Eine der größten Halbgeschwistergruppen, von der wir im Verein wissen, hat im Frühjahr 2025 ihren genetischen Vater identifiziert. Er hatte in den frühen achtziger Jahren über eine längere Zeit bei der Samenbank Novum Samen abgegeben. Über die Jahre haben sich mehr als acht der durch ihn gezeugten Kinder über DNA-Datenbanken gefunden. Novum behauptete bis zuletzt, keine hinreichenden Unterlagen mehr zu besitzen, um den genetischen Vater zuordnen zu können. Nun haben die Halbgeschwister es mit der Hilfe von DNA-Detektiv Alexander geschafft.
Einige von euch
haben ja sehr lange gesucht, über 20 Jahre. Wie geht es euch damit,
dass die lange Suche nun beendet ist?
A: Ich freue mich,
endlich Klarheit zu haben, wer mein genetischer Vater ist – und wer
es nicht ist.
S: Es ist ein tiefes
Gefühl von Erleichterung und Abschluss. Über so viele Jahre war da
eine offene Frage, ein leerer Platz, der immer wieder ins Leben
hineingefunkt hat – mal laut, mal leise. Jetzt zu wissen, wer unser
genetischer Vater war, bringt eine innere Ruhe mit sich. Es ist nicht
einfach nur ein Name, sondern das Ende einer langen Suche nach einem
Teil von sich selbst.
Ihr habt euren
genetischen Vater ja letztlich über DNA-Datenbanken identifiziert,
aber es war nicht so einfach. Könnt ihr etwas über die Suche
erzählen?
A: Außer uns
Halbgeschwistern hatten wir nur sehr, sehr entfernte Verwandte
identifiziert. Das machte die Suche für uns als einzelne quasi
unmöglich. Unser DNA-Detektiv schaffte es trotzdem, unseren
genetischen Vater zu finden, indem er mit dem Material suchte, das
wir als Halbgeschwister teilen. Dafür war es hilfreich, dass wir
mehrere sind.
S: Der Weg war
voller Sackgassen, falscher Spuren und sehr viel Geduld.
DNA-Datenbanken bieten zwar technische Möglichkeiten, aber sie
ersetzen nicht die mühsame Detektivarbeit, die dahintersteht. Ohne
die Hilfe von Alexander, unserem DNA-Detektiv, hätten wir es wohl
nicht geschafft. Er hat über Jahre hinweg mit unglaublicher Ausdauer
ein Puzzle zusammengesetzt, das sich für uns oft wie unlösbar
angefühlt hat. Als er dann sagte, er sei sich sicher, wer unser
Vater ist, und brauche nur noch eine offizielle Bestätigung, war das
ein Moment der Überraschung – und es hat tatsächlich eine Weile
gedauert, bis ich realisiert habe, dass die Suche damit zu Ende war.
Leider konntet
ihr euren genetischen Vater nicht persönlich kennenlernen. Würdet
ihr sagen, dass eure Suche trotzdem ein gutes Ende genommen hat?
Konntet ihr einen Eindruck gewinnen, was für eine Art Mensch er war?
A: Ja, auf jeden
Fall! Das Hauptziel war ja, zu erfahren, wer mein genetischer Vater
ist. Das weiß ich nun. Erfreulicherweise hat seine Familie uns etwas
über ihn erzählt, so dass ich nicht nur ein Foto, sondern auch ein
inneres Bild von ihm als Person entwickeln konnte. Und wir haben
dadurch noch weitere Halbgeschwister gefunden, die ebenfalls
aufgeschlossen für Kontakt sind. Das bedeutet mir sehr viel.
S: Natürlich hätten
wir ihn gerne kennengelernt – ein Gespräch, ein Blick, ein
gemeinsamer Moment hätte mir viel bedeutet. Aber auch ohne diese
persönliche Begegnung konnten wir durch Gespräche mit ihm
nahestehenden Personen viel über ihn erfahren. Darin wirkte er wie
ein kluger, weltoffener und warmherziger Mensch.
Einige von euch
haben ja auch einen Rechtsstreit mit Novum über die Auskunft über
den genetischen Vater geführt – und obwohl es dazu verurteilt
wurde, hat euch das Novum letztlich keine Auskunft gegeben. Seid ihr
zufrieden damit, es trotzdem auf diesem Weg versucht zu haben? Was
ist euer Fazit zu den Gerichtsverfahren?
A: Das Novum wurde
verurteilt, uns Auskunft zu geben. Das ist ein wichtiges Ergebnis,
weil es bestätigt, dass das Recht grundsätzlich auf unserer Seite
ist. Dass das Gericht trotzdem keine Handhabe sah, das Urteil zu
vollstrecken, zeigt, dass das Recht auf Auskunft über die Identität
des genetischen Vaters für Spenderkinder, die vor 2018 entstanden
sind, noch nicht hinreichend geschützt ist. Umso mehr freue ich
mich, die Auskunft dennoch auf anderem Wege erhalten zu haben. In
unserem Fall sind unstreitig die Spenderunterlagen noch vorhanden.
