28, No. 2, May 2010, 116–127; Rumball A, Adair V (1999) Telling the story: parents’ scripts for donor offspring. Human Reproduction (5) 14, S. 1392-1399. [↩]
- Beeson D, Jennings P, Kramer W (2011) Offspring searching for their sperm donors: how family type shapes the process. Human Reproduction 9 (26), S. 2415–2424; Hertz R, Nelson M, Kramer W (2013) Donor conceived offspring conceive of the donor: The relevance of age, awareness, and family form. Social Science & Medicine 86, S. 52-65; Scheib J, Riordan M, Rubin S (2005) Adolescents with open-identity sperm donors: reports from 12–17 year olds. Human Reproduction (1) 20, S. 239–252; Blake L, Casey P, Jadva V, Golombok S (2013) ‘I Was Quite Amazed’: Donor Conception and Parent–Child Relationships from the Child’s Perspective. Children & Society, S. 10. [↩]
- Thorn P, Wischmann T (2014) Der Mann in der Kinderwunschbehandlung (unter besonderer Berücksichtigung der donogen Insemination). Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie, Pre-Publishing Online; Indekeu A et. al. (2012) Parenthood motives, well-being and disclosure among men from couples ready to start treatment with intrauterine insemination using their own sperm or donor sperm. Human Reproduction (1) 27, S. 159–166; Indekeu A et. al. (2012) Parenthood motives, well-being and disclosure among men from couples ready to start treatment with intrauterine insemination using their own sperm or donor sperm. Human Reproduction (1) 27, S. 159–166. [↩]
- Beeson D, Jennings P, Kramer W (2011), Offspring searching for their sperm donors: how family type shapes the process. Human Reproduction 9 (26), S. 2415–2424. [↩]
- Kirkman M (2004) Genetic Connection And Relationships In Narratives Of Donor-Assisted Conception. Australian Journal of Emerging Technologies and Society (1) 2, S. 1-21. [↩]