Angeblich konnte nur nicht zugeordnet werden, welcher Spender zur
Entstehung welchen Kindes geführt hatte. Es gab sogar eine
ZeugInnenanhörung, in der keine der vom Novum dafür benannten
ZeugInnen die behauptete Vernichtung der für uns relevanten
Patientinnenakten bezeugen konnte. Im Laufe der Prozesse zeigten sich
immer neue Widersprüche. Das Oberlandesgericht Hamm fasste es wie
folgt zusammen: „Das Aussageverhalten des Gesellschafters der
Schuldnerin ist nicht nur in diesem Punkt, sondern insbesondere auch
bezüglich der weiteren, von der Gläubigerin hervorgehobenen
Umstände zu der „Vernichtung“ von Akten und weiteren Unterlagen
beklagenswert inkonsistent, teils widersprüchlich und auch mit
Angaben von Zeugen partiell nicht kompatibel“ (Beschluss des OLG
Hamm vom 29.08.2024, S. 5). Dennoch kam das Gericht zu dem Ergebnis
„Das zweifelhafte Aussageverhalten der Schuldnerin bzw. ihres
Gesellschafters Prof. Dr. Katzorke hat aber aus Sicht des Senats
nicht zur Folge, dass der Tatsachenvortrag der Schuldnerin in allen
Einzelheiten und damit insgesamt als unglaubhaft zu bewerten ist“
(Beschluss des OLG Hamm vom 29.08.2024, S. 5). So war das Novum zwar
verurteilt worden, uns Auskunft zu geben. Weil wir aber nicht
nachweisen konnten, dass das Novum für unsere Einzelfälle dazu in
der Lage war, konnten wir das Urteil im letzten Schritt nicht
vollstrecken lassen. Die Urteile hätten nur dann zwangsvollstreckt
werden können, wenn wir hätten nachweisen können, dass nicht
generell, sondern auch spezifisch für unsere Einzelfälle dem Novum
die Auskunft möglich ist. Trotz widersprüchlicher Vortragsweise der
Gegenseite lag die Beweislast dafür unverändert bei uns. Dieser
Nachweis war uns mit unseren legalen Möglichkeiten nicht möglich,
da wir ohne Einblick in die Praxisdokumentation nicht wissen konnten,
ob zufällig die Aufzeichnungen über unseren genetischen Vater oder
die Patientinnenakten unserer Mütter (und der der bereits
identifizierten Halbgeschwister) alle zufällig doch abhandengekommen
sind.
S: Ja, es war
absolut wichtig – auch wenn das Ergebnis enttäuschend war. Der
Rechtsweg war ein deutliches Zeichen: Wir geben uns nicht mit einem
„Gibt’s nicht mehr“ zufrieden, wenn es um unsere Herkunft
geht. Es war ein Kampf für das Recht auf Wissen – und für die
Würde von Spenderkindern generell. Dass die Samenbank trotz
Gerichtsurteil keine Auskunft gegeben hat, wirft ein bezeichnendes
Licht auf den mangelnden Willen zur Verantwortung. Ich hoffe, dass
unser Fall hilft, gesellschaftlich und rechtlich ein Umdenken
anzustoßen.
Wie hat die
Aufklärung eurer Herkunft euer Verständnis von Familie und
Identität beeinflusst? Gibt es etwas, das ihr anderen Menschen in
einer ähnlichen Situation mit auf den Weg geben möchtet?
A: DNA-Datenbanken
sind die Aufklärer des 20. Jahrhunderts. Wenn ihr eure genetischen
Elternteile oder Halbgeschwister finden möchtet, dann ist das auf
diese Weise definitiv möglich, es dauert manchmal nur etwas länger.
Habt dann Geduld, macht vielleicht eine Pause, aber lasst euch nicht
entmutigen.
S: Man lernt:
Familie ist mehr als Biologie – aber Biologie kann dennoch sehr
bedeutungsvoll sein. Identität besteht aus vielen Schichten, und für
uns war es wichtig, diesen Teil endlich einordnen zu können. Es ist
nicht alles, aber es ist auch nicht nichts. Mein Rat an andere: Gebt
euch das Recht zu suchen. Das ist kein Verrat an der sozialen
Familie, sondern ein Akt der Selbstachtung. Und: Ihr seid nicht
allein – viele andere haben ähnliche Fragen und ähnliche Wege
hinter sich.
Ihr seid ja recht
viele Halbgeschwister. Wie hat euch die Erfahrung, euren genetischen
Vater zu finden und gemeinsam diese Suche zu meistern, als Gruppe
geprägt? Gibt es Pläne, wie ihr auch in Zukunft miteinander in
Kontakt bleiben möchtet?
A: Die Suche war
bestimmt eine gute Teambuildingmaßnahme 😊. Ich habe vor, auch
weiter in Kontakt mit meinen Halbgeschwistern zu bleiben.
S: Wir sagen
manchmal scherzhaft: „Unsere Familie kam über die DNA-Datenbank.“
Aber das trifft es irgendwie auch. Aus Fremden wurden Vertraute. Wir
sind inzwischen mehr als nur „Halbgeschwister auf dem Papier“. In
den letzten Jahren ist ein starkes Band zwischen uns gewachsen. Wir
stehen in regelmäßigem Kontakt, tauschen uns aus, organisieren
Treffen und unterstützen uns auch emotional. Diese Verbindung gibt
Halt – und ich möchte sie auf jeden Fall erhalten. Unsere
gemeinsame Geschichte verbindet uns auf eine ganz eigene, tiefe
Weise.